Fruehlingsnacht
2001-01
von Florian Hoffmann
- Einstmals¸ am Rande des Feenreiches¸ ward am Fuße des Berges Galorveth das Dorf Thandaril erbaut. Es ward ein zauberhafter Ort gewesen¸ dem viele phantastische Sagen und Legenden nachgesagt wurden. Mächtige Riesen sollten in grauer Vorzeit den Berg über dem Grabe eines der Ihren aufgeschichtet haben und selbst die seltenen Einhörner wurden hier gesichtet. Flinke Zungen behaupteten gar¸ die Einhörner hätten hier ihren Ursprung genommen und sich über die ganze Welt verbreitet.
Die Bewohner Thandarils waren sich der Geschichten wohl bewußt¸ doch nur wenige mochten dieser Tage noch an Legenden denken. Ihr ganzer Eifer richtete sich auf das alljährliche Frühlingsfest¸ welches den Winter vertreiben und das Land wieder fruchtbar machen sollte. Alle beteiligten sich an den Vorbereitungen¸ die¸ neben den Feierlichkeiten zu Vermählungen¸ das wichtigste Ereignis des Jahres waren. Die Häuser wurden mit Frühlingsblüten geschmückt¸ bunte Ketten von Blumen säumten die Gassen und in der einzigen Taverne des Ortes¸ dem Wankenden Riesen¸ wurde das Festessen bereitet. An vorbestimmten Plätzen wurden die Kristalle für Frühling und Winter aufgestellt¸ die durch das Licht der Sonne in vielerlei Farben prächtig leuchteten. Sie waren jedoch keines magischen Ursprungs. Die Kristalle der Jahreszeiten konnte ein jeder auf dem Kristallmarkt¸ zwei Tagesmärsche von Thandaril entfernt¸ erwerben. Sie dienten wahrhaftig nur der Zierde und ihr warmes Licht erhellte jeden dunklen Winkel des Dorfes.
Die wichtigste Rolle während des Frühlingsfestes fiel wie in jedem Jahr einer jungen Dorfschönheit zu. Sie sollte im nahen Wäldchen die Blüte einer Frühlingspflanze finden und sie mitsamt ihrem Wurzelwerk ins Dorf tragen¸ wo sie gepflanzt und bis zum nächsten Winter blühen würde. Der Name der Pflanze war Tauh¸ der Name der Schönheit Miria. Sie war erwählt worden¸ da sie nun das Alter der Verantwortung erreicht hatte und sie eine besondere Bindung zur Natur pflegte. Viele Leute in Thandaril dachten von ihr als eine Elbin¸ doch trug sie keine spitzen Ohren oder sonstige Anzeichen einer anderen Herkunft¸ als die der Menschen. Und ihr Vater¸ Kilgarogh¸ wich seit Mirias Geburt jedweder Frage über ihre Mutter aus. Niemand hatte sie je gesehen¸ doch konnte sich keine Seele des Gedankens erwehren¸ daß sie eine besonders schöne Frau gewesen sein mußte.
Miria war schön¸ ihre blauen Augen leuchteten beinahe in der Dunkelheit¸ ihr langes Haar flammte in zartem¸ kupfernen Rot¸ wenn sie der Morgensonne gegenübertrat. Von samtener Haut erzählte ein Jüngling¸ der sie im Traume berührt hatte und niemand sprach dagegen. Miria ging stets leichten Schrittes durch die Gassen¸ so unbeschwert und glückselig¸ daß einige meinten¸ sie würde gleich den Boden mit ihren Füßen verlassen und davonschweben.
Am Tage vor dem Fest sollte Miria in den Wald entsandt werden¸ um Tauh zu suchen. Am Abend sollte sie wieder zurückkehren¸ um ihre Aufgabe zu vollenden und die Pflanze auf dem Marktplatz am Frühjahrsbrunnen zu setzen.
Doch da sie neben ihrer Schhönheit auch eigensinnig war und die Stunde ihres Aufbruchs kaum erwarten konnte¸ machte sie sich bereits vor dem Morgengrauen auf die Suche und betrat nach einem kurzen Fußmarsch den Wald.
Da es noch dunkel war¸ konnte sie den Pfad nur schwer erkennen¸ doch ihre Erinnerung führte sie sicheren Schrittes voran. Das Wäldchen war mit Nadelbäumen bewachsen¸ dunkle Tannen und prächtige Kiefern schoben ihre Kronen in die Nacht hinauf¸ als ob sie den Himmel berühren wollten. Der Pfad wand sich an einem schmalen Flußlauf entlang¸ bis er schließlich in einen kleinen See mündete.
