Exalted - Before the Vampires
Das Layout ist ebenfalls sehr gut gelungen¸ wenn es auch in schwarz-weiß gehalten ist. Der Text ist immer gut lesbar¸ und auch die Hintergrundgrafik bleibt in eben diesem und stört den Text nicht weiter. Die Zeichnungen sind ein erster Schwachpunkt¸ denn neben einigen hervorragend passenden Illustrationen finden sich auch einige sehr schwache. Dies soll sich übrigens durch die gesamte Exalted-Reihe ziehen¸ wobei je neuer ein Buch ist¸ desto weniger schwache Zeichnungen findet man. Auch Künstler lernen also dazu.
Der Band beginnt¸ wie so viele White Wolf Publikationen¸ mit einem Überblick über das Setting¸ einer Einleitung ins Rollenspiel und natürlich der Auflistung von Inspirationsquellen in Film und Literatur. Ich habe in der Einleitung ja bereits einiges über den Hintergrund gesagt¸ deshalb hier nur eine kurze Zusammenfassung. Die Spieler übernehmen die Rolle von Hohen der Sonne¸ den wiedergeborenen Streitern der Unbesiegten Sonne¸ welche am Ende des legendären Ersten Zeitalters ausgelöscht wurden. Doch nun¸ 700 Jahre später¸ kehren sie in die Welt zurück und finden die Welt unter der schwindenden Herrschaft der Drachenblütigen¸ die ebenfalls Hohe sind¸ aber in Rang und Macht unter den Hohen der Sonne stehen. Von der Gesegneten Insel aus herrschte die Scharlachrote Kaiserin viele Jahhunderte¸ doch nun gilt sie seit fast 5 Jahren als vermisst. Das Reich droht im Kampf um den Thron in einen Bürgerkrieg zu zerfallen und am Rande der Schöpfung lauern die Todesfürsten und das Lichte Volk¸ um in die geschwächte Welt einzufallen. In diese Zeit werden die Hohen der Sonne wiedergeboren und versuchen¸ ihren Platz in der Welt zu finden.
Im Vergleich zu anderen White Wolf Produkten fällt die Beschreibung des Hintergrunds gering aus. Die Welt von Exalted ist extrem groß und die Hohen der Sonne können aus jedem Teil der Welt stammen¸ was sich negativ auf die Tiefe der Informationen auswirkt. Zudem verwundert¸ dass auf die Drachenblütigen recht genau eingegangen wird¸ was merkwürdig erscheint¸ da diese als erste einen eigenen dicken Erweiterungsband spendiert bekommen haben. Es wirkt fast so¸ als hätte der Fokus zunächst auf diesen liegen sollen und wurde kurzfristig auf die Hohen der Sonne umgeschrieben.
Auch auf die anderen Arten von Hohen¸ denn es gibt die des Mondes¸ der Sterne und des Abgrunds¸ wird genauer eingegangen als auf die Spielercharaktere selbst. Und trotzdem sind die Informationen vage und benötigen entweder die Ausarbeitung von Seiten des Spielleiters (Erzählers) oder den Kauf von Erweiterungsbänden. Die Welt¸ so wie sie von den Autoren gedacht war¸ entfaltet sich also nicht im Grundregelwerk¸ sondern erst im Laufe der Erweiterungen. Dennoch kann man als Erzähler auch nur mit dem Grundregelwerk auskommen¸ muss dann aber viel Zeit in die Ausarbeitung des Hintergrundes stecken.
Das soll jetzt aber nicht klingen¸ als wäre der Hintergrund dünn. Ich hatte beim Lesen schon viele Abenteuerideen und man bekommt vor allem ein Gespür für die Stimmung von Exalted. Das finde ich auch wichtiger¸ als detaillierte Ortsbeschreibungen¸ die ich mir ohnehin lieber frei ausdenke. Und Anregungen werden ausreichend gegeben¸ um eine Vorstellung von der Welt zu bekommen.
