Kleine Völker - Düstere Kobolde aus Erdestiefen
Kleine Völker - Düstere Kobolde aus Erdestiefen" ist der Titel eines neuen Abenteuerbandes für das Cthulhu-Rollenspiel aus dem Hause Pegasus Press. Das Titelbild zeigt eine stimmungsvolle Collage¸ in deren Mitte die Wörter "Kleine Völker" metallisch prangen. Dabei wirkt das Metall ausgefranst¸ so als sei es im Begriff zu schmelzen.
Der Band ist 128 Seiten dick¸ und eröffnet mit einer kurzen Übersicht über die Inflation. Danach kommt eine 6 Seiten lange Übersicht über Elben & Zwerge und einer Quellenangabe für jeden¸ der sich weiter über dieses Thema informieren möchte. Denn die ursprünglichen Naturgeister aus den Sagen und Märchen waren nun einmal nicht die verkitschten Figuren wie man sie heute in jedem Fantasy-Roman oder Nachbars Garten als billige Wichtelplastik antreffen kann. Und schließlich stehen solche ursprünglichen Naturgeister und die Sagen welche sich um sie ranken im Mittelpunkt der beiden Abenteuer dieses Bandes.
Das erste und umfangreichere heißt "Siegfriedslust" und stammt von Steffen Schütte und Wolfgang Schiemichen. Es beginnt am Freitag¸ dem 12.01.1923 in Berlin. Die Spieler geraten in einen Überfall¸ einer von ihnen bekommt unverhofft eine Erbschaft von jemanden¸ den er nur flüchtig kennt¸ und schon geht es los. Heuchelnde Verwandte¸ die bei der Testamentseröffnung den Spielercharakter der Erbschleicherei beschuldigen¸ sind nur das geringste Übel. Ein Schlägertrupp der braunen Fanatiker bedrängt sie ebenso wie ein Berliner Untergrundboss mit seinen brutalen Schergen. Dann geraten sie auch noch in Erklärungsnöte bei der Vermieterin eines Charakters¸ die das ständige kommen und gehen Unmöglich findet (etwas hysterisch die Gute); Berliner Straßenkinder zeigen ihnen seltsame Verbrennungen¸ die ihnen eine runzlige Gestalt zugefügt haben soll¸ und die Charaktere geraten auch noch an einen Verbündeten¸ den jeder kennen sollte¸ nämlich dem jungen Indiana Jones!
Dieser erklärt ihnen¸ wohinter alle her sind: dem legendären Schatz der Nibelungen!
Dieses Abenteuer ist für Cthulhu-Verhältnisse wirklich "Abenteuerlich"! Die Charaktere sollten körperlich fit sein und auch gut mit Schußwaffen umgehen können. Letztendlich führt das Geschehen nämlich in das Ruhrgebiet¸ und dieses ist von den Franzosen besetzt. Auf der Reise dorthin gibt es Überfälle von widerlichen Gestalten (den Zwergen) und filmreife Verfolgungsjagden. Dann endet die Handlung mit einem fulminanten Showdown in den Schächten einer Zeche¸ an den sich die Spielrunde gewiß gerne zurück erinnern wird.
Ich versuche mit Absicht¸ auf den Inhalt nur vage einzugehen¸ denn "Siegfriedslust" ist ein vollkommen gelungenes Abenteuer. Es weicht in gewisser Hinsicht von dem "typischen" Stil anderer Szenarios ab¸ aber es bietet herrlich viele Gelegenheiten zum ROLLENSPIEL¸ Geschichte zum Anfassen (Inflation + Eskalation der politischen Situation)¸ tolle Charaktere und eine neue Mythosrasse. Ich schließe mich hier Andres Meinung an über das überhand nehmende Hinzufügen neuer Mythoswesen¸ aber diese neue Rasse gefällt mir vom Hintergrund ziemlich gut¸ und passt einfach zu gut zu der Nibelungensage. Mit 51 Seiten ist es auch ein sehr ausführliches Abenteuer. Im Spiel selbst laufen die Ereignisse innerhalb weniger Tage ab¸ was zum Tempo der Handlung beiträgt.
