Freundin
2001-01
von Andreas Fischer
- Nachdenklich sitze ich auf meinem Bett und betrachtete die Fotos. Es sind die Bilder meiner Vergangenheit. Fotografien¸ die ich eigentlich vergessen wollte. Bilder¸ die mich heute noch erschüttern und mir Fragen stellen... unbeantwortete Fragen.
Oh¸ hallo! Schön¸ daß Sie mich besuchen kommen. Wissen Sie¸ ich bekomme nicht viel Besuch. Eigentlich nie¸ aber wenn Sie schon mal hier sind¸ dann will ich Sie auch gut unterhalten!
Was starren Sie so auf mein Album? Ach so¸ Sie sind neugierig! Sie möchten sich die Bilder gerne ansehen? Bitte sehr! Gefällt Ihnen die Landschaft? Ich habe alle diese Bilder auf Sardinien geschossen... ja¸ genau... die Insel unter Korsika im Mittelmeer. Wenn ich Sie auf ein ganz besonderes Bild aufmerksam machen darf! Hier habe ich meine Traumfrau kennengelernt¸ genau an dieser Stelle...
Sie wollen mehr über Sie erfahren? Nun gut¸ dann setzen Sie sich mal auf den Stuhl dort... Möchten Sie etwas trinken oder essen? Sie wollen nicht? Später werden Sie nichts mehr herunterkriegen...
Sie sind also satt und sitt¸ nun gut¸ also...
Seit zwei Jahren wohnte ich nun auf Sardinien. Ich arbeitete auf der deutsch-italienischen Luftwaffenbasis in Decimomannu als Flugbetriebsmeister. Flugbewegungen festhalten¸ mit der Technik Unklarheiten beseitigen¸ Flugpläne aufgeben¸ kurz es war ein ganz normales Dienstgeschäft. Täglich kamen und gingen Flugzeuge. Jeden Tag fuhr ich mit dem Auto von Cagliari nach Decimomannu und zurück¸ mit Ausnahme des Wochenendes.
Es war ein Freitag gewesen¸ als ich auf Luiciana traf. Sie stand an der Auffahrt zur Superstrada SS131 nach Cagliari und deutete mit ihrem Zeigefinger auf den Boden. Das italienische Anhalterzeichen.
Wie gesagt¸ es war Freitag. Das ganze Wochenende lag noch vor mir¸ ich war guter Laune¸ also hielt ich an. Sie öffnete vorsichtig die Beifahrertür und lächelte mich¸ mit einem scheuen Blick¸ an.
"Vai a Cagliari?" fragte sie mich.
Ich nickte¸ "Ja¸ ich fahre nach Cagliari!" meinte ich zu ihr.
"Bene!" erwiderte sie und setzte sich scheu zu mir in den Wagen.
Ich beschleunigte den alten Sierra und wir fuhren mit einem flotten Tempo auf die Superstrada.
"Sei tedesco¸ guisto?" strahlte sie mich an.
Ich warf ihr einen kurzen¸ freundlichen Blick zu und blickte wieder auf die Straße. "Ja¸ ich bin Deutscher. Ich verstehe was du sagst¸ wenn Du langsam sprichst!"
In diesem Moment schnitt mich ein alter Alfa Romeo. Er zog von der Auffahrtspur direkt auf meine Spur und zwang mich zum Bremsen!
"Cazzo! Figlio di una putana!" entfuhr es meiner hübschen Beifahrerin.
Ich hielt meinen Blick auf der Straße¸ es war zu gefährlich und leichtsinnig sie anzublicken. Die sardischen Straßen waren bekannt für solche Verkehrraudis.
"Harte Worte für ein so hübsches Mädchen!" kommentierte ich ihren Wutausbruch.
Aus den Augenwinkeln heraus erkannte ich¸ daß sie mich neugierig anstarrte.
"Warum verstehst Du Italienisch¸ aber sprichst es nicht?" meinte sie in einem einwandfreien Deutsch mit starkem italienischen Akzent.
Ich zuckte mit den Schultern. "Ich kann es nicht!" bekannte ich¸ erst jetzt fiel mir auf¸ daß sie soeben Deutsch mit mir ggesprochen hatte. "Du hast auch die ganze Zeit Italienisch gesprochen¸ obwohl Du Deutsch kannst!" fügte ich nach einer kurzen Pause hinzu.
"Wir sind auf Sardinien¸ capici!" meinte sie in einem vorwurfsvollen Ton.
Da ist er wieder. Dieser elende sardische Stolz dachte ich etwas genervt. Jeden Tag wurde ich mit dieser Unart geärgert¸ überall war er anzutreffen diese überhebliche Art der Sarden.
"Woher kannst Du so gut Deutsch?" In meiner Stimme klang etwas Gereiztheit mit.
"Ich war ein paar Jahre Au-Pair Mädchen in Deutschland!" Ihre sanftweiche Stimme klang wie Musik in meinen Ohren und besänftigte mich merklich. Meine Wut war wie weggeblasen.
"Fahr mal rechts ran!" säuselte sie.
Warum? wollte ich fragen¸ aber ich konnte nicht. Sie hatte mich so nett darum gebeten¸ daß ich nicht NEIN sagen konnte. Ich stoppte den Wagen in einer kleinen Parkbucht. Mein Blick fiel auf ihre grünen Augen¸ in ihre smaragdgrünen Augen¸ die mich funkelnd anstrahlten. Ich verlor mich für einen Moment in ihren Blick. Gefühle der Glückseligkeit durchströmten meinen Körper.
