Interview mit einem Vampir - Oliver Hoffmann, Mr. Feder & Schwert, steht der Greifenklaue Rede und Antwort
von Christoph Memmert & Michael Kühl
Als Vampire ‐ The Masquerade 1992 auf dem amerikanischen Markt erschien, löste es schon beinahe eine Hysterie aus ‐ und landete prompt in der Erfolgheitsskala der Rollenspiele mit Anhieb auf Platz 2, direkt hinter AD&D. Grund genug für Autor, Erfinder und Firmengründer von White Wolf, Mark Rein Hagen, eine ganze Welt aus dem Boden zu heben: die World of Darkness. Diese umfaßt auch mittlerweile stattliche sechs Systeme, allen voran natürlich das, auch hierzulande, unglaublich erfolgreiche. Als vom 16.07. ‐ 18.07.1999 das Fantasy Spiel Fest, arrangiert von AMIGO, in der mittelalterlich-romantischen Stadt Rothenburg ob der Tauber stattfand (siehe FSF-Bericht), ließen wir es uns nicht nehmen, einmal mit Oliver Hoffmann, seines Zeichens Mitbegründer von Feder & Schwert, über das Phänomen World of Darkness zu sprechen. Und wer schon immer einmal wissen wollte, ob die Feder & Schwert-Chefs selber an Vampire und Übersinnliches glauben, und wie es überhaupt zur Zusammenarbeit mit White Wolf gekommen ist, sollte das folgende Interview nicht verpassen!
GK: Grundsätzlich: Wie und warum seit ausgerechnet Ihr an die Vampire-Lizenz gelangt?
OH: "Anfang der Neunziger war Feder & Schwert nichts weiter als ein kleines Forum für Rollenspieler, welches Fantasy-Abenteuer für eine kleine, eingeschworene Gemeinde geschrieben hat. Rein hobbymäßig versteht sich, Geld haben wir damit überhaupt keines verdient. 1993 allerdings haben wir ein Buch veröffentlicht , ein Universal-Abenteuer namens Buch der Häuser. Zum gleichen Zeitpunkt war Vampire ‐ The Masquerade schon seit einem Jahr auf dem amerikanischen Markt, und es gefiel mir sehr gut. Eines Tages, wie es der Zufall so wollte, kam Mark Rein Hagen nach Deutschland, um Distributoren zu finden. Wir kamen ins Gespräch, und ich sagte ihm glattweg ins Gesicht, daß ich sehr an Übersetzungen interessiert bin. Es war unglaublich, aber Mark schien Interesse zu zeigen und riet mir, mich einfach zu bewerben. Das tat ich auch ‐ und prompt war ich für die Übersetzung und Vermarktung der World of Darkness in Deutschland zuständig. Es war einfach eine Frage der Sympathie gewesen, denn Mark und ich haben uns sofort verstanden. Ein großer Vorteil für uns, wie sich herausstellte, denn wir alle waren dermaßen überrascht von dieser Reaktion, daß schon fast Panik in unseren Reihen ausbrach. Aber wir waren unermeßlich stolz und glücklich!"
GK: Wie habt Ihr auf den großartigen Erfolg hierzulande reagiert?
OH: "Die ersten beiden Jahre waren alles andere als großartig, höchstens sehr sperrig und holperig, da ich die Übersetzerei nur als Hobby betrieb. Deswegen dauerte es auch sehr lange, bis die deutsche Fassung von Vampire überhaupt stand. Wir hatten kein Geld zur Verfügung, und White Wolf fand unsere ersten Entwürfe alles andere als überzeugend. Das hat mich persönlich sehr belastet, zumal ich zu der Zeit auch noch studiert habe. So spielte ich mit dem Gedanken, entweder weiterhin an der Uni zu bleiben und das ganze Vampire-Projekt hinzuschmeißen, oder allen Ehrgeiz in einen Topf zu werfen und es durchzuziehen. Es war ehrlich keine leichte Entscheidung, denn die Angst zu versagen war enorm. Aber ich bin froh, daß ich letztendlich das Richtige getan habe...
