Klariss Breitenschmied II
2001-01
von Andreas Fischer
- Amnesie - 1. Segment
Wie gebannt beobachtet der Wirt seinen letzten Gast. Es ist eine Frau und sie ist vom Staub der Straße schmutzig, nur irgendwie ist sie nicht so wie die anderen Gäste in seiner Schenke. Ihre Ausstrahlung verwirrt ihn, es ist fast so, als sie mental zu ihm spricht.
Er versucht sie nicht anzuschauen, doch immer wieder streift sein Blick ihre Gestalt, es gelingt ihm einfach nicht, sich wieder auf seine Geschäfte zu konzentrieren.
„Wirt, noch einen Krug Starkbier!"
Irritiert blickt der Wirt seinen Gast an. „Gleich..." murmelt er und ist seinem Kunden für diese Unterbrechung dankbar.
Konzentriert zapft er das hellbraune Gebräu aus dem veredelten Eichenfass. Eine helle Schaumkrone ziert das fertige Getränk, als er es dem Gast reicht.
„Ich zahle später!" meint dieser und trollt sich wieder zu seinem Tisch zu drei anderen unsympathischen Gesellen.
Sie ist weg. Verstört schaut der Wirt sich um, sie hatte doch dort am Tisch, gleich am Fenster, gesessen. Nun ist sie verschwunden, dabei hatte er doch nur für einen kurzen Moment weggeschaut. Wo mag sie hin sein?
Einerseits möchte er ihr folgen, andererseits kann er seine Schenke nicht einfach verlassen. Wenn doch nur sein Sohn oder seine Frau hier wären!
Die vier schmierigen Gesellen sind aufgestanden, wortlos legen sie eine Goldmünze auf den Tresen und gehen.
„Ihr Wechselgeld!" ruft der Wirt den vieren noch nach, aber sie reagieren nicht auf ihn.
„Verdammt!" der Wirt schaut sich hektisch um. Der Schankraum ist jetzt leer, er könnte die Tür abschließen und den vier üblen Gesellen folgen. Er ist sich sicher, dass auch sie die junge Frau verfolgen.
Für einen kurzen Moment zögert er noch, dann überwältigt ihn aber doch seine Neugier. Er hastet durch die offene Tür der Schenke und schließt sie eilig ab. Hektisch lässt er seinen Blick schweifen, wo könnten die vier hin sein?
Wie aus dem Nichts erschienen, steht die Frau wieder vor ihm. „Lasst mich ein, schnell!" Ihre Stimme ist sanft, doch es schwingt ein nachdrückliches Flehen darin mit .
„Warum?" der Wirt ist zu erstaunt, um zu reagieren. Widerstandslos lässt er sich den Schlüssel von ihr abnehmen und folgt ihr wieder durch die geöffnete Tür in die Schenke. Diese Aktion ging zu schnell für ihn, gerade noch war er vor der Tür, nun ist er wieder in der Schenke.
Noch ehe er die Tür schließen kann, wird sie brutal aufgestoßen. Die junge Frau weicht zurück und zieht ein prächtiges Schwert, ein Schwert von dem ein heller, reiner Glanz ausgeht.
„Das Spiel ist zu Ende, Klariss!" höhnt der Anführer der vier Kopfjäger.
„Verschwindet, versteckt Euch!" zischt Klariss dem Wirt zu, der irritiert zwischen den Fronten steht.
Ein brutaler Tritt in seine Weichteile lässt ihn zu Boden gehen, gerade rechtzeitig genug, damit er nicht von einem der angreifenden Bastardschwerter der Kopfjäger verletzt wird. „Verzeiht..." raunt Klariss ihm ins Ohr.
Benebelt vom heftigen Schmerz hockt der Wirt auf dem abgewetztem Holzboden, er hört Schmerzenschreie und Gepolter. Wenn dieser Schmerz doch nur nachlassen könnte...
