Cthulhu Rollenspiel (limited)
Tja¸ auch die Tatsache¸ daß ich noch zu den wenigen gehöre die (mit großer Freude) die alte zweiteilige deutsche Ausgabe von Laurin besitzen¸ war ich unheimlich auf die Neuauflage von Pegasus gespannt. Wie sicherlich viele andere nagte ich bereits auf der Spielemesse 1998 in Essen an meinen Fingernägeln¸ als ich hörte¸ daß Pegasus noch Zeit bräuchte. Als dann auch Weihnachten¸ Neujahr¸ Januar und der Februar ohne Regung verstrich¸ glaubte ich schon¸ daß der Pegasus-Verlag endlich ihre geistige Stabilität verloren hätten - bei diesem Konsum gefährdender Ressourcen wohl auch durchaus denkbar.
Doch nun schreiben wir März 1999 und endlich - nach immerhin 8 Jahren - gibt es sie wieder: eine druckfrische deutsche Cthulthu-Ausgabe !
Und was Pegasus sich da geleistet hat - fast so unaussprechlich wie wie der Titel des vorliegenden Rollenspiels. Cthulhu (käTH-THou-lou¸ englisches TH verwenden) scheint nur den Leuten mit Eleganz über die Zunge zu gleiten¸ die sich wirklich intensiv mit dem Mythos auseinandersetzen. Auch das Schreiben dieses Namens¸ fällt vielen - trotz der kurzen Wortlänge - unerklärlicherweise schwer.
Sicherlich ebensowenig haben sich Pegasus ihre Arbeit am neuen Regelwerk leicht gemacht. Es galt die Ansprüche einer Zielgruppe zu erfüllen¸ die fasziniert und hochsensibel auf die großen Kleinigkeiten um den Mythos und ihren Lieblingsautor H.P. Lovecraft achtet und für die u.U. das Regelkostüm eher schmückendes Beiwerk ist. Aber keine Sorge: auch das Regelwerk erfüllt seinen Zweck.
Fragen¸ Fragen¸ ... Antworten !
Was ist der Mythos überhaupt ?
Wer sich bislang überhaupt noch nicht mit H.P. Lovecraft¸ bzw. dessen Romanen und dem daraus entstandenen Mythos¸ beschäftigt hat¸ dem will ich hier einen kurzen Einblick ermöglichen:
Lovecraft verarbeite in seinen Werken die Annahme¸ daß der menschliche Verstand nur ein begrenztes Volumen für das Verständnis von Realität hat. Nach seiner Auffassung füllen die menschlichen Realitäts-Lügenkonstrukte - die uns einen gesunden Verstand und normales Handeln im Weltgefüge erlauben - den verfügbaren Raum des Bewußtseins gänzlich aus.
Für jedes zusätzlich erlangte Wissen der wirklichen universellen Wahrheit des Universums (der Mythos) muß ein Teil des ursprünglichen Verstandes weichen. Je mehr man sich also mit dem wahren Wissen beschäftigt oder mit ihm konfrontiert wird¸ desto mehr verliert man den Bezug zur menschlichen Welt: man verfällt dem Wahnsinn.
Was ist die wahre Realität ?
Doch wie sieht diese wahre Realität aus ? Lovecraft beschreibt ein Universum¸ daß von unmenschlichen¸ gar gottgleichen¸ teils uralten Außerirdischen durchsetzt ist. Diese haben die unterschiedlichsten Formen¸ Fähigkeiten und verfolgen ihre eigenen Ziele¸ die jedoch kaum für den menschlichen Verstand begreifbar sind und ihn auch (Gott sei es gedankt) größtenteils gar nicht berücksichtigen.
Diese Wesenheiten lassen sich am besten in ihrer Machtfülle unterscheiden. Die Mächtigsten stellen selbst die Nabe des Universums dar oder verweilen zwischen Zeit und Raum; andere ruhen versteckt auf irgendwelchen Planeten. Diese höchsten aber eher untätigen Wesenheiten werden von anderen Rassen angebetet¸ deren Machtfülle jedoch in unserer Vorstellung nur mit verheerend zu bezeichnen ist. Selbst die niedersten Gezüchte und Dienerrassen wirken im menschlichen Verstehen noch gottgleich oder zumindest dämonisch.
So wird der arme Charakter¸ der überhaupt so direkt mit dem Mythos¸ d.h. einer dieser Kreaturen¸ konfrontiert wird¸ höchstens auf die niedersten schnellebigeren Subjekte stoßen - und vielleicht davon noch erzählen können.
Was ist Cthulhu ?
