LARP Was ist eigentlich LARP? - LARP erklärt aus Rollenspielersicht!
von Olaf "Argamae" Buddenberg
Als langjähriger Tischrollenspieler (gut und gerne 16 Jahre sind es wohl) blieb es nicht aus, daß mich irgendwann ein paar Rollenspiel-Kumpels dazu überredeten, es auch mal mit LARP (Live-Action-Role-Playing) zu versuchen, jener nächsten "Stufe" auf der Rollenspielhierarchie - wie manche so meinen.
Im Grunde genommen enthält ein LARP die gleichen Bestandteile wie ein klassisches Tischrollenspiel-Abenteuer:
da sind die Mitspieler und deren Charaktere (Hauptdarsteller), die zahllosen Nichtspielercharaktere (NSCs oder
Statisten) sowie der Spielleiter und der Abenteuerplot (Regelüberwacher und Story). Anstatt sich nun das
Abenteuer im Kopf vorzustellen und sich bei Fragen an den Spielleiter zu wenden, um genauere Beschreibungen
einzuholen, wird das ganze auf einen real existierenden Handlungsschauplatz verlegt (der je nach Abenteuer
natürlich mehr oder weniger vorbereitet werden muß) und der Spieler stellt nun mittels mehr oder weniger
aufwendiger Verkleidung den von ihm ausgedachten Charakter selbst dar.
Der Handlungsschauplatz kann ein schnödes Waldstück sein, ein alter, ausgedehnter Keller oder auch eine
Burg oder Burgruine. Auf diesem Handlungsschauplatz werden nun bestimmte Bereiche von der Spielleitung je nach
Bedarf abgesteckt und ausgeschmückt. So wird aus dem Keller in der Burgruine ein Kerker, aus der Lichtung im
Wald ein Lager der Orks oder aus der alten, von Efeu überwucherten Bauernkate eine Dorfschenke. Der Phantasie
sind hierbei nur durch die Beteiligten "Requisiteure" und den zur Verfügung stehenden Geldmitteln Grenzen
gesetzt.
Auch die beteiligten Mitspieler (die zur Unkostendeckung meist einen Geldbetrag fürs Mitspielen entrichten
müssen) sind bei der Gestaltung ihres Charakter-Äußeren (Gewandung genannt) gefragt. Turnschuhe und
T-Shirts mögen in der LARP-Hauptsaison (Mai-September) zwar bequem sein, sind aber leider ebenso verpönt
wie sonstige "unstimmige" Kleidungsstücke - auch wenn die meisten Fantasywelten hier eine erstaunliche Toleranz
gegenüber verschiedenen Epochen und Stilen erlauben.
Spielt man also einen Barbarenkrieger, dann sollte man sich schon mal nach einem ausreichend großen
Fellüberwurf umsehen. Als Mimin einer eleganten Hochmagierin ist mitunter schon schneiderisches Können
gefragt - denn Mamas altes Abendkleid mag sich doch als nicht so hilfreich erweisen.
Was die Waffen angeht, ohne die kaum ein gestandener Fantasy-Charakter auskommt, gibt es professionelle
"Polsterwaffenbauer", die Waffen der unterschiedlichsten Stile und Macharten anbieten, und die bei den Kämpfen
(und richtigem Gebrauch) so gut wie keine echten Verletzungen hervorrufen können.
Auch Schminke oder handelsübliche Gruselmasken können beim Live-Rollenspiel zu ungeahnten Effekten
eingesetzt werden. Hier bedienen sich professionelle LARPer bereits im Fundus der normalerweise nur für
Maskenbildner zugänglichen Palette von Hautklebern, Kunstblut und Gebisseinlagen.
Das ganze ist - wie wohl ersichtlich geworden ist - ein sehr viel aufwendigerer Prozeß als die Vorbereitung
einer abendlichen Spielrunde in Mutterns Wohnzimmer. Hier muß alles wichtige vorher genau durchgeplant werden,
damit es im Ablauf später nicht zu groben Aussetzern kommt.
Soviel grob zum LARP und seiner Gestaltung.
An dieser Stelle mag man sich nun sagen: "hm, scheint wirklich eine 'fortgeschrittene' Variante des
Tischrollenspiels zu sein. Hier kann ich jetzt ja ECHT mein Charakter sein, kann RICHTIG gegen die Monster
kämpfen und WIRKLICH Furcht empfinden, wenn mich des nächtens ein Ork aus dem Gebüsch anspringt!"
