Mumien: Die Wiedergeburt
Die Mumien haben in der Welt der Horrorgeschichten und demzufolge natürlich auch in der World of Darkness eine lange Tradition.
"Mumien"¸ bzw. eigentlich das englische Pendant "Mummy" ist bereits vor vielen Jahren als Quellenband für Vampire: die Maskerade erschienen und gehörte seit jeher zu den beliebtesten¸ meines Wissens auch ausverkauften Erweiterungen.
Ein guter Grund also dieser speziellen Sorte "Unsterblicher" etwas mehr Aufmerksamkeit zu widmen!
Diese Aufmerksamkeit kam dann schließlich in Form des "Jahr des Skarabäus". White Wolf hat sich nicht damit begnügt¸ die "alten" balsamierten Mumien neu aufzulegen¸ sondern eine neue Art Mumien geschaffen¸ die bei weitem nicht so mächtig sind¸ wie ihre Vorgänger¸ aber dafür wesentlich spielbarer¸ als die Jahrtausende alten Bandagen-Geschöpfe: die Aminte.
Gerade bei einem Crossover ist das Spielgleichgewicht ja enorm wichtig - eine Sache¸ die inzwischen auch White Wolf erkannt haben und immer stärker in die Entwicklung neuer Bände und Editionen einbeziehen.
Aminte sind keine "echten" Mumien¸ sondern die Verschmelzung zweier Seelen. Eigentlich sind es auch nicht zwei vollwertige Seelen¸ was an der ägyptischen Vorstellung von der Seele eines Menschen liegt. Ich erspare mir und Euch jetzt die Verwendung aller ägyptischen Ausdrücke¸ die im Band verwendet werden und verwende statt dessen meine eigenen Worte¸ die weniger Flair haben aber im Rahmen der Rezension einfacher zu verstehenden sein dürften.
Zurück zu den Seelen. Es gibt fünf Aspekte einer Seele: Fürsorge¸ Intellekt¸ Reue¸ Inspiration und Aggression bzw. Instinkt¸ die sich nach dem Tot eines Ägypters voneinander gelöst haben und lange Jahre in der Geisterstadt Amite zu Füßen des schlafenden Gottes Osiris lebten.
Mit dem Jahr des Skarabäus zog der Sturm des Wahnsinns durch das Geisterreich und nagt - trotz Osiris Gegenwehr - auch an der Stadt Aminte.
Im Angesicht der Vernichtung¸ denn selbst Osiris schien dem Sturm nicht ewig standhalten zu können - erinnerte man sich an ein uraltes Ritual¸ daß es einer ägyptischen Seele erlaubt¸ sich mit der Seele eines gegenwärtig Lebenden - richtig: frisch Gestorbenen - zu verbinden und so aus dem Geisterreich in die moderne Welt zu fliehen.
Aminte
Die Voraussetzung für eine fruchtbare Verschmelzung ist dabei¸ daß die ägyptische Seele dem Gestorbenen (meist Selbstmörder) einen Grund geben kann¸ ein neues Leben zu beginnen und sucht sich eine unvollständige Seele¸ in der vor allem der Aspekt fehlt¸ den die ägyptische Seele quasi personifiziert. Ein Stumpfsinniger wird mit Intellekt vervollständigt¸ ein Ängstlicher mit Aggression bzw. Instinkt¸ der Verwahrloste mit Fürsorge¸ der Übeltäter mit Reue und der Ausgebrannte mit Inspiration.
Solch eine "Fusion" bedeutet natürlich eine gewaltige Änderung im (neuen) Leben des Gestorbenen - sein Leben bekommt einen völlig neuen Sinn. Da der ehemals nicht oder kaum existente Aspekt nun im Überfluß vorhanden ist¸ fällt der Aminte völlig aus der Rolle heraus¸ die der Gestorbene zuvor eingenommen hatte. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Umwelt des Aminte.