Cthulhu ist einer der Großen Alten¸ einer der vielen bösartigen Gottheiten des Mythos. Im Gegensatz zu den meisten Göttern mischen sich die Großen Alten öfter in die menschlichen Angelegenheiten ein - direkt oder durch menschliche oder unmenschliche Anhänger und Diener. Die Großen Alten wurden vielfach von den höheren Göttern auf der Erde festgesetzt und eingekerkert. Wehe dem der diese Fesseln bricht !
Cthulhu ist ein Monstrum von eigentlich beliebiger Gestalt - wird jedoch oft mit Tentakelkopf¸ Flügeln und krallenbewehrten Extensionen dargestellt. Er soll derzeit am Boden des Pazifiks in einer Art Totenstarre ruhen. In seiner Nähe soll sich allerlei seines Gezüchts in einer versunkenen Stadt herumrekeln. Cthulhu beeinflußt die Menschen derzeit hauptsächlich durch einzelne Boten aus seiner Gefolgschaft oder Traum-Botschaften.
Was ist nun das Rollenspiel Cthulhu ?
In diesem Rollenspiel dreht sich alles um die möglichst schonende Aufdeckung des Cthulhu-Mythos und um die Bekämpfung der damit einhergehenden Bedrohungen für die Menschheit.
Was Cthulhu so besonders macht¸ ist die subtile Art von Horror¸ die jede Kampagne¸ jedes Abenteuer¸ ja jeder einzelne Aspekt des Mythos im Spiel haben sollte. Die schriftlichen Hinweise auf den Mythos (einige Folianten und Manuskripte) sind größtenteils uralt und öffentlich verboten - die noch existierenden Exemplare sind deshalb nur schwer oder gar nicht auffindbar.
Konfrontationen mit Wesenheiten des Mythos enden oft mit Tod¸ Zerstörung und Wahnsinn¸ weshalb direkte Begegnungen sicherlich kein häufig wiederkehrender Aspekt im (geistig gesunden) Abenteurerleben sein werden.
Und letztendlich verfügen die Charaktere meist gar nicht über die Macht den niederen Wesenheiten wirklich zu schaden - von den Mächtigen ganz zu schweigen. Der Gedanken an Vernichtung allen Übels steht also gar nicht erst auf dem Plan¸ sondern eher das Verfolgen¸ Analysieren und Bekämpfen von Randerscheinungen¸ wie Kultistengruppen oder machtgierigen Einzelgängern¸ die im Auftrag der bösen Gottheiten Schrecken verbreiten und über Rituale die unsichtbaren Tore öffnen und magische Fesseln lösen wollen.
Dabei gilt es für die Charaktere um jeden Preis die eigene geistige Stabilität (das vielleicht wichtigste Attribut) zu schützen¸ daß bei jeder oben beschriebenen Tätigkeit leiden wird.
Das Regelkostüm
Cthulhu ist nicht fest an eine bestimmte Zeit gebunden¸ spielt sich jedoch am besten zwischen 1890 und der Jetztzeit. Die Regeln unterstützen explizit die Jahre 1890¸ 1920 und 1990 mit getrennten Hinweisen und Listen für mögliche Fertigkeiten¸ Ausrüstung¸ etc. Auch stehen separate Charakterblätter zur Verfügung.
Die Regeln sind aber natürlich in alle Epochen gleich und werden nur anders ausgelegt (z.B. bestimmte Fertigkeiten).
Alle Charakter haben die Attribute: Stärke¸ Konstitution¸ Größe¸ Geschicklichkeit¸ Intelligenz¸ Bildung¸ Erscheinung¸ Mana¸ geistige Stabilität mit Werten¸ die in der Regel zwischen 3 und 18 liegen. Die folgenden Eigenschaften leiten sich von obigen ab: Idee¸ Glück¸ Wissen¸ Schadensbonus¸ Trefferpunkte¸ Magiepunkte¸ Ausweichen¸ Muttersprache. Natürlich stehen dem Charakter neben diesen Grundwerten auch weitere Dinge wie ein Geschlecht¸ Name¸ Alter und ein Beruf zu¸ die auch wiederum bestimmte Eigenschaften (z.B. Alter -> Bildung) oder Fertigkeiten (Beruf) beeinflussen können.
Erfolgswürfe auf Fertigkeiten oder Rettungswürfe finden als Prozentwurf (W100) statt (ansonsten sind an vielen Stellen W4¸ W6 und W8 für das Spiel hilfreich). Für eine gelungene Probe muß der Würfelwert kleiner gleich der Erfolgschange bleiben¸ die von der genutzten Fähigkeit und Modifikationen abhängt. Bei Widerstandswürfen wird eine Tabelle konsultiert¸ bei der die Erfolgswahrscheinlichkeit vom Wert der Eigenschaft (z.B. Kraft) des Angreifers und des Gegners abhängt.