Kommen wir zur Charaktererschaffung¸ die sich recht eng an das typische Schema in White Wolfs Storyteller-System hält. Die Charaktere werden in Kasten aufgeteilt¸ die den Positionen der Sonne am Himmel folgen: Dawn (Kämpfer und Anführer)¸ Zenith (Propheten und Mönche)¸ Twilight (Gelehrte und Beamte)¸ Night (Spione und Meuchelmörder) und Eclipse (Händler und Diplomaten). Diese Kasten legen eine grobe Grundeinstellung und einige Basisfertigkeiten fest¸ ebenso das Kastenzeichen¸ das jeder Hohe auf seiner Stirn trägt. Doch dazu später mehr.
Auch das Würfelsystem hält sich an den Standard der anderen Storyteller-Systeme. Die Eigenschaften und Fertigkeiten haben Werte von 0 bis 5. Soll der Spieler eine Probe machen¸ so werden die Werte für eine Kombination aus Eigenschaft und Fertigkeit zusammengezählt und so viele (10-seitige) Würfel geworfen. Alle Augenzahlen über 6 werden als Erfolg gezählt¸ wobei 10er doppelt zählen. Ein Erfolg bedeutet eine sehr knapp gelungene Probe¸ während fünf Erfolge herausragend sind. Kommt gar kein Erfolg¸ aber mindestens eine 1¸ dann wurde die Probe verpatzt. Das System ist relativ schnell¸ kann aber etwas unübersichtlich werden. Exalted ist eine Art Fantasy-Superhelden-Rollenspiel und so kann es leicht sein¸ dass alleine schon die grundlegende Summe der Würfel bei 8 oder 10 liegt. Dazu kommen dann noch Würfel für einen Stunt (erkläre ich weiter unten)¸ für Charismen (auch weiter unten) und Hearthstones (noch weiter unten). Und schnell kann es sein¸ dass man 12 bis 20 Würfel würfeln darf.
Verfeinert wird die punktebasierte Charaktererschaffung durch kaufbare Hintergründe und vier Tugenden¸ die das emotionale und soziele Verhalten des Charakters bestimmen sollen. Die Tugenden wirken aber irgendwie aufgesetzt und der Sinn für das Spiel erschließt sich nicht wirklich. In meiner Kampagne werden sie so gut wie nie eingesetzt und man könnte sie ohne Verlust weglassen.
Die erwähnten Stunts sind eine sehr einfache kleine Regeln¸ die aber viel vom Flair von Exalted ausmacht¸ weshalb ich sie etwas genauer erklären will. In Exalted geht es um over-the-top Action¸ wie sie in guten Actionstreifen oder Hong-Kong-Filmen und in vielen Animes gezeigt wird. Die Spieler werden dazu ermutigt¸ waghalsige Aktionen und Stunts auszuführen. Beschreibt jetzt ein Spieler seine Aktion besonders schön¸ so kann der Erzähler ihm einen Bonuswürfel erlauben¸ den er bei einer Probe mit den anderen zusammen würfelt. Ist die Aktion nicht nur schön beschrieben¸ sondern auch genau auf die jeweilige Szene abgestimmt¸ gibt es sogar zwei Würfel. Und beschreibt der Spieler seine Aktion so farbig und ist diese so außergewöhnlich gut¸ dass allen am Tisch die Kinnlade runterklappt¸ so gibt es sogar drei Bonuswürfel. Das Schöne dabei ist¸ dass Stunts nicht auf Kämpfe beschränkt sind¸ sondern auch in Gesprächen oder anderen Handlungen vorkommen können.
Einen gewaltigen Teil des Buches (jetzt weiß man auch¸ wo die Seiten für den Hintergrund verschwunden sind) machen die Charismen aus. Das sind spezielle Kräfte¸ welche die Hohen der Sonne von der Unbesiegten Sonne erhalten haben. Jede Fertigkeit (also auch hier wieder nicht nur auf Kämpfe beschränkt) hat ihren eigenen Baum an Charismen¸ die im Verlauf immer mächtiger werden. Mit den Charismen ist es möglich¸ selbst im schwersten Sturm problemlos über Deck zu laufen (Sail)¸ aus dem Nichts einen Pfeile aus Energie zu beschwören (Archery) oder sofort die innersten Wünsche einer Person zu erkennen (Socialize). Da pro Runde nur ein Charisma aktiviert werden kann¸ lassen sich diese auch zu Combos zusammenstellen¸ die wahre Meisterschaft andeuten.
