Interview mit Cassandra Run I - Stefan Gnad
von Ingo "Greifenklaue" Schulze
Cassandras Run ist ein Cyberpunkhörspiel, das neben der Radioversion im Radio Z auch kostenfrei im Internet zum Download angeboten wird, aber eine recht hohe Produktionsqualität aufweist. Das Szenario: Nürnberg hat sich in der Zukunft zu einer Enklave des Norcon-Konzerns entwickelt und nur noch wenige Freidenker wehren sich dagegen. Dazu gehört der Radiomoderator Sul, der mit seinen Brains und den Runnern Cassandra und Donn DareDevil dem Großkonzern Steine in den Weg legt.
Da das Team von Cassandras Run gerade eine Live-Aufführung macht und ich von den vier bisher erschienenen Folgen begeistert bin, habe ich die Gelegenheit genutzt und mit einem der Macher gesprochen. Stefan Gnad war so freundlich, mir Rede und Antwort zu stehen. Welche Rolle er bei Cassandras Run hat, darf er uns aber gleich selber erzählen.
Greifenklaue: Hallo Stefan. Stell Dich doch erstmal vor und erzähl uns, welche Rolle Du bei der Produktion von Cassandras Run spielst!
Stefan Gnad: Grüß Gott zuammen. Mein Name ist Stefan Gnad, ich bin einer von fünf Menschen hinter der interaktiven Dark Future-Hörspielreihe Cassandra's Run aus Nürnberg. Ich schreibe, schneide, hirne, kämpfe, koordiniere ... und habe bei den Aufnahmen meistens die Dialogregie. Die anderen im Team sind Sabine Reichel (sie spricht die Cassandra) und Peter Romir (spricht den Sul, schreibt einen Großteil der Stücke und ist der kreative Motor hinter der Saga) sowie die Kreativ-Taskforce Jörg Pelleter und Sven Rödig. Letzterer verpaßt Cassandra's Run außerdem die Optik und kümmert sich um die Homepage. Zusammen sind wir hör-Q-nst Nürnberg.
Greifenklaue: Wie kommt man dazu, ein Hörspiel für ein Radio zu produzieren ‐ und wie gelingt es bei der Produktionsqualität diese auch noch kostenlos im Netz anzubieten?
Stefan Gnad: Long story long: Ich bin seit zwölf Jahren bei Radio Z (www.radio-z.net), einem kleinen linken Alternativ-Radio hier in Nürnberg. Bei dem wöchentlichen Heavy Metal Magazin Zosh! (www.zosh.de) sind meine Mitmoderatorin Axl und ich irgendwann Mitte der 90er Jahre auf die Idee gekommen, einen Live-Hörspielabend zum Mitspielen zu machen - eben weil wir aus der Rollenspielecke kommen.
Wir haben dann damals eines dieser vorzüglichen Rollenspielbücher von Steve Jackson und Ian Livingstone - ich glaube, es war "Die Stadt der Diebe" - mit ins Radio gebracht, die Geschichte vorgelesen und die Hörerinnen und Hörer aufgefordert, anzurufen und zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Was auch supergut ankam. Mit dabei am Radio war damals auch der Jörg (Pelleter), der uns daraufhin einen langen Hörerbrief geschrieben hat. Ich schrieb zurück, irgendwann haben wir uns in einem Irish Pub getroffen und rumgesponnen, so was doch noch mal zu machen, aber dann größer, Science Fiction und was eigenes. In unserer Heimatstadt Nürnberg sollte es auch spielen.
Jörg hat daraufhin einen simplen kleinen Run geschrieben - mit einer Runnerin, die ins Komm (heute: K4) eindringt und dort eine Bombe platziert. Als das Manuskript fertig war, hatten wir jedoch keine Ahnung, wie wir das umsetzen sollten - also landete die Geschichte in der Schublade. Dort blieb sie ein paar Jahre liegen, bis ich 1999 über das Medienzentrum Parabol (www.parabol.de) Peter Romir kennenlernte. Und der war der Schlüssel zur Umsetzung. Also ihn und Jörg an einen Tisch gebracht und die Daumen gedrückt, dass die beiden sich verstehen würden ‐ strike! Nerds unter sich, Ihr kennt das ja sicherlich: Schon nach zehn Minuten war man gemeinsam an Hirnen und Planen und Ideenstürmen ...
