Conbericht Nordcon 2006
von Ingo "Greifenklaue" Schulze
Der Nordcon eröffnete am 20. Mai 2006 zum zehnten Mal um zehn Uhr seine Pforten. Bevor diese jedoch durchschritten werden konnte, stand noch eine rollenspielanekdotenreiche Anfahrt und eine Übernachtung beim Fanzinerkollegen Gunnar Oldenburg. So wurde noch bis tief in die Nacht über Fanzines, Schreiber, Zeichner und Gott und die Welt diskutiert. Trotzdem erreichte man knapp nach Einlass das Congelände mit einigen LARPzelten und einer stetig kürzer werdenen Schlange am Einlass.
Im Foyer des Hamburg-Hauses war der mystische Markt aufgebaut mit zahlreichen Ständen von Verlägen und Händlern, die fast alles in Richtung Rollenspiel, Tabletop und LARP feilboten, was das Sammlerherz begehrt. Am markantesten am Eingang präsentierte sich das Projekt Odyssee, die Plattform für freie Rollenspiele. Hier konnte man in zahlreiche der über 50 geförderten Rollenspiele Einblick erhalten und auch erwerben. Die Prunkstücke, das aus dem PrO hervorgegangene Degenesis wurden ebenso wie Prost an prominenter Stelle präsentiert. Die Verlagsstände waren als Verkaufsstände konzipiert, Truant war ebenso wie Games In und Pegasus vertreten. Letztere hatten allerdings Erdenstern an eine Ecke ihres Standes gesetzt, so dass es immer eine angenehme Beschallung durch die Musik "für das Abenteuer im Kopf" gab. Erdenstern präsentierte auf dem Nordcon auch ihr zweites Werk, Into the red, welches diesmal kämpferische Themen im Ohrgang hat. Als kleineren Stand war auch noch die Redaktion Phantastik vertreten, die ihre Master Survival Packs, Private Eye und Caedwyn promoteten. An den Ständen der zahlreichen norddeutschen und Hamburger Händler gab es dann relativ wenig Angebote, aber einige Highlights liessen sich doch finden: Königreiche von Kalamar und Legende der fünf Ringe gab es für zehn Euro, alte Warhammer-Quellenbücher für fünf Euro und d20 Traveller light für 2 Euro. Die Präsentation des DSA-Rollenspiels Drakensang gestaltete sich dann leider etwas enttäuschend, es wurden nur Standbilder präsentiert, die größtenteils schon im Web zu sehen waren.
In den unterschiedlichen Räumlichkeiten abseits des Foyers gab es zahlreiche Workshops und Vorträge. Grofafo'ler Lord Verminard stellte "Indie-Rollenspiele" vor, wobei es sich im wesentlichen auf sogenannte Forge-Rollenspiele bezog. Diese stellen radikal die scheinbaren Grundprinzipien des Rollenspiels in Frage und entwickeln neue Stile. Das fängt mit Sorcerer an, welches mit insgesamt vier Werten auskommt, bis zu Erzählrollenspielen mit einem Konfliktsystem, welches mich am ehesten an Monkey Island erinnerte. Viele brechen auch das Spieler-Spielleiter-Prinzip auf, so z.B. Capes. Hier spielt man Mutanten, die erstmal aus Vorlagen erstellt werden. Die linke körperliche Seite beschreibt die Mutantenkräfte, die rechte Seite dann die Emotionale. Beide werden dann zu einem Charakter zusammengefügt und der Spieler entscheidet dann, welchen Kräften er da Priorität einräumen will und welche er hintenanstellt. In eine gemeinsam ausgedachte Szenarie taucht man dann ein, wobei Spieler auch Zweitrollen schnell "zusammenklicken".
Frank Heller hielt unter dem Motto "Wie gewinne ich den nächsten Abenteuerwettbewerb" einen Autorenworkshop, Stephen Schütte erklärte in "Pimp my campaign" wie man Kampagnen aufwertet und Stefan "1of3" Koch hielt einen Workshop zum Kreeiren von Systemen und Welten ab.
Natürlich gab es auch Neues von den Verlägen. Als erstes nahm Feder & Schwert Stellung zu seinen Produktlinien, wobei die herausstechenste Neuigkeit sicherlich war, dass Magus nicht übersetzt wird, Werwolf eingestellt wird und Vampire "auf Widerruf" vorerst fortgeführt wird. So sagt Oliver Hoffmann deutlich, dass der "Welt der Dunkelheit-Reset" in Deutschland nicht geklappt hat und die Verkaufszahlen signifikant eingebrochen sind. Da es aber das System war, mit dem der Verlag groß geworden ist, hängt man zwar mit viel Herzblut an der Sache, muss aber die Verkaufszahlen akzeptieren. Dungeons und Dragons läuft unter der Dreiteilung Kernprodukte, Vergessene Reiche und Eberron wie geplant weiter. Warhammer läuft gar besser als gedacht, zum nächsten Jahr wird geprüft, ob Warhammer 40k ebenfalls in Druck gehen soll. Für Engel ist als nächstes der Roman Exodus, aus dem Astrid Mosler auszugsweise vorlas, geplanz, zur Messe Essen folgen der Codex Urbanis sowie ein begleitender Roman. Bei den allgemeinen Romanreihen sind zwei neue geplant: "Nightside" von John Taylor um einen Detektiv in London im Stile Sam Spades und eine fünfbändige Reihe zum Kennenlernen der DC-Comichelden a la Superman, Lobo oder Wonderwomen. Zum Schluß las noch Thomas Pliscke aus seinem aktuellen Roman Endspiel, einer Hommage an die WM.