Endlich ebbt der Schmerz in seinem Hoden ab, keuchend erhebt sich der Wirt und starrt mit geweiteten Augen in ein Massaker.
Sein Gastraum gleicht einer Schlachtkammer, überall liegen Extremitäten und andere Leichenteile und eine Frau steht stumm in der Mitte des Raumes.
„Aber, aber... ihr seid..." stottert der Mann los und reibt sich neben seinen Hoden auch ungläubig die Augen.
„Sie war hier, nicht wahr?" die Stimme der Frau klingt betont freundlich.
Der Wirt nickt, er schluckt schwer und kann sich nicht so recht von seinem Schock erholen.
„Die Wache kommt gleich..." meint ein Mann in einer dunkelbraunen Bardentracht, der in diesem Augenblick die Schenke betritt.
„Sie war hier, Pagadon! Sie war hier! Nur ich verstehe das nicht..."
„Was verstehst du nicht, Rhonda!"
„Ich verstehe nicht, dass sie die vier nicht ehrenvoll ermordet hat..."
„Äh...Rhonda, das war nicht sie, das warst Du!"
„Ich?" Rhonda schaut Pagadon ein wenig irre an.
„Rhonda, alles in Ordnung? Du bist vorhin hier hinein und hast die vier niedergemetzelt!"
„Aber er, er kann doch bezeugen, dass Klariss hier war!" Sie schaut den Wirt an, der unmerklich nickt.
„Vielleicht war sie ja hier, Rhonda. Aber getötet hast DU!"
„Pagadon, ich glaube ich werde langsam verrückt..." Mit diesen Worten folgt Rhonda dem Barden.
Räuber - 2. Segment
Lautlos folgt die Gestalt dem nichtsahnenden Kaufmann .Jede Ecke, jeden Schatten oder Mauervorsprung nutzt er aus, immer darauf bedacht, von niemanden entdeckt zu werden. Seine Bewegungen sind fließend und schnell. Wenn man ihn beobachtet und dabei auch nur mit den Wimpern zuckt, dann ist er genau in diesem Moment verschwunden. Nicht umsonst wird er der Unsichtbare genannt.
Auf seinem Kopf winkt eine vierstellige Summe an Goldmünzen als Belohnung, liefert man ihn lebendig aus, dann sinkt dieser Betrag auf die Hälfte. Es erfüllt Ihn mit Stolz, dass er tot einen höheren Wert hat. Es kommt für ihn einer Auszeichnung gleich, so berüchtigt zu sein.
Jetzt scheint die Gelegenheit günstig zuzuschlagen, der dicke, reich bekleidete Kaufmann ist in eine schmale Gasse abgebogen. Wie gut, dass es auch im Reichenviertel unüberschaubare Ecken gibt.
Behende, wie eine jagende Katze, springt er den gewichtigen Reichen an. Zielsicher zieht sich sein scharfes Stilett durch den fettigen Hals seines Opfers. Der Kaufmann greift schockiert an seine frische Schnittwunde, darauf hat er nur gewartet.
Flink greifen seine Hände in die Taschen des Kaufmannes, der noch nicht verstanden hat, dass er nicht tödlich verletzt ist.
Er hat seine Haut absichtlich nur angeritzt, um ihn abzulenken. Töten würde er nur im Notfall, wenn es darum ging seinen eigenen Kopf zu retten.
„Gebt dem Mann seine Sachen zurück!" Gleichzeitig spürt er die Spitze eines Schwertes an seinem Nacken. Dem Druck nach ist ein großes, unhandliches Schwert. Er wäre flink genug, darunter hinwegzutauchen und der Besitzerin dieser herrischen, weiblichen Stimme einen kritischen Stoß mit seiner Waffe zu verpassen.
„Klariss!"
Der Dieb schaut verärgert auf, vor ihm steht eine andere Frau. Sie hält zwei Schwerter in den Händen, die bedrohlich glühen. Ihr Kurzschwert in einem grellen Gelb und ihr Bastardsschwert in einem unheimlichen Blau.