Das diese Schlußfolgerung leider nur teilweise richtig ist, möchte ich im folgenden näher
erläutern - und dies aus meiner persönlichen Sichtweise und mit persönlichen Erlebnissen durchsetzt.
Natürlich ist es eine spannende und tolle Sache, denke ich mir, für einen Tag, ein Wochenende oder sogar
eine ganze Woche lang in Haut meines Charakters zu schlüpfen, der sich STÄNDIG im Spiel befindet und alle
Entscheidungen spontan treffen muß, manchmal ohne vorher großartig 'drüber nachdenken zu
können. Ich sitze abends am Lagerfeuer oder hocke in der "Schenke", kaufe mit vorher verteilten
"Spielmünzen" meine Verpflegung und Ausrüstung und plaudere mit Gleichgesinnten und Gewandeten. Oder ich
gehe mit anderen Charakteren auf Patrouille und streife mitternächtens durch den Wald, um prompt von einer
Gruppe Zombies überrascht zu werden! Ja, das kann das Adrenalin wirklich in Wallung bringen!
Doch die Ernüchterung folgte leider immer und auch oft: der Typ neben mir, der den Paladin vom Orden der
Lichtfalken spielt, plaudert gerade mit dem Statisten-Bauern (in Wirklichkeit ein Freund von ersterem) über
seine neue PC-Grafikkarte; am Lagerfeuer spielen einige vom Alkohol etwas gelösten Barden plötzlich Songs
von Led Zeppelin; in der Ecke der Schenke steht der Schwarzmagier und spricht gereizt in sein Handy. Die perfekte
"Illusion", so denke ich mir, ist leider noch meilenweit entfernt.
Aber HALT! Es ist klar - die perfekte Illusion darf ich ja auch gar nicht erwarten. Doch mit jeder verstreichenden
Stunde ärgere ich mich mehr über jene "Unverbesserlichen", die sich zwar ständig verhalten - selten
jedoch so, wie ich es von ihrer dargestellten Rolle erwarten würde. Egal, man kann sich ja auch nur an jene
halten, die es ähnlich ernst meinen, wie man selbst - die ihre Rolle gewissenhaft und beständig spielen.
Dennoch: der Gesamteindruck bleibt getrübt.
Aber auch in der Einhaltung von Regeln - ohne die kaum ein Live-Rollenspiel auskommt - tun sich manche LARPer
scheinbar schwer. Gemeinhin beruhen LARP-Kämpfe auf nur wenigen, allgemein gültigen Regeln, die besagen,
wieviele Trefferpunkte man besitzt, wieviel Schaden eine bestimmte Waffe macht, und wann man tot oder wenigstens
bewußtlos ist. Doch so simpel sich die Regeln während der Charaktervorbereitung auch lesen, so
kompliziert scheint deren Einhaltung dann in der Hitze des Gefechtes zu sein - was kaum verwundert. Bei manchem
Getümmel weiß man wirklich manchmal nicht mehr, ob man da eben von hinten getroffen wurde oder der
Verbündete nur gerempelt hat. All diese Unwägbarkeiten sind mir bekannt und werden akzeptiert - nur leider
hält dies manche nicht davon ab, ganz offensichtlich und eklatant gegen Regeln zu verstoßen oder aber
diese zu ignorieren: eindeutige Treffer werden ignoriert, Gegner mit null Trefferpunkten am Bein beteiligen sich an
der Flucht, feindliche Krieger prügeln mit einem Trommelfeuer (Stakkato-Schläge genannt) auf einen ein,
daß regeltechnisch weder zulässig noch sonderlich realistisch ist.
Das es aber gerade bei einem Spiel, in dem mehrere Dutzend (oder auch hunderte) Teilnehmer dabei sind, auf die
Fairneß, Regeleinhaltung und Selbstkontrolle ankommt, scheint vielen abzugehen. Viele sehen ihren
persönlichen Vorteil und ignorieren gerne für sie unangenehme Sachen - ist ja auch praktisch, da die
Spielleitung nicht überall sein kann.
Wieder kommt bei mir Frust auf.
