AD&D Starter Set
Was ureinst in irgendwelchen verrauchten Buden gelangweilter amerikanischer Studenten begann¸ hat sich inzwischen zu einem weit verbreiteten Hobby entwickelt¸ dem weltweit zigtausend Menschen auf der ganzen Welt in ihrer Freizeit nachgehen oder die Arbeit daran sogar zu ihrem Beruf gemacht haben: Das Fantasy-Rollenspiel. Der erste namentliche Vertreter dieses Genres - sozusagen der 'Urgroßopa' aller heute erwerblichen Rollenspiele heißt D&D¸ was eine Kurzform des englischen Titel 'Dungeons and Dragons' (Verliese und Drachen) ist. D&D existiert auch heute noch und wird auch noch von etlichen Leuten gespielt.
Aber es wurden in den folgenden Jahren auch starke Modifikationen am ursprünglichen Regelwerk vorgenommen. Aus dem ehemaligen "Hack & Slay" (engl. für Zerschlagen und Schlachten)¸ was im Wesentlichen die Hauptbeschäftigung der Charaktere bei D&D beschreibt¸ wurde ein differenziertes Rollenspiel¸ daß weit mehr Facetten und besser ausgearbeitete Regeln bot: Advanced D&D¸ kurz AD&D war geboren (engl. D&D für Fortgeschrittene).
AD&D ist seit jeher das international wohl am weitesten verbreitete Rollenspielsystem. Auch wurden für AD&D eine fast unüberschaubare Menge von Erweiterungsbänden¸ Romanen und Hintergrundwelten veröffentlicht¸ die ein sehr breites Spektrum abdecken.
Nicht¸ daß AD&D ein solch unschlagbar geniales Regelsystem hätte¸ aber eine Vielzahl genialer Künstler¸ Autoren und enthusiastische Fans haben zu diesem Erfolg beigetragen. So gehören die Drachenlanze-Romane wohl zu den Standartwerken¸ deren Bekanntheitsgrad unter Rollenspielern nur von Tolkiens Herr der Ringe übertroffen wird. Die meisten Zeichnungen¸ die sowohl Regelwerke als auch Abenteuer zieren¸ sind von solch namhaften Künstlern wie Larry Elmore oder Jeff Easley. Die Leute bei TSR - diese Firma vertrieb ursprünglich das englische Original (wurde inzwischen von Wizards of the Coast aufgekauft¸ deutschsprachiger Vertrieb/Produktion über Amigo) - hatten immer ein gutes Händchen für Künstler. So verwundert es nicht¸ daß man viele Poster mit den Bildern aus AD&D-Publikationen an unzähligen Wänden überall auf der Welt wiederfindet - nicht nur bei Rollenspielern.
Nun aber weg vom Mythos AD&D und zurück zu dem mir vorliegenden AD&D-Starter-Set. Es handelt sich bei diesem Set um eine etwa DIN-A4 große Box¸ die nach dem Öffnen ihren vielfältigen (eingeschweißten) Inhalt preisgibt. Ich will gleich zu Anfang darauf hinweisen¸ daß sich diese Box wohl nicht an Personen richtet¸ die bereits Rollenspieler sind¸ sondern an Leute die keine¸ bzw. nur eine grobe Vorstellung vom Thema Rollenspiel haben und sachte an dieses Thema - speziell AD&D - herangeführt werden wollen¸ ohne allzu tief in die Tasche greifen zu müssen.
- Zuerst fallem einem sechs sehr schön illustrierte Charakterbögen auf¸ die - in Farbe - alle typischen Charakterarten bei AD&D enthalten. Vom Zwergenkrieger über den Dieb bis zum Krieger-Magier-Elfen findet man hier mögliche Variationen. Etwas traurig ist¸ daß keine einzige Frau dabei vorkommt. Ist man bei AD&D/WotC/AMIGO etwa frauenfeindlich oder ist man sich nicht bewußt daß etwa 20% der Spieler weiblich sind ? Bei der heute üblichen Quote auf Rollenspieltreffen¸ hätte man mindestens ein oder zwei weibliche Helden beilegen müssen¸ wenn nicht gar alle Archetypen auch in weiblicher Form. Ich finde das - gerade bei Einsteigergruppen - für eine Frau nicht gerade motivierend.
