Im Berg
2001-01
von Andreas Fischer
Die schwere, gusseiserne Picke hackte in kurzen Abständen auf das schlecht beleuchtete Gestein. Sein Atem ging schon schwer und seine Kleidung war schweißnass. Aufhören konnte er nicht, es ging nicht. Zu groß war seine Gier auf das Gold, das er durch das Gestein roch. Es war fast so, als ob das Gold ihn zu rufen schien. „Befreie mich, Zoren Sippenhelm. Lass Deine Spitzhacke nicht ruhen. Erlöse mich aus dieser Umklammerung, schlage mich aus dem Stein." Es gab nichts, was er noch lieber täte.
Unermüdlich schlug er das veredelte Eisen in den Berg, das jedes Mal den gleichen drögen Ton erzeugte. Er aber liebte dieses Geräusch, für ihn war es wie die schönste Musik.
Dicke Gesteinsbrocken fielen auf den, mit Schutt übersäten, unebenen Steinboden, während er sich immer tiefer in den Berg grub. Weit konnte er nicht mehr von der Goldader entfernt sein, mit jedem weiteren Atemzug sog er den frischen, unnachahmlichen Geruch von Gold ein. Gleich, gleich würde er es geschafft haben. Schnaufend hob er sein schweres Arbeitsgerät über seinen Kopf und trieb es, mit all seiner noch verbliebenden Kraft, tief ins Gestein.
Diesmal lösten sich nicht nur dicke Brocken aus der steinigen Wand, auch aus der schroffen Höhlendecke rieselten kleine Steinchen. Bereits im nächsten Moment, noch ehe Zoren reagieren konnte, stürzte die Decke über ihn ein.
Die harten Felsenstücke marterten seine Schutzhelm und fügten ihm neue Dellen hinzu, sie schlugen hart auf seinen Körper ein. Aber nur kurz, es folgte ein weiterer Niederschlag von oben, nur dieser klimperte und roch gut.
„Gold!" rief er überglücklich und streckte befreiend seine Hände aus. Als der Goldregen endlich versiegte, steckte nur noch sein Kopf aus dem niedergegangenen Goldmünzenberg. „Münzen!" erkannte er ungläubig.
„Dieb!" fauchte eine zornige Stimme über ihm. Verdutzt schaute Zoren nach oben. Aus dem finsteren Loch über ihm funkelten zwei grellgrüne Augen böse auf ihn herab.
„Das ist MEIN Gold..." murmelte Zoren trotzig und schälte sich vorsichtig aus dem Haufen heraus.
„Ich sollte Euch rösten für Eure dreiste Äußerung!" wütete die kehlige Stimme weiter.
Oh, ein Drache, noch dazu ein feuerspeiender. Zoren, sei auf der Hut. Die unterschiedlichsten Gedanken von einer Flucht bis zum Kampf gegen den Drachen beherrschten ihn. Die Öffnung war zu klein für den Kopf des Reptils, sonst hätte es ihn wohl schon unlängst gefressen. „Aber dann schmilzt das ganze schöne Gold!" sagte er schließlich.
Der Drache schien zu schweigen, „Ich WILL mein Gold zurück!" grollte er.
„Seht Ihr?! Wenn Ihr mich röstet, dann werdet Ihr wohl nie Euer Gold wiedersehen!" entgegnete Zoren mit listiger Stimme.
„Mmmh...", der Drache schien zu überlegen, „Aber wenn ich Euch laufen lasse, werde ich mein Gold auch nicht wiedersehen und womöglich werdet Ihr mir meinen Schatz stehlen!"
„Ich?" Zoren versuchte in einem möglichst unschuldigen Tonfall zu sprechen.
„Euch Zwerge kenne ich zu Genüge, nur schade, dass ihr selbst in einem gegrillten Zustand nicht schmeckt!"
Ein Glück, grinste Zoren stumm. „Ich mache Euch einen Vorschlag, Drache. Wenn Ihr mein Rätsel löst, dann werfe ich das Gold Euch wieder hoch, wenn nicht..."
„Was dann? Nein, das Gold bekommt Ihr nicht!" knurrte der Drache aufgebracht.
„Iwo, wer will denn Euer Gold?" log der Zwerg, „wenn Ihr mein Rätsel nicht lösen könnt, dann lasst Ihr mich wieder ziehen!"