Frank Heller stellte die geplanten Cthulhu-Neuheiten vor, wobei er bis ins Jahr 2008 vorgriff. In diesem Jahr sind erstmal mit Zeitlose Ängste der vierte Abenteuerband der Cthuloiden Welten, das Magiequellenbuch Arcana Cthuliana, zwei Hexerabenteuer und am Jahresende ein Quellenbuch zum geistigen Verfall, Methophobia. Ein Quellenband über Expeditionen gibt es schon früher, wobei auch zahlreiche Abenteuer dabei sind. Einerseits wird auf Expeditionen in der Zeit der Zwanziger eingegangen, andererseits Abenteuer an exotischen Schauplätzen - Kongo, Amazonas, Grönland, den Anden sowie auf den asiatischen Inseln - vorgestellt. Das Spielleiter- und das Spielerhandbuch werden im September neu aufgelegt, wobei "nur" Errata, Zeitleiste und die Liste der Publikationen erneuert werden soll, allerdings denkt man sowohl über eine Ausgabe im Schuber, designt von Manfred Escher, oder eine ledergebundene Ausgabe nach. Der ausverkaufte Spielleiterschirm soll auch erneuert werden und dazu mit neuem Abenteuer versehen werden: "Feuer und Asche", welches sowohl in den 20ern als auch in der Gegenwart spielen kann. Damit sind wir auch bei der aufregensten Neuigkeit für 2006: Cthulhu Now - Cthulhu in der Gegenwart. Nachdem man keine Lizenz für Delta Green bekam, weicht man nun auf Cthulhu Now aus, bei dem gegenüber Chaosiums Cthulhu Now vieles geändert werden soll. Dabei soll es nicht wie ursprünglich geplant ein eigenes Regelwerk (wie der Hexer von Salem) bilden, sondern ein reiner Quellenband sein, was hauptsächlich dem Umfang geschuldet ist. Ansatz ist ein Quellenbuch für die Gegenwart, dessen Hauptthema die Vereinsamung des Menschen in der Großstadt ist. Dazu kommen moderne Kriminalistik, Ermittlungsmethoden und Forensik und der Großkonzern NewWorld Industries, der seine krakenhaften Arme in vielen krummen Geschäften hat. Zwei Abenteuer sind auch enthalten, wobei wir uns besonders für unseren Mitredakteur Hendrik Ebbers freuen, dessen Beitrag zum Cthulhu Now-Abenteuerwettbewerb den Weg ins Grundbuch gefunden hat. Wer sich über das bisherige Coverdesign geärgert hat, darf sich freuen, das Bild wird zwar bleiben, aber der Rest nochmal geändert.
2007 erwartet uns dann Mysteries of Marokko mit eigenem Abenteuer, mit Unseen Masters ein Abenteuerband für Cthulhu Now, ein neuer, nur auf Amerika bezogenes Quellenbuch sowie ein Waffenhandbuch für alle Epochen. Niemandsland im Juli ist ein Quellenband zum 1. Weltkrieg, welcher ja kurz vor der Cthulhu-Hauptepoche in den Zwanzigern endet und damit für viele Charaktere ein mehr oder minder wichtige Rolle in ihrem Leben spielt(e). Betreut von Momo Evers soll es dann auch eine Neuauflage von Cthulhu 1000 AD geben, welches dann eine Art Quellenbuch fürs Mittelalter mit Schlaglichtern auf Themen wie die Kreuzzüge werden soll. Unter dem bisherigen Arbeitstitel Mysteriöse Orte soll es für Expeditionen einen Nachfolgeband geben, wobei u.a. Stefan Schütte historische wie fiktive Orte mischen. Das Highlight des Jahres dürfte jedoch die dann vierbändige Beyond the mountains of madness-Kampagne, basierend auf Lovecrafts Berge des Wahnsinns, werden. Dabei schreibt der damalige Originalabenteuer die Kampagne um und erweitert sie um Handlungen in der mysteriösen Stadt in den Bergen der Arktis, zu der dann auch ein Quellenteil enthalten ist.
