Die Vernichtung der Downtown Ravens
von Chivalric
Kapitel 5 Seattle, Innenstadt, 20:34 Die Gegend um den Lake Washington war eigentlich das Revier der Troll Killers. Die Gang mit diesem wohlklingenden Namen war sozusagen die Nachwuchstruppe für die ansässigen Policlubs. Ihr Aktivitäten waren fast ausschließlich auf das Töten von Metamenschen, insbesondere von Orks und Trollen, ausgerichtet. Trotzdem hatten es die Downtown Ravens geschafft sich gegen die Troll Killers zu behaupten und sich einen Platz in diesem Gebiet zu sichern. Ihre Gang bestand ausschließlich aus Metamenschen, die meisten waren Orks und Trolle. Wie fast jeden Abend waren alle 14 Mitglieder der Gang in einer alten Bar am Rande eines verlassenen Industrieviertels versammelt. Martha beobachtete schon geraume Zeit das neueste Mitglied ihrer Gang; er hieß Jeremy und war genau wie sie, ein Troll. Ein ziemlich muskulöser Troll. Obwohl seine Hörner noch nicht ganz ausgewachsen waren, vermutete sie, dass er wenig älter als sie war. Schon als sie ihn vor einer Woche das erste Mal gesehen hatte, hatte sie einen Blick auf ihn geworfen. Er war genau der Typ Mann den sie sich wünschte. Kräftig, selbstbewusst und nicht ganz so gewalttätig und flegelhaft wie die meisten anderen Trolle und Orks, die gegenüber den anderen Rassen eine deutliche Mehrheit in der Gang bildeten. Die Minderheit wurde von drei Elfen und einem Zwerg namens Candyman gebildet. Diesen Namen verdankte er seiner fast unersättlichen Lust nach Süßigkeiten. Für ihn waren süße Schleckereien das, was für andere Zigaretten waren. Er wurde regelrecht nervös, wenn er längere Zeit ohne sie auskommen musste, aber ansonsten war er ein netter Kerl. Jeremy saß an der Bar und unterhielt sich mit Sonny, dem Anführer ihrer Gang. Trotz seiner gelegentlichen Ausraster hielt Martha den Ork für einen geeigneten und fähigen Führer ihrer Gang. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie Mindy erst bemerkte, als sie ihr Gesicht vor ihr eigenes schob, um Martha auf sich aufmerksam zu machen. "Hey, reiß dich zusammen. Dir fallen ja fast die Augen aus dem Kopf." Mindy war Sonnys Freundin und hatte offensichtlich bemerkt, wie sie Jeremy die ganze Zeit angestarrt hatte. Martha war das so peinlich, dass ihr die Röte ins Gesicht schoss. Das machte ihren Versuch, sich aus der unangenehmen Situation zu befreien nicht gerade glaubwürdiger: "Was meinst du? Ich hab nur gerade nur über einen Film nachgedacht, den ich neulich gesehen habe." Mindy wischte ihre Erklärungsversuche mit einer ärgerlichen Geste beiseite: "Du kannst mir nichts vormachen. Sogar Kronos", sie zeigte auf den einfältig grinsenden Ork am anderen Ende des Raum "hat bemerkt, dass du schon ganzen Abend Jeremy anglotzt, als wäre er der Liebesgott höchstpersönlich. Geh doch mal einfach mal zu ihm rüber. Wenn du ihn nur anglotzt, wirst du wohl kaum bei ihm landen." "Ich gefalle ihn bestimmt nicht. Mit seinem Aussehen kann er doch jede haben." Sie schaute Mindy aus traurigen Augen an. "Blödsinn! Na los, geh schon zu ihm rüber. Ich lenke Sonny ein wenig ab." Sie vergrößerte ein wenig ihren Ausschnitt und grinste Martha verschwörerisch an. Martha zögerte noch kurz, gab sich dann aber einen