Das zweite Abenteuer¸ "Gestohlene Leben"¸ kommt auf 21 Seiten daher. Es spielt in einem Bergdorf in den rätischen Alpen. Das Abenteuer dürfte eher schwer eine laufende Kampagne einzubauen sein. Der Autor des Abenteuers weist zu Beginn darauf hin¸ die SC über möglichst keine Erfahrungen mit dem Mythos verfügen sollten¸ und auch über keine Schußwaffen. Es wird vorausgesetzt¸ das die SC sich am Anfang nicht kennen¸ und lediglich im gleichen Reisebus die Alpen überqueren wollen. Wie nicht anders zu erwarten¸ verunglückt der Bus¸ weshalb die Spieler das nächste Dorf (Borken) aufsuchen müssen. Dort geraten sie an eine Bevölkerung¸ die sich Dank Seelentausch eine Art von "Unsterblichkeit" verschafft hat. Das Wissen hierzu stammt von einer außerirdischen Rasse¸ deren letzter Überlebender nun in der Gestalt eines kleinen Jungen das Dorf anleitet. In der Nacht¸ in der die SC ankommen¸ soll gerade ein weiterer Seelentausch praktiziert werden. Die SC dringen immer tiefer ein in das Geheimnis des Ortes und dem bizarren Gebaren seiner Bewohner¸ um zu guter letzt das Geheimnis der "König Laurin Sage" aufzudecken. Selbst wenn sie das Dorf verlassen¸ werden sie anschließend zu gewissen Zeitpunkten in ihrem Leben nervös und vorsichtig sein. Denn der Autor hat eine nette Überraschung mit eingebaut. Wenn man diese und andere Ideen aufgreift¸ kann man auf diesem Abenteuer aufbauen. Es ist nicht schlecht¸ aber ich finde es zu geradlinig¸ und die Handlung an sich zu unbefriedigend. Für zwischendurch sehr gut¸ und um Neulinge in das Spiel einzuführen auch nicht schlecht. Einige schockierende Szenen sind auch vorhanden. Aber im Gegensatz zu "Siegfriedlust" hat mir hier die neue Mythosrasse und ihre Erklärung überhaupt nicht gefallen.
Der Anhang beginnt mit einem sehr nützlichen Artikel über die Bücher des Mythos. Er erklärt¸ wie man sich diese vorstellen sollte: Auf jeden Fall nicht als einfache Taschenbücher¸ die im Regal stehen. Und es wird beschrieben¸ was an ihrem Inhalt es denn nun genau ist¸ das einen Menschen in den Wahnsinn treiben kann. Dazu gibt es 29 Seiten mit Handouts¸ Karten¸ neuen Zaubern und optionalen Auszügen aus den Büchern. Optional deshalb¸ weil diese in dem Spiel integriert werden können¸ oder als Handouts für eigene Abenteuer verwendet werden können. Sozusagen sind diese Buchauszüge ein Bonus von Pegasus¸ und hierfür ein dickes Lob! Toll gemacht und (leider) in der Rollenspielszene keine Selbstverständlichkeit.
Dazu sind wieder über das ganze Buch zeitgenössische Bilder verteilt. Die gesamte Aufmachung ist sehr gelungen. Einziger (nicht ganz ernst gemeinter) Wermutstropfen: das Foto auf S. 75¸ das H. F. Elsenreiter zeigen soll¸ wurde schon in dem Band "In Labyrinthen - Dunkle Pfade im Osten" auf S. 37 für Douglas Timmons verwendet).
Fazit: Kaufen¸ und sich der "Siegfriedslust" hingeben.
Eine Rezension von: Karsten Sassenberg http://www.die-sns.de