Miria kannte diesen Ort sehr genau¸ da sie gerne herkam¸ um sich der Natur mit ihrem Geiste zu ergeben und den Klängen des Waldes zu lauschen. Hier lernte sie in jungen Jahren das Flötenspiel¸ welches niemand so herzergreifend zu spielen vermochte¸ wie sie. Sie liebte es¸ auf einem Fels am Rande des Sees zu sitzen und die Flöte klingen zu lassen. Gerne spielte sie Lieder¸ die fahrende Musikanten von ihren Reisen mitgebracht hatten¸ aber auch selbsterdachte Stücke¸ die niemand bisher gehört hatte. Miria glaubte¸ es seien die Melodien der Natur und deshalb seien sie nur für sie bestimmt.
Doch als sie diesmal den Pfad am Fluß entlangschritt¸ bemerkte sie eine Veränderung. Die Bäume schienen anders als sonst zu stehen und ebenso war der Pfad anders gewunden.
Verwirrt blickte Miria sich um und versuchte sich zu orientieren. Sie wußte noch¸ wo sie war¸ darin war sie sich gewiß und sie war neugierig auf diese Veränderung. Die meisten Menschen¸ die sie kannte¸ wären auf dem Fuße umgekehrt und ängstlich zurück zum Dorf gerannt. Aber sie verspürte Neugierde und keine Angst und so ging sie weiter¸ wißbegierig¸ was der Wald ihr wohl mitteilen würde.
Noch immer war es dunkel¸ obgleich die Morgensonne inzwischen ihre wärmenden Strahlen über die Berge in das Tal hätte schicken müssen um das Dorf und den Wald zu erleuchten. Anstatt der Sonne schien ein heller¸ voller Mond über dem Wald und erleichterte es Miria voranzukommen. Sie bemerkte nichts davon¸ sondern ließ sich von ihrer Faszination für diesen Ort leiten.
Plötzlich wurde sie durch ein Geräusch im Dickicht aus ihrer Trance gerissen. Erschrocken blickte sie sich um. Sie vernahm ein Geräusch wie von einem galoppierenden Pferd¸ aber auch einen hellen¸ durchgehenden Ton¸ der immer lauter wurde¸ bis er plötzlich verschwand. Mit einem Mal wurde sie sich eines weißen Pferdes hinter sich auf dem Wege gewahr und sie drehte sich danach um.
Es war ein kräftiges Ro߸ mit silbriger Mähne und Schweif. Sein makelloses Fell glänzte schwach im Mondlicht. Es stand völlig ruhig und friedlich und keinerlei Anstrengung eines langen und schnellen Rittes war ihm anzusehen. Ebensowenig¸ wie seinem Reiter Erschöpfung anzusehen gewesen wäre. In einem nachtblauen Samtmantel saß eine Gestalt aufrecht im kostbar verzierten Sattel und blickte sie freundlich an. Es mußte ein König sein¸ dachte Miria bei sich¸ denn ein so edles Geschöpf hatte sie noch niemals gesehen. Sein Mantel wurde von silbernen Borten gesäumt¸ auf denen sich verschlungene Zeichen im Mondlicht spiegelten. Ein Glanz schwebte über der Gestalt¸ als ob sie von innen ein Licht ausstrahlen würde. Miria sah dem Fremden ins Antlitz¸ das von langem¸ leicht geschwungenem Haar umrahmt wurde und bis zur Kapuze auf den Schultern reichte.
Sie fühlte sich wie in einem Traum gefangen und wagte es nicht ein Wort zu sprechen. Die Zeit schien still zu stehen¸ während sie sich ansahen und schwiegen. Schließlich tat das Pferd langsam einen Schritt nach vorne¸ trabte an Miria vorbei und galoppierte plötzlich auf dem Pfad davon. Noch bevor es um die nächste Biegung verschwand¸ schien es Miria¸ als ob sich der Reiter mit seinem Roß langsam auflösen würde¸ doch in diesem Moment waren beide bereits verschwunden.