"Komm mit!" meinte sie nur. Sie stieg aus und betrat ein verdörrtes Feld.
Ich wr wohl nicht bei klaren Gedanken¸ ohne darüber nachzudenken folgte ich ihrem Befehl. Eilig stapfte ich ihr hinterher. Sie war einfach weitergegangen¸ sie schritt mit verführerischen Schritten über den vertrockneten¸ staubigen Boden hinein in eine scheinbare Unendlichkeit.
"Was willst du hier?" Endlich hatte ich sie eingeholt. Wieder traf mein fragender Blick ihre herrlichen Augen. Eine warme Welle von Glückshormonen schwappte über mich. Sie war perfekt¸ sie war meine Traumfrau!
Ihr Blick richtete sich wieder auf den Horizont. Sie stand keinen Meter neben mir. Obwohl ich sie kaum kannte¸ fühlte ich mich ihr sehr verbunden. Unendlich nah zu ihr hingezogen. Ich wollte sie!
"Umarm mich!" Ihr Blick hatte sich auf mein verträumtes Gesicht gerichtet. "Ja¸ das will ich!"
Ich öffnete meine Arme weit und schritt einen kleinen Schritt weiter auf sie zu. Gleich würde ich sie umarmen¸ meine LIEBE nach der ich...
"Eh¸ Signore... che cosa fa?" schrie eine Stimme hinter mir plötzlich auf¸ ich wandte mich erschrocken um.
Auf Höhe des geparkten Wagen stand das Auto der Carabinieri¸ einer der Uniformierten rannte lautstark gestikulierend auf mich zu. "Lei é pazzo?!" Seine Worte klangen aufgebracht und verärgert.
Verwundert wandte ich mich der Anhalterin zu. Sie war verschwunden¸ genauso wie die scheinbare Unendlichkeit. Direkt vor mir klaffte eine tiefe¸ unheimliche Schlucht auf. So tief¸ daß man den Boden nicht erkennen konnte.
Das Dunkel der Schlucht rief nach mir. "Komm!" hörte ich es sagen. Es war die Stimme dieser Frau. "Komm! Folge mir!" Diese Stimme war wie Honig. Sie liebkoste meine Ohren und ließ mein Herz höher schlagen. Wie benebelt stand ich da und ließ mich fallen¸ fallen in das Dunkel¸ das nach mir rief.
Aber ich fiel nicht tief. Etwas hielt mich an den Beinen fest und zog an mir. Ich aber wollte fallen und versuchte mich los zu strampeln. Es half nichts¸ langsam aber stetig¸ wurde ich Zentimeter für Zentimeter hochgezogen. "Komm!" meinte das Dunkel besonders sanft zu mir. "Komm zu mir!"
Wieder versuchte ich meine Beine durch heftige¸ zuckende Stöße aus den festen Griffen zu lösen¸ vergeblich.
Das Dunkel rief immer leiser nach mir¸ bis es schließlich verstummte. Ich lag auf dem Boden vor der Schlucht¸ auf mir saß der Carabinieri. "Per che?" fuhr er mich mit ernster Stimme an. "Per che¸ Lei vuole fare un suicido?"
"No lo so!" antwortete ich ihm und erschrak über mich selbst¸ ich hatte italienisch gesprochen. Unbewußt hatte mein Mund gesprochen¸ ohne das ich es wollte. Er hatte etwas gesprochen¸ was ich nicht sagen wollte. Ich wollte dem Carabinieri sagen¸ daß er mich loslassen sollte¸ damit mein Wunsch¸ zu ihr zu kommen¸ sich erfüllen konnte. Zu dieser Frau¸ meiner unendlichen Liebe!
Schauen Sie mich nicht so fragend an! Ich verstehe es heute ja selbst nicht¸ nein¸ ich verstehe es nicht. Die italienischen Polizisten nahmen mich mit zur Wache und riefen meine Dienststelle an¸ bereits am nächsten Tag¸ saß ich in einer Maschine nach Deutschland. Ich war dienstunfähig geschrieben worden. Ich saß über viele Sitzungen hinweg mit Psychologen zusammen¸ aber sie konnten mir nicht helfen.
Wissen Sie warum? Nein? Gut¸ ich will es ihnen sagen. Damals¸ als die Carabinieri mich zum Wagen zurückschleppten fiel mein Blick auf etwas am Straßenrand. Etwas was ich vorher übersehen hatte. Eines dieser Totenkreuze¸ die man auch in Deutschland an den Stellen findet¸ wo jemand verstarb. Ja genau¸ diese mit den Bildern der Verunglückten. Sie werden es mir nicht glauben¸ aber das Bild was ich sah¸ schien mich anzublicken. Ihren grünen Augen waren voller Trauer und schauten mir sehnsuchtsvoll hinterher. Ich meinte sogar noch Tränen zu sehen¸ Tränen die ihr von den Wangen liefen. Von den Wangen meiner sardischen Freundin¸ mit der ich fünfzehn unendliche Minuten meines Lebens verbracht hatte. Morgen werde ich nach Sardinien fliegen und bis in alle Ewigkeit mit ihr zusammensein¸ denn sie wird auf mich warten.
Sie wird genau an der Stelle auf mich warten¸ wo wir uns einst trafen¸ denn ich höre sie noch jede Nacht zu mir sprechen.
Andreas Fischer
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