„Ich rate Euch stehen zu bleiben, Räuber! Diese Frau gehört mir!" grummelt Rhonda mit tiefer Stimme.
„Gebt dem Mann das Gold wieder, los macht schon!" fordert die andere Stimme hinter seinem Rücken.
Er hat schon viele seltsame und verrückte Situationen erlebt, aber eine solche... Wie soll er nun weiter vorgehen, eine Flucht mit seiner Beute erscheint ihm aussichtslos. Widerwillig steckt er die prall gefüllten Lederbeutel in die Taschen des reichen Mannes zurück.
„Gut so?"
Die beiden Frauen schweigen.
„Ich darf mich empfehlen?"
Keine der beiden weiblichen Kämpfer sagt nur ein Sterbenswort.
„Bis dann..." murmelt der Räuber und zieht sich gewandt aus der Front zurück, niemand hindert ihn daran, man lässt ihn gewähren.
Ein seltsames Paar, denkt er sich verärgert und bleibt in einiger Entfernung stehen. Der Kaufmann steht immer noch wie versteinert in der Gasse und hält seinen Hals mit beiden Händen zu. Die beiden Kämpferinnen stehen sich gegenüber, handeln aber nicht. Die Frau, die ihn aus dem Rücken heraus bedrohte, hält nur ein Schwert, ebenfalls ein Besonderes. Es leuchtet strahlend weiß.
„Was wollt Ihr, Rhonda?"
„Meinen Kampf!"
„Ich werde nicht mit Euch kämpfen!"
„Doch! Ich habe noch eine Rechnung mit Euch offen?"
„Rhonda?! Mit Verlaub, Ihr spinnt, ich schulde Euch mein Leben. Warum wollt Ihr es jetzt auf einmal nehmen? Sagt, welche Rechnung Ihr mit mir begleichen wollt.
„Ich will meinen Kampf mit Euch, wenn Ihr sterbend vor mir am Boden liegt, dann werde ich Euch sagen, was ihr mir..."
Rhonda hält inne, etwas schlug an ihre Schläfe.
Der Unsichtbare hat es gesehen, er sah wie eine braungekleidete Gestalt mit einer Schleuder bewaffnet, einen Stein auf diese Rhonda abschoss!
„Lauft, Klariss! Lauft weg!" ruft dieser hektisch und läuft auf die beiden Frauen zu.
Klariss weicht zurück, bereit jeden Moment einer plötzlichen Attacke zu begegnen.
„Nun rennt weg, Klariss!" die Stimme des Mannes hat einen tiefen, flehenden Tonfall.
„Ich verstehe Euch nicht, Rhonda!" Endlich dreht sich Klariss um und läuft, läuft vor ihrem sicheren Tod weg.
„Rhonda?" Pagadon steht keine drei Schritte von Rhonda entfernt, er keucht. Seine Partnerin steht stumm in der Gasse und bewegt sich nicht. Sie steht immer noch in der Angriffsposition da, dunkelrote Blutbahnen laufen von der getroffenen Schläfe ihre Wangen herab und benetzen den ausgedörrten Boden.
„Warum?" Rhondas Stimme ist leise und kläglich, „Sag mir Pagadon, warum stehe ich in dieser Gasse? Wie komme ich hierher?"
Ihre Schwerter fallen dumpf auf die schmutzige Straße.
Langsam dreht sich Rhonda um und blickt Pagadon hilfesuchend an.
Es ist das erste Mal, dass Pagadon sie weinen sieht. Ihre großen Augen scheinen regelrecht in der Tränenflüssigkeit zu schwimmen, dicke Kullerbälle der salzigen Flüssigkeit rinnen an ihr herab.
„Hilf mir, Pagadon! So hilf mir doch..."
