Interview mit Tommy Heinig (Anduin) - Fanzines im Fokus I
von Ingo "Greifenklaue" Schulze
Als Ende letzten Jahres im frisch umbenannten Tanelorn-Forum verkündet wurde, dass es bald wieder die Anduin geben würde, gab es reichlich Reaktion - im wesentlichen postitive. Da die Anduin zu den eZines zählen, die auch mich begeistern konnten, hab ich sogleich mit Chefredadakteur Tommy Heinig über die Vergangenheit und Zukunft des Zines gesprochen.
Greifenklaue: Die Anduin hat es bis vor zwei Jahren auf 92 Ausgaben gebracht und ist damit sicherlich, eines der konstantesten eZines gewesen. Wie kam Dir damals die Idee zur Anduin und wie hast Du das so lange durchgehalten?
Tommy: Ich habe schon immer Spaß am Layouten und Schreiben gehabt, bin in beiden Dingen aber nicht der größte Held. Da lag es nahe, diese Aktivitäten als Hobby zu betreiben. Und einem Hobby bleibt man eben treu, solange es Spaß macht. An der Anduin macht mir vor allem das Basteln an einer Ausgabe Spaß, also der Prozess mit anderen Leuten zusammen an einer Ausgabe zu planen, zu sehen wie die Artikel langsam entstehen und diese dann zu einem Magazin zusammenzusetzen. Außerdem motivieren positive Rückmeldungen ungemein - ehrlich gesagt sogar jede Art von Rückmeldung.
Greifenklaue: Was hat Dich damals dazu bewogen, ein eZine und kein herkömmlichen Papier-Zine zu machen?
Tommy: Nun ja, als eZine kann man nur die Ausgaben ab Nummer 61 zählen, denn alles vorher war nicht online. Die Anduin ist vor langer Zeit (fast zwanzig Jahre) als Infoblättchen meiner Rollenspielrunde entstanden, bekam nach und nach mehr Inhalt, der auch für Leute fernab meines Spieltisches interessant war, und wurde schließlich zum typischen selbstkopierten und gehefteten Fanzine. Das wurde an verschiedene Rollenspielläden und -vereine in und um München verteilt. Die Anduin hat also durchaus ihre Wurzeln als herkömmliches Papier-Fanzine.
Greifenklaue: Apropos Papierzine. Es gab ja eine Zeitlang in Kooperation mit dem X-Zine unter dem Titel 'X-Zine Anduin' eine Papierausgabe. Kannst Du uns da einen kurzen Überblick zur Aufgabenverteilung und zur Historie geben?
Tommy: Wir hatten uns damals mit dem allgäuer Rollenspielverein FaGaMo e.V. zusammengetan und veröffentlichten die Anduin als Vereinszeitung. So wurde Jens Peter Kleinau vom X-Zine auf uns aufmerksam und sprach uns an. Er war damals recht angetan von unserem Werk und hat uns eine interessante Zusammenarbeit angeboten. Er fungierte als Organisator und Geldgeber, während wir uns um das eigentlichen Fanzine kümmerten. Leider war aber nach sechs Ausgaben schon wieder Schluß - zum einen weil wir nicht ausreichend Leser und Werbekunden an uns binden konnten, zum anderen aber auch wegen Probleme mit der Druckerei und der internen Kommunikation. Ich betrachte das X-Zine Anduin als interessantes, aber leider gescheitertes Experiment, das sich gegen den ähnlich angelegten, aber bereits eingesesseneren Envoyer nicht behaupten konnte.
Aber zurück zum eZine: Nachdem das X-Zine Anduin eingestellt wurde hätten wir entweder zurück zur Copy-Shop-Auflage von 200 Stück gehen können (nach einer Auflage von 2.000 Stück beim X-Zine Anduin) oder uns dem Internet zuwenden. Die Zeit damals schien günstig und es gab interessante eZines aus dem amerikanischen Bereich wie Demonground oder Action Check. Da haben wir uns für den Aufbruch Richtung Internet entschieden.
Greifenklaue: Vor etwa zwei Jahren - nach 92 Ausgaben - war dann erstmal Schluß. Warum?
