Real Life Roleplaying: Afgahnistan d20 (d20)
Mit freundlicher Genehmigung von: |
Das universelle Rollenspiel-Fanzine Greifenklaue wurde bereits 1997 von Mitgliedern der Pfadfindergruppe Mantikore als gedrucktes A4-Heft ins Leben gerufen und eroberte ab 2005 auch das Internet. Neben dem gedruckten Fanzine betrieb Ingo aka "Greifenklaue" vor allem einen Blog, einen Podcast und ein eigenes Forum. Zur großen Bestürzung der Rollenspiel-Szene verstarb Ingo Schulze am Freitag den 26.11.2021. |
Ab in den nahen Osten...
Manchmal sitzt man vor dem blinkenden Cursor des Textverarbeitungsprogramms und starrt auf ein leeres, weißes Blatt digitalen Papiers und fragt sich wie man anfangen soll.
Gerade bei dem vorliegenden Buch fällt es dem Rezensenten schwer. Afghanistan d20 klingt nach einem fürchterlichen Buch, voller fleischgewordenem Patriotismus und einer Setting das moralische Fragen aufwirft. Und eigentlich sucht sich der Rezensent gerne schlechte Bücher aus, da es doch viel mehr Spaß macht diese zu rezensieren! Also schlug der Schreiber dieser Zeilen bei ebay zu und erstand dieses Werk. Nach dem ersten Überfliegen sah sich der Schreiberling aber einer bizarren Schlussfolgerung gegenüber:
Dieses Buch ist enttäuschend gut.
Inhaltlich:
Nach einer schon überraschend kritischen Kurzgeschichte zur Einleitung in das Buch, kommt direkt eine Zusammenfassung der Afghanischen Geschichte. Dort wird ebenso auf das Klima, die Leute wie die Kultur eingegangen sowie einige Begriffe erläutert, bevor man zur eigentlichen Geschichte gelangt. Diese reicht dann von Alexander dem Großen, über die Kolonialisierung durch die Briten und den Einmarsch der Russen bis zum aktuellen Kampf gegen den Terrorismus. Dabei fasst das Kapitel auch noch einmal übersichtlich zusammen wer al Queda ist, wer die Taliban sind, wer zu den Koalitionstruppen welche Einheiten beigesteuert hat, etc. Was mich überraschte war neben der neutralen Sichtweise der gute und flüssige Schreibstil sowie die Bibliographie am Ende.
Der Abschnitt über die "Character Classes" führt dann direkt in die Klassen des modernen Krieges ein, den mit den typischen d20-Klassen wie Paladin oder Waldläufer kann man in modernen Zeiten ja wenig anfangen. Damit trotz fehlender Rassen (nur Menschen wäre ja öde) auch etwas Abwechslung hat, kann man sich einen von drei Backgrounds aussuchen: Urban, Rural oder Upper Class. Die Herkunft verändert dann die Attribute etwas. Einfach und nett. Achja, Gesinnungen gibt es im übrigen auch nicht. Also kein klassisch gut-böse, sondern jede Menge grau möglich. Fein sowas.
Die neuen Klassen für die Kriegsführung von heute sind: Clergy, Combat Medic, Officer, Scout, Soldier, Smuggler und Technican. Weites gehend durch den Namen ebenfalls selbsterklärend sind dann auch die beiden NSC-Klassen Grunt und Observer.
Kapitel vier gibt dann einen Überblick über die neuen Skills oder deren neue Bedeutung. Klassischer Fantasy-Kram, wie Spellcraft, Use Magical Device und das in 3.5 ja schon komplett gestrichene Scry fallen aus der Skil-Liste heraus. Dafür gibt es sinnvolle Neue, wie Techcraft, Hacking oder Demolitions. Das folgende Kapitel "Feats" widmet sich dann den speziellen "Talenten", die (was mich jetzt auch wieder überraschte) weites gehend aus neuen Social Feats bestehen. Neues Spielzeug für Fans von Knarren gibt es auch durch einige General Feats. So gefiel mir zum Beispiel der "Crack Shot"-Feat gut. Nicht nur wegen des knackigen Namens sondern auch weil er es ermöglicht Attacks of Opportunity mit einer Pistole zu machen. Ah, Kapitel sechs! Ausrüstung... Hier bekommt man nicht nur eine interessante Zusammenstellung von aktuell verwendetem Kriegsgerät, sondern erhält auch einige ebenso interessante wie amüsante Einblicke. So verrät der Autor im Absatz über den Colt M1911, das dies die erste Waffe sei, die er jemals abgeschossen habe. Oder das die Desert Eagle "the best cinematic presence of any handgun" hat.
Das anschließende Kapitel über den Kampf zeigt dann erstaunlicherweise auf, das man trotz der d20 Regeln Feuergefechte spannend gestalten kann und führt z.B. Regeln für Schock ein. Ausserdem weiß ich nun dank dieses Kapitels wie ich einen Schützengraben gegen Granaten sichern kann.