Nun ruhen eine uralte und eine moderne Seele in seinem Körper - und bis diese durch ein Ritual entgültig vereinigt werden¸ muß oftmals ausgefochten werden¸ welcher der fünf Aspekte die Handlung des Aminte bestimmt.
Aber auch sonst ändert sich die Weltsicht des Aminte¸ er verfügt nun über einen unstillbaren Quell an Interesse für die ägyptische Kultur. Er wird sich informieren¸ reisen¸ schließlich das Ritual vollziehen und zu guter Letzt¸ gemeinsam mit anderen Mumien¸ zu einem Streiter in Osiris Armee werden¸ um das verlorene Gleichgewicht wieder herzustellen und damit die Welt (und die Geisterstadt Aminte) vor der entgültigen Vernichtung zu bewahren.
Charaktererschaffung
Trotz des üppigen Umfangs benötigt man (und das ist mir unverständlich) zum Spielen daß Grundregelwerk von Vampire: Die Maskerade. Meiner Ansicht nach¸ hätte man bei einem Preis von 35 Euro den Ball schon Rund machen können...
Wer das nicht Storytellersystem kennt¸ den möchte ich auf die Rezension des oben genannten Regelwerk verweisen und mich nachfolgend auf die Abweichungen konzentrieren.
Nachdem man sich für ein Charakterkonzept - was den neuen Seelen-Aspekt einschließt - entschieden hat und sich auch über die Todesart Gedanken gemacht hat¸ entwirf man den modernen Menschen - quasi den Basischarakter: Attribute¸ Fähigkeiten¸ Hintergründe und Details (=5 Freie Zusatzpunkte). Dann folgen Tod und Wiedergeburt¸ was leichte Korrekturen an oben gemachten Werten ermöglicht¸ aber auch Zugang zu mystischen Kräften¸ Vor- und Nachteilen ermöglicht.
Die Attribute einer Aminte-Mumie können übrigens maximal auf den Wert 6 ansteigen (5 ist menschliches Maximum)¸ wobei auch magisch nachgeholfen (bis maximal 8) werden kann...
Worte der Macht
Da Mumien: Die Wiedergeburt an Vampire: Die Maskerade angelehnt ist¸ gleicht die hi8er vorgestellte Magie auch mehr den Pfaden und Rituale der Vampire (speziell Tremere)¸ als der Magick der Magus.
Mögliche Pfade sind: Alchemie (magische Chemie)¸ Amulette (magische Talismane)¸ Himmel (Zufalls- und Glücksmagie)¸ Nekromatie (Macht über die Toten)¸ Nomenklatur (göttliche Sprache) und Symbole (magische Kunstwerke). Bei Spielbeginn kann der Aminte drei Punkte auf die Pfade verteilen.
Statt vampirischem Blut¸ muß eine Mumie für Magie Lebenskraft (Sekhem) investieren. Diese Lebenskraft ist an den ägyptischen Glauben gebunden¸ weswegen sie sich in Ägypten (Land des Glaubens) auch leichter regenerieren läßt¸ als z.B. in Europa. Ansonsten spendet Ra bei Sonnenaufgang Lebenskraft¸ Meditation und einige Rituale tun es ebenfalls.
Die maximale Menge an Lebenskraft und auch die Höhe der Mumien-Magie wird durch eine weitere Eigenschaft bestimmt: Gleichgewicht (Ma'at). Gleichgewicht ähnelt damit sehr der Erleuchtung (Arete) eines Magus. Auch ist eine Steigerung dieser Eigenschaft ebenso schwer.
Wieder und Wieder... Wiedergeburt
Einen besonderen Vorteil hat man den modernen Mumien gelassen: Unsterblichkeit. Zwar kann eine Mumie bis zur Asche zerstört werden¸ aber nachdem sie in der Unterwelt regenerieren konnte¸ beginnt sie wieder mit ihrer Auferstehung. Je nach Talent zur Wiedergeburt (Ba) kann eine Mumie bereits nach einem Tag von den Toten auferstehen - nach spätestens einem Jahr ist aber auch die unfähigste Mumie wieder aus dem Totenreich zurück und beginnt mit der Rekonstruktion.
