Vampire - Die Maskerade (3e)
Ich habe in meiner Zeit als Rollenspieler sicherlich eine Menge Rollenspielsysteme gespielt - großtenteils probeweise auf Conventions oder auch auf privaten Treffen mit anderen Rollenspielern. Es gibt allerdings nur eine kleine Zahl - vielleicht ein Dutzend - von Systemen¸ denen es gelungen ist in mir auch dauerhaft die Lust zum Spiel zu wecken. Das vorliegende Vampire: Die Maskerade hat mich mit seiner 2. Edition lange gefesselt. All die Abende¸ die ich mit diesem System gespielt habe¸ lassen sich nur noch grob schätzen und auch heute noch würde ich dem Ruf zu einer Runde jederzeit folgen.
Man könnte meinen¸ es sei unnötig sich noch ausführlich über dieses System auszulassen¸ denn das Gros der Rollenspieler dürfte sich mit dem Setting bereits einmal vertraut gemacht haben. Dennoch möchte ich für alle Neulinge die bislang keinen Einblick in die Welt der Dunkelheit hatten die Rahmengeschichte umreißen und anschließend auf die vorliegende 3. Edition eingehen¸ die in Aufmachung¸ Text und Umfang doch vom Vorgänger abweicht.
Die Welt der Dunkelheit
Die Spieler betreten die fiktive Welt der Dunkelheit in Form von untoten Geschöpfen¸ deren Faszination durch einen niemals versiegenden Blutdurst und damit verbundene mystische Mächte resultiert. Wir reden von Vampiren¸ wobei die bekanntesten Vertreter unter ihnen - z.B. Graf Dracula oder Nosferatu - durch ihre Präsenz in Literatur und Film unsere Vorstellung geprägt hat.
In der WdD sind diese Wesen keine Hirngespinste¸ sondern durchaus real und greifbar. Trotzdem reden wir auch hier nicht von Geschöpfen die offen in den Medien auftauchen¸ sondern von einem Geheimnis. Die normalen Menschen der WdD wissen von diesen Untoten im allgemeinen nichts¸ denn die Vampire halten ihre Tarnung - allgemein als Maskerade bezeichnet - gegenüber den Menschen aufrecht und bestrafen Verstöße aufs Härteste.
Die Geburt
Es gibt wohl die verschiedensten Meinungen¸ wie ein Vampir entsteht. Manche glauben an normale Geburten bei falschen Sternenkostellationen - bei anderen ist es die Bißwunde durch die Fangzähne eines Vampirs (so daß auch unbeabsichtlicht Vampire gezeugt werden können). Die Realität der WdD sieht jedoch anders aus. Abgesehen davon¸ daß die meisten Vampire ihre neuen Kinder meist mit größter Sorgfalt nach ihren Talenten und ihrem Wesen aussuchen¸ muß zuerst der Tod durch restlose Entnahme allen Blutes erfolgen. Der Körper stirbt bei diesem Vorgang und würde ohne das anschließend verabreichte Blut des Erzeugers verwesen. Durch den Kontakt mit dem vampirischen Blut wird jedoch ein neues Unleben erschaffen¸ das auf Blut begierig ist - weil den Untoten andere Nahrung nicht mehr nährt.
Mit dem Blut übernimmt der Vampir auch einige wesentliche Eigenschaften des Erzeugers. Je nach Clan des Erzeugers kann es bei neugeborenen Vampiren große Unterschiede geben.
Die Clans der Camarilla
Die heute existierenden Clanmitglieder stammen alle von jeweils einem Erzeuger ab (die wiederum alle von Kain¸ dem Brudermörder¸ abstammen)¸ dessen Namen auch von seinen Nachkommen getragen wird. Der Begriff 'Familie' wäre als Erstz für 'Clan' also gar nicht so verkehrt. Es gibt eine Reihe von Familien¸ die sich zudem in die Clans der Camarilla (Hüter der Maskerade)¸ einige unabhängige Clans¸ Sekten und die verhaßten Fraktionen des Sabbat. Der Sabbat präsentiert sich bewußt als bestialisches Zerrbild der Camarilla-Clans und versucht ihr möglichst viel Schaden zuzufügen.
Für die Spieler dürfte die Wahl i.d.R. auf einen Clan der Camarilla¸ einen unabhängigen Clan oder eine Sekte fallen.
Für Mitglieder der Camarilla ist der Erhalt ihres Restes an Menschlichkeit das Wichtigste - sozusagen das bindende Element der Clans - das sie vor dem Ausbruch der wilden Bestie in ihrem Inneren schützt.