„Würde ich ja, wenn ich nur wüsste wie..." Pagadons Stimme scheint ebenfalls zu versagen, der Zusammenbruch seiner Partnerin nimmt ihn richtig mit.
„Ich wüsste vielleicht, wie..." meint der Unsichtbare und nähert sich den beiden vorsichtig, „Aber ich habe meinen Preis!"
„Und welchen?" Auch Pagadons Blick ist glasig, doch dann reißt er sich zusammen und wischt sich die Tränen aus den Augen.
„Ich will Ihren Dreitöter!"
Irrsinn - 3. Segment
Das Zimmer ist spartanisch eingerichtet, an der Wand steht ein marodes Bett mit einer durchgelegenen Strohmatratze. Durch das, vom Straßenstaub, halbblinde Fenster fällt gedämpftes Sonnenlicht auf das bleiche Gesicht Rhondas.
Sie liegt auf dem Bett und starrt stumm gegen die wurmstichige Holzdecke. Auf ihrer Schläfe liegt ein übelriechender Brei aus Heilkräutern und Pferdekot.
Die Tür öffnet sich verhalten, Pagadon huscht durch den Spalt in das Zimmer, pedantisch darauf bedacht keine Geräusche zu verursachen.
„Rhonda?" flüstert er, auf eine Antwort hoffend.
Sie schweigt und zeigt keine Reaktion. Ihr Blick hängt weiter an der schlecht verarbeiteten Decke.
„Rhonda, warum gehst Du nicht auf das Angebot des Diebes ein?"
Vielleicht weiß er ja doch mehr, al..."
„Du traust einer Straßenratte?" Rhondas Stimme klingt kraftlos und frustriert, „Ich hatte gehofft, Du seiest nicht mehr so vertrauensselig!"
„Aber... aber wenn er doch..."
„Der Kerl hat es nur auf meinen Dreitöter abgesehen..." unterbricht sie ihn verärgert.
„Und wenn nic.."
Ein vorsichtiges Klopfen an der Tür lässt ihn innehalten. „Besuch!" meint er knapp und schiebt Rhondas Waffengehänge leise vom Bett weg.
„Was soll der Quatsch, Pagadon? Schieb die Waffen wieder zurück!" knurrt Rhonda verärgert.
„Besser nicht... HEREIN!"
Zögernd betritt Klariss den dumpfen Raum. Sie schweigt.
„Geht mir aus den Augen!" grollt Rhonda mit bedrohlicher Stimme.
„NEIN, bleibt..." meint Pagadon beschwörend zu Klariss.
„Warum sollte ich? Nur auf Eure Bitte hin, bin ich hierher gekommen... Eure Partnerin will mich nicht sehen, also gehe ich!" entgegnet Klariss verstimmt-
„Bitte, geht nicht..." beginnt Pagadon, dann lässt ihn Rhondas wütender Aufschrei nicht weiterreden.
Sie ist aus dem Bett gesprungen und greift nach ihren Schwertern. Doch ihr Griff geht ins Leere. „Pagadon! Du Verräter!" keift sie ungehalten, „egal, ich werde Euch mit meinen bloßen Händen töten!"
Einen grellen Kampfschrei ausstoßend, stürzt sie sich auf den Besuch.
Klariss hätte ihr heiliges Schwert ziehen können, doch dieser unbewaffnete Angriff verbietet es ihr, sie hält sich starr an den Kodex, den sie einst schwor: „Grundsätzlich einen waffengleichen Kampf führen."
Rhonda ist flink und schnell, zu schnell für Klariss. Die ersten harten Faustschläge kann die Paladinnovizin noch abwehren, dann durchbricht Rhondas Schlagkombo Klariss Abwehr.
Schwer getroffen stöhnt Klariss auf, sie verliert ihren festen Stand und geht zu Boden, keine Sekunde später fällt auch Rhonda.