Drei konkrete Ankündigungen gibt es 2008. Dazu zählt ein Quellenbuch über Lovecrafts Kernlande wie Arkham, Kingsbridge oder Dunwich, ein Quellenband über Agenten für Cthulhu Now und ein seperater Band mit einer weltumspannenden Kampagne als UN-Ermittler mit Paraphänomenen. Weiter Ankündigungen haben dann eher noch Ideen-Charakter: dazu zählt eine Zukunfts-Kampagne, bei der die Menschen in einem Raumschiff einen anderen Planeten besiedeln wollen, die Erde zerstört wird und der Ankunftsplanet als unbesiedelbar herausstellt - cthuloide Vorgänge an Bord nicht ausgeschlossen... Quellenbücher zu Traumlande, Gaslight (den 1890ern), Geheimgesellschaftsen, Afrika, zur "Verkommenen Donau-Monarchie" (Wien, Prag,...) oder Wissenschaft, Technik, Ausrüstung in den 1920ern sind ebenso wie eine Atlantis-Kampagne weitere Ideen.
Für Shadowrun gab es dann über das SAR-Team Neuheiten. So soll das Spiel "schmutziger und gemeiner", mehr Sex und Gewalt wird thematisiert. So lautete der ursprüngliche Arbeitstitel für München Noir "Sex sells". Schattenlehrling soll der nächste Roman von Boris Koch heißen, der nach der Minikampagne des Quellenbuchs in München selbst spielt. Unter dem Titel Emerged ist ein erstes Metaplotbuch mit Schwerpunkt auf Technik und nur wenig Magie erscheinen. Mit dem Verfassen der grundlegenden Regelbücher hält sich die amerikanische Redaktion zurück. Als erstes soll ein Magiebuch kommen, dann das Arsenal mit Waffen, Rüstungen und Fahrzeugen, Augmentation mit Cyber-, Bio-, Nanoware und zuguterletzt Un-Wired für die Matrix 2.0 und Rigger. Weitere Quellenbücher sind geplant zu Runner Heavens (Schattenstädte?), Sao Paulo (AT: Corporate Cities, Fallen Cities) und Sox. Zum PC-Spiel wurde die Empfehlung ausgesprochen, es eher zu ignorieren...
Nach sovielen News von den Verlägen kommen wir einmal zum wichtigsten Geschehen am Platz: den Spielrunden. Zahlreiches wurde angeboten, wobei es eine erfreuliche Systemvielfalt gab, wozu auch deutlich das Projekt Odyssee beitrug. Diese fanden nicht nur im Hamburghaus statt, sondern auch in der benachbarten Villa. Ich selbst kam nur dazu, das Forge-Spiel Capes auszuprobieren, um mal die Forge-Theorie in der Praxis zu erleben. Insgesamt mußte aber festgestellt werden, dass deutlich weniger Gäste als im letzten Jahr da waren, was wohl auch am schlechten Wetter lag.
Neben Rollenspiel gab es in der großen Halle Tabletop zu allen größeren Systemen sowie draußen auf der Wiese zahlreiche LARP- und Reenactment-Spieler, wo sich Shops, Vereine und Gruppen in Zelten lagerten. So wurde draußen gejuggert, gekämpft und gespielt, außerdem spielten einige Bands wie Die Irrlichter oder Schimmelreyther auf der Hauptbühne auf und sorgten für Stimmung.
Am Samstagabend war im Headbangers Ballroom eine Nordconparty geplant, welche mit einem Doppeldeckerbus zu erreichen war. Hier gab es einen unglaublichen betrunkenen Rollenspieler, der pöbelte, wie ich es noch auf keinem Metalfestival bei Absage der Hauptband erlebt habe. Schön war allerdings auch die Reaktion der restlichen Fahrgäste, die das Opfer alkoholischen Genußes kurzerhand mit einigen Liedern übertönten. Im Ballroom ging es gerade bei der "Vote for Lordi" heiß her und der gemeine Rollenspieler konnte noch etwa eine Stunde den Siegeszug Lordis beim Grand Prix bestaunen. Danach spielten dann Die Irrlichter auf, welche mit doppelzüngigen Ansagen und zweideutigen Liedern für viel Stimmung sorgten.
So ging es um gut drei Uhr nachts ab Haltestelle Reeperbahn gen Bett.
Als Sonntagshighlight ist sicherlich noch das Abschlußtreffen zu erwähnen. Vor und nach der Vorstellung der Teilnehmer des Gewandungswettbewerbs traten die Tänzerinnengruppe Mannstoll, welche die vier Elemente beschworen, zusammen mit der Gruppe Azraels Feuer auf, welche die Elemente darstellten - excellent, wenn auch sehr lang. Auf hohen Stelzen in exotischen Kostümen die Elemente, wild tanzend, freizügig, teils mit gelungenen Gesichtsmasken die Tänzerinnen. Der Gewandungswettbewerb war dann erstmal humorig moderiert, zeigte aber auch einige gelungen oder exotische Kostüme, insbesondere das außerirdische Dämonen-Siegerpäarchen war tiptop. Am Ende gab es die traditionelle Auktion, bei der so manches über den Tresen ging - auch Regenschirme. Diese waren nämlich bestens geeignet, die geworfenen Freiwürfel aufzufangen ... oder abzuwehren. Allerdings hatte man mit der Zeit deutlich überzogen, so dass die Orga den Auktionator quasi hinaustragen mußte, sehr zum Vergnügen des Publikums...