Zwischen den Welten
Nachdem ich jetzt endlich mal das Regelwerk von Midgard - Abenteuer 1880 durchgegraben habe¸ kann ich wohl auch frohen Mutes an das ‘neue" (denn eigentlich ist es schon ein halbes Jahr im Handel) Abenteuer Zwischen den Welten wagen. Von Außen mögen den männlichen Betrachter vielleicht als Erstes die beiden sonnengebräunten Halbkugeln der weiblichen Figur auffallen¸ die mal wieder ein total tiefer Griff in die Trickkiste sind und wirklich nichts mit dem eigentlichen Abenteuer zu tun haben. Es bleibt wie (vom F&SF-Verlag gewohnt) immer oberhalb der Gürtellinie ... Moment¸ so richtig ist das gar nicht - Sven Görts (erster öffentlicher Auftritt als Midgard-Autor) schreibt doch tatsächlich "...suchen sie (Anmerkung: zwei weibliche Personen) die Bekanntschaft mit den Männern in der Abenteurergruppe. Daraus mag vielleicht ein Abenteuer ganz anderer Art entstehen ...".
Hola ! Weg vom klinisch reinen Neutron¸ hin zur gewagten Aufforderung. Uiuiui.
Aber mal Scherz beiseite¸ was mir vorliegt beweist mir nach Aus dunkler Erde ... nun schon zum zweiten mal¸ welchen kreativen Ideenschub 1880 bringen kann und was wirklich den Reiz dieses Hintergrundes ausmacht. Diese Aussage bezieht sich jetzt nicht auf die Halbkugeln¸ sondern auf die enthaltenen Abenteuer.
Ich will gleich mit der Tür ins Haus fallen und ein paar Dinge vorweg nehmen:
- Die beiden Abenteuer lassen sich mühelos durcharbeiten¸ sind ordentlich strukturiert und erfordern nur wenige Kopien für die Handouts
- Die Illustrationen sind¸ ebenso wie die Karten¸ durch die Reihe gut gelungen
- Wichtige Werte von Nicht-Spieler-Charakteren sind deutlich hervorgehoben¸ wichtige Textstellen sind Fett gedruckt
Damit seien die formellen Dinge schon einmal vorab geklärt. Kommen wir also nun zu den Abenteuern selber¸ die mit Der Apparat des Doktor Negesti und Endstation Jenseits betitelt wurden.
Bei Der Apparat des Doktor Negesti trifft sich mal wieder eine kleine Gruppe von Leuten bei einem reichen exzentrischen Förderer von Erfindern¸ der sich einen Heidenspaß daraus macht¸ seine Gäste vor die Frage zu stellen: "Ist das was Ihr seht übernatürlich oder auf rationalen Wegen zu erklären ?".
Naja¸ langweilig sind die Abende eigentlich nie¸ gutes Essen gibt es auch und deshalb ist es auch nicht allzu verwunderlich¸ daß fast alle geladenen Gäste die bereitgestellten Stühle füllen. Nach der reizvollen Tanzdarbietung einer bezaubernden Dame¸ wird der eigentliche Höhepunkt des Abends angekündigt: Der Hausherr gibt das Zeichen und nachdem eine Musikspieldose deutlich sichtbar¸ auf einem frei stehenden Glastablett positioniert wurde¸ verdingt sich die Tänzerin als Medium und läßt doch tatsächlich die Spieldose verschwinden. Ein gleißendes Licht¸ ein Knall - und die Spieldose ist einfach hinweg...
Da hilft kein Augenreiben - das Ding ist wie vom Erdboden weggefegt und zurück bleibt eine Menge spekulierender Gäste. Magie ? Telekinese ? Trick ?
Was sich anfangs noch nach einer Jahrmarktsposse anhört¸ erweist sich schon bald als interessantes Mysterium¸ dem die Spieler wohl nur allzu gerne auf die Schliche kommen würden. Denn richtig aufregend wird es dann¸ wenn noch ganz andere Dinge verschwinden...
Mein persönlicher Favorit ist jedoch Endstation Jenseits. Ich habe in der letzten Zeit - auch durch ein anderes Abenteuer das ich bereits als Spieler und Spielleiter gespielt habe - meine Vorliebe für Geistergeschichten wiederentdeckt. Das zweite Abenteuer schlägt voll in diese Bresche und wartet gleich
zu Beginn mit einer unheimlichen Begegnung der dritten Art auf. Die Abenteurer werden Zeugen eines schrecklichen Ereignisses¸ dessen wirklicher Zeitpunkt jedoch schon zwei Jahre her ist ! Man scheint es hier also in der Tat mit einer Begegnung mit Geistern zu tun zu haben ! Recherchen ergeben¸ daß sich das Phänomen erst seit wenigen Wochen immer wieder am gleichen Wochentag¸ zur exakt gleichen Zeit einstellt - doch warum hat es zwei Jahre auf sich warten lassen ? Warum kam es vor zwei Jahren zu diesem großen Unglück ? Warum finden die Toten keine Ruhe und geistern zwischen den Lebenden ?
Aus dem ursprünglich geplanten geruhsamen Aufenthalt der Abenteurer wird natürlich erstmal nichts und anstatt die Füße hoch zu legen¸ ziehen sie los - ihrem Naturell folgend - auf der Suche nach sinnvollen Bausteinen für das große Puzzle.
Die Abenteurer können eine Reihe von Stationen ansteuern und erhalten¸ bei geschicktem Einsatz ihrer Eigenschaften¸ schließlich die Informationen die man benötigt um das Abenteuer zu einem guten Ende zu lenken.
Was den Reiz beider Abenteuer ausmacht¸ sind weniger simple Rätsel und ‘Feindetöten"¸ sondern vielmehr der gute alte Miss Marple Stil: Beobachten¸ Herumziehen¸ geschickt Befragen¸ zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein und eine ganze Menge Phantasie aufbringen - denn was ist beim Auftauchen von Geistern noch als ‘Normal" anzusehen ? Geht man auf diese Weise vor¸ dann kommt man ohne viel Verluste an des Rätsels Lösung. Eine sehr erfrischende Eigenart¸ die sich bislang durch die meisten Abenteuer von Midgard 1880 zieht.
Für die Freunde von Midgard 1880 unbedingt zu empfehlen (vor allem Endstation Jenseits). Für alle anderen¸ die bereits ein anderes vergleichbares System für Historic-Fantasy verwenden¸ ebenfalls anzuraten. Ich denke mal das Abenteuer dieser Art sicherlich die beste Werbung für Midgard 1880 sind.
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de