Mit Pets Studio- und Technikwissen konnten wir dann tatsächlich unser erstes eigenes interaktives Hörspiel realisieren. Über Pets Bruder Markus, der damals auch den Namen Cassandra vorschlug, sind wir an die Hummel (Sabine Reichel) gekommen, die ganz anders klang, als wir uns unsere Runnerin vorgestellt hatten ‐ aber eben schon beim ersten Vorsprechtermin einzigartig war. Sven war der letzte, der zum Team stieß ‐ ihn habe ich auf einer Gothic-Party getroffen, für die er die Plakate designt hatte. Tja, und so entstand zum Jahrtausendwechsel "Cassandra"s Run" ...
Was die Produktion angeht: Das Ding ist klar ein Hobbyding, allerdings wachsen halt mit der Zeit die Ansprüche an einen selbst, was Sprecher, Verpackung, Optik undsoweiter betrifft. Wir produzieren jedoch nach wie vor in den Parabol-Studios, wo Pet arbeitet ... und schneiden zu Hause an unseren Rechnern. So halten wir die Kosten extrem niedrig. Anders ginge es aber auch gar nicht.
Greifenklaue: Beschreibe doch einmal die Welt von Cassandra's Run aus Deiner Sicht.
Stefan Gnad: Es ist eine düstere Version unserer geliebten Heimatstadt, die in gar nicht mehr so ferner Zukunft verankert ist. Vieles hat sich geändert, vieles erstaunlicherweise aber auch nicht ...
Greifenklaue: Cassandra's Run thematisiert ja eine düstere Cyberpunkwelt. Was waren die Inspirationsquellen und gehören auch Rollenspiele wie Shadowrun oder Cyberpunk 2020 dazu?
Stefan Gnad: Shadowrun war ohne Frage ein großes Vorbild ‐ wobei meines Wissens nur der Jörg da tiefer eingestiegen ist und das auch wirklich gespielt hat. Ich kannte das Szenario grob und fand es unglaublich faszinierend, habe damals jedoch ausschließlich Das Schwarze Auge gezockt (und ein bisschen Paranoia zwischendurch, falls das noch wer kennt). Aber davon abgesehen sind sich diese ganzen düsteren Zukunftswelten und -visionen schon sehr ähnlich und schöpfen alle aus dem selben Topf ‐ ob du William Gibson ("Die Neuromancer-Trilogie) nimmst oder die Hörspielwelt von "Jonas, dem letzten Detektiv", Filme wie "Bladerunner", "Mad Max" und "Logan"s Run" oder meinetwegen auch Computerspielklassiker wie "Elite" oder das "Somewhere In Time"-Album von Iron Maiden ‐ das passt dann schon alles prima zusammen. Zumindest in unserer Welt.
Greifenklaue: Mittlerweile gibt es vier Hörspiele zu Cassandra's Run und eine mehrmalige Live-Aufführung. Wie kam es denn zu letzterer?
Stefan Gnad: Der Bayerische Rundfunk fragte 2006 für sein hörMAL!-Festival an, ob wir nicht "Die M-Zone" noch mal live dort spielen könnten. Auf eine Wiederholung aus der Konserve hatten wir keine Lust, aber wir haben im Gegenzug vorgeschlagen, ein neues Abenteuer zu schreiben, das diesmal komplett auf den Live-Einsatz ausgelegt ist. Und so lief das dann auch. War ein wenig stressig, weil wir zu dieser Zeit parallel ja auch an "Schratherbst" gebastelt haben und außerdem WM war. Aber Jörg hat uns dann einen verträumten kleinen Garten in der Nähe von Hersbruck organisiert, wohin wir uns eine Woche zurückgezogen und wie wild geschrieben haben (und nebenher immer ins Dorf gelaufen sind, um die Spiele zu sehen). Die Premiere von "Willy Blau" fand dann am 7. Juli 2006 im Park des Bayerischen Rundfunks statt und war ein Erfolg.