Schlimmer aber - und für mich der Hauptgrund meiner Abkehr von dieser Freizeitbeschäftigung - sind die
aufgeblasenen Egos vieler Larp-Teilnehmer. Dadurch, daß viele über lange Zeit die gleiche Rolle spielen,
scheinen sie nicht immer zwischen Spiel und Realität ausreichend differenzieren zu können. Damit meine ich
nicht, daß sie WIRKLICH glauben, sie seien ihr Charakter, sondern lediglich, daß sie Dinge, die ihrem
Charakter zustoßen oder gesagt werden, persönlich nehmen und auf sich selbst beziehen. Ich habe dies
leider oft feststellen müssen. Jeder will Heinz der Held sein, jeder ist der coolste, jeder der beste, und
jeder hat eine noch tragischere Hintergrundgeschichte als der andere.
Einher mit dem "Ego" vieler LARPer kommt deren Charakterauswahl: nur wenige spielen relativ "normale",
unprätenziöse und "bürgerliche" Rollen - wieso auch? Ist doch Fantasy, da denke ich mir was toll
ausgefallenes aus: Halbvampire und -dämonen, die aber eigentlich lieb sind und nur heilen wollen! Das eine
Schar solch "besonderer" Charaktere auf einem Haufen natürlich nicht mehr sonderlich originell wirkt und es
dazu auch sehr schwierig macht, einen Orientierungsfaden für die Spielwelt zu erstellen, an den sich mein
Charakter halten könnte, dürfte klar sein. Wo sind die erkennbaren Umrisse? Wo sind die Richtlinien
für ein korrektes Auftreten und Verhalten gegenüber bestimmten Kreaturen (sprich: Charakteren)? Wie kann
ein Reich (bzw. der Handlungsschauplatz) angesichts dieser Massenanhäufung von "V.I.P.s" noch regiert oder
kontrolliert werden?
Eigentlich gar nicht. Und dies ist etwas, daß mich privat furchtbar stört. Ich schätze eine
durchdachte Spielwelt, in der die Beteiligten wissen, "wie der Hase läuft". In der man auf bestimmte
Stützpfeiler eine Art "Weltbild" errichten kann, daß nicht an jeder Ecke durch einen von Trollen
großgezogenen und dann von Succubi in der Liebe unterwiesenen Dunkelelfen-Heiler zum Einsturz gebracht wird.
Ich behaupte: die große Teilnehmerzahl der meisten LARPS machen es unmöglich, ein schlüssiges,
kohärentes Ganzes zu präsentieren, das überzeugend und glaubwürdig erscheint.
Hier mal ein gutes Beispiel für die von mir angeprangerten Defizite. Selbst erlebt auf einem LARP-Con vor ein
paar Jahren.
Die Kamikaze-Heilerin:
Ein Spieler trifft auf einen NSC, der in der Rolle eines fernöstlichen Ninja auftritt. Wie sich herausstellt,
ist dieser Ninja der Mörder der Eltern dieses Spielers und eine wichtige Person aus dessen
Hintergrundgeschichte. Ein persönlicher Plot des Spielers scheint jetzt einen Höhepunkt zu erreichen: das
Duell der beiden, mit dem sich der Spieler rächen will! Gesagt, getan - es entbrennt ein Kampf, der - der
momentanen Stimmung und Atmosphäre zuträglich - von keinem der Umstehenden beeinflußt wird. Im
Gegenteil: man weiß, daß dies ein fairer Kampf ist und der Gerechte siegen würde! Und
tatsächlich, der Spieler kann den bösen Ninja zu Boden strecken. Als dieser also so am Boden liegt, zischt
er dem Spieler zu, er möge in der Hölle schmoren etc. pp. Dieser hebt das Schwert zum (im Zusammenhang mit
dessen persönlichen Plot verdienten) Todesstoß an - und plötzlich fällt kreischend eine
Heilerin in den Kreis der Versammelten und ruft mit theatralischer Stimme, daß niemand getötet werden
würde, solange sie am Leben sei. Der Spieler, der soeben einen ihm wichtigen Teil seiner Hintergrundstory zum
"Abschluß" bringen wollte, ist zunächst verdutzt und dann genervt. Dieser Heilerin schmeißt sich
auf den Boden über den verwundeten Ninja und ruft noch theatralischer: "Eher müßt ihr mich
umbringen, ehe ich es zulasse, daß ein Unschuldiger stirbt!". Ich fasse es nicht - und einige der Umstehenden
auch nicht. Der Spieler versucht noch, "in Rolle" auf die Heilerin einzusprechen - er erklärt ihr die
Umstände - doch diese will nix davon wissen und fährt fort, am Boden herumzukrakelen. Es sollte angemerkt
sein, das diese Heilerin in absolut keinerlei persönlichem oder kulturellem Verhältnis zum Ninja steht.