Ruck und ging mit klopfenden Herzen zur Bar, sobald sich Mindy und Sonny in Richtung Schlafzimmer verdrückt hatten. Als sie war nur noch wenige Meter von ihm entfernt war, bekam sie plötzlich Angst vor der eigenen Courage und wollte schon wieder auf ihren Platz zurückkehren, als Jeremy sich von seinem Platz erhob und geradewegs auf sie zuging. Ihr Herzschlag erhöhte sich noch einmal und sie brachte kaum mehr ein Krächzen heraus, als sie ihn begrüßen wollte: "Hi, ich bin Martha." Sie verfluchte sich für ihre einfallslose Gesprächseröffnung, aber in Jeremys Gegenwart konnte sie einfach keinen klaren Gedanken fassen. Jeremy öffnete gerade seinen Mund, um etwas zu erwidern, als Martha plötzlich ein glühenden Schmerz an ihrer Schläfe verspürte und gleichzeitig einige Spritzer einer warmen Flüssigkeit auf ihrem Gesicht bemerkte. Auch als ein ohrenbetäubender Lärm die Szenerie erfüllte und Jeremy, wie vom Blitz getroffen nach hinten kippte, realisierte Martha die Situation noch nicht. Jeremys Körper war gegen die Bar gesunken, was Martha einen Blick auf sein Gesicht ermöglichte. Anstelle seines rechten Auges war ein blutiger Krater aus Fleisch und Knochen getreten. Marthas Gedanken überschlugen sich. Sie sah jetzt viele ihrer Freunde zu Boden gehen, erkannte den Lärm als das typische Stakkato von automatischen Feuerwaffen, hörte die Einschläge von Projektilen und die Schmerzensschreie ihrer Freunde und realisierte endlich die Situation. Die Bar, die gleichzeitig ihr Hauptquartier darstellte, wurde von zwei Seiten durch die Glasfenster unter heftigsten Beschuss genommen. Niemand versuchte ihn aufzuhalten. Martha wagte einen Blick an der Theke vorbei. Der Ork, dessen Namen sie nicht einmal gekannt hatte, hatte es tatsächlich ohne Verletzung bis zur Tür zu geschafft. Dort kniete er sich kurz auf den Boden, um seine Waffe nachzuladen. "Bleib hier, Mann. Die legen dich um, sobald du die Tür öffnest." Martha und Candyman redeten vergeblich auf den Ork ein. Er schien noch nicht einmal ihre Stimmen zu hören. Hektisch lud er seine Pumpgun durch, trat mit dem Fuß die Tür ein und feuerte noch einen Schuss ab, bevor er von einem Kugelhagel durchsiebt wurde. Die Einschläge der Kugeln ließen seinen Körper spastisch zucken, bis er endlich auf die Knie fiel und nach vorne kippte. Erst dann schwiegen die Waffen, stattdessen konnte man das perverse Gelächter der Angreifer hören. Martha warf einen Blick in die Runde, aber alle senkten den Blick, als wären sie sich ihrer Mitschuld am Tod des Orks bewusst. Keiner war ihm nachgelaufen, keiner hatte ihn festgehalten. Aber Martha konnte keinem einen Vorwurf machen. Auch sie hatte es nicht verhindert. "Kronos und Roper sind tot. Tremaine ist schwer verletzt.", sagte Candyman mit tonloser Stimme. "Tremaine ist tot, Jeremy auch.", berichtigte Martha den Zwerg. Sie sagte das, als würde die Zutaten einer Pizza vorlesen. Etwas hatte von ihr Besitz ergriffen, was so alt wie der Mensch selber war. Ein uralter Überlebensinstinkt hatte die Kontrolle übernommen und alle störenden Gefühle beiseite geschoben. Im Moment trauerte sie weder um Kronos, noch um Roper -sie vermutete der durchsiebte Ork-, noch um Tremaine und auch nicht um Jeremy. Alle