Welten erschaffen - Anregung¸ Erschaffung einer Spielwelt
von Christoph Böhler
Bezeichnung: Welten erschaffen
Motivation: Anregung, Erschaffung einer Spielwelt
Gehört zum Kapitel: Spielwelt
Dieser Artikel wurde erstmalig im monatlichen Rollenspiel-Magazin Envoyer veröffentlicht und vom
Ein Beitrag von Christoph Böhler
Irgendwann kommt für jeden Spielleiter der Punkt, an dem er mit dem Gedanken spielt, seine eigene Rollenspielwelt zu gestalten. Sei es, weil er und seine Spieler sich in der vorgegebenen Welt langweilen, oder weil er eigene Ideen verwirklichen möchte, die ihm die vorgegebene Welt verwehrt.
Wie soll man nun vorgehen? Es gibt sowohl die Möglichkeit vom Globalen zum Einzelnen zu kommen, als auch vom Einzelnen zum Gesamten. Auf der "Hannover spielt" wurde ich während eines Workshops zum Thema "Welten erschaffen" Zeuge einer unfruchtbaren Diskussion, welcher Weg denn nun der bessere sei. Ich meine, keiner davon ist für sich allein gangbar - beide Wege müssen miteinander verknüpft werden, um eine spielbare und stimmige Welt zu erzeugen.
Der erste Schritt sollte es sein, irgendwo in dem großen, weiten Multiversum eine Kugel, oder auch ein anderes Gebilde, nach den Wünschen des Spielleiters auftauchen zu lassen. Dies soll unsere neue Welt tragen.
Am besten nimmt man sich jetzt eine normale Weltkarte und zeichnet deren Umrisse ab. Dann kann man beginnen, Kontinente zu plazieren, Ozeane mit Wasser zu füllen und andere große Dinge wie Gebirge, Ströme oder Wüsten in die Welt zu setzen. Nachdem klar ist, wie Fest und Flüssig verteilt sind, müssen Klimazonen festgelegt werden, um die Gebiete später mit glaubhaften Lebensformen bevölkern zu können. Eine Wüste liegt nun einmal nicht irgendwo mitten zwischen Wäldern eingeschlossen (es sei denn, es handelt sich um einen besonderen Ort). Aber darauf werde ich später eingehen. Wie weit die hier getroffenen Festlegungen ins Detail gehen, bleibt jedem selbst überlassen. Ihr werdet aber sehen, daß viele Dinge noch im Laufe einer Kampagne umgestoßen werden müssen.
Phase eins ist nun abgeschlossen. Die Welt als grobes Gerüst steht. Jetzt machen wir uns daran, das Pferd von hinten aufzuzäumen.
Da niemand eine ganze Welt im Voraus detailliert ausarbeiten kann, beginnen wir jetzt mit etwas kleinem. Wir setzen die erste Ansammlung von zivilisiertem Leben in die Welt. Eine Stadt oder auch nur ein Dorf. Dieses wird detailliert ausgearbeitet, denn es soll den Hintergrund für das erste Abenteuer in der eigenen Welt bieten und den Spielern als Anlaufpunkt dienen. Generell empfehle ich diese erste Region möglichst nah an den
üblichem Fantasykonventionen liegen zu lassen. Die Bevölkerung, sollte also menschlich sein. Dadurch wird Improvisation deutlich einfacher und die Spieler können sich leichter in der Welt einleben. Erschaffen wir also den Ort Bleichengrund.
So, jetzt haben wir also einen Namen. Der Ort liegt im Talgrund eines Flusses namens Bleiche - Wasser gibts also auch. Auf meiner Karte sieht es nach einem Seengebiet aus, dementsprechend gibt es auch einen großen See, der Fischern als Arbeitsgebiet dient. Bleichengrund soll weitgehend autark sein, demnach muß es alles notwendige geben. Einen Bäcker, einen Krämer, Herberge und Gastwirtschaft, Bauernhöfe und alles, was sonst für einen funktionierenden kleinen Ort im frühen Mittelalter notwendig war. Natürlich muß der Ort auch all die Personen und Gebäude beinhalten, die für geplante Abenteuer notwendig sind. Jetzt muß noch geklärt werden, wer das Sagen hat. Nun, da wir uns am frühen Mittelalter orientieren wollen, setzen wir einen Adligen in einen ausgebauten, ehemaligen Wehrturm in die Nähe des Ortes. Wer ist für die geistige Führung zuständig? Lassen wir es einen Druiden sein, der den Ort religiös betreut. Jeder im Ort glaubt also an Dagda, die große Mutter (ist sowieso die typische Religion in der Gegend). Und wie wird der Glaube praktiziert? Es gibt den Feiertag,
der... .
Ihr merkt schon, worauf das hinausläuft. Wenn ich einen Ort geschaffen habe, weiß ich schon viel über die ganze Region und kann bereits das erste Abenteuer leiten..
Ist der erste Ort geschaffen, ist es leicht, die nächsten zu schaffen. Es kann einfach davon ausgegangen werden, mit welchen Orten Ort 1 handelt, wo die nächsthöheren Verwaltungsinstanzen liegen und mit wem Ort 1 Schwierigkeiten hat.
Generell ist es egal, ob es sich um einen Ort, eine Region oder einen ganzen Kontinent handelt, wichtig ist, folgende Dinge festzulegen:
selbigen schon haben? Wie stellen sie das an?
Also: WER? WAS? WIE? WARUM?
