Vampire: Unter dem Schleier der Nacht
2002-01
Unter dem Schleier der Nacht ist ein sehr gehaltvoller Quellenband über die Region zwischen Sevillia (Süd-Spanien) bis zum arabischen Golf und die Entwicklung der mittelalterlichen islamischen Welt. In Verbindung mit dem Vampire aus der alten Welt-Regelwerk eröffnet sich dem Leser eine komplett neue Vampire-Spielwelt¸ die zwar regeltechnisch mit dem europäisch ausgerichteten Original übereinstimmt¸ aber das Spielgeschehen ansonsten ziemlich umkrempelt.
Der immerhin 220 Seiten starke Band beginnt mit einer eher nüchternen Einleitung über das vampirische Unleben unter dem Einfluß der orientalischen Hochkultur und dem Islam und gibt bereits einen ersten Vorgeschmack auf die Ashirra-Sekte¸ deren durchweg kainitische Mitglieder ihr ganzes Sein dem Islam widmen. Der Kontrast dazu könnte kaum größer sein: auch die Baali¸ die bösartigen Teufelsanbeter¸ sind in dieser Region stark vertreten.
Sehr interessant - und auch weitaus weniger trocken - gestalten sich die folgenden Kapitel. So erfährt der Leser alles über die (vampirisch modifizierte!) Entstehungsgeschichte des Islam - beginnt also praktisch bei der Geburt des Propheten Mohammed und begleitet seine Religion bis weit über seinen Tod hinaus (18 S.).
Das zweite Kapitel beschäftigt sich vor allem mit der Ashirra-Sekte - ihrer Entstehung und ihrem Dasein - und den natürlich den Auswirkungen des Islam auf die kainitische Gesellschaft. Sehr interessant hierbei sind auch die Denkansätze¸ die die Probleme streng gläubiger Vampire in Bezug auf die Verpflichtungen zu ihrem Clan und ihrem Erzeuger behandeln. Der Leser erfährt mehr über die Pflichten (fünf Säulen)¸ den Kuß und die Gemeinschaft (12 S.).
Romanqualität erreicht dann das dritte Kapitel¸ das in Form eines Tagebuches verfaßt ist: der Leser beleitet eine kleine Reisegruppe¸ die aus Vampiren und normalen Menschen besteht¸ auf ihrem Weg ostwärts durch die "zivilisierte Welt"¸ also von Granada über Kairo¸ Aden und Bagdad bis in das ferne Ghazni.
Die Beschreibungen sind kurzweilig und vermitteln dem Leser gleichzeitig sehr viele Sinneseindrücke und relevante Informationen¸ die sich gut in einer Chronik einsetzen lassen.
So gut die Beschreibungen der menschlichen und kainitischen Gesellschaft sein mögen: dem Spielleiter sei zu Sekundärliteratur aus der Bücherei geraten¸ um seine Beschreibungen mit mehr Leben zu füllen. Diese historischen Recherchen sind gerade für Vampire aus der alten Welt äußerst wichtig.
Die in der Geschichte auftauchenden Charaktere werden im Anschluß noch einmal kurz in Wort und Bild vorgestellt. Klasse! (alles zusammen 50 Seiten).
Im vierten Kapitel folgt eine Vorstellung der orientalischen Ausprägungen der Clans¸ die in vielen Eigenschaften mit ihren europäischen Pendants übereinstimmen¸ aber durch regionale Besonderheiten und den Einfluß von Baali und Islam doch deutliche Unterschiede aufweisen. Natürlich gibt es hier noch viele Salubri - Krieger wie Heiler - denn trotz Saulots Tod sind die Tremere noch weit entfernt. Und natürlich trifft man hier auf die Assamiten¸ die hierzulande zum Alltag gehören. Auch Malkavianer¸ Ravnos¸ Brujah¸ Nosferatu¸ Lasmmobra¸ Toreador und Gangrel.
Dank dem islamischen Glauben etwas oder ganz im Abseits stehen die Clans Kappadozianer¸ Jünger des Seth und (natürlich) Baali.
Etwas aus der Reihe tanzen die afrikanischen Laibon¸ Wanderer und Geschichtenerzähler.
All diese Gruppierungen haben natürlich auch lokale Namen¸ auf deren Nennung ich aber des Verständnisses halber verzichtet habe.
Der Vollständigkeit halber werden auch die restlichen europäischen Clans und ihr ggf. vereinzeltzes Auftreten beschrieben.
Eine andere Kultur bringt zwangsläufig auch andere Pfade (Tariq) mit sich. Zur Auswahl stehen Pfad des Nomaden¸ Pfad des Blutes (Assamiten)¸ Pfad des Krieges¸ Pfad des Himmels¸ Pfad des Teufels¸ Pfad der Gemeinschaft und drei weitere. (40 Seiten)
Kapitel fünf beschreibt dem Leser ausführlich die Besonderheiten bei der Erschaffung eines Vampirs aus islamischen Landen. Hier findet man Namensvorschläge¸ Konzepte¸ neue Fähigkeiten¸ Vorüge und Schwächen. Natürlich darf ein ausführlicher Abschnitt über die Islamische Blutmagie "Sihr" (Heil- und Schutzzauber!) ebensowenig fehlen¸ wie einer über die Auswirkungen des Glaubens¸ die Dschinn und die Besonderheiten der kainitischen Gesellschaft.
Bevor im Anhang die obligatorischen Aufsätze über alle anderen mythischen Fraktionen wie Mumien¸ Gestaltwandler¸ Magier usw. folgen¸ behandelt das sechste Kapitel die in vielen Dingen bemerkenswerte Stadt Damaskus. Exemplarisch findet der Leser hier eine komplette Stadtbeschreibung¸ samt Ausarbeitung wichtiger Gebäude¸ einem Stadtplan und Beschreibungen der wichtigsten Bewohner.
Technisches
Der Band ist eine durchgehende Augenweide¸ was an vielen sehr schönen Illustrationen und einem soliden Layout liegt. Die Texte sind gut bis sehr gut - und auch durchweg akzeptabel lektoriert.
Fazit:
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So umfassend der Band auch sein mag¸ bleibt die Empfehlung sich mit weiterer historischer Literatur einzudecken¸ um das Gesamtbild - vor allem das der normalsterblichen Gesellschaft - zu intensivieren.
Der Band ist nicht gerade billig¸ aber wenn man sich den Sprung in ein neues Setting zutraut¸ ist es die Ausgabe mit Sicherheit wert.
Dogio the Witch |
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