„Entschuldige, Rhonda!" murmelt Pagadon betroffen und lässt den Holzprügel, mit dem er seine Partnerin niederschlug, zu Boden fallen.
Unter heftigen Kopfschmerzen erwacht Rhonda aus ihrer Ohnmacht, was war schon wieder geschehen? Jemand hatte an der Tür geklopft, Pagadon hat ihre Waffen versteckt, der Besuch trat ein und dann... dann fehlt ihr die Erinnerung. Wenn ihr Kopf nur nicht so schmerzen würde.
„Wo bin ich?" Langsam öffnet sie ihre Augen und blickt gegen eine, ihr wohlbekannte, Decke. „Pagadon?" flüstert sie leise.
„Ah, du bist wieder bei Bewusstsein!" Auf Pagadons Gesicht zeichnet sich sichtliche Erleichterung ab.
„Was war? Warum schmerzt mein Kopf?" Sie versucht sich an den Kopf zu fassen, doch ihre Arme samt Hände verweigern ihren Dienst.
„Pagadon? Was soll das?" Rhondas schwache Stimme färbt sich säuerlich, „warum hast Du meine Hände an das Bett gebunden?"
Pagadon schaut sie traurig an, „ Es fiel mir nicht leicht! Ehrlich nicht, aber ich möchte, dass Du Dich mit Klariss endlich unterhältst!"
„Wie, Klariss? Ist sie hier? Ich muss sie finden..."
„Das weiß ich, Rhonda! Deswegen sind wir ja auch hier nach Aspen gereist. Aber warum, willst Du Klariss unbedingt töten?"
„Töten? Ich? Klariss? Nein, ich muss sie finden, ich muss sie warnen, man will sie töten..."
„Rhonda! DU willst sie töten!"
„Nein, nein! Nicht ich, sondern... SIRA!"
„Sira? Wer ist Sira? Woher weißt Du das?"
„... ich weiß es nicht, ehrlich...Nachdem Klariss in der Öde fortgegangen war, wusste ich es einfach."
„Vielleicht weiß Klariss, wer Sira ist?" Pagadon geht zur Tür und öffnet sie. Mit unwilligen Gesicht, einem blauen, blutunterlaufenden, Auge und weiteren sichtbaren Blessuren, tritt Klariss, erst nachdem sie sich versichert hat, dass Rhonda am Bett festgebunden ist, erneut in das Zimmer.
Wütend zerrt Rhonda an den Lederriemen, die Pagadon fest um Rhondas Hände gebunden hatte. „MACH MICH LOS, PAGADON!" Mit aller Gewalt versucht sie ihre Fesseln zu sprengen, die sich immer tiefer in ihre Handgelenkte schneiden. „PAAAAAAAGAAAAAAAAAAAAAAAAAADOOOOOOOOOOOOOOOOOOON!" Ihr hysterischer Schrei lässt den Barden einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen.
„Ich verstehe das einfach nicht... gerade war Rhonda noch normal." Er wirft Klariss einen hilfesuchenden Blick zu, die schon wieder in der Tür steht, bereit jeden Moment zu fliehen.
„Lasst uns draußen reden" meint sie knapp und verlässt eilig den Raum.
Kaum ist sie verschwunden, fällt Rhonda erschöpft auf ihre Bett zurück. Ihre Handgelenke brennen wie Feuer, ihr Stimmband schmerzt. „Mach mich los, Pagadon! Bitte!" wimmert sie. Wieder kann sie sich an das letzte Geschehnis nicht erinnern, e ist so, als ob etwas aus ihrem Bewusstsein herausgeschnitten wurde.
„Ich bin gleich wieder da!" murmelt Pagadon, der sichtlich mitleidet, dann verlässt er das Zimmer.
„Aber..." Rhonda ist verzweifelt, mit Tränen in den Augen schaut sie wieder gegen die marode Holzdecke und wartet, wartet auf Pagadons Rückkehr.