Der Kampf wird in flexible Runden aufgeteilt¸ die der Charakter mit der höchsten Geschicklichkeit beginnt.
Wie eine typische Spielszene ablaufen kann wird in einem kurzen Beispiel verdeutlicht.
Besonders großes Gewicht wurde - zu recht - der geistigen Stabilität gewidmet. Sehr beispielhaft werden die Umstände beschrieben¸ wie sich geistige Stabilität verlieren (leicht) oder auch wiedererlangen läßt (schwer bis unmöglich). Auch den Spielern wird vorgeführt¸ wie man sich bei sinkender geistigen Stabilität¸ zunehmens verändert (Wahnsinnig wird). Da ein Charakter erst beim Verlust des letzten Punktes unspielbar wird¸ bleibt reichlich Zeit sich durch neue Einstellungen und neues Verhalten gegenüber seiner Umwelt "zu verabschieden".
Wenn ich innerhalb der Rezension von Verlusten der geistigen Stabilität erwähne¸ kann dies teilweise durch einen gelungenen Stabilitätswurf vermieden oder vermindert werden.
Bücher und die Magie
Mit dem Wissen kommt nicht nur Wahnsinn¸ sondern vielleicht auch magisches Potential. Der Mythos hält für die Wissenden allerlei unwirkliche Mittel bereit. Die Umsetzung der Zauber ist sehr individuell¸ kostet jedoch jeweils (regenerierbare) Magiepunkte und geistige Stabilitätspunkte.
Passend hierzu ist auch das später folgende Kapitel über Geistesstörungen¸ daß auf sechs Seiten allerlei aus dem psychologischen Repertoire spielgerecht zusammengefaßt hat.
Magisches Wissen erlangt man durch Anbetung der Wesenheiten (für Spieler-Charaktere nicht denkbar) oder das Studium okkulter Bücher¸ die Wissen über den Mythos beinhalten. Aus diesem Grund sind auch eine Vielzahl dieser Bücher im Regelwerk umschrieben - teilweise in mehreren sprachlich/zeitlich variierenden Ausgaben.
Jedes der Bücher bedeutet für seinen Leser Wissen¸ die des Mythos immer auch Wahnsinn¸ wobei der Stabilitätsverlust per Zufall je nach Werk zwischen 1 und 20 liegen kann. Vor allem das berüchtigte Necronomicon hat es in sich und vermag viel Macht selbst über die höheren Wesenheiten zu bringen. Sicherlich 25 verschiedene Werke werde mit kurzen Texten beschrieben¸ ca. weitere 70 in Tabellenform. Auch hier erkennt man vielleicht¸ daß Cthulhu mehr ein Spiel für Denker (Akademiker- oder Forschercharaktere) als für Haudraufs sein kann.
Insgesamt nehmen die Spielmechanismen etwa die Hälfte des Bandes in Anspruch¸ was auch quantitativ der Aufteilung in älteren Ausgaben entspricht.
Der Mythos
Die andere Hälfte des Cthulhu-Regelwerkes dient dem Spielleiter als Referenz des Mythos und spätestens hier sollte auch für Spieler Schluß sein - auch wenn ich mehr und mehr der Meinung bin¸ daß Spieler das Regelwerk überhaupt nicht lesen sollten.
Die Beschreibungen des Mythos bestehen aus einer allgemeinen Zusammenfassung¸ vielen Auflistungen von Gottheiten¸ niederen und Dienerrassen¸ Bestien und Monstren¸ wichtigen Persönlichkeiten und Zaubersprüchen. Es ist herrlich¸ wie die Beschreibungen durch allerhand alte (nur die besseren) und neue Illustrationen (teils von Caryad) aufgewertet werden. Man erfährt einiges über Lovecraft und auch das verschollene Necronomicon erfährt eine ausführliche Beschreibung - ist es doch Brutstätte vieler anderer Publikationen. Die Wesenheiten werden teilweise mit Originalzitaten und Illustrationen¸ in jedem Fall jedoch mit allerlei blumigen Worten beschrieben (Aussehen¸ Aufenthaltsort(e)¸ Ziele¸ Spezialitäten).
Am Bandende findet man noch umschriebenes Kartenmaterial zu Arkham (eine fiktive Stadt in Neu-England zur Zeit der zwanziger Jahre) und eine zeitliche Übersicht der Ereignisse zwischen 1877 und 1998 aus der H.P.Lovecraft - Welt.