Von Erfolg konnten wir aber erst vor drei Jahren sprechen. Als die erste Auflage von Vampire ‐ Die Maskerade dann doch draußen war, hatte sie sich sehr gut verkauft ‐ von dem Geld haben wir allerdings so gut wie gar nichts gesehen. Doch im Grunde hatten wir das erreicht, was wir auch angestrebt hatten ‐ Vampire war bekannt geworden, und die Zahl der Fans stieg. Die zweite Auflage war kommerziell gesehen sehr erfolgreich, und wir waren mehr als zufrieden. Bloß mit dem Problem der Anonymität, was ansonsten wohl nur Filmstars betrifft, hatte ich nicht gerechnet. Einige WoD-Fans hatten meine Nummer und meine Adresse im Telefonbuch entdeckt und malträtierten mich pausenlos mit Regelfragen, oder was Feder & Schwert denn demnächst alles plane. Natürlich will ich das nicht verurteilen, aber es war schon sehr lästig."
GK: In Milwaukee bei Nacht habt Ihr allerdings geschrieben, daß für Besucher jederzeit Wasser für eine Tasse Kaffee bereit steht...
OH: "Klar, das ist ja auch kein Thema und etwas anderes. Wenn jemand zu uns in die Geschäftsstelle kommt und Fragen stellt oder Infos bekommen will, bemühen wir uns, dies zu tun, auch wenn er damit rechnen muß, daß wir in Arbeit fast ersticken und Zeit für so etwas echt ein knappes Gut ist. Aber wenn Dich jemand andauernd privat mit so etwas bombardiert und das Telefon gar nicht mehr still steht, geht es Dir schon ordentlich auf die Hörner. Trotzdem, nun ist es ja nicht so, daß wir ein Hochhaus oder etwas ähnliches bezogen haben, sondern ein altes Lebensmittelgeschäft in einer ruhigen Gegend in Mannheim. Ist wesentlich gemütlicher als ein steriler Hochbau, auch für Besucher. Jeder ist hier willkommen."
GK: Auch White Wolf wollte in der anhaltenden Trading-Card-Hysterie mitmischen und brachte das auf Vampire basierende Jyhad und den Werewolf-Ableger Rage auf den Markt. Für die meisten Fans waren beide Systeme jedoch viel zu schwer zu spielen, und daher verschwanden beide in der Versenkung...
OH: "Naja, zugegeben. Mit Jyhad und Rage wollte sich White Wolf eher an die erfahrenen und fortgeschrittenen Magic-Spieler richten, deswegen das komplexe Regelsystem. Aber wenn White Wolf etwas außerhalb des Rollenspiel-Sektors entwickelt, geht es meist gründlich in die Hose, weil einfach die Erfahrung in anderen Gebieten fehlt. Das war auch der Grund, warum wir die Lizenzen für beide Kartensysteme abgelehnt hatten, da auch wir sie für nahezu unspielbar hielten. Denn was bringt Dir ein Spiel, was eigentlich für "mal eben zwischendurch" gedacht ist, wenn man nahezu drei Stunden daran sitzt? Es war halt zu komplex und daher für den Markt nicht geeignet, aber niemand hat auf uns gehört. Das haben die jetzt eben davon."
GK: Aber bei Nephilim, eurer Eigenproduktion im WoD-Universum, habt auch Ihr kein gutes Näschen gehabt...
OH: "Kann man so nicht sagen. Nephilim war eigentlich ein sehr schönes und spirituelles System, vielleicht sogar ein wenig fortgeschrittener als die anderen WoD-Systeme. Schade, daß wir die Produktion einstellen mußten. Aber ich denke, es lag daran, daß es einfach schon zu viele eigenständige Rollenspiele in der WoD gibt. Leider können wir uns darum keine Gedanken mehr machen, denn wenn wir weiter in diesem Tempo wachsen wollen, müssen wir eben Konsequenzen ziehen."
GK: Das Basis-Set, das für Vampire erschien, richtet sich an "blutige" Anfänger, das eigentliche Rollenspiel ist dagegen eher für Fortgeschrittene. Wollt Ihr jetzt gezielt die unerfahrenen Rollenspieler ansprechen?