Greifenklaue: Und wo gibt es Chancen, Euch zu sehen?
Stefan Gnad: Wir wollten eigentlich versuchen, eine kleine Tournee zusammenzustellen, aber das gestaltet sich schwierig. Deshalb wird es Willy Blau in den nächsten Jahren wohl immer mal wieder zwischenrein geben. Geplant sind für 2007 bis jetzt eine Show beim hörthört!-Festival in Fürth (7. Juli 2007, 19 Uhr, Stadtpark Fürth) und zu Halloween in Oberhausen. Falls jemand eine Adresse kennt, wo wir spielen könnten oder uns selbst buchen möchte: Schreibt uns! Ansonsten werden alle Auftrittsdaten natürlich sofort auf www.cassandrasrun.de bekannt gegeben.
Greifenklaue: Der bisherige Erscheinungszyklus ist ja ein jährlicher. Warum ist das so?
Stefan Gnad: "Das hat sich so entwickelt. Zwischen dem ersten und dem zweiten Teil lagen noch zwei, zwischen dem zweiten und dem dritten Teil drei Jahre. Seither haben wir aber pro Jahr eine neue Folge rausgehauen, das stimmt. Woran das liegt? Ich denke mal, an der wachsenden Routine. Und an der zunehmenden Priorität, die das Projekt für uns alle im Leben bekommen hat. Und dann ist es einfach so, dass wir derzeit ziemlich viele coole Ideen auf Halde haben, die eigentlich alle danach schreien, umgesetzt zu werden. Wenn irgendwann die Luft raus ist und uns nix mehr einfallen sollte, dann hören wir einfach auf. Oder setzen aus.
Greifenklaue: Gibt's neue Folgen bald häufiger?
Stefan Gnad: Nö, ich denke mal nicht. Cassandra"s Run ohne Budget nebenher zu machen ist immer ein Kraftakt, und der wird ja nicht leichter im Leben. In unserer Revolutionskasse herrscht jedenfalls gerade mächtig Ebbe. Da muss man sehen, wie es mit der Saga weitergeht ....
Greifenklaue: Die Hörspiel-Szene ist ja am Boomen und viele neue gute Serien haben das Licht der Welt erblickt. Was sind da Deine Favoriten?
Stefan Gnad: Ich kann da natürlich nur für mich persönlich sprechen ‐ nicht für den Rest des Teams. Zum einen habe ich mich wie ein kleines Kind über die Wiederveröffentlichung der fantastischen Dark Future Hörspielsaga "Der letzte Detektiv" auf CD gefreut (www.hoerverlag.de). Michael Koser ist mein Held! Seinen Geschichten habe ich als kleiner Junge jede Woche mit großen Ohren im Radio gelauscht, sie waren ein riesiger Einfluss - auch für Cassandra"s Run. Ebenfalls aus der Feder von Michael Koser und jede Sünde wert ist die Reihe "Die Denkmaschine" von und mit Professor Dr. Dr. Dr. Augustus van Dusen. Meine aktuelle Lieblingsreihe ist "Peter Lundt, blinder Detektiv" von Arne Sommer ‐ klasse Idee und ganz toll umgesetzt (www.hoerformat.de)!
Dann ist da natürlich die Arbeit der "Ferienbande" (www.ferienban.de), die vor allem auch live immer ein Erlebnis ist. Ich bin ja jedes Mal auf"s Neue überrascht, was die Kollegen alles aus dieser rasend witzigen Jugendhörspiel-Parodie zaubern ... Schwer unterhalten haben mich zuletzt auch "Die Blaue Donau" von Ludwig Bemelmans Erschienen bei dem kleinen LOhrbär-Verlag in Regensburg, und die Musikerbiografie "Fleisch ist mein Gemüse", gelesen von Heinz Strunk (tacheles/Eichborn). Schräg, kurz und umsonst im Netz: Die Abenteuer von Captain Parkman (www.tonagenten.net/captainparkman). Da freue ich mich schon auf Teil 3!