Das ganze endet dann schließlich in einem wüsten Handgemenge, bei dem der Ninja irgendwie doch noch
entkommt und die wild umsich fuchtelnde Heilerin von einigen Personen fortgezerrt wird. Es war - gelinde gesagt -
zum Kotzen. Eine Fantasy-Heilerin mit Jesus-Faktor und Weltretter-Attitüden! Und leider auch nicht die erste,
die ich kenne. Ich habe erst EINEN Heiler erlebt, der dies als ganz normalen Beruf verstanden hätte, mit dem er
sein Brot verdient. Immer die "ich-bremse-auch-im-Regenwald-Heiler"...
Um das Ganze langsam mal zum Abschluß zu bringen: es geht mir hier nicht darum, Teilnehmer an LARPS zu
verunglimpfen. Ich habe in meiner Tätigkeit als Spieler, NSC und Organisator von LARPS viele gute Spieler und
Spielerinnen kennengelernt und natürlich auch viele eindrucksvolle Szenen gehabt, die mir in dem Moment, in dem
sie stattfanden, schon geholfen haben, für einen Augenblick wirklich in einer "anderen Welt" zu sein. Und diese
Momente möchte ich auch nicht missen. Aber diese wenigen schönen Szenen konnten mich nicht dauerhaft vom
LARP überzeugen. Zuviele negative Einbrüche haben mir das Liverollenspielen vermiest. Vielleicht ist es
auch so, daß es gerade beim LARP einen gehäufteren Anteil von Schwachmaten gibt als beim "normalen"
Tischrollenspiel, alldieweil ihnen die Grenzen zum Ausleben bestimmter "Charakterzüge" nicht ganz so eng
gesetzt werden wie beim Tischrollenspiel.
Natürlich kann man auch hier die Spieler selektieren - sich die Créme de la Créme zusammenholen -
doch als ich (und meine damaligen Mitorganisatoren) es einmal vorschlugen, wurde uns prompt eine "elitäre
Anmaßung" vorgeworfen.
Vielleicht bin ich auch nur zu anspruchsvoll und erwarte zu viel. Kann sein. Nur, sorry, wenn ich Zeit und Geld in
etwas investiere, möchte ich sicherstellen, daß es mir auch gefällt. Punkt. Meine Freizeit ist mir
persönlich zu wertvoll, um sie mit "mittelmäßigem" zu verschwenden. Insbesondere dann, wenn ich
über DM 100,- dafür berappen muß.
Grillabende am Lagerfeuer, das Zusammensein mit Freunden, die leise Musik einer Klampfe - all das ist sehr
schön, aber ich werde es in Zukunft nicht mehr mit einem "Rollenspiel" verbinden. Dazu fehlt mir einfach zu
sehr die "Aufhebung" der Wirklichkeit, die ich bei guten Rollenspielabenden am Tisch so schätze.
Soviel zu meiner sehr subjektiven Meinung zum Thema LARP. Sicherlich werden sich viele LARPer jetzt persönlich
angemacht fühlen, aber das nehme ich mal in Kauf. Ihr Hobby will ich den Überzeugten ja gar nicht
abspenstig machen, sondern nur mal den Standpunkt von mir darlegen, der LARPs nicht für die "Weiterentwicklung"
von Tisch-Rollenspielen hält. Im Gegenteil. Ich behaupte, daß es sich lediglich um ein "Cowboy und
Indianer" für "große Kinder" handelt, "Rollenspiel" im eigentlichen Sinne dort aber nur in seltenen
Fällen stattfindet.
Oder wie sind eure Erfahrungen? Könnt ihr die von mir gemachten Beobachtungen teilen? Kommentare sind
erwünscht!
Danke fürs Lesen.
[Olaf Buddenberg]