OH: "Natürlich! Aber wir sind der Meinung, daß Vampire eigentlich auch von vornherein Anfänger angesprochen hat, denn das Storyteller-System richtet sich an die Kreativität und den Ideenreichtum des Spielers und basiert nicht auf einem großen Haufen sturer Regeln. Das Basis-Set hatten wir aus der Idee heraus entwickelt, auch den Low-cost-Bereich abzudecken, was sehr gut geklappt hat. Wir wollten damit die Leute erreichen, die schon mit DSA oder AD&D groß geworden sind."
GK: Es fällt auf, daß Ihr gleich mehrere Roman-Trilogien, zu nennen natürlich die Gralskonvent- und die Blutfluch-Reihe, rausgebracht habt, anstatt eine erst zu beenden...
OH: "Das war ja auch reine Absicht, da beide Serien miteinander verzweigt sind. Ein Charakter z.B. taucht sowohl im Gralskonvent, das ja im Mittelalter spielt, als auch im Blutfluch, also in der Gegenwart, auf. So ist die Lesereihenfolge praktisch 1-1-2-2, also den ersten Roman vom Gralskonvent, dann den ersten der Blutfluch-Trilogie, usw. Alles wird sich dann im dritten und letzten Teil der Blutfluch-Serie auflösen...im übrigen haben wir vor kurzem die Lizenzen zur Vermarktung der 13 Clansromane erworben, sprich, zu jedem großen Clan wird ein eigenständiges Buch erscheinen. Vor Herbst ist damit jedoch nicht zu rechnen."
GK: Apropos erscheinen - was ist alles neu an der dritten Auflage zu Vampire ‐ Die Maskerade?
OH: "In der dritten Auflage wird sich die Geschichte der Camarilla grundlegend ändern ‐ z. B. werden die Gangrel aus dem Bund aussteigen. Was aber wohl am spannendsten ist: Der Ravnos-Vorsintflutliche erwacht aus seinem Schlaf und macht die schlimmsten Befürchtungen über Vorsintflutliche wahr ‐ er verschlingt seine Jünger. Der Clan Ravnos wird ausgelöscht. Klingt doch wohl sehr vielversprechend..."
GK: In der Tat... - aber zwingt die neue Auflage damit nicht zum Kauf?
OH: "Naja, theoretisch gesehen ja. Aber so ist das nun mal. Wenn Du anfängst, eine Buch-Trilogie zu lesen, bist Du ja auch gezwungen, immer den neuen Band zu kaufen. Hier ist das eben nicht anders, nur, zugegeben, ein wenig teurer."
GK: Allgemein gesehen: welche Pläne verfolgt Feder & Schwert für die nähere Zukunft?
OH (lacht): "Schön, reich und berühmt zu werden! Nein, im Ernst. Wir wollen, daß alle Mitarbeiter von dem Geld, das wir selbst verdienen, auch leben können. Der Roman-Sektor zum Beispiel läuft absolut phantastisch und hat den Rollenspiel-Bereich hinter sich gelassen. So werden wir jetzt versuchen, unsere Produktion 50:50 auf Rollenspiel- und Roman-Basis zu verteilen, und nicht wie vorher 70:30. Daher haben wir auch ein kleines Dankeschön an unsere treue Leserschaft in Planung: alle drei Teile der Sonja Blue-Reihe sollen als ein einziger Band zum exklusiven "Danke"-Preis herausgebracht werden. Klasse, oder? Jedenfalls werden auch wir weiterhin sehr eng mit White Wolf zusammenarbeiten, denn trotz der anfänglichen Querelen sind wir jetzt verdammt gute Partner geworden.