Einbruch - 4. Segment
Sie sitzt still in einer Ecke des Schankraum der Herberge. Sollte sie Rhonda nun helfen oder nicht? Was für eine Frage für eine rechtschaffende Paladin? Noch ist sie nur Novizin und darf sich solchen Fragen stellen, aber sieht sie überhaupt einen Sinn darin, den Lehren eines Ordens zu folgen, der Ihren Tod wollte. Wäre es nicht einfacher, diesen Lehren abzuschwören und einen neuen Sinn in ihrem Leben zu sehen. Wollte sie überhaupt noch der Rechtschaffenheit dienen?
„Hier seid ihr!" Pagadons Stimme holt sie unsanft aus ihren Gedankengang heraus.
„Ich mochte nicht wie ein Lakai vor der Tür warten."
„Ja, ich hatte mich unglücklich ausgedrückt" bekennt der Barde. „Die momentane Situation überfordert mich im Augenblick, da fallen halt Worte, die ich nicht erst überlege."
„Macht Euch nicht selbst nieder, ich verstehe Euer Problem!" lenkt Klariss ein, „eure Partnerin verstehe ich allerdings nicht!"
„Mir geht es nicht anders! So habe ich Rhonda noch nie erlebt, ich hatte sogar schon die Vermutung, dass sie gar nicht weinen kann."
Sein betroffener Blick berührt Klariss. Ihr wird entgültig klar, dass sie helfen muss. Nicht aus Dankbarkeit, nein es ist mehr. Es ist ihre Möglichkeit sich selbst zu beweisen. Lebt der Geist der Paladin in ihr oder nicht. Rhonda, diese besessene Rhonda, ist Ihre Prüfung. Sie darf keine Angst haben, Mut und Spiritualität zeichnet eine Paladin aus.
Längst vergessene Worte ihrer Lehrmeisterin erhalten in diesem Moment einen Sinn. In ihren Augen erwacht das Feuer der Entschlossenheit. Ja, dies würde die Lösung sein.
„Ich werde nochmals zu ihr gehen... achtet so lange auf mein Schwert. Ein Paladin der dunkelblauen Robe tritt einer Gefangenen nicht bewaffnet gegenüber." Sie steht, vom Geist der Paladin beseelt, auf und legt das weiße, rein glänzende Schwert auf den klebrigen Holztisch.
Pagadon sagt nichts. Verwirrt schaut er abwechselnd zum Schwert und Klariss, die bereits auf dem Weg zur Treppe ist, die zu den Gästezimmern führt.
Sein Blick streift erneut das reine Schwert, da war doch was... Interessiert greift er danach, direkt unter dem Griff ist etwas eingraviert, eine Schrift, ein Name.
„Sira" liest er, war das nicht der Name den Rhonda genannt hatte? Sollte dies der Name des Schwertes sein? Wollte Rhonda Klariss vor diesem Schwert warnen? Ging von diesem Schwert eine Gefahr aus?
„Wo ist der Dreitöter?" zischt der Unsichtbare ungeduldig. Sein rasiermesserscharfes Stilett drückt sich dabei immer tiefer in den blanken Hals der wehrlosen Rhonda.
Getrieben von seiner Gier und seiner Arroganz, einer der Besten zu sein, war er über die Dächer der Häuser gekommen und hatte auf einen günstigen Moment gewartet, in das Zimmer seines Opfers einzudringen.
„Selbst wenn ich es wüsste, so einer dreckigen Straßenratte wie Euch, sage ich es nicht!" würgt Rhonda wütend hervor.
Mit verächtlicher Miene setzt er das Stilett wieder ab, „vielleicht ist Eure Kehle der falsche Ort Eure Gesprächigkeit zu fördern?"
Seine geschickten Hände machen sich an Rhondas Brustpanzer zu schaffen, „mal sehen, ob dies der richtige Ort... ei der Daus, was haben wir denn hier?" ruft er freudig aus und greift zu.
