Awakening
When Darkness Comes entführt zwei bis sechs Spieler auf die Straßen eines kleinen amerikanischen Vororts¸ in dem - frei nach den guten alten amerikanischen B-Movies - Unheimliches geschieht. Was das genau ist¸ hängt vom jeweiligen Szenario ab¸ das gerade gespielt wird¸ aber man darf als Spieler relativ sicher sein¸ daß Vampire¸ Zombies¸ Werwölfe¸ Mumien und andere Ungetüme dort ihr Unwesen treiben.
Anders als beim Splatter-Brettspiel Zombies!!! aus gleichem Hause¸ tritt hier viel mehr das rollenspielerische Element zu Tage - in Form von Interaktion mit der Umgebung (z.B. Türen¸ Gegenstände) und Personen (Feinde wie Nichtspieler-Charaktere¸ z.B. "Security" oder Hausbewohner)...
Immer mal wieder kommt in den gängigen Fantasy-Foren¸ oder auch in speziellen Foren für Rollenspiel-Autoren¸ die Frage auf¸ wie man Einsteiger für das Hobby begeistern könnte. Während Rollenspielautoren natürlich auch darüber nachdenken¸ wie sie Spieler motivieren können¸ die nicht schon einem der etablierten Rollenspiele huldigen¸ interessiert es Rollenspieler vor allem¸ wie sie in ihrem Umfeld neue Mitspieler auf den Geschmack bringen können.
Dem vorliegenden Spiel When Darkness Comes: The Awakening scheint ein solcher Gedankengang zugrunde zu liegen¸ denn es ist - je nachdem wie man es sehen will - ein Brettspiel mit Rollenspielelementen oder ein Rollenspiel mit Brettspielelementen. Tatsächlich kann/muß man fast genau in der Mitte die Linie ziehen.
Neben einem sehr "einfachen Spielsystem" - zumindestens im Vergleich zu den typischen Rollenspielen - wartet WDC mit einer sehr ansprechenden Optik auf. Die Box enthält nicht nur 15 farbige Bodenplatten mit in 6x6 Felder unterteilten Orten (Gebäude¸ Park¸ Friedhof¸ etc)¸ farbige Pappmarker (Counter¸ Gegenstände¸ Gegner und neutrale Personen)¸ sondern vor allem auch sechs farbige Charakterblätter (Archetypen) und sechs dazu passende Zinnminiaturen.
Während Rollenspielneulinge und solche Leute¸ die vor allem an einem komplexen Brettspiel interessiert sind¸ sich über die spielfertigen Archetypen freuen werden¸ können alte Rollenspielhasen (denen Archetypen meiste ein Greul sind)¸ sich den dicken Block mit Charakterbögen schnappen und in sehr schnell einen eigenen Charakter basteln.
Charakter
Ein WDC-Charakter besteht aus 7 Attributen und Spezialisierungen. Bei Spielbeginn bekommt ein Spieler 20 Attributepunkte und 10 Spezialisierungspunkte¸ die er frei verteilen darf¸ so lange jedes Attribut zwischen 2 und 5 liegt.
Attribute sind Speed¸ Attack¸ Dexterity/Initiative¸ Intelligence¸ Persuasion¸ Medical und Defense/Health.
Spezialisierungen können ebenfalls zwischen 2 und 5 Punkte haben. Zur Festlegung muß man sich hier an die Liste (mit Erklärungen der Spezialisierung) halten¸ die man auf der Rückseite jedes Charakterblattes findet. Eine typische Spezialisierung wäre z.B. Martial Arts für Attack.
Außerdem startet jeder Charakter mit einem Mobiltelefon¸ über das er Kontakt zu den anderen Spielern halten kann - Zusammenarbeit zahlt sich bei WDC in der Regel aus.
Die vorgefertigten Archetypen sind in Form von Spielkarten als farbige Zeichnungen mit weißem Spielwerte-Aufdruck realisiert¸ auf deren Rückseite sich die im Spiel benötigten Tabellen befinden. Insgesamt wirkt dieser Aufbau ziemlich gut durchdacht und praxisnah.
