Zauberwerkstatt - Wunder gibt es immer wieder
von Frank Reiss
Der Orksäbel trifft den Krieger Alrik in die Schulter, er krümmt sich vor Schmerzen, bricht kurz darauf zusammen. Es dauert noch eine Weile, da haben seine Gefährten die Orks mit großer Mühe vertrieben. Sie eilen zu ihrem Kameraden, der reglos am Boden liegt. Der Medicus fühlt seinen Pulsschlag, kein Lebenszeichen. Die Tsageweihte fällt auf die Knie und richtet ein Stoßgebet an ihre Göttin.
Währenddessen am Spieltisch. Birgit rollt zum dritten Mal den W20 : "Hoffentlich gelingt die Mirakelprobe, sonst sieht es schlecht um Alrik aus!" Der Würfel zeigt eine 18. Die Probe ist mißlungen.
Die Tsageweihte hat es nicht geschafft, Alrik ist tot. Warum? Weil sich die Geweihte beim Beten versprochen hat?
Wir alle kennen die Situation: Ein geweihter Charakter ist sehr schwer darzustellen. Auf der einen Seite stehen ihm Mächte offen, die sich ein normaler Sterblicher nicht vorstellen kann und sie deshalb Wunder nennt. Auf der anderen Seite ist das Gelingen eines solchen Wunders von dem Willen des angerufenen Gottes anhängig. Nur er kann das Wunder gewähren oder auch verbieten. Wie handelt man den Willen eines Gottes am Spieltisch? Nun, man nimmt einen Würfel zur Hand und fragt den Zufall. Was aber wäre, wenn die Götter tatsächlich nach dem Zufall die Welt erschaffen hätten?
Es geht darum, daß Wunder im Rollenspiel allgemein vereinfacht werden sollen. Am Anfang waren die Wunder wie Zaubersprüche im Spiel zu verwenden. Man konnte sie erlernen und sie kosteten eine bestimmte Menge KP. Da man aber vom Zaubermotiv auf ein besseres System umsteigen wollte, erfand man das zur Zeit aktuelle System, mit dem es möglich ist, KP in Talentpunkte umzuwandeln. Damit ist die Macht der minderen Wunder aber bereits am Ende. Da fragt sich der geneigte Spieler und Meister doch: Was ist an diesen Wundern noch wundersam? Ab nun ist ein Wunder nur eine Erleichterung, den Zufall zu überlisten. Ist das denn im Sinn eines guten Rollenspiels?
Wäre es nicht besser, wenn Wunder wieder etwas wunderbares an sich hätten? Ich habe mir dazu folgendes überlegt:
Der Spieler sagt an, daß sein Held ein Wunder erflehen möchte. Danach erklärt der Spieler genau, wie das Gebet abläuft, ob er etwas opfert, um den Gott gnädig zu stimmen, etc.. Danach trägt er seine Bitte an den Gott vor. Erst jetzt kann der Gott (also der Meister) entscheiden, ob er seinem Anhänger das Wunder gewährt. Hierbei wird aber nicht der Würfel gerollt, sondern beurteilt, wie ernst es der Priester mit seiner Bitte nimmt und wie dringend das Wunder benötigt wird. Der Meister sollte vor allem danach urteilen, wie der Spieler das Erflehen eines Wunders rollenspielerisch dargestellt hat. Hat er dem Gott die gebührende Ehrfurcht erwiesen. Wie hat er sich in den letzten Tagen zu seinem Gott verhalten? Befindet der Meister das Eingreifen göttlicher Macht für angemessen und kommt er zu dem Schluß, daß der Geweihte ein Wunder "verdient" hat, so kann er es ihm gewähren. Das Wunder sieht so aus, wie es in der Situation angemessen ist, es gibt also keine Talentpunkte mehr. Wenn der Gott ein Wunder sendet, gelingt es auch, egal ob der Geweihte einen hohen Talentwert hat oder nicht. Ebenfalls der Meister entscheidet über die Zahl der KP, die ihm dem Priester das Wunder kostet, doch auch hier gilt: Ein Wunder kann auch gelingen, wenn der Geweihte keine KP mehr hat.
Dieses Verfahren ist natürlich nur ein Vorschlag und für unerfahrene Gruppen vielleicht noch zu kompliziert, doch ich finde, einen Geweihten zu spielen sollte wieder einen Reiz bekommen und diese Methode ist meiner Meinung nach ein erster Schritt. Wenn ihr andere Vorschläge habt, dann schreibt mir einfach!