Tja, was noch? Wir werden die Sparte der Eigenproduktionen erhöhen. Vertraglich waren wir vor kurzem nur an eine Produktion pro Jahr gebunden, so stammen das Tremere-Zusatzbuch Wiener Blut und der Alte Welt-Hintergrundband Aachen bei Nacht von uns. Jetzt aber dürfen wir zwei Produktionen pro Jahr veröffentlichen, was uns natürlich sehr freut! Das bietet uns einige neue Möglichkeiten, auf dem gesamteuropäischen Markt Fuß zu fassen. Einige Sachen wollen wir ins Englische übersetzen und in anderen Ländern verkaufen, was uns sozusagen eine "Monopol"-Stellung für Vampire in Europa verleiht. Zudem wird gerade bei Activision an einem Vampire-Computerspiel [siehe Von Bits und Bytes ‐ AdV] gearbeitet, wo auch wir unsere Finger mit im Spiel haben. Wir werden zum Beispiel mitbestimmen, wer in der deutschen Fassung den Charakteren seine Stimme leihen darf. Ich habe schon einige Szenen aus dem Spiel gesehen, und ich muß sagen, daß es mich beeindruckt hat. Überhaupt diese ganze Multimedia-Sache ist an sich sehr interessant, und wir wollen uns bemühen, auch hier stärker Fuß zu fassen."
GK: Wo wir eben bei Romanen waren...warum erschien die Maskerade des roten Todes-Trilogie ausgerechnet bei FanPro?
OH: "Die Frage läßt sich leicht beantworten. Als wir das englische Original lasen, waren wir von der Qualität nicht sehr überzeugt, also überließen wir unseren Mitbewerbern das Feld, und FanPro hat eben das Rennen gemacht. Eigentlich sollten auch noch andere Vampire-Romane erscheinen, aber aus Gründen, die ich hier nicht nennen will, brach die Zusammenarbeit zwischen White Wolf und FanPro zusammen."
GK: Zum Abschluß: Wie steht Oliver Hoffmann zum Mythos Vampir? In den USA gab es ja immer wieder Meldungen von Leuten, die sich selbst für Blutsauger hielten...
OH: "Natürlich hat uns das schon betroffen, zumal White Wolf damit in den Staaten immer wieder im Fadenkreuz der Kritik stand. Aber ich sage: Es gibt keine Vampire. Menschen, die vampirische Lebensweisen annehmen, sind, um es mal ganz klar und krass auszudrücken, selbst nicht lebensfähig. Vampire ‐ Die Maskerade ist ein Unterhaltungsspiel, es soll einfach nur Spaß machen. Aber manche Menschen können fiktive Rollen, die sie verkörpern, und ihr eigenes Leben nicht mehr auseinanderhalten, und das ist wirklich gefährlich. Optimal sollte es sein, wenn jemand am Abend mit seinen Freunden eine Runde Vampire spielt und völlig in seiner Rolle aufgeht ‐ und am nächsten Morgen ganz normal zur Arbeit oder zur Schule geht."
GK: Glaubst Du selbst an Übernatürliches?
OH: "Definitionssache. Was ist Übernatürlich? Ich glaube nicht an Geister oder Dämonen oder so'n Zeug, das ist alles pure Phantasie. Aber ich denke es gibt Bereiche des Daseins in diesem Universum, die wir nicht erklären können. Aber Vampire gehören mit Sicherheit nicht dazu."
GK: Magst Du Vampirfilme? Nach den Vampireschen-Regeln wirken sie ja ziemlich unrealistisch...
OH (lacht): "Du hältst Vampire für realistisch? Naja, wie auch immer...Begierde und Symphonie des Grauens gehören zu meinen absoluten Lieblingen. Bram Stoker's Dracula sei auch zu erwähnen, aber nur wegen Wynona Ryder. Diese Frau ist wirklich der Hammer...sehr niedlich...
Filme wie Blade dagegen wirken auf mich dagegen schon zu cool und lassen den eigentlichen Mythos Vampir außen vor. Zudem finde ich Wesley Snipes noch lange nicht so hübsch und anziehend wie Wynona Ryder...
Vor kurzem war ich in John Carpenter's Vampire, und ich muß sagen, daß der mir auch gefallen hat. Das Jägerprinzip, wie es der Film auslebt, findet sich auch bei uns in Hunter ‐ The Reckoning wieder, das bald erscheint. Freut euch drauf, denn dann dürft Ihr den Spieß umdrehen!"
Das Interview führten Christoph Memmert & Michael Kühl