Gedanken waren auf ein Ziel hingerichtet: Überleben! "Noel" Er war einer der Elfen. "ist auch tot und ich... ich spüre meine Beine nicht mehr." Die Stimme gehörte zu Thorn, dem Ork. Auch er konnte seine aufkeimende Panik kaum unterdrücken. Sie waren zwar schon öfters in Schießereien geraten, aber noch nie waren ihre Vorraussetzungen so schlecht gewesen. Innerhalb von 30 Sekunden waren fünf ihrer Leute tot und einer schwerverletzt, wer konnte da schon ruhig bleiben. Martha sah sich Thorn genauer an. Das Blut an der Wand hinter ihm wies auf eine Beschädigung der Wirbelsäule hin. Sein Gesicht war aschfahl. Martha vermutete, nein sie wusste, dass er ohne Behandlung innerhalb einer Stunde sterben würde. Sonny brüllte ihnen seine Anweisungen entgegen: "Wir verschwinden durch die Hintertür. Ich, Zack und Zeus gehen voran." Die beiden Trolle nickten. "Martha, du trägst Thorn nach draußen, Ok?" Sie nickte. "Lasst die Köpf unten, bis wir bei der Tür sind. Wenn wir draußen sind, versucht zu euren Fahrzeugen zu gelangen. Jeder ist dann auf sich allein gestellt. Wir treffen uns morgen Abend in Pandoras Box. Alles klar?" Schweigen. "Dann los!" Sonny übernahm die Führung. Weil die Flammen immer näher beeilten man sich in den Nebenraum zu gelangen. Martha nahm Thorn so gut es ging auf den Rücken und kroch auf allen Vieren hinter den anderen her. An der Hintertüre angekommen, wurde noch eine kurze Pause gemacht, um die Waffen nachzuladen und um sich gegenseitig viel Glück zu wünschen. "Gefahr!", wisperte eine leise Stimme in einem entfernten Winkel in Marthas Kopf. Martha ignorierte sie. Sie war für jegliche Überlegung oder Vermutung unzugänglich. Außerdem wäre es ohnehin zu spät gewesen. Sonny stieß die Tür auf und stürmte, gefolgt von Zeus und Zack, nach draußen. Martha und die anderen folgten ihnen. Fast augenblicklich brüllten mehrere großkalibrige automatische Waffen auf. Martha durchquerte als letzte die Türe, war ihr vermutlich das Leben rettete. Sobald sie freie Sicht auf das Szenario hatte, erkannte sie Sonnys fatalen Irrtum. Ihre Angreifer hatten darauf spekuliert, dass sie diesen Weg wählen würden. Und sie hatten sich vorbereitet. Sie zählte mindestens fünf Mündungsfeuer auf den Dächern der umliegenden Häuser und mindestens weitere fünfzehn hinter Häuserecken, Autos oder auf freier Flur. Zack deckte mit seinem massigen Körper den Eingangsbereich der Türe und deckte die Angreifer mit einem Kugelhagel aus seiner Ingram Valiant ein. Eine Kugel nach der anderen fand ihr Ziel in dem riesenhaften Körper des Trolls. Er hätte eigentlich schon längst tot sein müssen, aber immer noch spuckte sein MG Tod und Verderben auf den Gegner. Als bereits der dritte Angreifer durch ihn den Tod gefunden hatte, schlug eine Salve seinen Kopf und brachte sein MG für immer zum Schweigen. Dadurch dass Zack einen Großteil des Feuers auf sich lenkte überstand der Rest der Gruppe wenigstens die ersten Meter fast unverletzt. Mindy, Zeus und Sonny bildeten vor Martha, Candyman und einer Elfin einen lebenden Schutzwall. Sie schossen aus allen Rohren, aber viel zu selten fand eine ihrer Kugeln ihr Ziel, zu gut war die Deckung ihrer Feinde. Martha glaubte einen der Dachschützen