Leben und Sterben im Rollenspiel
1998-11
Leben und Sterben im Rollenspiel - oder warum bin ich überhaupt hier?
- 1. Überlegungen
Vielleicht muß man an diese Thematik anders herangehen. Versuchen wir uns doch einmal den typischen Helden vorzustellen. Der kommt irgendwoher (Familie vernichtet¸ vertrieben usw¸ hat große Rache geschworen¸ jedenfalls war das bei unseren ersten Figuren so) und interessiert sich nicht für Bausparverträge oder ein geregeltes Einkommen. Was da interessiert ist das nächste Schwert¸ die Ausbildung in der Magie oder ähnliches. Arbeitsschutz und Sozialstaat sind hier Fremdworte. Da wird nur abgesichert¸ wenn die Mauer mit Klettern erstiegen wird (wie leicht wird schließlich die 1 geworfen). Wir haben es also mit einem anderen Schlag Menschen zu tun. Ist es überhaupt ein Schlag Mensch¸ gibt es so was überhaupt in der Wirklichkeit? Wenn ja¸ wird dieser Schlag sicher gerade kein Rollenspiel machen¸ eher Live - und das täglich indem er es lebt.
Unsere Helden gehen also an das Leben mit einem ganz anderen Bewußtsein heran¸ aber legen wir dadurch unser Bedürfnis nach Sicherheit als Spieler ab? Ich meine¸ Nein¸ und deswegen spielen wir auch unsere Figuren oft nicht richtig. Wir wissen im Zweifel immer mehr als unsere Figur (aus vorherigen Abenteuern¸ weil der Spielleiter diabolisch grinst¸ weil wir die Masche schon kennen oder weil wir schon wieder einen Wahrnehmungswurf machen mußten). Wir¸ als Spieler der Figur¸ befinden uns auf einer Metaebene. Wir sind außerhalb des Spiels und entscheiden doch für die Figur des Spiels. Das kann man reduzieren indem der Spielleiter würfelt oder ähnliches¸ keine Frage¸ es läßt aber nicht das Problem verschwinden.
Ein anderer Fragenkomplex wäre unser Risikobewußtsein. Jeder von uns spielt ja auch Computer. Am Computer wird abspeichern¸ also das Bewahren des Status Quo¸ immer wieder zur Pflicht¸ denn dann kann man ohne "Risiko" einfach mal ausprobieren was denn passiert¸ wenn man einen Frontalangriff versucht¸ wie schlägt der Computer zurück¸ wofür kann man Dynamit alles gebrauchen usw. Die Computerspiele sind auch so konzipiert¸ denn sonst wären sie nicht lösbar oder aber zu einfach. Es gibt eine völlige Sicherheit für unseren liebgewordenen Charakter oder die ausgesandte Armee. Verluste können durch einfaches Laden wieder wettgemacht werden. Da liegt ein großer Unterschied zum Rollenspiel. Hier gibt es ein Ausprobieren nicht¸ jedenfalls normalerweise. Wir entscheiden uuns und dann passiert es¸ wenn auch nur virtuell. Es ist¸ trotz seinem Stattfinden in der Phantasie als dem Ort des Ereignises¸ geschehen. Manchmal frage ich mich¸ ob meine Figur wirklich diese Risiken eingehen würde? Würde ich sie eingehen? Gehe ich sie ein¸ weil ich wei߸ daß mir nix passieren kann¸ oder gehe ich sie ein¸ weil ich meine¸ eine Chance zu haben. Natürlich beides. Wenn ich wüßte¸ daß das was meiner Figur passiert¸ mich selbst treffen¸ würde ich mich hüten auch noch eine Schlägerei mit stadtbekannten Raufbolden in einer Kneipe anzufangen. Ich in schließlich nicht mit derartigen Refelxen und einer Panzerung ausgestattet. Da ich aber wei߸ mir passiert nix und der Figur wird es¸ selbst wenn einer trifft¸ nicht so weh tun¸ mische ich doch munter mit¸ schließlich ist meine Figur ein Raufbold oder ich habe Lust auf ein kleines Aufwärmkämpfchen. Welches Risiko fürchte ich also¸ und welches meine Figur? Ich habe sicher meinen Charakter schön ausgearbeitet¸ so daß ich wei߸ mein Held verdückt sich am liebsten¸ wenn ein Magier auftaucht oder ein Monster erscheint. Aber wovor habe ich Angst¸ im besten Fall vor den selben Dingen¸ aber doch eher¸ daß ich meine Figur verliere¸ ich sie also nicht mehr weiterspielen kann. Aber auch das hat nicht jeder¸
- Nach diesen Gedanken kann man auf folgende Fragen stoßen:
- Warum geht unser 'Held' das Risiko eines Abenteuers ein? Wieso ist er unterwegs und kein anständiges und ehrbares Mitglied der Gesellschaft?
- Wieso gehen wir als das Ego des Helden das Risiko ein? Weshalb schicken wir ihn auch in einen ausweglosen Kampf oder auf die höchst wahrscheinlich tödliche Reise durch die Welt der Dämonen und Geister?
- Weshalb handeln wir nicht ähnlich?