Wenn man die Charakterbögen genauer untersucht¸ fällt einem auf¸ was sich später bei der Durchsicht der Regelhefte bestätigt: man findet nur sehr wenige Werte¸ die auf ein stark abgespecktes Regelwerk schließen lassen. Ein normales AD&D-Charakterblatt weist einen Wust von etwa 50 Werten auf - bei den Starter-Regeln sind nur etwa 12 notwendig. Wirkt irgendwie sehr ungewohnt aufgeräumt und übersichtlich. Ansonsten finden sich aber eigentlich alle notwendigen Informationen zum Losspielen auf Vor- und Rückseite der Bögen. - Neben den bereits fertigen Charakteren findet man einen fetten Block mit
etwa 30 beidseitig bedruckten Charakterbögen im DIN-A5-Format. Wenn man clever ist¸ entnimmt man direkt zwei Blätter¸ legt Vorder- und Rückseite nebeneinander und macht sich Fotokopien auf denen die Spieler die ersten Erschaffungen üben können. So bleibt einem der Block für die Charaktere erhalten¸ die den Selektionsprozeß des ersten Abends überstehen.
- Der Spielleiterschirm zeigt auf der - später den Spielern zugewandten - Seite ein wunderschönes Motiv von Jeff Easley mit zwei berittenen Drachen im Luftkampf. Die andere Seite enthält alle im Spiel wichtigen Werte¸ Tabellen und Methoden um besondere Spielsituationen zu meistern. Insgesamt sehr praktisch¸ farbenfroh und athmosphärisch.
- Die sieben Würfel bestehen aus W4¸ W6¸ W8¸ W10¸ W12 und einem speziellen zehnseitigen Würfel der die Zahlen 10¸ 20¸ ... bis 100 trägt. Die Würfel sind allesamt rot (leicht dunkel melliert) mit weißer Schrift. In der Regel werden alle diese Würfel während eines Spiels mit AD&D zur Anwendung kommen. Diese Menge unterschiedlicher Würfel spiegelt - meiner Meinung nach - einen der Nachteile des AD&D-Systems wieder: Man braucht für jeden Kram einen anderen Würfeltyp¸ was die Übersichtlichkeit etwas schmälert. In einem Einsteigerset hätte ich vielleicht von dieser 'Vielfalt' abgesehen - aber dann wäre es wohl nicht mal mehr D&D¸ geschweige denn AD&D.
Den Hauptteil des Starter-Sets bilden die nun folgenden vier 'Bände'. Dabei handelt es sich jedoch mehr um Heftchen¸ die relativ leicht in der Hand liegen und daher mehr an Zeitschriften erinnern. Durchschnittlich liegt der Umfang eines Bandes bei 28 Seiten¸ was im Vergleich zu einem 'richtigen' AD&D-Band mit je 270 (!) Seiten geradezu lächerlich wirkt. Dadurch entfällt aber auch die abschreckende "Das ist ja soviel¸ daß schaffe ich ja nie !"-Wirkung.
Ich kann mich nur wiederholen: Das Starter-Set ist nichts für Leute¸ die in einer 'richtigen' AD&D-Gruppe (z.B. auf einem Rollenspielertreffen) mitspielen wollen¸ sondern für Gruppen gedacht¸ die bislang nur Brettspiele gespielt haben und nun einen ersten Fuß in den Rollenspielbereich setzen wollen.
- Man sollte die Lektüre mit dem Spielerband - Grundregeln für den Spieler beginnen. Nach einer allgemeinen Einleitung zum Thema Rollenspiel¸ erfährt man hier alles über die hier möglichen Charaktertypen (drei Rassen¸ vier Klassen) bei AD&D. Der Band erklärt einem - wirklich auf einfache 'leicht verdauliche' Weise - die möglichen Entwicklungsmöglichkeiten und Spielregeln. Die Erklärungen beschränken sich dabei auf die wichtigsten - für das Starterset abgespeckten - Regeln. Auch die Rassenbeschreibungen wirken sehr spartanisch und umreissen nur die wichtigsten Klischees und besonderen Fähigkeiten. Auch bei den Zaubern gibt es nur eine kleine¸ aber gute Auswahl der üblichen AD&D-Sprüche¸ jeweils für Priester und Magier.