Tommy: Ich hatte einfach keinen Bock mehr. Was mir immer wieder Leute übel nehmen ist, dass ich die Anduin als mein Projekt betrachte. Tatsächlich arbeitet schon seit Jahren ein fester Autoren- und Illustratorenkreis als Kernmannschaft an dem Magazin, aber ich nehme für mich in Anspruch, dass es die Anduin nur mit mir oder gar nicht gibt. Aber es ist nun mal mein Hobby und ich möchte zu ihm zurückkehren können, wenn die Lust darauf mich wieder einfängt.
Damals hatte ich wie gesagt keine Lust mehr. Es kamen kaum Rückmeldungen, die Mitarbeit wurde geringer, ich war privat recht angeschlagen und mir erschienen andere Dinge im Leben wichtiger. Die Anduin ist ja bei allem Spaß extrem arbeitsintensiv und ich war einfach nicht mehr bereit, einen großen Teil meiner Freizeit zu opfern, um ein kostenloses Magazin zu veröffentlichen. Ohne Feedback fällt es eben sehr schwer, sich in schwierigen Zeiten ausreichend zu motivieren. Das war recht egoistisch, was ich jetzt auch sehe. Mit diesem Schritt habe ich einiges an Vertrauen bei den Lesern und vor allem meinen Autoren verloren.
Greifenklaue: Nun möchtest Du wieder Anduin-Ausgaben machen. Um genau zu sein gibt es mit der #93 eine Art Best Of-Ausgabe, in jedem Fall eine neue Ausgabe. Was hat Dich dazu bewogen?
Tommy: Mein Fokus hat sich seit der letzten Ausgabe vor zwei Jahren verschoben. Ich sehe die Anduin - oder andere Fanzines - nicht mehr als reinen Selbstzweck, sondern als wichtigen Bestandteil für die Rollenspielszene an sich. Klar, heutzutage übernehmen Blogs und Foren einen großen Teil der Kommunikation, aber ich sehe trotzdem auch für ein an sich veraltetes Konzept wie das klassische eZine einen Bedarf. Viele finden das Komplettpaket, das die Anduin darstellt, spannend, weil sie auch Artikel geliefert bekommen, die sie eigentlich nicht interessiert hätten - sich nun aber doch gut herausstellen. Und die Anduin war immer schon eine Spielwiese für junge Autoren und Illustratoren - und nicht wenige ehemals an der Anduin Beteiligte schreiben und zeichnen inzwischen für Verlage. Mit dem Wiederbeleben der Anduin möchte ich auch wieder eine Plattform bieten, auf der sich austoben kann, wer dazu Lust hat und ein Mindestmaß an Qualität mitbringt.
Oh, ich komme völlig von Deiner Frage ab. Warum ich wieder mit der Anduin angefangen habe? Ich kann nicht ohne Anduin. Dieses verflixte Magazin hat mich nun seit fast zwanzig Jahren begleitet. Und nachdem ich einige private Dinge inzwischen klären konnte, ist endlich wieder ausreichend Zeit und Motivation für das Projekt vorhanden.
Greifenklaue: Eine letzte Frage zur Vergangenheit, in die Anduin-Lücke wollte ja eigentlich das Pericula Subire, geschrieben von Anduin-Lesern, in die Lücke springen, brachte es jedoch nur (oder auch immerhin) auf zwei Ausgaben. Da es die auch bei Euch zum Download gibt, vielleicht magst Du dazu auch was erzählen?
Tommy: Die Anduin fehlte mir schneller als ich es mir selbst damals eingestehen wollte. Die Pericula Subire war ein Versuch, die Lücke mit einem nicht ganz so zeit- und arbeitsintensiven Projekt zu füllen. Das Konzept war, pro Ausgabe ein (längeres und möglichst systemunabhängiges) Abenteuer zu veröffentlichen. Leider war zum Start aber der gerade angesprochene Vertrauensverlust noch zu groß und konnte die kritische Masse, die zum erfolgreichen Start des Magazins notwendig gewesen wäre, nicht erreichen. Im Zuge der neuen Anduinausgaben wird es aber auch mit der Pericula-Reihe weitergehen. Ein erstes, neues Abenteuer ist bereits in der Pipeline und wir werden es im ersten Quartal 2008 veröffentlichen können.
Greifenklaue: Damals hattet ihr ja ein eigenes Forum, jetzt seid ihr beim ehemaligen GroFoFo, dem Tanelorn-Forum, untergekommen. Was hat Dich zu diesem Schritt bewogen?