Zur Camarilla gehören folgende Gruppen:
Der Sabbat
Die wohl größte und gefährlichste Sekte für die WdD ist der Sabbat. Die Mitglieder mißachten alle jemals existierenden Gesetze zum Schutz der Geheimhaltung oder der Menschlichkeit. Wenn der Sabbat in eine Stadt Einzug hält¸ verhält es sich in den Augen der Camarilla wie mit einem Krebstumor. Die Vampire des Sabbat zeugen große Mengen von Kindern und richten deren Haß auf ihre Feinde. Manchmal schafft es der Sabbat auch die typischen Gegener aller Vampire¸ wie Werwölfe¸ Geheimdienste oder Inquisition für ihre Zwecke einzuspannen und befaßt sich anschließend mit dem geschwächten Rest.
Die Unabhängigen
Um den Reigen zu vervollkommnen¸ folgen hier eine Reihe von Clans die weder dem Sabbat noch der Camarilla folgen. Sie haben ihren eigenen Weg gefunden¸ mit dem Biest im Inneren umzugehen.
Die Regeln
Eine Charaktererschaffung bei Vampire ist weder besonders kompliziert¸ noch besonders langwierig - zumindest wenn man sich bereits intensiv mit den Beschreibungen der Disziplinen (Vampirfähigkeiten)¸ Vorzüge und Nachteile beschäftigt hat.
Für jede der jeweils dreigeteilten Sektionen des Charakterblattes (Attribute¸ Fertigkeiten¸ etc.) gibt es ein feststehendes Maß (Einzelwert oder Trio) an Entwicklungspunkten¸ daß man nach eigenem Ermessen den bevorzugten Bereichen zuteilen kann. Beispielsweise kann man das Trio (7/5/3) den drei Bereichen der Attribute (Körperlich/Gesellschaftlich/Geistig) zuordnen und so persönliche Akzente setzten¸ die jeden Vampir einzigartig werden lassen.
Durch die Wahl einer offen zur Schau getragenen Persönlichkeit¸ kann man seine ebenfalls zu wählende wahre Persönlichkeit verbergen. Fertigkeiten füllen den Bereich des Vorlebens und die ersten Erfahrungen als Vampir. Die drei Tugenden Gewissen/Überzeugung¸ Selbstbeherrschung/Instinkt und Mut entscheiden über die Höhe einiger abgeleiteter Attribute¸ wie der äußerst wichtigen Menschlichkeit.
Wohl bedacht sollte die Wahl der Disziplinen Ausfallen¸ weil das Überleben des Charakter und der ganzen Gruppe wesentlich davon beeinflußt wird. Die Wahl bestimmter Hintergrundeigenschaften (z.B. menschliche Verbündete oder Ressourcen) bilden die vorletzte Stufe.
Das Finish - sozusagen das Sahnehäubchen - sind 15 Freie Punkte¸ die entsprechend einer Tabelle für alle Bereiche des Blattes genutzt werden können. Sie ermöglichen auch den Erwerb von Disziplinen¸ die eigentlich tabu sein sollten - weil sie keine Clandisziplinen sind oder die Steigerung von Werten über die Anfangsbeschränkungen. Wer möchte kann die Zahl der freien Punkte auch noch durch zusätzliche Schwächen erhöhen. Im Gegenzug lassen sich natürlich auch mit Freien Punkten Vorzüge erwerben. Anders als in der zweiten Version¸ finden sich diese Angaben direkt im Grundregelwerk und nicht erst im Spielerhandbuch.
Analog zur Verteilung der Freien Punkte¸ vollzieht sich übrigens später auch das Steigern mit Erfahrungspunkten.
Ihr versteht nichts mehr ? Hmm¸ vielleicht ist es ohne Charakterblatt wirklich ein wenig kompliziert. Mit Charakterblatt kann man jedoch einfach der Reihe nach vorgehen und die einzelnen Punkte recht einfach abhaken ! Als Manko beim neuen Charakterblatt empfinde ich den Wegfall des 'Werte-Wegweisers' am unteren Blattende¸ der doch eine gute Gedächtnisstütze war.
Vampir
Was bedeutet es nun einen Vampir zu spielen ? Wie lebt und wie denkt man ?
Ok¸ auf diese Frage gibt es so viele Ansichten wie Vampire. Ein paar Gemeinsamkeiten dürften jedoch prägend sein.