Ich will an dieser Stelle kurz abschweifen¸ um Euch die Essenz näher zu bringen. Diese magische Energie durchzieht alles Lebende und ist die Basis für die Kräfte der Hohen. Jeder Charakter hat einen bestimmten Wert an permanenter Essenz und zwei verschiedene Töpfe (einmal die persönliche Essenz¸ die in einem gespeichert ist und zum anderen die periphere Essenz¸ die man aus der Umgebung absorbieren kann). Für jedes Charisma¸ aber auch zum Beispiel für Zaubersprüche¸ muss man eine bestimmte Menge an Essenz abgeben¸ die sich auf natürliche Weise wieder regeneriert. Das Problem ist nur¸ dass sobald periphere Essenz ausgegeben wird¸ sich das Kastensymbol des Charakters¸ das weiter oben erwähnt wurde¸ leuchtend bemerkbar macht. Je mehr Essenz ausgegen wird¸ desto stärker wird das Leuchten¸ bis der Charakter schließlich in einer gewaltigen gleißend strahlenden Säule puren Lichts steht. In einer Welt¸ die Jagd auf einen macht¸ ein Leuchtfeuer¸ das man gerne vermeiden möchte. Auf diese Weise kommt nicht nur ein schöner optischer Effekt ins Spiel¸ sondern auch eine Spur Taktik.
Während die Charismen die intuitiven Kräfte der Hohen repräsentieren¸ sind die Zauberkräfte lange studiert worden und wesentlich zeitintensiver und langsamer¸ aber auch wesentlich mächtiger. Hier muss man sich von der klassischen Vorstellung eines Zauberers trennen¸ denn prinzipiell kann jeder¸ der einen bestimmten Wert in einer der Fertigkeiten hat¸ Zauber sprechen. Würde ein Charakter sich nun nur auf die Zauberei konzentrieren¸ so kann es ihm geschehen¸ dass während er einen zwar mächtigen¸ aber auch sehr langsamen Spruch vorbereitet¸ seine Begleiter mit ihren schnellen Stunts und Charismen den Gegner bereits erledigt haben¸ bevor er mit seinem Spruch fertig ist. Deshalb sind Zaubersprüche in Exalted eher als seltener Zusatz denn als zentraler Aspekt zu sehen. Dazu kommt¸ dass die Sprüche sehr mächtig sind und teilweise ganze Gegnergruppen problemlos außer Kraft setzen können.
Dem Erzähler wird nicht nur in einem eigenen Kapitel geholfen¸ in dem es um die Möglichkeiten geht¸ in Exalted Kampagnen zu spielen. Im Anschluss an die Regeln (die hier natürlich nur rudimentär wiedergegeben wurden) folgt eine Auflistung mit typischen Handlungen und den dafür vorgeschlagenen Kombinationen aus Eigenschaft und Fertigkeit¸ angereichert mit einigen optionalen Regeln. Diese Abschnitte sind gut geeignet¸ dem Erzähler einige weitere Ideen an die Hand zu geben.
Natürlich fehlt auch eine Liste mit einigen Tieren und Gegnern mitsamt Werten nicht. Am Ende des Buches findet sich zudem ein Kapitel zu magischer und nicht magischer Ausrüstung. Hier fallen zum einen die Daiklaiven auf¸ gewaltige gekrümmte Schwerter im typischen übertriebenen Animestil¸ die nur von Hohen geführt werden können und zum anderen die Hearthstones. Diese Edelsteine sind in Form gepresste pure Essenz und beinhalten verschiedene Kräfte. Jeder Stein ist dabei ein Unikat. Hearthstones können in viele verschiedene Gegenstände¸ zumeist welche aus dem Ersten Zeitalter¸ eingesetzt werden und entfalten so ihre Macht. Das erinnert ein wenig an Diablo 2 (hmm¸ auch die Charismen findet man so ähnlich in dem Spiel).
An dieser Stelle sei kurz erwähnt¸ dass ich die Auflistung verschiedener Inspirationsquellen am Anfang der meisten Exalted-Bücher sehr gut finde. Schade ist aber¸ dass sie nicht vollständig sind. So wäre es eine Frage der Fairness gewesen¸ als Quelle zum Beispiel auch Diablo 2 oder das Rollenspiel 'Feng Shui' zu erwähnen¸ aus denen offensichtlich einige Anregungen für Exalted stammen.