Tommy: Ein eigenes Forum hat Vor- und Nachteile. Man ist sein eigener Herr, kann schnell auf Probleme reagieren und kann das Forum optimal in seine eigene Seite einbauen. Auf der anderen Seite muss man sich aber auch um Sicherheit und Spam selbst kümmern. Am wichtigsten aber war, dass das beste Forum nichts nutzt, wenn es keiner liest. Und um auf die Anduin aufmerksam zu machen, macht es wenig Sinn auf der eigenen Seite zu werben. In Tanelorn haben wir nun ein größeres Publikum, das wir auf unsere Seite hinweisen können und das uns als potenzielle Mitarbeiter dient. Noch dazu bin ich sehr erfreut, wie reibungslos die Zusammenarbeit mit den jetzigen Betreibern klappt und wie sich das Forum in den letzten Wochen entwickelt hat.
Greifenklaue: Vorhin sind wir schon kurz auf den Envoyer zu sprechengekommen, welcher voraussichtlich 2008 eingestellt wird. In Kooperation mit den Envoyermachern gibt es ein pdf-Archiv auf den Anduin-Seiten, auch sollen gute alte Artikel im Anduin wiederveröffentlicht werden. Wie kam es denn dazu und wie sieht das Konzept genau aus?
Tommy: Um nochmal ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern: Es gab früher mal Grabenkämpfe zwischen dem Envoyer und der Anduin - die aber nicht von den jeweiligen Machern ausgingen. Dennoch waren viele Anduinleser dem Envoyer nicht gerade freundlich gegenüber eingestellt und viele Envoyerleser haben die Anduin wie mit Scheuklappen ignoriert. Das fand ich damals schon sehr schade, weil man sich mit den unterschiedlichen Ansätzen Print/Web auch hätte gut ergänzen können. Als ich nun wieder mit der Anduin anfing, da war ein Grund dafür auch, dass ich traurig bin über das Fanzinesterben. Im Envoyer sind im Laufe der Jahre viele schöne Abenteuer und Artikel erschienen, die nur auf Papier existieren und vielleicht nie ein größeres Publikum erreichen werden. Das wollte ich verhindern und habe beim Envoyer angefragt, ob Interesse bestehen würde, bestimmte Artikel im Web zu veröffentlichen. Der Chefredakteur des Envoyer, André Wiesler, hat wirklich schnell und freundlich darauf reagiert und bald waren wir uns einig. Jetzt werden alle Envoyer ab Anfang 2006 im Originallayout auf der Anduinseite zum Download angeboten werden (nach und nach werden wir die Sammlung füllen). Und die besten Artikel aus den Jahren davor werden wir in den neuen Ausgaben der Anduin wiederveröffentlichen, teils überarbeitet und neu illustriert. Das soll aus der Anduin aber kein 'Best of Envoyer' machen, denn im Schnitt wird der Anteil von altem Envoyermaterial pro Ausgabe nur bei etwa 10% bis 15% liegen.
Greifenklaue: Die Nachricht über den Restart des Anduin ist noch nicht so alt und die 93er-Ausgabe erst kurz veröffentlicht. Wie ist denn das bisherige Feedback so?
Tommy: Ich hatte ehrlich gesagt nicht mit so einer starken Reaktion gerechnet. Nachdem ich eine erste Mail mit der Ankündigung, die Anduin wieder aufleben lassen zu wollen, an einige ehemalige Mitarbeiter rumgeschickt hatte, bekam ich innerhalb von zwei Tagen über 60 Antwortmails, die fast ausnahmslos positiv waren und Ideen oder gar Artikelzusagen enthielten. Das hat mich vor Freude fast umgehauen. Auch jetzt, nachdem die erste Euphorie sich gelegt hat und es an die Arbeit geht ist die Resonanz der Mitarbeiter und Helfer immer noch sehr gut.
Nur das Feedback der Leser lässt stark zu wünschen übrig. Da kam bisher - trotz 150 Downloads der Nummer 93 in der ersten Woche - genau eine Rückmeldung. Das ist schade, aber damit müssen wir wohl leben. Viele Leute scheinen heutzutage kostenlose Angebote als selbstverständlich anzunehmen und sehen nicht, dass viele Fanprojekte nur vom Feedback leben. Eine kurze Rückmeldung oder gerne auch Kritik kostet jeden einzelnen nur wenige Minuten seiner Zeit, hilft aber ungemein, die Motivation bei den Machern aufrecht zu erhalten.