Das ganze findet auf 32 Seiten Platz.
- Anfänglich vielleicht nur für den Spielleiter interessant¸ sollten sich nach einigen Spielen¸ alle Mitspieler einmal den Spielleiterband - Grundregeln für den Spielleiter zu Gemüte führen. Hier werden ein paar Informationen wiederholt (diesmal aus der Sicht des Spielleiters) und Hinweise auf 'gutes' Rollenspiel gegeben¸ bzw. das vermittelt¸ was einen guten Spielleiter bei AD&D ausmacht. Insgesamt bekommt man einen besseren Einblick in den Aufbau eines Abenteuers und die notwendige Vorarbeit. Nach der Lektüre des Spielerhandbuchs und dieser 24 Seiten¸ sollten auch Anfängern die Informationen auf dem Sichtschirm nicht mehr wie Böhmische Dörfer vorkommen.
Darüber hinaus liefert der Band eine Beschreibung der Stadt Freital¸ deren Umgebung und wichtigsten Bewohner. Gerade die Beschreibungen der Bewohner sollten anfangs nur dem Spielleiter zugänglich sein¸ um deren "Reiz des Unbekannten" für die Spieler nicht zu verderben. Freital wird für die Charaktere der Ausgangspunkt und die Stätte der Erholung nach bestandenen Abenteuern sein und sollte daher vom Spielleiter eingehend studiert und verinnerlicht werden. Im Kapitel Schätze bekommt der angehende Spielleiter noch einen Leitfaden¸ wie er die - für AD&D typischen - Schatzhaufen und -truhen zusammenstellen kann. Eine Beschreibung einiger interessanter magischer Gegenstände rundet das Ganze ab. Später kann anhand eines Buchstabencodes¸ der jeweils vorhandene Schatz ermittelt werden. -
Das dritte Heft heißt Monsterband - Das Nachschlagewerk für Spieler und Spielleiter. Dieser Titel signalisiert fälschlicherweise¸ daß es sich hierbei um allgemein bekannte Informationen über die übelsten Wesen rund um Freital handelt. Wenn ich der Spielleiter wäre¸ würde ich jedoch meinen Spielern die Informationen dieses Bandes nicht zugänglich machen¸ bevor ihre Charaktere sich auf eigene Initiative irgendwo informiert haben¸ oder auf ein entsprechendes Talent gewürfelt haben - zu leicht verliert so manches Monster seine Gefährlichkeit¸ wenn die Spieler bereits vor der ersten Begegnung wissen¸ wie das Monster angreift oder wie man es überlisten kann.
Die Monster sind - auch wenn kein einheitlicher Zeichenstil angewendet wurde - allesamt schön gezeichnet. Die spielrelevanten Werte sind ordentlich tabelliert und den Abschluß bilden immer Verhaltensbeschreibungen¸ besondere Eigenarten und ein Kommentar des Monsters.
Die Monsterarten decken ein breites Spektrum ab und bieten für jede Gelegenheit eine neue Überraschung. - Der Band den man sich zuletzt vornehmen sollte¸ ist der Abenteuerband - Drei Abenteuer für Einsteiger. Mit seinen 48 Seiten handelt es sich hierbei um das umfangreichste Heft des Sets. Um den Spielleiter bei seinen ersten Schritten nicht im Regen stehen zu lassen hat man hier drei Abenteuer bereitgestellt¸ die sich in aufgeführter Reihenfolge als kleine Kampagne mit steigendem Schwierigkeitsgrad spielen lassen.
Die Abenteuer sind nach dem 'Idiotensicher'-Prinzip aufgebaut und geben eine explizite Anleitung und Hilfestellung. Das schließt markierte Texte zum Vorlesen ebenso ein¸ wie eine Vorauswahl von möglichen Entscheidungen der Spieler. Das ist natürlich gut für absolute Neulinge und etwas Fortgeschrittene wissen eh wie man improvisiert.