getroffen zu haben, als etwas neben ihrem Kopf explodierte und ihr auf einem Ohr das Gehör nahm. Thorn klammerte sich mit einer Hand an ihr fest und schoss direkt neben ihrem Ohr mit seiner schweren Pistole auf den Gegner. Das hatte sie anscheinend taub gemacht. Für einen kurzen Augenblick glaubte Martha entkommen zu können, als Mindy mehrmals am Bein getroffen wurde und zu Boden ging. Mit einem verzweifelten Schrei machte Sonny kehrt, um seine Freundin zu retten. Kurz bevor er sie erreicht hatte, näherten sich Einschläge einer Automatikwaffe und erreichten schließlich die Orkfrau. Ihr Körper zuckte noch einmal kurz auf und erschlaffte dann alle Zeit. Sonny brüllte vor Schmerz auf und entleerte das komplette Magazin seiner Automatik-Pumpgun auf den Mörder seiner Freundin. Er wurde mehrmals getroffen, schien die Verletzungen aber gar nicht zu spüren. Was Sonny als nächstes tat, sollte Martha für lange Zeit in ihren Träumen immer und immer wieder miterleben. Mit der Mine, eines dem Tode geweihten entsicherte er zwei Granaten und steuerte mit vollem Tempo auf ein Auto zu, das drei der Angreifer als Deckung benutzten. Obwohl er einige Male getroffen wurde, reduzierte sich seine Geschwindigkeit kaum. Mit letzter Kraft sprang er über die Motorhaube des Wagens. Es war das letzte was Martha von ihm sah. Zwei kleineren Explosionen folgte eine größere, als das Auto in die Luft ging und vier Menschen zu Asche verbrannte. Dann spürte Martha einen stechenden Schmerz knapp unter ihrem rechten Schlüsselbein. Gleichzeitig wurde sie um die Last auf ihrem Rücken erleichtert. Marthas Verstand konnte diesem Umstand zunächst nicht in eine Information umsetzen. Erst als sie zusammen mit Zeus und Candyman und der Elfin -sie hieß Victoria, erinnerte sich Martha- für kurze Zeit hinter einer Häuserecke in Deckung waren, erkannte sie, dass sie Thorn verloren hatte. Sie sah ihn in zehn Meter Entfernung auf dem Boden liegen, mitten in der Schusslinie des Feindes. Aber er lebte noch. Sie verließ die Deckung, um ihn zu holen, wurde jedoch durch Zeus starken Griff an ihrem Arm festgehalten. "Er ist tot. Du kannst ihm nicht mehr helfen." Martha hätte sich trotzdem losgerissen, wenn sie nicht einen plötzlichen Schmerz in ihrem Unterleib gespürt hätte und zurück in die Deckung taumelte. Ungläubig schaute sie auf das Blut an ihren Bauch und an ihren Händen. Dieser Anblick klärte ihren Verstand. Sie sah ein, dass für Thorn keine Rettung mehr gab. Sie warf einen Blick auf den kümmerlichen Rest ihrer Gang. Zeus blutete aus vielen Wunden, schien es aber überleben zu können. Bei Candyman war sie sich schon nicht mehr so sicher. Sein linker Arm hing schlaff an seinem Körper herunter. Mehr zu schaffen machte ihm jedoch die stetig blutende Wunde an der Stelle seines rechten Lungenflügels. Sein Gesicht war blutleer und Blut troff aus seinem Mund. Einzig Victoria schien bisher ohne Verletzung davon gekommen zu sein. Trotzdem war es nur eine kleine Verschnaufpause - sie mussten weiter. Sie rannten zu der Halle, in der ihre Fahrzeuge unterbrachten. Martha verfluchte das diffuse Licht der wenigen intakten Straßenlampen. Sie brauchten es nicht, aber für ihre Gegner waren sie wesentlich leichter