Kapitel acht schenkt uns dann noch einige brauchbare und sinnvolle Prestige-Klassen. Combat Engineer, Covert Agent, Dervish, Special Ops und Terrorst Cell Leader.
Im folgenden Kapitel geht es dann um die zahlreichen Fahrzeuge, ohne die unsere moderne Kriegsführung nicht mehr möglich wäre. Und weil es sonst nirgendwo passt, stehen hier auch direkt noch die Bomben mit dabei. Da ich allzu umfangreiche Regeln für Fahrzeuge im Rollenspiel noch nie gemocht habe und eher denke das so etwas in Table Tops gehört, konnten mich die Autoren mal wieder durch einige einleitende Worte erfreuen. Fahrzeuge werden hier eher erzählerisch behandelt als durch Regeln. Diese Regeln sind dann aber auch leider nicht so gut geraten. Die Regelung für Panzerbrechende Waffen und die Dicke der Fahrzeugpanzerung halte ich nicht wirklich für praktikabel. Nebenbei bekommt man mal wieder eine nette Aufzählung von verwendbaren Fahrzeugen.
Und sogar ein spielbares Abenteuer bietet das Buch mit Kapitel 10! Bei "Code Sierra Team" müssen die Spielercharaktere in ein Afghanisches Dorf und einen Terrorstenführer gefangennehmen. Klingt einfach, ist auch eigentlich einfach gestrickt. Interessant wird es durch die wenigen Bewohner im Dorf, von denen jede der Persönlichkeiten erstmal mindestens eine Spalte mit Geschichte, Motivation und Verhalten bekommt. Sehr nett, da verscherzt man auch, das Josh T. Als John T. auf der Karte eingezeichnet ist. Nach dem Abstecher ins Dorf gibt es dann noch einen "Dungeon", die ich wirklich kaum anders zu nennen vermag. Man hat eine Menge Räume, in denen Fallen oder Gegner hausen und im letzten wartet der Boss. Mhm, da hätte ich aber nun schon mehr erwartet.
Das vorletzte Kapitel gibt dann noch weitere Ideen für Kampagnen und erklärt dann dabei auch das es sich bei dieser mehr um das klassische "Wir schießen und sind cool!" oder "Hier geht es um Moral und Gehirnschmalz" geht. Auf den letzten paar Seiten gibt es dann noch einige Anmerkungen zu alternativen Kampagnen in Afghanistan. Hier findet sich dann die Britische Kolonialisierung genauso wieder wie die Russische Besatzung. Richtig "strange" wird es dann mit dem letzten Vorschlag. Dieser ist in einer Zeit vor Christi Geburt angesiedelt und dreht sich um die Greifenreiter Alexander des Großen, Blutmagische Mongolische Horden und andere. Sehr, sehr seltsam. Aber die Macher konnten es sich nicht verkneifen ihre sehr gute Spieleserie Fading Suns auch nochmal im Buch zu erwähnen. Es wird ein Szenario vorgeschlagen, in welchem die Charaktere islamische Relikte aus der Terranischen Zeit vor Kirchenvertretern und Söldner retten müssen. Naja, was soll's. Gönnen wir es ihnen ;-).
Fazit:
Ein wenig geschluckt habe ich aber schon als im Impressum las, das CIA und US Army die Bilder und das Kartenmaterial für den Band geliefert haben. Zunächst dachte ich, das dies doch schon klar einen Weg vorgibt, aber nach nochmaligen Überlegen sind diese Quellen doch wirklich die besten für diese Art von Material. Und das Buch konnte mich ja auch auf ganzen Linie überzeugen kritisch und neutral zu bleiben. So wird immer wieder betont das es religiösen Fanatismus in allen Religionen gibt. Dazu sagt das Buch zum Beispiel, das es im Islam klar religiöse Fanatiker gibt, andererseits aber auch "our own homegrown abortion clinic bomber". So zu lesen auf Seite 30. Oder auch der Kommentar das afghanische Kinder nicht Krieg spielen wie amerikanische Kinder dies tun. Für afghanische Kinder sei dies Realität und kein Spiel. Neben dem guten Quellenmaterial über Afghanistan und Kriegshardware, bekommt man mit diesem Buch viel gutes und brauchbares d20 Material. Ob man deswegen gleich in Afghanistan Rollenspiel betreiben soll, muss jeder für sich selbst entscheiden. Der Rezensent zumindest hat dies in absehbarer Zeit nicht vor, aber sollte er ein modernes militärisches Setting mit d20 Regeln brauchen, wird er auf dieses Buch zurückgreifen. Für jeden der eine ähnliche Kampagne plant sei dieses Buch empfohlen.
[Scorpio]
Eine Rezension von: Michael 'Scorpio' Mingers https://www.die-dorp.de/