Stammesbuch: Nachfahren der Fenris
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Geschichte der Nachfahren¸ von ihrer Erschaffung durch Fenris in der Urzeit und ihrer Begegnung mit den in Nordeuropa gelandeten Indogermanen¸ über die römische und damit kainitische Invasion¸ die Schlacht im Teutoburger Wald¸ den Kampf Beowulfs gegen Grendel¸ bis zur Zeit der Wikinger sowie den Angriffen und Eroberungen in Britannien. Erstaunlich daß Wilhelm der Eroberer kein Nachfahre zu sein scheint¸ er wird jedenfalls nicht erwähnt¸ wie auch andere Errungenschaften der Wikinger - ihre Reisen nach Kleinasien¸ der Normannenstaat in Süditalien - keines Wortes gewürdigt werden. Statt dessen wird ausführlich erzählt¸ wie Leif Erikson (natürlich Garou) nach Amerika fuhr. Eine typisch amerikanische Sicht der Geschichte. Bevor mit einigermaßen gesicherter Geschichte weitergegangen wird¸ lernt der Leser ein wenig über die Zusammenhänge zwischen germanischer Religion und Werwolf-Mythologie in der Welt der Dunkelheit. So erfahren wir¸ warum Tyr seine Hand an Fenris verlor und warum dieser gebunden wurde. Leider hüpft hier einiges fröhlich durcheinander¸ worauf ich später noch einzugehen habe. Historisch geht es weiter mit der Auswanderung vieler Nachfahren nach Amerika bis zum Beginn des ersten und zweiten Weltkrieges¸ der die Nachfahren in zwei Lager spaltete¸ die sich nach Ende des Naziregimes wieder einander annäherten. Schließlich wird noch auf die Verbindung von Apokalypse und der Götterdämmerung Ragnarök eingegangen.
Das nächste Kapitel beschreibt einzelne Lager im Stamm der Nachfahren. Die meisten von ihnen sind überzeugte und unnachgiebige Kämpfer¸ lediglich ihre Motivation unterscheidet sich. Vom radikalen Umweltschützer bis zur militanten Frauenrechtlerin ist alles dabei. Die Lager haben dabei so einfallsreiche Namen wie Die Walküren Freyas¸ Mjöllnirs Donner oder Odins glorreiche Faust und sind auch in ihrer Beschreibung selten so außergewöhnlich¸ daß man sie sich nicht selber hätte ausdenken können. Kurz werden vier neue Totems vorgestellt¸ ein wenig über die Stellung der Bruten verraten¸ die Bedeutung von Ritualen und Versammlungen angesprochen und natürlich die Lesart der Litanei für Nachfahren zusammengefaßt. Von allem ist also etwas dabei¸ leider von keinem besonders viel. Kapitel drei Eine Welt zu erobern stellt den Bezug der Nachfahren zur Welt der Dunkelheit dar. Welche Kontinente und Länder sie bevorzugt bewohnen¸ wie sie zu den anderen Stämmen stehen und welche Beziehung zu den anderen Wesen der Welt der Dunkelheit besteht¸ wird verraten.
Drei Anhänge mit eher regeltechnischem Teil folgen. Stammesschwächen können gewählt werden. Neue Gaben¸ Riten (eine Vertiefung der in Kapitel zwei gegebenen Beschreibung)¸ Fetische und Totems fehlen ebensowenig. Fünf NSCs oder auch SCs (zum Beispiel für schnelle Charaktergenerierung auf Cons) schließen sich an¸ gefolgt von einigen bedeutenden Heldengestalten der Nachfahren¸ die teils schon verstorben sind¸ teils aber auch noch dem Rudel über den Weg laufen könnten. Mit dem vierseitigen speziellen Charakterbogen schließt das Heft. Ich halte wenig von Rollenspielen¸ die zwei Blätter für die Charaktergestaltung benötigen. Wären die Blätter wenigstens so aufgeteilt¸ daß man auf eines lediglich den Hintergrund aufschreiben würde und zum Spielabend nicht mitbringen müßte¸ könnte ich darüber hinwegsehen¸ so wird aus einem Erzählrollenspiel ein regelrechter Papierkrieg.
Noch ein paar Worte zur Philosophie der Nachfahren des Fenris seien mir gestattet. Wie schon angedeutet gab es unter den Nachfahren den Zwiespalt zwischen Nazi-Garous und dem Rest der Welt. Zwar wird immer wieder betont¸ daß die Nachfahren nichts mit der Feigheit des Naziregimes zu schaffen haben wollen¸ aber ihre Einstellung ist trotz allem latent rassistisch. Ich denke¸ wir sind alle alt genug¸ damit umzugehen¸ dennoch sollte man sich dieser Tatsache immer bewußt sein.
Ein weiterer Punkt¸ der mir mißfiel ist die Einbindung der germanischen Mythologie in die Welt der Dunkelheit. Hier wird so gut wie alles durcheinander gewürfelt. Fenris steht auf der guten Seite¸ Odin als Symbol des Menschen in der Reihe der zu Besiegenden¸ dennoch benennen sich die Werwolflager nach germanischen Göttern¸ die ja eigentlich in Opposition zu Fenris stehen. Hauptfeind der Nachfahren ist die Midgardschlange Jormangundr (eigentlich die Schwester Fenris). Auch werden einige Mythen verfälscht wiedergegeben (Odin ist keinesfalls Gott des Todes und Ratatosk eignet sich als Säher der Zwietracht kaum als Totem¸ um nur zwei Punkte zu nennen). Entschuldigt wird dies mit dem Argument¸ die wyrmverseuchten Menschen hätten die alten Legenden verfälscht wiedergegeben. Trotzdem zitieren die Autoren aus der Völuspa. Selbstverständlich kann man in einem Rollenspiel sämtliche Mythen so umändern und neu erschaffen¸ wie man möchte - allein¸ wer mit dem Gedanken spielte¸ sich das Heft zuzulegen¸ um ein wenig über die Sagen- und Göttergestalten der alten Germanen zu erfahren¸ sollte lieber die Finger von dem Quellenband lassen.
Zum Abschluß muß ich sagen¸ daß ich selber einmal einen Nachfahren des Fenris gespielt habe¸ diesen jedoch wesentlich anders dargestellt hatte¸ als es mir dieses Stammesbuch empfehlt. Und ich bin damals gar nicht mal schlecht ohne den Band gefahren. Daher halte ich eine Anschaffung nicht für zwingend notwendig.
Eine Rezension von: Andreas Funke http://www.fantasy-rollenspiel.de/Sphinx.html