Der Mond schien hell auf den dunklen Wald¸ der seine Gestalt zu ändern schien¸ wie ein lebendiges Wesen. Vielleicht waren Ents am Werk¸ jene großen und mächtigen Hüter der Bäume¸ die einst zum Leben erwachten um ihre Wälder vor Unheil zu schützen. Ein Adler¸ der über dem dichten Wald kreiste¸ konnte mit seinen scharfen Augen eine ungewöhnliche Szene erleben.
Doch nicht die Lebendigkeit des Waldes¸ der sich immer weiter ausbreitete¸ war ungewöhnlich; weitaus mehr Aufmerksamkeit erregte eine zarte Frau mit kupfernen Haaren¸ die am Rande einer Lichtung stand und voller Sehnsucht zur anderen Seite hinübersah. Sie bemühte sich redlich sich zu verbergen¸ doch schließlich trat sie offen auf die runde Fläche hinaus¸ von der die Bäume und Sträucher fern geblieben waren. Dieser Ort strahlte eine innere Ruhe aus¸ wie es auf viele tausend Meilen keinen anderen Ort geben konnte. Am Saum der Bäume ruhte Mirias kleiner See im Mondenschein.
Inmitten der Lichtung lag das silbern schimmernde Pferd neben einem Felsen¸ zu Füßen seines Herrn. Den Mantel unter sich ausgebreitet¸ saß dieser auf dem Felsen und blickte in Mirias blauschimmernde Augen¸ als sie langsam näher schritt. Der Fremde spielte auf einem wundersamen Instrument eine erfrischende und beruhigende Musik¸ die alles Leben zu durchdringen schien. Es bestand aus vielen kleinen¸ ausgehöhlten Stöcken¸ die in einer Reihe miteinander verbunden waren. "Wie viele Flöten"¸ dachte Miria und sah ihm zu. Noch immer verspürte sie keine Furcht¸ sondern tiefe Zufriedenheit und die Erfüllung ihrer Wünsche.
Langsam bewegte sie ihre Hand zu ihrem Gürtel¸ an dem ihre eigene Flöte befestigt war. Sie strich behutsam darüber¸ betastete das edle Holz¸ aus dem sie gefertigt war¸ doch nahm sie nicht ab.
Eine Verwandlung ging an dem Fremden vor. Miria hatte zuvor schon den silbernen Glanz bemerkt¸ der überall um ihn zu liegen schien. Nun fand sie die Erklärung für diese unbegrenzte Schönheit. Der Glanz rührte von seinem Instrument her¸ welches langsam begann einen silbernen Faden in die Luft zu weben. Zunächst war er nur leicht zu sehen¸ fast wie ein Trugbild¸ doch das Lied trug ihn fort und bald darauf war die Luft um den Fremden ganz von der Silbernis erfüllt. Sein Mantel schien plötzlich unter ihm zu vergehen und ein blaues Licht mischte sich in die Silberschwaden.
Miria konnte nun nicht mehr widerstehen¸ zog die Flöte aus ihrer ledernen Hülle und blies den ersten Ton an¸ um den Fremden in seiner Zeremonie zu begleiten.
Als ob es so bestimmt gewesen wäre¸ erlebte Miria ein weiteres Wunder. Ihre Klänge fügten sich mit denen des Unbekannten zu einer Melodie zusammen¸ ganz gleich was sie auch spielte. Selbst ein Mißton wurde in diesem Einklang zu einer ungeahnten Harmonie. Und auch Mirias roter Mantel schien sich mit einem Mal in Rauch zu wandeln und ein silberner Schimmer vermengte sich darin zu einem Farbenspiel wie es nur im Traume zu erleben ist. Silberrot schwebten die Klänge zu denen des Spielers und sie schienen einen Tanz miteinander aufzuführen¸ immer langsam¸ bedacht und doch verspielt.
Als die Musik langsam ausklang¸ zogen die leichten Fäden immer weiter über das Dach des Waldes hinaus und verblichen schließlich in einem einzigen Strahlen am nachtschwarzen Himmel.
Miria stand nicht mehr auf der Lichtung. Völlig in ihrem Schauspiel versunken¸ hatte sie nicht bemerkt¸ wie sie tatsächlich mit dem schönen Fremden einen leichten Tanz über die Gräser der Lichtung geführt hatte und schließlich in seinen Armen eingeschlafen war.