Spielsystem
Das Würfelsystem basiert auf sechsseitigen Würfeln¸ die der Schachtel in Form von 10 Würfeln (9 weisse/1 roter) beiliegen. Die Anzahl der Attributepunkte entspricht den verfügbaren Würfeln ggf. plus Zusätzliche Würfel aus einer Spezialisierung (1-3 Fertigkeitspunkte = +1W¸ 4-6 = +2W)).
Anders als üblich¸ geht es aber nicht darum¸ eine Möglichst hohe oder niedrige Zahl zu erreichen¸ sondern eine bestimmte Kombination zu erzielen - ganz ähnlich wie beim Poker. So kann z.B. gefordert sein eine bestimmte Augenzahl zu würfel (3¸4¸5) oder zwei¸ drei vier¸ fünf gleiche Augenwerte - wobei Letztes das höchste Ergebnis bedeutet¸ aber dafür auch schon ziemlich unwahrscheinlich ist. Die genaue Rangfolge (1-8) der Ergebnisse findet sich in einer kleinen Tabelle.
Hat man mit seiner Wurfkombination den Zielwert erreicht oder übertroffen¸ hat man die Probe geschafft. Ist ein anderer Spieler der "Gegner"¸ so würfeln beide und vergleichen die Stufe ihrer Ergebnisse miteinander. Alle NSC haben die notwendigen Werte auf ihrer Scheibe aufgedruckt. Rot berandete "Feinde" haben Kampfwerte (Initiative¸ Attack¸ Defense¸ Speed = Zielwerte) und sonstige Personen haben Spezialfähigkeiten und entweder Kampfwerte (Security¸ grün) oder einen Hinweis¸ welches Attribut sie bei Proben unterstützen (Verbündete=gelb). Als Hinweis sei vermerkt¸ daß Security (je nach Setting) nicht bekämpft werden sollte und manchmal auch nicht darf. Dann gilt es¸ diese Figuren zu umgehen oder sie zu belügen¸ um z.B. in bewachte Gebäude zu kommen.
Neben der Möglichkeit Verbündete zu finden und zur Mithilfe zu überzeugen¸ um seine angeborenen Schwächen zu kompensieren¸ kann ein Charakter auch Gegenstände benutzen. Jeder Charakter kann bis zu fünf Gegenstände tragen¸ bzw. muß für mehr eine Stärkeprobe ablegen.
Das eigentliche Spiel
Aus welchem Grund auch immer: die Spieler betreten den Vorort am selben Gebäude¸ wie es im Szenario angegeben ist. In jeder Spielrunde darf ein Charakter sich Bewegen¸ Kommunizieren und eine Aktion ausführen (oder sich statt alledem heilen).
Kommuniziert werden darf mit anderen Spielern im selben Gebäude¸ die nicht mehr als 3 Felder entfernt sind oder per Handy. Spieler können sich so über den Austausch von Hilfe¸ Verbündete¸ Gegenstände¸ Siegpunkte absprechen.
Bewegung wird über Speed erwürfelt und auf der Strasse verdoppelt. Bei jeder Bewegung wird automatisch mit dem roten Würfel auch auf die Ereignistabelle gewürfelt - und bei einer 1 oder 6 kommt es zu einem schlechten/guten Ereignis¸ das einen oder mehr Charaktere betreffen kann.
Eine Tür zu öffnen¸ ein Gebäude zu betreten¸ einen Wachmann beschwatzen¸ einen Ereignis-Marker umzudrehen¸ einen Gegenstand zu nehmen bzw¸ fallen zu lassen usw. entspricht einer Aktion. Ein Spieler¸ der einen anderen bei einer Aktion unterstützt erhöht nicht seine Würfelzahl¸ aber ermöglicht ihm¸ Würfel erneut zu würfeln.
Auf dieser Basis machen sich die Spieler auf¸ um die Kleinstadt zu erkunden - und das wie im Brettspiel ganz ohne Spielleiter. Verläßt ein Spieler bekanntes Terrain¸ wird ein zufällig gewähltes Spielelement ausgelegt und an den mit Fragezeichen markierten Feldern mit verdeckt ausgelegten Ereignismarkern (NSC¸ Gegenstände¸ Security¸ Feinde) belegt. Feinde werden bekämpft¸ Verbündete überredet und Gegenstände ggf. aufgenommen. Jeder Security-NSC hat eine spezielle Probe die gelingen muß - oder der Charakter wird angegriffen bzw. unsanft aus dem Gebäude befördert.
