The Realm (3e)
Rezension: The Realm für Exalted 3 - Mehr als eine Insel mit ein paar Bergen
2019-08-19
Exalted ist sicher kein bekanntes Rollenspiel in Deutschland. Dabei hat es viel Potential, trotz der aktuell etwas durchwachsenen Regeln. Das zeigt das in diesem Sommer erschienene Buch "The Realm", eine Regionalbeschreibung, die sich dem zentralen Staat der Welt widmet: Dem Reich der Scharlachroten Kaiserin. Warum sich das Buch lohnt, erfahrt ihr bei mir.
The Realm
Sprache: Englisch
Seiten: 190
Preis: 14,99 Euro als eBook, gedruckt ab 29,99 Euro
Bilder und Illus
Die Frontseite ziert eine vornehme Dame, die auf ihrem Pferd auf die Hauptstadt zureitet. Neben ihr befinden sich Soldaten und ein Diener. Bauern auf einem nahen Feld schauen zu ihr auf. Das wirkt stimmig. Die Bilder im Innenteil sind wieder voll farbig. Einige wenige haben einen etwas abstrakteren Stil, wo entweder die Proportionen nicht in realistischen Verhältnissen zueinander gehalten sind, sondern in jenen nach Bedeutung der Stände. Oder sich bestimmte Elemente nochmal in größer in einem Bildteil wiederfinden.
Die Illustratoren machen einen hervorragenden Job, dafür verdienen sie 5 Sterne.
Aufbau
Das fast dreiseitige Inhaltsverzeichnis fällt angenehm großzügig aus. Die Seitenzahlen im Dokument sind im eBook verlinkt. Leider fehlen ein Index und Glossar, was bei 190 Seiten zum Nachschlagen hilfreich wäre. Am Anfang des Buchs gibt es zunächst eine kurze Übersicht, welche Inhalte die einzelnen Kapitel enthalten - in bester Tradition der Spielreihe.
Die Texte sind meist gut in Abschnitte unterteilt. Nur an einigen Stellen wären ein paar mehr Zwischenüberschriften schön. Die englische Sprache ist für Leser mit guten Kenntnissen und Wissen um das Rollenspiel gut zu verstehen. Für schnelles Nachschlagen empfiehlt sich trotzdem, eine Übersetzungsseite wie www.leo.org zur Hand zu haben.
Kapitel werden wieder mit Kurzgeschichten - diesmal eine Seite - eingeleitet. Darauf folgt ein mehr oder weniger zur Szene passendes Bild, wie von der 3. Edition bisher gewohnt.
Kleine Abstriche führen zur Wertung von 4 Sternen.
Die Gesegnete Insel
Wie erwartet liegt der Schwerpunkt des Buchs auf dem Reich. Ein Teil widmet sich der Gesegneten Insel. Dabei wird zunächst auf die Umstände der Reichsgründung eingegangen. Die erfolgte nach der großen Feen-Invasion vor über sieben Jahrhunderten, bei der die Welt fast vernichtet wurde. Wie Phoenix aus der Asche stieg die Scharlachrote Kaiserin dabei empor - und damit ihr neues Reich. Auch zahlreiche Details wie Rebellionen, der Auf- und Abstieg adliger Häuser und dergleichen wird behandelt.
Nach der Geschichtsstunde gibt es einen Überblick über die politische Ordnung. So ist das Reich eigentlich eine Monarchie, doch die Kaiserin hat für ihren Machterhalt eine Reihe von Organisationen ins Leben gerufen. Im Parlament sitzen die Abgesandten der bedeutenden Familien und diskutieren. Eine Demokratie ist das aber nicht, da die Kaiserin weiterhin das Sagen hatte, solange sie da war. Seit ihrem Verschwinden nickt der kraftlose Regent einfach alle Beschlüsse ab.
Zahlreiche Ministerien sorgen dafür, dass die umgesetzt werden. Hier haben vor allem die Bürger leitende Positionen inne, sodass Drachenblütige es schwer haben. Einige Beispiele mit Ministerien stellen eine Inspirationsquelle für eigene Ideen dar, vor allem, da jedes auch von der politischen Großwetterlage beeinflusst wird. Die ist nicht einfach: Das Reich steht nach dem Verschwinden der Kaiserin am Rande eines Bürgerkriegs. Gleichzeitig zeigen sich alte und neue Feinde der herrschenden Drachenblütigen immer öfter in der bekannten Welt.