Entgültig sterben kann eine Mumie nur¸ wenn ihre Willenskraft aufgebraucht ist¸ sie sich selbst aufgibt (Selbstmord) oder sehr mächtige Magie bzw. eine Atombombe am Werk ist.
Durch den (nicht entgültigen) Tod kommt ein weiterer Aspekt in Spiel: eine Chronik in der auch die agyptische Totenwelt (Duat) ein Ort der Handlung ist.
Die Mission und Handlungsorte
Die oberste Mission einer Mumie¸ die sich auf die Suche nach Gleichgewicht befindet¸ kann die Stärkung des Vermächtnisses an Glauben sein oder die Vernichtung des Ungleichgewichts. Obwohl beide Fraktionen sich die Grundregeln teilen¸ stehen Mumien und Vampire damit auf Unterschiedlichen Seiten¸ denn Vampire personifizieren Aphosis¸ den Verderber und Zerstörer¸ und Gegenspieler der guten Götter.
Weil Ägypten und der Mittlere Osten spieltechnisch eine große Rolle spielen¸ findet man im Band reichlich Informationen über die geschichtliche Entwicklung bis zum modernen Zustand - natürlich alles durch den Schleier der World of Darkness gesehen (Kenntnisse des Bandes Unter dem Schleier der Nacht sind hier vielleicht auch eine sinnvolle Ergänzung.)
Die Orts- und Länderbeschreibungen sind angenehmer weise sehr umfangreich und sollten reichlich Schauplätze für mögliche Chroniken liefern¸ bzw. eine Motivation zur Recherche darstellen.
Ähnlich wie bei den Jägern scheint im Leben einer Mumie jede andere Kreatur der World of Darkness in die Sparten Jäger oder Gejagte zu gehören. Im entsprechenden Kapitel findet man ausführliche Informationen¸ um diese neue Sichtweise zu verinnerlichen.
Technisches
White Wolf bzw. in der vorliegenden Ausgabe Feder & Schwert profitieren von einem umfangreichen Beitrag fähiger Autoren und Illustratoren. Die Texte sind sehr angenehm zu lesen und sind - zu meiner Überraschung - mit weitaus mehr Aufwand eingedeutscht als man es von F&S gewohnt ist. So finden sich zu Kapitelbeginn meist Zitate deutscher Größen¸ die - so vermute ich - die Originalzitate der US-Version ersetzt haben. Auch sonst hat man sich bei der Anpassung der Begriffe an den deutschen Sprachgebrauch sehr viel Mühe gegeben.
Fazit:
Die neue Form der Mumien ist schwächer¸ aber weitaus weniger verstaubt und kann sich parallel zum Rest der World of Darkness entwickeln ohne das Spielgleichgewicht eines Crossover zu gefährden.
Als Mumie ist man übrigens nicht auf die Rolle des "Streiter für das Gleichgewichts" festgelegt¸ sondern kann wie bei jeder anderen Fraktion auch eine Gegenposition einnehmen und auf der Seite des Chaos und Gewissenlosigkeit streiten.
Mumien: Die Wiedergeburt hat sich als sehr fleischiger Quellenband erwiesen¸ der jedes World of Darkness-Crossover gewaltig würzen kann. Ein eigenständiges Szenario¸ d.h. eine reine Mumien-Gruppe¸ stelle ich mir aber langfristig nicht so unterhaltsam vor wie z.B. Magus oder Vampire¸ es sei denn beim Erzähler bricht das Ägypten-Fieber aus und er schafft es das besondere Flair dieser Kultur an die Spieler weiterzugeben.
Vermutlich wird aber auch das Mummy Spielerhandbuch (bzw. Mummy: Players Guide) die Mumien zur vollen Spielbarkeit aufpeppen¸ das Spielerhandbuch war bislang bei jeder Fraktion ein sehr wichtiger Baustein.
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de