Wandering Heroes of Ogre Gate
Rezension: Wandering Heroes of Ogre Gate - Kung Fu mit Würfeln
2017-07-11
Mit kleinen Rollenspielen ist es wie mit Muscheln am Meer: Viele sind von außen schön, innen aber schmutzig oder kaputt. Und dann gibt es jene Exemplare, unter deren oft unscheinbarer Hülle sich echte Spielperlen verbergen. Zu welcher Kategorie das Kung-Fu-Spiel Wandering Heroes of Ogre Gate zählt, lest ihr jetzt.
Wandering Heroes of Ogre Gate
Publisher: Bedrock Games
Umfang: 492 Seiten
Sprache: Englisch
Preis: Zahl was du willst, vorgeschlagener Preis für das pdf 5,79 US-Dollar
Optik
Zwei Helden mit gezogenen Schwertern werden von einem geiferndem Bösewicht mit halb zerstörtem Mund und vierbeinigen Monstern - Ogern - bedroht. Im Hintergrund ist eine teils in Wolken gehüllte Berglandschaft zu sehen. Das ist eine gute Visualisierung des Inhalts. Die zahlreichen Innen-Illustrationen sind in Graustufen gehalten. Sie passen gut zum Text, sind aber naturgemäß nicht so ansehnlich wie farbige Bilder. Dafür haben viele Charaktere und Kreaturen ein Bild erhalten. Dazu kommen einige Landkarten in Farbe.
Ich gebe 3 Sterne.
Texte und Aufbau
Mit 14 und einer halben Seite fällt das Inhaltsverzeichnis schön umfangreich aus. Fünf Anhänge fassen neben den umfangreichen Kung-Fu-Techniken auch Titel und Ämter, aktuelle Herrscher, Blätter für den Kalender der Spielwelt und Regeln für die Implementierung eines anderen Setting von Bedrock Games zusammen. Eine Anmerkung zur Aussprache der chinesischen Begriffe oder ein allgemeiner Index fehlen aber. Dasselbe gilt für Seitenreiter für einzelne Kapitel. Die Texte an sich sind gut geschrieben und unterteilt. Zahlreiche Beispiele erläutern Regelaspekte. Eine Zusammenfassung derselben am Ende fehlt leider.
Wegen kleiner Schwächen reicht es abermals nur für 3 Sterne.
Regeln
Das System von Wandering Heroes benutzt zehnseitige Würfel. Wenn einer der Würfe den Zielwert übertrifft, gelingt die Probe. Die Anzahl der Würfel wird durch den Fertigkeitswert bestimmt und durch Boni und Mali modifiziert. Bei negativen Werten muss der kleinste Wert genommen werden. Das ist recht einfach. Etwas schwieriger wird es bei den Fertigkeiten. Das System verfolgt einen eher kleinteiligen Ansatz, zum Beispiel drei Fertigkeiten für unterschiedliche Arten von Nahkampfwaffen von klein über mittel bis groß.
Komplex wird es bei Martial Arts. Das Spiel will Wuxia-Enthusiasten abholen, entsprechend gibt es neben vier passenden Fertigkeiten für unterschiedliche Disziplinen. So ist Qinggong dazu da, das eigene Gewicht zu kontrollieren und am Ende gar fliegen zu können. Jeder Disziplin sind zahlreiche Techniken zugeordnet, deren Nutzen aber schwankt. Die Ausrüstung umfasst ein großes Arsenal für angehende Kung Fu Kämpfer. Neben dem chinesischen Schwert und Säbel gehörten dazu auch Fächer, Stäbe, Nadeln (zum Vergiften), die Kettenpeitsche und viele weitere. Feuerwaffen gibt es im Setting nur in Form von Feuerlanzen, bei denen ein Speer durch Raketenantrieb auf Feinde geschossen wird. Magie existiert ebenso, wenn auch in Form von Ritualen. Ebenso wie Qi-Duelle, die aber so streng reglementiert sind, dass sie nur gegen gleichstarke Gegner Sinn ergeben.
Im konventionellen Kampf wird für Erfolge, die die Verteidigung des Gegners übersteigen, eine Wunde angerichtet. Wer mehr Wunden als sein Maximum erleidet, ist außer Gefecht. Weiterer Schaden kann zum Tod führen. Ob der Charakter von den Toten auferstehen kann, hängt von der Entscheidung des Himmels ab - letztlich also vom Spielleiter. Dies ist aber kein Freiticket, um ständig Risiken einzugehen: Erstens muss der Spieler sein Anliegen vor den himmlischen Magistraten darlegen. Und zweitens bleibt ein dauerhafter Effekt zurück. Und diesen sucht der Spielleiter aus.