Wie bereits gesagt merkt man dem Buch an vielen Stellen an¸ dass der Inhalt zu umfangreich für die 350 Seiten war. Ständig scheinen die Autoren gezwungen¸ tiefergehende Infos über Bord zu werfen und statt dessen lieber breitgefächerte oberflächliche Anregungen zu geben. Das größte Manko¸ das mir aufgefallen ist¸ dürfte aber die fehlende Logik der Spielwelt sein. Die Karte der Welt beispielsweise sieht nett aus¸ taugt aber nicht viel mehr. Es sind kaum Details eingezeichnet und in der Erstauflage fehlte ein Maßstab. Auch jetzt noch ist die Welt riesig¸ aber es werden keine politischen Grenzen oder zumindest detaillierte Informationen gegeben. Man ist in der Ausarbeitung der Welt sehr im Regen stehen gelassen worden¸ da nicht einmal modulare Bausteine veröffentlicht werden¸ aus denen man dann recht frei seine Welt erschaffen und die Lücken mit eigenen Ideen füllen kann.
Ich reite auf diesem Thema etwas herum¸ weil ich selbst noch nicht ganz entschlossen bin¸ wie schlimm ich dieses Fehlen von Detailinformationen wirklich finde. Auf der einen Seite bedeutet es mehr Arbeit¸ doch auf der anderen Seite bin ich froh¸ dass nicht alles genau festgelegt ist. In manchen Rollenspielen ist die Informationsdichte erdrückend und erstickt meiner Meinung nach jedes Spiel. Zudem erfährt man durch die Erweiterungsbände mit jedem Buch mehr von der Welt¸ ohne dabei aber jemals auf genaue Definitionen zu stoßen. Stets erhält man Anregungen¸ aber keine fertig spielbaren Details. Bei mir löst das vor allem eins aus: mein Hirn ist beim Lesen dauernd damit beschäftigt¸ aus den ungenauen Informationen Abenteuerideen zusammenzubauen - und das finde ich eigentlich sehr gut.
So gesehen ist Exalted bestimmt kein Spiel für Rollenspieleinsteiger. Auch die große Macht der Charaktere verleitet eventuell schnell zu Power-Gaming ohne Grenzen¸ so dass es schon eine Gruppe braucht¸ die auch viel Wert auf beschreibendes Rollenspiel mit Tiefe legt¸ um Exalted zur vollen Entfaltung zu bringen. Denn genau darin liegt ein großer Reiz des Spiels: der gesunden Mischung aus überwältigender Action mit optischen Spezialeffekten und gut ausgearbeiteten Charakteren mit Schwächen¸ die ausgestoßen aus der Gesellschaft ihren Platz in der Welt finden müssen.
Fazit
Exalted wird es nicht ganz einfach haben auf dem Markt. Viele 'ernsthafte' Rollenspieler gerade in Deutschland wird es durch seinen Animestil abschrecken und vielleicht sogar - absolut unberechtigter Weise - als Kinderkram abgetan. Andere wird die starke Ausrichtung zur schnellen Action abschrecken¸ sowie die vielen im ersten Moment offensichtlichen Power-Gaming-Ansätze wie endlose Superkräfte¸ sammelbare Hearthstones und grell leuchtende Zeichen auf der Stirn.
All diesen Leuten wird aber ein extrem interessantes Spiel entgehen¸ das mich beim Lesen sofort auf vielfältige Weise angesprochen hat - und ich bin wirklich kein Fan von Power-Gaming. Exalted hebt sich wohltuend von der typischen Fantasy-Welt ab und erfindet zwar nichts wirklich neu¸ sammelt aber viele gelungene Teile aus unterschiedlichen Quellen zusammen und baut daraus ein interessantes System mit einer interessanten Welt. Exalted ist dabei sicherlich nicht perfekt und es gibt viele Kleinigkeiten und ein¸ zwei dickere Brocken auszusetzen. Dennoch bin ich von dem System begeistert und habe nachdem ich lange Zeit das Gefühl hatte¸ Fantasysettings seien für mich nach 15 Jahren Rollenspiel ausgelutscht¸ endlich wieder neue Aspekte gefunden¸ die in mir die Lust nach einer langen¸ aufregenden und bunten Kampagne geweckt haben.
Eine Rezension von: Tommy Heinig