Viele der Karten sind mit so viel Liebe zum Detail¸ technischer Brillianz und Witz gezeichnet¸ daß man seine Augen gerne länger darauf verweilen läßt. Diese Qualität übertrifft sogar die Karten des DDD um Längen¸ was mir bislang nur schwer vorstellbar erschien. In Zukunft werde ich da noch höhere Maßstäbe anlegen.
Im Text sind alle Stellen¸ die eine besondere Aufmerksamkeit durch den Spielleiter erfordern (meist Fallen) hervorgehoben. Leider bieten jedoch auch die Informationen aus dem Spielleiterband¸ keine besonderen Hinweise für den Spielleiter¸ wie der eine Person besser für seine Spieler darstellen kann. Hier wären Anmerkungen wie 'Französischer Akzent' oder zuckt ständig mit der Stirn Nebensächlichkeiten gewesen¸ die jedoch eine Menge Athmosphäre - gerade für Anfänger - gebracht hätten. Personen mit außergewöhnlichen Eigenarten merkt man sich einfach leichter.
Insgesamt sind die Abenteuer ordentlich aufgebaut und können gut mit den mitgelieferten Charakteren gespielt werden. Den Spielern wird viel Abwechslung geboten und an manchen Stellen gibt es sogar mehr als 'Rein und Monster tot machen'. Man darf aber kein allzu aufwendiges¸ bzw. anspruchsvolles Rollenspiel erwarten. Die Entscheidungen der Spieler bei Begegnungen variieren meist nur zwischen 'Töten' oder 'Reden'. Die meisten Monster greifen ohnehin sofort an¸ ohne daß man eine Chance hätte ohne Kampf auszukommen. Irgendwie beste 'Hack & Slay'-Manier (engl. für freudiges Rumschlachten)¸ wie man sie wohl einst bei D&D praktiziert haben dürfte. Man darf sich aber dafür sicher sein¸ bei nahezu jedem notwendigen Toten eine finanzielle oder Materielle Belohnung zu erhalten - auch hier altbekannte Rituale zwischen 'Peitsche und Zuckerbrot'.
Das Kapitel "Wie mache ich jetzt weiter ?" im Abenteuerband verweist sinnvollerweise auf die 'richtigen' AD&D-Bücher. Entweder man ist als Leser nie bis zu dieser Stele vorgedrungen oder man wird nun - nach einigen vergnüglichen Abenden - gerne das Geld für die Vollversionen der Bände lockermachen.
Um nochmal den tieferen Sinn des Starter-Sets zu verdeutlichen: nur um zu testen¸ ob man sich für Rollenspiel begeistern kann¸ wäre der Preis von weit mehr als 100.-DM für die Vollversionen der AD&D-Bände wirklich ein abschreckendes Argument. So kann man für zwei 20'er mal in Ruhe schnuppern¸ wird nicht von einer Regelfülle überwältigt¸ kann ein Probespielchen wagen und bekommt damit einen Vorgeschmack (nicht viel mehr¸ wer Anderes behauptet beleidigt das System) von AD&D.
Allen langjährigen Rollenspielern und AD&D-Interessierten möchte ich hiermit wirklich vom Kauf dieser Box abraten¸ da sie Euch wahrscheinlich nur Kosten und wenig Nutzen bringen wird. Wer keine Angst mehr vor dicken Regelbüchern hat¸ sollte stattdessen lieber gleich zum AD&D Spielleiter-Set und AD&D Spieler-Set (je 50.-DM) greifen¸ wenn er AD&D gerne ausprobieren möchte. Die Regeln des Starter-Sets sind zu stark vereinfacht¸ als daß man sie für mehr als einen Einstieg in die Rollenspielmaterie sehen könnte.
Richtig interessant wird AD&D ohnehin erst bei richtig hochstufigen Charakteren. Meines Wissens nach ist AD&D das einzige System¸ bei dem
sich mit steigendem Grad immer mehr Anhänger sammeln¸ die den Charakter - sofern er das erlebt - mehr und mehr zum überlegten Befehlshaber machen und ihn aus seiner Rolle als herumstreifender Abenteuerer herausheben. Vielleicht bekomme ich ja in Zukunft noch Gelegenheit Euch mehr davon zu berichten¸ denn solche Informationen sind natürlich nicht im Starter-Set enthalten.
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de