Zu den Drachenblütigen gibt es im Buch eher wenige Infos, obwohl sie die oberste Schicht im Reich bilden. Zwar werden die großen Familien beschrieben, aus denen die Dynastie besteht. Doch weitergehende Infos zu ihren Kräften sind in einem anderen Buch enthalten.
Dafür geht der vorliegende Band auf die Religion der Insel - die Unbefleckte Philosophie - ein. Die erklärt Drachenblütige zu erleuchteten Wesen, denen selbstverständlich die Herrschaft gehört, weil sie einst die wahnsinnigen Anathema stürzten. Entsprechend sei das Ziel der Wiedergeburt, ein Drachenblütiger zu werden. Außerdem sorgen die Mönche dafür, dass Anathema im Einflussbereich des Reichs verfolgt werden. Und allzu selbstgerechte Götter in die Schranken verwiesen werden. Zumindest soweit die Kräfte der Drachenkinder dies erlauben.
Eine weitere Stütze sind die Legionen, deren Zahl und Disziplin die Tatsache wettmachen, dass nur die Offiziere Drachenblütige sind. Es handelt sich um schwere Infanterie, die für sonstige Dienste auf Söldner oder Hilfstruppen aus dem Umland (siehe unten) angewiesen ist. Früher stellte die Kaiserin sicher, dass sie nicht zu sehr an das jeweilige Haus gebunden sind, die sie aufstellen. Jetzt dagegen werden sie mehr und mehr zu Haustruppen. Auch der Geheimdienst wird beschrieben.
Ein großer Teil ist der Beschreibung der einzelnen Provinzen der Gesegneten Insel gewidmet. Die sind abwechslungsreicher, als es die Lage inmitten der Welt vermuten lässt. So hat der Norden kalte Winter, während im Süden sogar Wüsten vorkommen. Das zentrale Massiv - der imperiale Berg als Zitadelle der Erde - ist eine weitgehend verlassene Region. Die imperiale Hauptstadt dagegen gehört zu den größten Städten der Welt. Unheimlich zeigt sich das Heptagramm, eine Magierakademie auf einer vorgelagerten Insel. Selbst für Anathema gibt es hier und dort immer wieder potenzielle Verbündete, deren Frustration oder teils geheime Kulte Anknüpfungspunkte bieten, um eine eigene Machtbasis aufzubauen.
Jede Provinz wird dabei auf mehreren Seiten beschrieben, inklusive Hauptstadt und Besonderheiten wie lokalen Festen oder Überresten vergangener Zeiten. Dabei geht der Detailgrad nie so weit, wie es bei DSA oder stellenweise Shadowrun der Fall ist. Einzelne Stadtkarten liegen beispielsweise nicht vor. Das lässt einerseits Raum für eigene Ausarbeitungen. Andererseits kann es Gruppen stören, die möglichst viel vorgefertigtes Material haben wollen. Oder sichere Fakten, zum Beispiel, wie viele Menschen denn eigentlich auf der Gesegneten Insel leben.
Schön ist in jedem Fall, dass in jeder Region schon durch die Beschreibungen Anknüpfungspunkte für eigene Abenteuer gegeben werden. Von Intrigen der Drachenblütigen über eine mysteriöse Diebesserie bis zu Hinterlassenschaften der Anathema reicht die Palette. Angesichts der etwas verwirrenden Reihenfolge der Provinzbeschreibungen von der Mitte nach Norden, Osten, Süden und Westen leidet die Übersicht aber etwas. Auf neue Kreaturen, Zaubersprüche oder Hintergründe für Charaktere müssen Leser verzichten.
Abermals gebe ich 4 Sterne.
Der Einflussbereich des Reichs
Neben der großen Insel selbst wird auch die "Threshold" beschrieben. Das ist jener Bereich auf dem Festland, der dem Reich größtenteils Tribut zahlt. Überwacht werden die Abgaben vom Satrapen, den das Reich entsendet. In den meisten wird die Unbefleckte Philosophie verbreitet. Zur Kontrolle dienen dem Reich neben wirtschaftlichen Druckmitteln auch seine Legionen. Die Satrapien selbst stellen Hilfstruppen, die von eher mittelmäßigen Kriegern bis zu mächtigen Truppen wie der schweren Kavallerie aus Medo oder den Schwertänzern in Jiara riechen.
Mit dem weitgehendem Rückzug der Legionen ins Reich in Vorbereitung des erwarteten Bürgerkriegs sind die Satrapien auf sich gestellt allein, um sich den immer zahlreicheren Gefahren zu stellen. Außerdem müssen sie zunehmend steigende Abgaben zahlen.