Fehlschläge werden übrigens genauso über Marker mitprotokolliert wie Verletzungen. Während 4 Verletzungen einen Charakter umbringen (aber heilbar sind)¸ bewirken 3 Fehlschläge¸ daß ein Charakter seine Gegenstände und Verbündeten verliert.
Spielziel
Neben dem im Szenario angegebenen Spielziel (z.B. "Finden sie den Überträger der Zombie-Infektion!")¸ erhält ein Spieler für manche erfolgreich ausgeführte Probe Siegpunkte. Diese können bereits während des Spiels eingesetzt werden¸ um einen Würfel neu zu würfeln¸ einen Würfel mehr zu würfeln¸ einen Fehlschlag-Marker los zu werden oder um den Charakter dauerhaft (Spezialfertigkeit +1) zu verbessern. Letzteres ist mit 10 Siegpunkten am teuersten. In einigen Fällen werden auch die Teilziele mit Siegpunkten belohnt¸ z.B. wenn mehrere Gegenstände gesucht werden müssen. Der Spieler mit den meisten Siegpunkten gewinnt dann das Spiel.
Wer lieber - ggf. nach einigen Testspielen - den Rollenspielanteil etwas anheben möchte¸ findet am Ende des Szenariobandes ein Abenteuer in drei Akten¸ das einen Spielleiter erfordert. Als langjähriger Rollenspieler sollte man von dem Abenteuer nicht zu viel erwarten - aber in Anbetracht dessen¸ daß wir hier auch von einem Brettspiel reden¸ ist das Szenario schon aufwendig genug. Es soll den Spielleiter ja letzten Endes animieren¸ eigene Abenteuer zu erfinden.
Technisches
Das Spielmaterial zu When Darkness Comes macht durch die Bank einen guten Eindruck. Ansehnliche¸ farbige Spielplan-Elemente¸ Marker und Archetypen-Spielkarten erfreuen das Auge. Der Szenarioband ist zu Beginn eines Kapitels mit einer schaurig-schönen und thematisch einstimmenden Illustration versehen. Allein die Charakterblätter wirken dagegen in ihrem Schwarzweiss-Look etwas schlicht. Das besondere Schmankerl sind natürlich die zu den Archetypen passenden Zinnminiaturen.
Wer nicht so gut im selber Ausdenken von Szenarios ist oder sich einfach über ergänzendes Material freut¸ der darf sich schon mal auf die angekündigten Erweiterungen freuen.
Fazit:
Rollen-Brettspiel? Oder Brett-Rollenspiel? Einfaches Rollenspielsystem oder komplexe Brettspielregeln?
Wer bei When Darkness Comes nach diesen Antworten sucht¸ hat es nicht leicht. Im "normalen" spielleiterfreien Spielmodus¸ sind meines Erachtens beide Anteile gleich stark vertreten und im "GM-Modus" wird das Brettspiel zunehmend zur Visualisierungshilfe.
When Darkness Comes ist sicherlich eine Antwort auf die Frage¸ wie bringe ich Neulinge auf den Rollenspiel-Geschmack¸ bzw. wie könnte ein Rollenspiel für den Massenmarkt aussehen.
Da Twilight Creations aber nicht wie die "Großen" im normalen Spielehandel vertreten ist¸ wird wieder einmal der Rollenspieler aktiv werden¸ sich das Spiel im Versand oder Fachgeschäft zulegen und seine Freunde zu einem "neuen Brettspiel" einladen müssen. Irgendwo hier ist dann wohl auch die Zielgruppe angesiedelt: gemischte Spielgruppen aus Rollen- und Brettspielern.
Zusammenfassend sei gesagt¸ daß When Darkness Comes durch die Bank einen guten Eindruck macht. Für meinen Geschmack sind die Regeln etwas zu komplex¸ aber vielleicht unterschätze ich da auch die Klientel der Brettspieler.
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de