auszumachen. Trotzdem erreichten sie die Halle unbehelligt. Das große Tor war geschlossen machte sich gerade daran, den Schalter zu betätigen, um das Tor zu öffnen. Für kurze Zeit verlor sie das Bewusstsein, kam aber vor der Victoria wieder auf die Beine. Durch die Explosion war auch ihr anderes Ohr taub geworden, was ihr das Gefühl vermittelte eine ganze Menge Watte im Gehörgang zu haben. Außerdem war ihre ganze linke Seite vollkommen gefühllos. Damit hatte sie die ganze Wucht der Explosion abgefangen, was sich durch einige hässliche Fleischwunden, -verursacht durch herumfliegende Mauerstücke- bemerkbar machte. Zu ihrer Erleichterung stellte sie fest, dass sie anscheinend trotzdem von ernsthafteren Verletzungen verschont geblieben war, zumindest konnte sie noch gehen. Dann erinnerte sich an Victoria. Durch Marthas massigen Körper gedeckt, hatte der Großteil der Explosion ihren zierlichen Körper verfehlt, ansonsten wäre sie wohl getötet worden. Obwohl Martha nichts mehr hören konnte, fürchtete sie eventuelle Verfolger. Deswegen beeilte sie sich, den bewusstlosen Körper der Elfin aufzunehmen und weiter in die Gasse hinein zu laufen. Jedoch erlangte sie schon nach wenigen Minuten Metern das Bewusstsein wieder und so bog Martha nur noch in die nächste Abzeigung ein und setzte Victoria dann ab. Nach wenigen Augenblicken der Desorientierung, schien sie sich wieder an die Geschehnisse des Abends zu erinnern. Im Laufschritt erklärte Martha der Elfin ihren weiteren Plan: "Bei der nächsten Abzweigung gehen wir nach links. Da gibt's einen Eingang zur alten Kanalisation." Martha kannte diesen Eingang noch aus ihren Kindertagen, damals war es ein ausgezeichneter Platz beim 'Verstecken spielen' gewesen. Heute würde er ihnen vielleicht das Leben retten. "Wir können dann den Block verlassen und sind vorerst in Sicherheit." Victoria nickte nur. Ihrem verstörten Gesichtsausdruck konnte man entnehmen, dass sie den plötzlichen Tod ihrer Chummer noch nicht realisiert hatte. Martha wähnte sich schon in Sicherheit und bog daher sorglos in die nächste Gasse ein. Plötzlich sah sich zwei jugendlichen Norms gegenüber. Sie trugen das Gangoutfit der Troll Killers. Damit war klar, sie hatten den Angriff verübt. Auf einmal ergab das verdächtig ruhige Verhalten der Gang in den letzten Wochen Sinn. Ihr einziges Ziel war gewesen, ihre Aufmerksamkeit einzuschläfern und dann mit einem einzigen vernichtenden Schlag ihre Gang, die Downtown Ravens auszuschalten. Die beiden Jugendlichen vor ihr, waren Mitschuld an dem Tod ihrer Freunde. Martha verspürte die pure Mordlust. Sie griff zu ihrer Waffe, um wenigstens den Tod zweier Freunde zu rächen. Ihre Hände fanden den Weg zu ihrem Holster - sie griffen ins NIchts. Glühend heiß durchzuckte sie die Erkenntnis: Sie hatte die Waffe in der Hand gehabt, als die Explosion sie zu Boden schleuderte. Sie war nicht in ihrem Holster. Sie war irgendwo unter dem Schutthaufen in jener Gasse. In diesem Augenblick unendlich weit weg. Als die Trollfrau plötzlich vor ihnen auftauchte, waren die Ganger vor Schreck erstarrt. Sie hätten nicht den Hauch einer Chance gehabt. Dann bemerkten sie den ergebnislosen Griff nach ihrer Waffe, ein bösartiges Lächeln erschien