Doch sein Interesse gilt nicht ihren wohlgeformten Brüsten, sondern dem reich verzierten, weißlich rein strahlenden Brustdolch, der zwischen ihnen steckt.
"Finger weg!" knurrt Rhonda mit gefährlicher Stimme, die den Unsichtbaren aber nicht zu beeindrucken scheint.
Seine Augen leuchten verzückt auf, „was für ein Meisterstück!" Fast schon ehrfürchtig dreht er das kleine Mordwerkzeug in seinen Händen.
„Tragt Ihr noch mehr dieser Accessoires?" fragt er mit einem dreckigen Grinsen.
„Wagt Euch!" kontert Rhonda kalt, erntet aber nur ein müdes Lächeln, das unvermittelt erstirbt. Mit einer Störung hatte er nicht gerechnet und Klariss, die überrascht in der Tür steht, ist eine solche.
„Mit den besten Empfehlungen!" Gehässig kichernd hechtet er aus dem geöffneten Fenster auf das nächste Dach eines naheliegenden Hauses und entschwindet im Schatten.
„Klariss? Endlich..." entfährt es Rhonda, die erst jetzt den Grund der plötzlichen Flucht versteht.
Auch Klariss hat sich wieder gefasst und schaut Rhonda ungläubig an. „Es hat geklappt! Der Geist der Paladin hat Euren Körper gereinigt! Ihr schreit nicht mehr, wenn Ihr mich seht, noch zeigt Ihr ein wütendes Verhalten. Ihr seid geheilt!" ruft sie freudig aus.
Sira - 5. Segment
„Dieses Schwert heißt Sira.." erklärt Pagadon den beiden Frauen, die fast schon freundschaftlich nebeneinander auf dem Bett sitzen.
„Meine Schwertmeisterin heißst auch so!" wirft Klariss wissend ein.
„Ah... vielleicht gehört Ihr ja dieses Schwert?" bemerkt Pagadon und schaut Rhonda fragend an.
„Tja...", Rhonda kratzt sich verlegen am Kopf, „diese Paladin hat mir, bevor sie starb ihren Namen nicht verraten. Keine Ahnung!"
Pagadons Blick schweift zu Klariss, die in ihren Erinnerungen kramt.
„Hm, die Paladin erhalten ein heiliges Schwert und einen heiligen Brustdolch mit Widmung der Dunkelblauen Robe, wenn sie die Prüfung der Blauen Robe erfolgreich abgelegt haben. Wie war das noch mal... mh... der Brustdolch hieß ARIES und das Schwert ... SIRA." erkennt sie verblüfft.
„Und weiter?" Pagadon glaubt langsam zu verstehen, was geschehen ist. „Stehen das Schwert und der Dolch in einer Verbindung?"
Klariss lächelt hilflos, „Ich habe bei den ganzen Unterweisungen immer nur halb hingehört. Das einzige, woran ich mich noch erinnere, ist der Ausspruch: Der Brustdolch wird immer die Nähe zum Schwert suchen, seiner Mutter."
Rhonda, die bis jetzt unentwegt ihre schmerzenden Handgelenke massiert hat, muss schwer schlucken.
„Hatten die tote Paladin auch einen Brustdolch? Hast DU den etwa?"
„Deine Fragen werden auch immer pikanter, Pagadon!" doch Rhondas Versuch schnippisch zu antworten hält aufgrund der ganzen Ereignisse nicht an, beinahe schüchtern fügt sie hinzu, „es hat mich damals ungemein imponiert, was für ein Mut von Klariss ausgeht... irgendwie wollte ich ihr sozusagen symbolisch nacheifern.. ja, die tote Paladin hatte einen Brustdolch, einen sehr schönen, übrigens! Nach Klariss Weggang habe ich ihn angelegt, sozusagen als Erinnerung meiner Erkennt bezüglich dem wahren Mut."