Nun lag sie in seinem Schoß und blinzelte ihm entgegen. Mit anmutiger Stimme sprach sie zu ihm:
"Hoher Herr¸ von hohem Stand¸ verwegen seid und doch galant. Euch zeigtet¸ saßet Hoch zu Ro߸ des edlen Ritters jüngster Sproß. Frei und wild das lange Haar¸ fortan ich Euch im Traume sah.
Bruder im Geiste¸ Freund der Seele¸ daß Euch immerdar im Leben nichts fehle¸ wünsche ich¸ nehmt meine Hand." Worauf die seine¸ ihre fand.
Miria blickte ihn stumm an¸ verwundert über die Worte¸ die sie gesprochen hatte. Sie schien mehr über diesen Jüngling zu wissen¸ als ihr bewußt war. Ein kurzer Moment lies sie zweifeln¸ ob sie das Richtige getan hatte¸ doch der Fremde strich über ihre Hand und erhob zum ersten mal seine Stimme. Sie war tief und weich.
"Edles Fräulein¸ jung und schön¸ wann werden wir uns wieder seh'n? Ich träumte von Euch diese Nacht¸ solange bis der Tag erwacht'.
Tief im Wald auf rundem Grün¸ dort sah ich uns zusammen steh'n. Hell bestrahlt durch Mondes Glanz¸ ihr batet mich zum ersten Tanz.
Still über dem Boden schwebend spürte ich mein Herz erbeben. Und langsam drehten wir im Kreis¸ der Wald verstummt und es wart leis'."
So sahen sie sich lange Zeit an und keiner sprach mehr ein Wort¸ den dies war nicht länger nötig. Sie verstanden sich im Geiste besser¸ als es Worte jemals auszudrücken vermocht hätten. Sie hielten die Hände eng umschlugen und versanken in die Nacht.
Miria erwachte aus ihrem Schlaf erst im Morgengrauen¸ als die Frühlingssonne ihr Gesicht erwärmte und der Duft frischer Blumen ihr um die Nase spielte. Sie setzte sich auf und fand sich an ihrem vertrauten Platz wieder¸ den sie stets für ihr Flötenspiel aufsuchte¸ hier an ihrem kleinen See. Fragend suchte sie nach Spuren ihres Geliebten. Sie wollte ihn rufen¸ doch da bemerkte sie¸ daß sie seinen Namen nicht kannte.
"Firilis"¸ kam es ihr über die Lippen¸ und wieder war sie verwundert. Und sie rief ihn erneut¸ doch hörte sie keine Antwort. War es ein Traum? Die Frage stellten sich wohl alle Menschen¸ denen solch ein wahrhaftiges Erlebnis zuteil wurde. Doch hörte sie¸ wie aus der Luft ihren Namen sanft und flüsternd an ihr Ohr dringen: "Miria."
Als sie am Morgen wieder den Rand des Dorfes erreichte¸ warteten die Feiernden bereits auf ihre Wiederkehr und empfingen sie mit viel Jubel und Freude. Es war noch immer der Tag des Frühlingsfestes und die Pflanze sollte am Frühjahrsbrunnen gesetzt werden.
Miria betrat den Platz mit einem Bauch voller Schmetterlinge und vergaß darüber¸ daß sie Tauh gar nicht gefunden hatte¸ sondern ihren Traum.
Geistesabwesend öffnete sie ihre Hand und entdeckte darin ein winziges¸ silbern schimmerndes Samenkorn. Sie kniete sich vor den Brunnen und grub das Korn behutsam ein. Unmittelbar darauf begann ein kleiner Trieb die Erde zu durchbrechen und die schönste Tauh erblühte vor dem Brunnen am Marktplatz.
Alle Bewohner Thandarils traten nun einzeln vor und dankten Miria¸ die sich ihrer Rolle als gerecht erwiesen hatte. Indes ahnte niemand¸ was im Wald geschehen war¸ noch sollte es jemand wissen. Miria war im Geiste bei ihren Freunden und ihrem Vater¸ doch tief in ihrer Seele tanzte sie im silbernen Mondenschein über eine grüne Lichtung.
Als das Fest vorüber war und das Dorf müde¸ saß Miria am Bette ihres schlafenden Vaters und küßte ihn lange. Einen Brief legte sie neben ihn.
Als sie wieder den Wald betrat¸ hörte sie von Ferne den Klang eines wunderschönen Instrumentes und spürte die Nähe eines wunderbaren Freundes. Sie nahm ihre Flöte heraus und begann zu spielen und sie blieb Thandaril für sehr lange Zeit in Liebe fern.