auf dem Gesicht des älteren. Genüsslich griff er langsam nach seiner eigenen Waffe. Martha blieb nur eine Wahl. Mit zwei großen Schritten überbrückte sie die Entfernung zwischen sich und dem Ganger - er drückte ab. Marthas Angriff wurde zu einem unkontrollierten Torkeln. Trotzdem schaffte sie es irgendwie den Ganger zu erreichen und mit zu Boden zu reißen. Sein Kopf schlug hart auf dem Boden auf, die Pistole entglitt seinen Händen. Martha ignorierte den Schmerz der neuerlichen Verletzung und attackierte den Ganger mit ihren bloßen Händen. Sie kanalisierte all die Wut und den Schmerz den der Tod ihrer Freunde verursacht hatte und entlud ihn auf den Kerl unter ihr. Ihre riesenhaften Hände umschlossen seinen Hals. Innerhalb weniger Sekunden erschlaffte der Körper unter ihren Händen. Martha hätte ihn vermutlich noch viel länger gewürgt, wenn nicht ein Pistolenschuss den Bann gebrochen hätte. Ein Blick nach oben ließ sie in die Mündung einer Schrotpistole blicken. Dann fiel die Waffe zu Boden und der Ganger folgte ihr. Marthas nächster Blick galt Victoria. Sie stand mit rauchender Pistole an der Häuserecke, ihre Hände zitterten. Langsam nahm sie die Waffe herunter, nickte Martha zu und ging mit kleinen Schritten auf sie zu. Martha zeigte wortlos auf den Treppenabgang und warf noch einen Blick auf die beiden Ganger. Der ältere war tot, der jüngere würde es wenigen Minuten sein. Martha wartete auf ein Gefühl des Triumphes oder der Genugtum, aber alles was sie fühlte, war Leere. Humpelnd folgte sie der Elfin in die Schwärze des Kellers. Die Wirkung des Adrenalins ließ nach. Bei jedem Schritt spürte sie eine Woge des Schmerzes durch ihren Köper fluten. Sie brauchte schleunigst ärztliche Behandlung.
Sie hatten einen Grund zu feiern. Vor etwa einer Stunde war es ihnen gelungen eine rivalisierende Gang davon zu ‚überzeugen', dass sie sich künftig ein anderes Revier suchen mussten. Es war einer jener Kämpfe gewesen, die Martha schätzte. Ein fairer Kampf auf offener Straße, ohne Hinterhalt. Auf der einen Seite die Sturmkrähen, eine marodierende Orkgang, auf der anderen Seite Martha und die Donwtown Ravens. Es war ein kurzer, aber heftiger Kampf gewesen. Es war schnell klar geworden, dass die Sturmkrähen nur wenig Erfahrung im Kampf gegen einen gleichwertigen Gegner hatten. Gewöhnlich hatten sie sich auf Raubzüge gegen die Zivilbevölkerung beschränkt und waren härteren Auseinandersetzungen aus dem Weg gegangen. Dies hatte sich jetzt gerächt. Die Sturmkrähen waren jetzt wenig mehr, als eine zerschundene Bande von bewaffneten Pennern.
Erst jetzt warf Martha sich zu Boden, griff zu ihrer Pistole und versuchte hinter die Bar zu kriechen, um sich etwas Schutz zu verschaffen. Währenddessen ließ sie ihren Blick hektisch durch die Bar schweifen. Sie erkannte nur wenige Meter von sich entfernt den Elfen Tremaine, der Blut überströmt am Boden lag und verzweifelt versuchte hinter die schützende Theke zu gelangen. Mit grenzenloser Panik in den Augen streckte er ihr seine Arme hilfesuchend entgegen. Trotz ihrer eigenen Angst versuchte sie ihn zu helfen, als sein Körper plötzlich erschlaffte und man an seinem starren Blick erkennen konnte, dass für ihn jede Hilfe zu spät kam.