Greifenklaue: Noch ist es ja ein bißchen hin, aber gibt es schon etwas, das Du uns zur nächsten Folge verraten kannst?
Stefan Gnad: Sie wird an "Schratherbst" anknüpfen. Hand auf"s Herz: Die Geschichte im alten Flughafen war eigentlich eine Nummer zu groß für Z. Jetzt ist NorCon Cassandra (und damit auch Sul und den brainZ) auf den Fersen. Die Bluthunde haben ihre Witterung aufgenommen: Der Druck wächst, der Widerstand steht am Scheideweg ... und auch Cassandra muss ein paar Entscheidungen treffen, die ihr weiteres Leben in der Stadt beeinflussen...
Greifenklaue: Im Gästebuch war auf die Frage nach dem Live-Hörspiel zu lesen, dass eventuell eine CD angedacht ist? Wie steht es darum...
Stefan Gnad: Was mich angeht: Ich würde sehr gerne eine CD mit "Willy Blau" machen ‐ allerdings erst, wenn das Stück noch ein paar Mal aufgeführt wurde und dem subjektiven Empfinden nach durch ist. Ob das dann als Live-Mitschnitt käme oder noch mal komplett neu im Studio aufgenommen wird, müsste man sehen. Aber die anderen im Team haben da sicher andere Meinungen zu diesem Thema...
Greifenklaue: Und betrifft das auch andere Folgen?
Stefan Gnad: Auch hier sind wir immer wieder am Hirnen. Eine Archivausgabe auf CD mit schmuckem Cover wäre schon schön, allerdings wirft das auch diverse Probleme auf...
Greifenklaue: Auch unter den Rollenspielern gibt es viele Hörspielfans sowie Podcasts, die selber aktiv werden wollen. Gib doch mal ein paar Tipps, was man auf jeden Fall beachten sollte, wenn man sein eigens Hörspiel machen möchte!
Stefan Gnad: Wie sprach einst der weise, alte Obi-Wan Kenobi? "Die Augen können Dich täuschen, traue ihnen nicht!". Was wohl nichts anderes bedeutet als: Werft endlich Eueren Fernseher aus dem Haus und lernt wieder das Zuhören. Wer selbst loslegen möchte: Ein gutes Mikrofon kostet nicht mehr die Welt, schneiden kann man an jedem handelsüblichen PC. Insoweit: Einfach machen! Rum- und ausprobieren, sich umhören... Kontakte knüpfen... Erfahrungen austauschen... und immer wieder viel selbst hören, lauschen...
Greifenklaue: Letzte Worte?
Stefan Gnad: Prima, dass sich mal ein RPG-Fanzine für uns interessiert! Wie gesagt: Die weite Welt des Paper & Pen war und ist ein zentraler Einfluss für CassRun. Der interaktive Ansatz bei Cassandra"s Run ist immer auch ein Versuch, die Idee des Rollenspiels in das Medium Radio zu transportieren ‐ wenngleich wir natürlich wissen, dass die Möglichkeiten dort limitiert bleiben und wir der Idee vom "Spielen ohne Spielbrett" nie gerecht werden können. Ansonsten zaubern sowohl Rollenspiel als auch Hörspiel das vielzitierte "Kino im Kopf" ‐ so passt auch das wieder schön zusammen.
Greifenklaue: Ich bedanke mich sehr fürs Gespräch und werde bestimmt in den ein oder anderen Hörspieltipp von Dir reinlauschen.
Stefan Gnad: Do it! Wir sagen ebenfalls Danke, alles Gute ... und Glück auf all den vor Euch liegenden Abenteuern. HOCH DIE EISEN ‐ JOIN THE RESISTANCE!