Für das eigene Spiel raten die Autoren, bei übermächtig erscheinenden Techniken eigene Konter zu entwickeln. Dieser Ansatz wird nicht jede Gruppe zufriedenstellen. Auch der kleinteilige Ansatz, der an Das Schwarze Auge erinnert, dürfte nicht jeden Geschmack treffen. Andererseits erscheint das Grundgerüst solide und einfach, sodass einer gewünschten Modifizierung an sich nichts im Wege steht.
Trotz Balancing-Schwächen sind 4 Sterne angemessen.
Welt
Das detailreiche, aber nicht überladene Setting ist an das chinesische Reich während der südlichen Song-Dynastie angelehnt. Das Reich ist in einen Nord- und Südteil gespalten. Kenner finden zahlreiche Anleihen wie die großen Rundhäuser der Hakka-Minderheit oder Nomadenvölker, die mit Tributzahlungen ruhig gehalten werden. Vor vielen hundert Jahren kam der Herr vom Ogertor in die Welt und setzte das Qi frei. Diese mystische Energie wurde zuerst von Sunan und Bao genutzt, um mächtige Kampftechniken zu entwickeln und den Bösewicht zu versiegeln. Jetzt ist die Kämpferwelt in verschiedene Sekten gespalten, die jeweils ihre eigene Agenda verfolgen. So möchte die Dehua-Sekte das Gleichgewicht der Welt wieder ins Lot bringen, die naturliebenen Mönche das korrupte Nordregime stürzen und die Armen schützen und die mystische Schwertsekte die Hai'an-Kollegen vernichten. Mein Favorit ist der Tempel der neun Sonnen. Nach deren Ansicht ist jetzt das siebte Sonnenzeitalter, wo die Menschen ihre Individualität ausleben sollen. Entsprechend pflegen die Mitglieder ihre eigene Persönlichkeit.
Auch bei den Religionen orientiert sich die Welt am realen China. In Dehua werden acht Tugenden verehrt, während Yen-Li mit der Vorstellung von Wiedergeburt eher an Buddhismus erinnert. Auch das Mandat des Himmels, die fernöstliche Variante der göttlich legitimierten Herrschaft, hat ihren Platz. Ebenso gibt es zahlreiche mystische Wesen, darunter Untote oder Kampfkünstler, deren Herz durch einen Stein ersetzt wurde und die jetzt unter Kontrolle des Imperators stehen.
Dabei wird nicht 1:1 kopiert, aber das Vorbild ist deutlich zu erkennen. Der Schwerpunkt der Beschreibung liegt dabei auf der Banyan-Region, wo es keine Zentralgewalt gibt. So wird eine Stadt im Detail beschrieben, ebenso wie einige weitere Schauplätze. Die Schwerpunktsetzung mag mancher schade finden, der lieber in den Hauptregionen Nord- oder Südreich spielen will. Andererseits ist die Region gut geeignet, um erst die nötige Erfahrung zu sammeln, um anderswo bestehen zu können.
Der übernatürliche Anteil am Spiel kann innerhalb der Spielgruppe bestimmt werden. Dies gilt auch für das Vorkommen anderer Spezies neben Menschen, die optional vorgestellt werden. Jede davon hat besondere Fertigkeiten. So haben die Hechi als aufrecht gehende Ziegen ein Horn, mit dem sie Lügen erkennen.
Da mir die Beschreibung gut gefällt, gebe ich 4 Sterne.
Fazit
Verbirgt sich unter dem unscheinbaren Äußeren jetzt eine Spielperle? Die Grundregeln sind simpel, scheinen aber eine große Bandbreite an Spielweisen und schnelles Spiel zu ermöglichen. Schwieriger wird die Frage dagegen bei den Kampftechniken. Auf derselben Stufe sind diese nur teils gleichwertig. Die Gruppe muss also etwas Arbeit investieren. Und genau wie die Fertigkeiten sind sie recht kleinteilig. Dafür ist die Welt sehr stimmig, mit vielen möglichen Aufhängern für Abenteuer. Am Ende ist es also wiedermal eine Geschmacksfrage. Für den Preis ist das Spiel aber ein echtes Schnäppchen.
Die Endwertung beträgt 14 von 20 Sterne.
Fantasy-Kritik beim Sternenwanderer
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