Greifenklaue: Was spielst Du gerne an Rollenspielen, welche Systeme leitest Du?
Tommy: Ich spiele seit vielen Jahren in nahezu gleicher Besetzung und fast immer als Spielleiter. Ich habe mein Spiel schon recht stark den Spielern in meiner Gruppe angepasst und bevorzuge Systeme und Settings, die mir ausreichend Ideen liefern, mir dann aber freie Hand bei der Umsetzung lassen. Ich forme gerne die Hintergrundwelt nach meinen eigenen Vorlieben und spiele fast ausschließlich ohne Vorbereitung rein spontan. Das Regelsystem darf nicht dem Geschichten erzählen im Weg stehen, sollte aber dennoch ein Gerüst bieten, an dem die Spieler ihre Charaktere hochziehen können. Momentan spiele ich eine Eberron-Kampagne mit D20-Regeln, weil wir mal wieder Lust auf etwas Altmodisches hatten. Von der Welt von Eberron waren wir dann alle sehr positiv überrascht. Davor habe ich eine Zeit lang Vampire und Exalted gespielt.
Greifenklaue: Du leitest also eher ohne Vorlage? Andererseits sind Abenteuer in der Anduin ein wesentlicher Inhalt. Wie passt das unter einen Hut?
Tommy: Auch wenn ich selbst lieber ohne Vorlage spiele, so heißt das ja nicht, dass dies alle tun. Die Anduin soll ein Magazin für ein möglichst breites Spektrum an Rollenspielern sein und viele lesen gerne Abenteuer und sehen diese als wesentlichen Bestandteil eines Rollenspielmagazins an.
Mir geht es in diesem Punkt übrigens nicht anders. Denn obwohl ich eher spontan leite und sich die Geschichte gerne entwickeln lasse, lese ich Abenteuer. Denn diese dienen mir als Ideenquelle, ebenso wie Filme oder Bücher. Ich nehme mir einzelne Inspirationen, baue diese um und passe sie in meine Kampagne ein.
Greifenklaue: In der aktuellen Ausgabe gibt es auch ein Live-Indoor-Roleplay, welches von Dir geschrieben wurde. Wie geht das von statten?
Tommy: Ich mag die Indoor-Lives sehr gerne, so wie sie früher gelegentlich in der WunderWelten erschienen sind. Sie eignen sich wunderbar für Rollenspiel-Cons, aber auch für Geburtstage oder um Menschen (die zugegebener Maßen offen für etwas Schauspielerei sein sollten) an das Thema Rollenspiel heranzuführen. Meist sind diese Indoor-Lives für eine Spielerzahl zwischen acht und fünfzehn Personen geschrieben. Statt am Spieltisch in den Köpfen der Spieler findet die Handlung in einem engen räumlichen Bereich statt und wird von den Spielern ausgespielt.
Wenn man in die Regale eines beliebigen gut sortierten Spielwarenladens schaut, dann wird man ziemlich sicher über Spiele wie 'Dinner-Party' oder 'Krimi-Party' stolpern. Das sind genau solche Indoor-Lives und sie zeigen, dass man damit durchaus auch Menschen, die das Hobby Rollenspiel nicht kennen, für das Hineinschlüpfen in fremde Rollen begeistern kann.
Greifenklaue: Einige Ausgaben sind im Forum ja schon in der Vorplanung. Was erwartet denn den Leser so in den nächsten Ausgaben?
Tommy: Im Februar hoffen wir die erste neue Ausgabe mit komplett neuem Material herausbringen zu können. Momentan sieht es auch gut aus, dass wir den Termin halten können. Darin wird es um das Thema 'Mystery' gehen. Neben mindestens vier Abenteuern wird es einige Hintergrundartikel zu dem Thema geben. Dazu gesellt sich ein zweiter Schwerpunkt, der sich um das Verfassen von Abenteuern drehen wird. Im Frühling wird es dann eine Fantasy-Ausgabe der Anduin geben. Und im Sommer eine Ausgabe, in der wir den vielen sehr gelungenen Independent-Systemen im deutschen Sprachraum eine Plattform bieten wollen. Weiter ist bisher noch nicht fest geplant, wir wollen aber eine Ausgabe pro Quartal veröffentlichen. Und solange wir motivierte Schreiber und Zeichner haben, sollte uns das auch gelingen können.