In Tips für den Spielleiter erfährt man allerlei über den richtigen Umgang mit dem Mythos und über den dosierten Einsatz seiner Elemente. Das die Werke von H.P. Lovecraft selbst¸ ein idealer Grundstein für ein gutes Verständnis sind¸ sollte dagegen selbstverständlich sein. Im Prinzip wiederholt dieses Kapitel noch einmal kurz den Gesamtinhalt und widmet sich gezielt der Auslegung der für das Spiel besonders wichtigen Elemente.
Szenarien
lautet das Stichwort für den letzten Teil des Bandes. Nicht eines¸ sondern gleich vier schön schaurige¸ sofort spielbare Abenteuer hat man hier auf 40 Seiten aufgeführt und mit ansehnlichen Illustrationen verziert.
Meine Meinung
Fazit:Uiuiui. War das ein Ritt. Ich bin vom vorliegenden Cthulhu-Regelwerk aus dem Hause Pegasus-Press sehr begeistert. Man hat nicht nur einfach einen Aufgu߸ bzw. eine Fusion der alten Doppelausgabe (in meinem Fall Cthulhu - Das Rollenspiel/Der Mythos von Laurin) hingezaubert¸ sondern ein größeres Gesamtwerk geschaffen¸ daß neben den zeitlichen Erweiterungen (1880/1920/1990¸ ursprünglich nur 1920) auch mit einigen Beispielabenteuern glänzt.
Wo andere von werbewirksam von "kompletten Regelwerken" sprechen und in Wirklichkeit noch stärkere Abhängigkeiten von Erweiterungen schaffen¸ kann das neue Cthulhu-Regelwerk wirklich (bis auf die Lovecraft-Romane natürlich) als in sich geschlossen betrachtet werden und stellt für mich damit eine saubere Kompilation (neue Version des alten Grundregelwerks¸ zusätzliche Regeln aus Erweiterungsmodulen und zusätzliche Szenarien) dar. Der gute Eindruck wird durch das tolle stimmungsvolle Layout und die schön eingebundenen alten und neuen Illustrationen verstärkt. Einzig die schwarz unterlegten Textpassagen beschreiten teilweise den ganz schmalen Pfad zur Unleserlichkeit - einmal abgesehen davon¸ daß sowas generell in Kombination mit kleiner Schrift zur Lesebelastung wird (von SW-Kopien der Tabellen für Sichtschirme mal ganz zu schweigen). Vor allem bei der Waffentabelle mit Mikroschriftsatz ist das mehr als unverständlich. Eine möglichst bald im Internet downloadbare Ersatztabelle für den Spielleiter¸ scheint mir daher angebracht ! Andere kleinere Malheurchen beim Layout können fast kommentarlos verschmerzt werden¸ weil sie recht unrelevant sind (Beispiele ? Das erste "d" auf der Rückseite des Einbandes und die schwarzen Balken auf Seite 94/95)
Ansonsten aber kannte die positive Spielerei beim Layout keine Grenzen und so werden die meisten Überschriften von Schatten¸ Passagen oder ganze Texte mit Hintergründen verziert¸ und die Seitenränder - teils universell¸ teils themenbezogen - mit einer Randgrafik verziert.
Die Texte weisen einen schönen Stil auf und versuchen jederzeit den Spielleiter vorbildlich mit der richtigen Motivation zu füttern. Einzelinformatationen lassen sich durch einen mächtigen Index (in dem ich leider auf Anhieb meine Testworte Revolver und Pistole nicht fand - außer unter Schußwaffen).
Das Hardcover macht insgesamt einen hervorragenden Eindruck - innen wie außen¸ optisch - als auch von der Verarbeitung her. Die Regeln sind für ihren Zweck mehr als ausreichend¸ da für Cthulhu fast schon ein Wert (geistige Stabilität) ausreichen würde. Einzig hätten dem Preis schon ein paar Farbseiten oder Extras (z.B. farbige Straßenkarte von Arkham) drin sein können.
Fazit vom Fazit: Wer sich von fein gesponnenen Horror einwickeln lassen möchte¸ findet hier nach langer Zeit wieder etwas¸ bei dem man ohne Bedenken zugreifen kann¸ denn man bekommt mehr den je für sein Geld.
Ich denke mir¸ daß für Fans von H.P. Lovecraft dieser Regelband ohnehin Pflichtprogramm sein wird. Ich selbst bin in jedem Fall sehr froh¸ daß dieses lange erwartete Regelwerk¸ die Zeit des Wartens wert war und werde mich künftig erstmal mit großer Motivation auf die Romane stürzen.
Ach¸ beinahe hätte ich es in der Aufregung ganz vergessen: Eine so liebevolle Umsetzung und soviel faszinierende Anregungen verdienen von mir (trotz des hohen Preises) den MD-Top ! Der große Alte wandelt wieder !
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de