„Gut" willigte der Drache ein, da er nichts, außer einem ungenießbaren Zwerg, zu verlieren hatte.
„Ich gebe Euch drei Antwortversuche, ist Euch das recht?"
„Klar!" prahlte der Drache aus dem Dunkel, „ich werde das Rätsel ohnehin auf Anhieb lösen. Man nennt mich auch, Schmauch den rätsellösenden Steindrachen!"
Oh weh, bedauerte sich Zoren, der von diesem Steindrachen schon viele Schreckensgeschichten gehört hatte, aber nun musste er diese Gefahr meistern. „Also, mein Rätsel lautet: Kennt man es nicht, dann ist es interessant, kennt man es hingegen, dann ist es uninteressant."
„Ein Geheimnis!" platzte es spontan aus dem Drachen heraus, „nun werft die Münzen hoch!"
„Moment!" widersprach Zoren, „die Antwort stimmt nicht!"
„Sie könnte aber stimmen!" entgegnete der Drache mit Nachdruck.
„Nun ja, lenkte der Zwerg ein, „ich hatte eher an die Lösung Rätsel gedacht. Ich stelle ein Ersatzrätsel..."
„Stellt nur ein anderes, die Lösung kenne ich ohnehin." meinte der Drache selbstbewusst.
„ Es ist klein, doch es ist mächtig, auch braucht es eine führende Hand. Durchdringt das härteste Hindernis und ist doch so zerbrechlich!"
„Ein Ritter mit Schwert!" kicherte der Drache sofort los, „nun helft mir!"
„Einen Augenblick, die Lösung wäre Spitzhacke gewesen." Zoren wusste nicht mehr weiter, dieser Drache schien wirklich auf jedes Rätsel eine Antwort zu wissen. Was er brauchte, war ein wirklich schweres Rätsel.
„Langsam werde ich aber ungeduldig, Zwerg!" maulte der Drache eingeschnappt.
„Einen letzten Versuch, bitte..."
„Macht hin, mein Magen knurrt und ich möchte mal wieder genüsslich einen arglosen Menschen verspeisen!"
„Ist ja gut, also: Ich bin mächtig, bringe selbst Felsen zum Schmelzen und fresse alles, was in meine Nähe kommt. Bin ich aber satt vom Fressen, dann bin ich schwach und sterbe an Hunger."
„Oh..." rutschte es überrascht aus dem Drachen heraus. „Lasst mich nachdenken, ist es ein Ork?"
„Nein!"
„Ein Troll?"
„Na-ein!"
„Eine Taraske!"
„Nö! Ich habe gewonnen, ich kann gehen." Und flugs hechtete der Zwerg eilig den Gang zurück.
„Und die Lösung?" rief der Drache neugierig hinterher.
„Na, Feuer!" lachte Zoren, der sich in Sicherheit glaubte.
„Aber....aber..." erinnerte sich der Drache, „ihr meint also, dass Feuer Felsen schmelzen kann?"
„Ja, natürlich...." grinste Zoren. Glücklich, sich wieder in Sicherheit zu wissen, überkam ihn seine Gier. Da war sie wieder, wie unschuldig diese kleinen Goldstücke ihn doch anfunkelten, riefen sie nicht nach ihm? Sollte er es wagen? Diese Goldstücke konnte er doch nicht nutzlos liegen lassen. Zwei Handvoll würden ja für den Anfang reichen, später wenn der Drachen weg wäre, dann würde er sich den Rest holen kommen.
Vorsichtig und so leise er konnte, schlich er sich wieder näher an den Goldberg heran. Gleich, gleich würde er seine Gier wieder mäßigen können, sobald er zwei Handvoll Gold sein Eigen nennen konnte.
Eine gleißende, höllenheiße Feuerwulst brach ohne Vorwarnung über ihn ein. Noch ehe er Schmerzen verspüren konnte, war er verkohlt und versank in der mehrere tausend Grad heißen Suppe aus geschmolzenen Gold.
„So ein Betrüger, wenn ich den erwische!" grummelte der Steindrache enttäuscht. „Von wegen, Feuer schmilzt Felsen!" und schaute traurig in die goldene Pfütze unter sich.
Andreas Fischer
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