Diese vier Fragen müssen jeweils geklärt werden, denn wenn es diese Gruppierungen (powergoups) gibt, lebt die Welt. Powergroups können dabei bekannte und öffentliche Stellen sein, z.B. Adel, religiöse Gemeinschaften oder Gilden. Genauso gut kann es sich um versteckt agierende Geheimbünde handeln. Dabei ist es nicht so
relevant, ob die jeweilige Gruppierung gut oder böse ist. Die Gruppen haben ihre eigenen Interessen und Pläne in dieser Welt, so können sich die Charaktere Freunde und Feinde schaffen, was für den weiteren Verlauf einer Kampagne ausschlaggebend sein kann.
Die neue Welt entwickelt sich also nach dem Schneeballprinzip, der ausgehend von einem kleinen Ort über eine Fläche, die wir zu Beginn geschaffen haben, rollt. Und er kann nur auf ganz bestimmte Weise rollen, ebenso wie die Gebiete und Klimazonen es ermöglichen. In einer trockenen Wüstenzone wird man kaum eine blühende Seefahrerkultur antreffen.
So entwickelt sich die neue Welt immer weiter und breitet sich aus. Dabei stehen dem Spielleiter immer noch alle Wege offen. Er kann vorher getroffene, globale Festlegungen umstoßen, wenn es nötig sein sollte; er kann notfalls auch auf weit entfernte Gebiete und Kontinente ausweichen.
Bei allem, was man erschafft, sollte man darauf achten, den Gesetzen der Logik und den bekannten Gesetzmäßigkeiten unserer Welt zu folgen. Flüsse fließen eben bergab und die Leute müssen irgendwo Trinkwasser haben. Versucht die Frage: "Kann das so nach den Gesetzen der Logik existieren?" mit JA zu beantworten. Wenn es in Eurer Welt zu viele Ungereimtheiten gibt, werden Euch die Spieler ständig darauf aufmerksam machen.
Besondere Orte sind solche, an denen die Gesetze der Logik eben nicht gelten. Der Meister muß sich aber auch für diese Phänomene glaubhafte Erklärungen ausdenken. Die immer akzeptierte Erklärung ist Magie.
Natürlich kann der Spielleiter erschaffen was er möchte, er sollte sich aber an das alte Sprichwort "Was der Bauer nicht kennt, das frißt er nicht!" halten. Das gilt nämlich auch für Geschichten und Spieler. Nicht zu absurd und an den Haaren herbei gezogen denken.
Die Welt sollte auf alle Fälle mit Legenden und Mythen gewürzt werden, sie sind das Salz in der Suppe einer Spielwelt. Die alte und vergangene Zeit sollte immer mächtig und mystisch sein. Laßt die Spieler Anhaltspunkte auf große Schätze in alten Märchen und Sagen finden. Strahlende Augen werden es dir danken.
Ein ebenso interessanter Punkt ist, wie die Spieler in die Welt gelangen. Die klassische Version ist, die Spieler durch irgendwelche Dimensionstore oder Teleporter laufen zu lassen. Ich selbst habe mal die Mitglieder einer Gruppe, die sich vorher nicht kannten, durch einen mißglückten Teleportationszauber in eine neue Welt gebracht. Jeder hatte sein eigenes kleines Abenteuer, in dessen Verlauf er in die neue Welt teleportiert wurde. Gangbar ist es auch, die Spieler irgendwo aus dieser Welt kommen zu lassen. Das hat den Vorteil, daß man sich nicht die ganze Arbeit selber machen muß, sondern einzelne Gebiete von Spielern ausarbeiten lassen kann. Jetzt werden einige denken, dadurch wissen die Spieler ja zu viele Dinge über die Welt. Wenn man bedenkt, wie langsam Kommunikation im Mittelalter ablief, und welchen geringen Umgebungsbereich sie erfaßte, fällt die Kenntnis dieses kleinen Gebietes kaum ins Gewicht. Auch bereitet es den Spielern Freude, wenn innerhalb der Abenteuer Dinge auftauchen, die sie sich ausgedacht haben.
Es ergibt sich auch die hervorragende Möglichkeit, mit wechselnden Meistern zu arbeiten. Jeder der Meister deckt einen anderen Bereich der Spielwelt ab. Die Spieler spielen jeweils einen anderen Charakter. So können
in dieser Welt z.B. zwei Gruppen unterwegs sein, die das gleiche Ziel verfolgen. Es ist recht lustig, wenn sich der eine Meister mit den Dingen auseinandersetzen muß, die der andere Meister in die Welt gesetzt hat.
Es gibt zwei Varianten, die Spieler in der neuen Welt Abenteuer erleben zu lassen. Zum einen kann man sie klassisch führen, indem man sie von einer Queste in die nächste stürzt. Man kann die Abenteuer aber auch einfach in der Welt verteilen und den Spielern überlassen, was sie als nächstes machen. Man plaziert einfach Personen und Orte, die als Aufhänger für Abenteuer herhalten, irgendwo in der Welt. Leichtere plaziert man in der Nähe des Ausgangsortes und mit zunehmender Entfernung immer schwerere. Diese zweite Methode hat aber zwei Nachteile: Zum einen können sich die Spieler leicht in Abenteuer begeben, denen sie noch nicht gewachsen sind, zum anderen erfordert sie auch vom Spielleiter enorme Vorbereitung. Er weiß nämlich nicht, wohin die Spieler als nächstes ihren Schritt lenken und muß ständig auf mehrere Abenteuer vorbereitet sein.