Vorgestellt wird eine Auswahl von neun Satrapien aus allen Himmelsrichtungen. Bei jeder werden auch ein paar Nachbarn genannt. Leider sind nicht alle davon auf der großen Weltkarte verzeichnet. Dafür gibt es bei jeder Satrapie mindestens eine Problem oder eine Herausforderung, wie einen verschwundenen Thronfolger, die gleich Anknüpfungspunkte für Helden bieten. Ein paar Beispiele:
Fajad im hohen Norden wurde an einer riesigen Säule erbaut, mit der ein riesiges Monster - ein Behemoth - unter der Stadt festgenagelt wurde, Dessen warmes Blut sorgt für ein erstaunlich moderates Klima für diesen Breitengrad, während sich zahlreiche Gebäude der Stadt wie steinerne Pilze an der Säule finden. Auch die heimische Religion, die Drachenblütige nicht als Ziel der Reinkarnation sieht, hebt die Stadt hervor.
Pneuma ist eine heilige Stadt der Unbefleckten Philosophie, gleichzeitig aber auch ein wichtiger Truppenstützpunkt im Norden. Mönche und Soldaten geraten zunehmend aneinander. Dass unter der heiligen Säule in der Stadt auch unliebsame Anathema gefangen gehalten und umprogrammiert werden, macht sie noch wichtiger.
Ganz neu gestaltet ist die Region im Südosten. Gab es dort in älteren Editionen nur Wald und Steppe, wurde mit der neuen Edition eine Umgestaltung vorgenommen. Dort liegt jetzt die träumende See, eine Region, in der die chaotische Wyldnis und Feenwesen die Landschaft stets verändern. Am Westufer haben Abkömmlinge der Dynastie zwei eigene Clans errichtet, die das Imperium von Prasad regieren.
Das erinnert stark an Indien. So gibt es Kasten und darin Jatis, quasi Großfamilien und Clans, die mit bestimmten Berufen verbunden sind. Die regierenden Drachenblütigen wechseln sich mit der Regierung ab. Der Thronfolger entstammt immer dem anderen Clan als der Herrscher. Den Thronfolger wählen die anderen Drachenblütigen aus den Bewerbern aus.
Auch der Caul im Südwesten ist neu. Diese Insel/dieser Kontinent tauchte erst vor einigen hundert Jahren wieder aus dem Chaos auf. Dort gibt es fünf heilige Schreine. Wenn die Drachenblütigen alle kontrollieren und ein Pilger sie erfolgreich absolviert, kann er spirituell besondere Einsichten bekommen.
Aber auch die Lunars wollen die Schreine kontrollieren. Bisher konnten sie den "Kreuzfahrern" des Reichs wegen deren Truppenstärke nur Nadelstiche aus dem Dschungel heraus versetzten. Nach dem weitgehenden Abzug der Truppen kontrollieren die Mondenkinder dagegen schon vier Schreine. Sollten sie den ganzen Caul ganz unter ihre Herrschaft bringen, hätten sie einen Stützpunkt, um die Gesegnete Insel selbst anzugreifen.
Auch wenn die vorgestellten Satrapien unterschiedlich sind, ähneln sich bestimmte Strukturen. Bebaute Riesensäulen oder Statuen finden sich beispielsweise in vier davon. Gleichzeitig ist jede ein Ausschnitt aus einer Region. Eine generelle Beschreibung der Region gibt es nicht. Dafür ist jede Beschreibung stimmig und bietet Abenteueraufhänger für Helden.
4 Sterne sind angemessen.
Fazit
Wer denkt, im Reich gäbe es nur Abenteuer für Drachenblütige zu bestehen, wird mit diesem Band eines besseren belehrt. Allein die Gesegnete Insel bietet reichlich unterschiedliche Möglichkeiten. Dazu kommen die Satrapien. Wie auf der Insel kann hier ein Funken die angespannte Situation zum Explodieren bringen. Helden haben also mehr als genug Gelegenheiten, ihr Können unter Beweis zu stellen. Etwas schade ist, dass nicht alle Satrapien auf der Weltkarte zu finden sind. Da ihre Standorte meist recht genau geschrieben sind, erschwert das die Übersicht.
Dennoch kann ich den Band allen Fans der Welt und/oder des Spiels bedenkenlos empfehlen. Auch Freunden der 1. Edition oder von Nummer zwei, da hier keine neuen Regeln vorkommen. Dafür aber die Welt erweitert wird.
Mit 17 von 20 Sternen schneidet das Buch recht gut ab.
Fantasy-Kritik beim Sternenwanderer
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