2. Die Berufung zum AbenteurerDie erste Frage ist die leichteste. Man kann sie aus dem Spiel heraus beantworten. Jeder kennt das Problem¸ wie rechtfertige ich das Herumvagabundieren meiner Figur. Leicht ist es¸ wenn man der Figur gar keine andere Wahl läßt als Herumtreiber zu sein. Man vernichtet schon bei der 'Geburt' seine Lebensgrundlage durch Orks¸ Pest oder böse Adelige. Das ist leicht¸ erklärt aber nicht wieso unsere Figur beim Vorfinden einer Chance auf Haus und Hof einfach weiterwandert. Wir müssen dies rechtfertigen. Sie (die Figur) hat ein unstetes Naturell usw. Schön sind eigentlich Figuren¸ die eben nicht freiwillig unterwegs sind. Nur höchst widerwillig finden sie sich mit den Widrigkeiten des Vagabundierens aber. Diese Figuren beinhalten aber¸ wenn man sie ehrlich spielt¸ immer die Gefahr das man sie allzu schnell wieder los ist. Unser Held ist also unterwegs¸ weil er nicht anders kann oder weil er nicht anders will. Das sollte man immer im Hinterkopf haben. Er geht das Risiko des Totalverlustetes immer wieder bewußt wegen diesen Gründen ein. Er will und kann es nicht anders.
3. Der SpielerWieso aber gehen wir diese Risken mit unserer Figur ein? Und wieso gehen wir nicht alle Risiken ein¸ die möglich wären? Wir könnten ja uns immer einen Grad 1 Charakter auswürfeln und dann zuerst einmal gegen einen Drachen ziehen. Das hätte was naives und unrealistisches¸ beinhaltet aber die unrealistische Chance gleich auf anhieb hoch aufzusteigen und unermeßliche Reichtümer zu erbeuten. Zugegeben das Beispiel vergewaltigt die Rollenspielidee¸ hat aber für einige Spieler eine gewisse Logik. Auch in einem Computerspiel könnte man so anfangen¸ würde doch ein wiederholen des entscheidenen Moments quasi unbegrenzt möglich sein und die vielleicht einprozentige Chance ließe sich realisieren. Ein anderes Beispiel. Ich habe auch schon mal um meine Figur Angst gehabt. Wieso zittern wir um eine virtuelle Figur? Verlieren wir dabei etwas? Es geht im Spiel dach darum Spaß zu haben. Gut¸ einigen geht es auch darum das nächste Mal mit dem dicken magischen Schwert¸ dem Grad und der Drachenhaut des eigenen Charakters angeben zu können. Wer so denkt¸ scheut das Risiko und hat Angst um den eigenen Besitzstand. Aber auch andere geben ungern ein liebgewonnenen Helden auf. Weshalb gehen wir aber trotzdem das Risiko ein? Ich denke es gibt mehrere Gründe für unseren Wagemut:
- Wir wollen testen wie gut sind wir¸ können wir es auch mit X oder Y aufnehmen.
- Wir wollen mehr erleben¸ die Geschichte soll weitergehen.
- Wir wollen mehr haben¸ die nächste Beute reizt uns¸ der nächste Zauberspruch soll gelernt werden.
Weshalb gehen wir aber nicht alle Risiken ein? Wir selbst befinden uns ja als das Bewußtsein der Figur auf einer anderen Ebene als die Figur selbst. Uns stehen mehr Resourcen (= Wissen) zur Verfügung als der Figur. Was weiß diese schon von der miesen Laune der Götter (Spielleiter)¸ dem es heute sowieso nicht gepaßt hat und der noch unbedingt schnell weg muß. Ebenso kennt die Figur keinen Unterschied zwischen den Göttern. Nur wir wissen¸ welcher der Spielleiter gnädiger ist als der andere. Es gibt ja welche¸ die einfach keine Charaktere sterben lassen können. Wir haben also mit Sicherheit hier ein anderes Risikobewußtsein als im wirklichen Leben. Wir haben in der Realität ja auch keinen Einblick in die Launen Gottes (oder der Naturgesetze). Wir können nicht beurteilen ob diese uns wohlgesonnen sind oder nicht. Uns fehlt auch der Erfahrungsschatz aus vorherigen Leben (den unsere Helden ja durch uns mitbringen). Wir verfügen nur über einen eigenen. Ebensowenig sind die Chancen einen Sprung über einen Abgrund zu schaffen mathmatisch kalkulierbar und festgelegt¸ im Rollenspiel schon. Dadurch verändert sich natürlich das Risikobewußtsein.
Aber trotz dieser Vorteile bleibt das Risiko im Spiel
4. UmsetztenDie dritte Frage haben wir ja oben schon fast beantwortet¸ wieso handeln wir nicht gleich? Wir sind im Leben einfach keine Helden¸ wir sind Zivilisten. Die Helden werden auch im Rollenspiel doppelt begünstigt (2x auswürfeln der Basiseigenschaften¸ mehr AP¸ Aufstieg usw.) Wir streben eben nicht nach Ehre¸ Ruhm und Macht zumindest nicht auf ungewöhnlichen Wegen. Jedenfalls nicht so wie die Helden. Keiner von uns würde auf die Idee kommen¸ sich als plündernder Söldner in Afrika zu verdingen oder als Hacker die Geheimnisse des Pentagon zu verkaufen. Aber vielleicht ist dies heute nicht der Weg¸ Gold und Erfahrung zu erwerben. Man kommt mit Plündern einfach nicht so weit. Wer von uns Mut zum Risiko beweist¸ der tut halt anderes unewöhnliches und verläßt die soziale Hängematte¸ die Staat¸ Ausbildung und Familie bieten und begibt sich in Wagnisse hinein. Ein Beispiel wäre das Schmeißen eines Studiums und dafür dann irgendeine Tüftelidee umsetzen. Wer das macht¸ den läßt es auch nicht wieder los. Der wird¸ wenn er es nicht schafft oder auch schafft¸ später wider etwas neues suchen um das "Abenteuer Leben" fortzusetzen. Allerdings ist dazu nicht jeder geboren¸ wie auch im Rollenspiel nicht jeder ein Held ist. Ich zumindest bin es im Rollenspiel und jetzt studier ich immer noch.
Till "Eulenspiegel" Elgeti |