Martha hatte zwar schon öfter Menschen sterben, aber noch nie hatte sie einem in dem Augenblick seines Todes in die Augen gesehen. Dieser Anblick ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren und ihre Atmung aussetzen. Trotzdem konnte sie den Blick nicht von dem toten Körper des Elfen abwenden. Sie nahm das Chaos um sich herum nicht mehr wahr, war wie paralysiert, nicht mehr fähig sich zu bewegen, obwohl sie sich der tödlichen Gefahr, in der sie schwebte durchaus bewusst war. Von einem Augenblick auf den anderen schwiegen die Waffen und Martha kam es so vor, als würden selbst die Schmerzensschreie ihrer Chummer für diesen Moment verstummen. Diese plötzliche Stille vermochte das, was all der Lärm zuvor nicht vermocht hatte. Sie konnte endlich den Blick von Tremaine abwenden, ihre Atmung setzte wieder ein, das Blut pulsierte wieder in ihren Adern und sie begann sich hinter die schützende Theke.
Hinter der Theke hatten sich die meisten Überlebenden der Gang versammelt und schossen vereinzelt aus der Deckung. Jedoch weniger mit der Hoffnung einen ihrer Gegner zu treffen, als vielmehr, um wenigstens irgendetwas in dieser beschissenen Situation zu tun. Ihre Chancen standen nämlich denkbar schlecht. Obwohl es draußen schon dunkel, konnten sowohl Martha, als auch alle anderen Gangmitglieder ihre Angreifer gut sehen. Ein Vorteil gegenüber den Norms, der sich im Moment jedoch dadurch ausglich, dass die Bar hell erleuchtet war, und somit jede Person im Innern von draußen spielend leicht ausgemacht werden konnte.
"Drek, Drek, Drek! Kronos hat's erwischt!" Die Stimme des Orks überschlug sich regelrecht. "Ihr Wichser. Ich leg euch alle um!" Bevor irgendjemand reagieren konnte war er aufgesprungen und rannte zur Tür, wobei laut brüllend mit seiner Pumpgun durch die Fenster feuerte.
Jetzt kamen Sonny und Mindy aus dem Nebenraum ebenfalls hinter die Theke gekrochen. "Wir sind umzingelt, aber dem Lärm nach zu urteilen, sind an der Hintertür nur wenige postiert. Wie steht's mit unseren Leuten? Wie viele können noch eine Waffe abfeuern?" Das war der Grund, weswegen Martha Sonny für einen fähigen Führer hielt. Er geriet nicht in Panik, sondern analysierte nüchtern die Situation, um eine möglichst gute Überlebenschance für seine Leute zu gewährleisten.
Alle Blicke waren jetzt auf Sonny gerichtet. Sie setzten all ihre Hoffung, lebend diesem Massaker zu entkommen, auf ihren Anführer. Die Entscheidung wurde ihm praktisch abgenommen, als mehrere Molotow-Cocktails durch die Bar geflogen kamen und sofort den morschen Bretter-Boden und die Theke entzündeten. Ein Schmerzensschrei aus der Ecke des Raumes ließ Martha aufhorchen. Im Spiegel konnte sie sehen, wie einer ihrer Leute panisch versuchte das Feuer an seiner Kleidung zu löschen. Allerdings wälzte er sich nicht auf dem Boden, sondern er stand auf und versuchte hektisch die brennende Kleidung auszuziehen. Dabei geriet er in das Schussfeld der Angreifer und Martha musste schon wieder einen ihrer Freunde sterben sehen.
"Gefahr!", wisperte eine Stimme in Marthas Kopf. Dieses Mal hörte die darauf. Ohne zu überlegen, bog sie in die daneben gelegene Seitengasse und zog Victoria einfach mit sich. Sie konnte noch einen kurzen Blick auf Candymans und Zeus fragende Gesichter werfen, als das halbe Mauereck der Halle von einer Explosion weggerissen wurde Martha von der Druckwelle zu Boden beschleudert wurde.