„Wahren Mut?" echot Klariss mit fragender Stimme-
„Ich habe erkannt, dass es mehr Mut erfordert einem Kampf zu widerstehen als ihn zu suchen..."
„Rhonda, warum hast Du mir von dem Brustdolch nichts erzählt?" Pagadons Stimme klingt schon fast beleidigt.
„Erzählst DU mir etwa, was Du in der oberen Hälfte deiner Hose alles trägst?" erwidert Rhonda grinsend.
Für einen kurzen Moment schweigt Pagadon, dann nickt er. „Gut, und wo ist der Dolch jetzt?"
„Weg!"
„Wie weg? Wo ist er?"
„Während Du unten mit dem heiligen Schwert rumgespielt hast, hat mich dieser räudige Stadtdieb bestohlen. Eigentlich wollte diese Ratte meinen Dreitöter haben, doch den hast Du ja vorsorglich versteckt! Da hast Du unbewusst einmal schlau gehandelt."
„Ähmen, hat er etwa... und dann hat er ..."
„Halbelf Pagadon! Ja, hat er!"
„Der Brustdolch...", lenkt Klariss ein, „gehen von ihm diese Aggressionen gegen mich aus?"
„Ich fürchte schon! Der Dolch will um jeden Preis, bei seiner Mutter, dem Schwert sein!" Pagadon weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll. In der Haut des Räubers möchte er nicht stecken.
Die Gier des Unsichtbaren ist noch nicht gestillt. Obwohl er nun im Bestz dieses besonderen Brustdolches ist, will er den Dreitöter.
Erst kürzlich hat ein reicher Kaufmann 50.000 Platinmünzen dafür geboten und mit dieser Summe könnte er sich niederlassen und bis an sein Lebensende glücklich leben. Alles was er dafür brauchte war Geduld, viel Geduld, denn das Objekt seiner Begierde samt der hübschen Besitzerin will die Herberge anscheinend nicht verlassen. Oder sollte er nochmals durch das Fenster spähen?
Er hatte zwar beim ersten Mal nicht verstanden, warum die Frau ans Bett gebunden war, aber es hatte seine Arbeit sehr erleichtert! Versteh einer die Leute...
Da endlich... die Besitzerin des Dreitöters verlässt das Haus. Mit der Geschmeidigkeit einer Katze folgt er ihr, seine Augen sind wachsam und seine Ohren gespitzt. Nur, was soll dieses seltsame Gefühl in ihm. Ein Gefühl, das er nicht versteht. Er will doch den Dreitöter... warum zieht es ihn aber auch zur Herberge? Mit eisernen Willen zwingt er sich der Dreitöter-Trägerin zu folgen, aber seine Agilität verweigert ihren Dienst. Schon fast schwerfällig trabt er hinter ihr her.
Zu spät! Die Besitzerin des Dreitöters hat sich ihm zugewendet, ihre Schwerter tanzen bedrohlich in ihren Händen, dann stürzt sie auf ihn los. So schnell er es vermag, springt er nach hinten weg und rollt sich ab. Er weiß zwar nicht, wohin er flieht, aber er läuft, nein er rennt um sein Leben. Gehetzt von der Angst und Panik.
Ihm scheint, als ob die Häuser an ihm vorbeieilen und bewegt sich in einem rasenden Tempo auf die Herbergstür zu, die sich in diesem Moment öffnet.
In der Tür steht die Frau mit dem strahlend weißen Schwert. Er läuft zu schnell, eigentlich hat er gar keine Kontrolle mehr über seine Beine, die zielstrebig auf dieses helle, ihn in Abwehr gehaltene, Schwert zulaufen.
„Nein..." kann er noch schreien, dann ist alles vorbei. Sein Körper hat sich in die offene Klinge gestürzt und seine Aufgabe erfüllt.
Der Brustdolch ist zu seiner Mutter zurückgekehrt.
Andreas Fischer
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