- Kindheit - Jeder frisch erschaffene Vampir ist (zumindest für ältere Vampire) so naiv und unwissend wie ein Kind und wird von anderen Vampiren auch so behandelt. Auch wenn man bereits zu Lebzeiten as Mensch viel erreicht hat¸ so zählen diese Werte kaum für den Status als Vampir. In der Untoten-Gesellschaft sichern ganz neue Regeln das Überleben und es sind viele Taten notwendig¸ um einen Aufstieg zum angesehenen Mitglied zu vollziehen.
- Unsterblichkeit - natürlich ist dieser Begriff falsch gewählt¸ denn etwas Totes kann nicht gleichzeitig Sterblich sein. Es sei jedoch so verstanden¸ daß ein Vampir vom Beginn seines Toten Lebens weder altert¸ noch durch Krankheiten sterben kann. Auch sein Aussehen verändert sich nicht mehr. Das einzige was reift¸ sind Erfahrung und Fähigkeiten.
- Blutgier - ein Vampir ernährt sich allein durch die Aufnahme von Blut. Dieses verbraucht sich jeden Tag ein wenig - beim Einsatz von besonderen Fähigkeiten steigt diese Rate erheblich an. Ein Vampir der länger auf frisches Blut verzichten mu߸ wird früher oder später dem Biest in ihm nachgeben.
- Die innere Bestie - jeder Vampir ist eigentlich ein Monster. Was ihn vor der endgültigen Raserei und der Vernichtung aller schwächeren Kreaturen schützt¸ ist seine Menschlichkeit¸ die die innere Bestie meist im Zaum hält. Jeder Tag ist ein Kampf zwischen dem Ratio und Instinkt. Ein Vampir der alle Menschlichkeit verliert wird zu einer allgemeinen Bedrohung und erleidet meist einen raschen Tod.
- Macht - Jedes Wesen möchte mächtig sein. Als Mensch mag man noch gebuckelt haben - aber nun als Vampir¸ mit der Aussicht auf ewiges Leben¸ stehen einem doch die Wege zur Allmacht offen ! In der Tat gibt es vor allem für ältere Vampire nur noch wenige Ziele: Die Erhaltung des eigenen Unlebens und der Zugewinn von Macht sind sicherlich zwei davon.
Diese Liste ließe sich noch um Einiges erweitern - und im vorliegenden Band werden auch eine Vielzahl von Sichtweisen ausführlich erläutert. Ich vermute¸ daß die Mannigfaltigkeit der möglichen Beweggründe und Motivationen eines Vampirs¸ auch ein Grund für den Erfolg dieses Rollenspiels waren.
Alt & Neu
Äußerlich unterscheidet sich die 3. Version von Vampire: Die Maskerade eigentlich nicht sonderlich vom Vorgänger. Wer die beiden Bücher nebeneinander legt¸ bemerkt jedoch den Zuwachs von 60 Seiten.
Zu meiner Freude konnte ich feststellen¸ daß diese Seiten äußerst gut genutzt wurden. Viele wichtige Informationen (z.B. Vorzüge & Schwächen¸ alternative Pfade¸ unabh. Clans und Sabbat)¸ für die bislang der Kauf des Spielerhandbuches erforderlich war¸ sind nun bereits im Grundregelwerk enthalten. Sehr löblich.
Aber bei der neuen Version handelt es sich nicht nur um eine Neuauflage alter Textpassagen - alle Texte wurden überarbeitet. Zwar finden sich auch bekannte Sätze und Passagen¸ aber insgesamt konnte die Qualität deutlich gesteigert werden.
Ach ja¸ auf ein Beispielszenario wie in der zweiten Edition wurde übrigens verzichtet - genau wie auf die Miniatur-Charakterblätter bei der Vorstellung der Clans. Aber ich denke¸ diese Verluste sind leicht zu verschmerzen.
Analog dazu wurde auch die graphische Seite komplett neu gestylt. Mir fiel beim Durchlesen keine Illustration auf¸ die mir aus dem Grundregelwerk oder dem Spielerhandbuch in Erinnerung geblieben wäre. Ok¸ bei einigen sehr gelungenen Bildern der ebenfalls guten 2. Auflage tut mir dieser Umstand schon ein wenig leid¸ auch wenn man sich für die Neuillustration wieder hervorragende Künstler unter Vertrag genommen hat.
Erwähnenswerte Regeländerungen sind mir bislang übrigens nicht aufgefallen¸ aber ehrlich gesagt hatte Vampire: Die Maskerade auch keine großartiken Regellücken oder -fehler aufzuweisen.
Fazit
Mein persönliches Fazit der Neuauflage ist daher wie folgt. Die vorliegende Version von Vampire: Die Maskerade ist eine gelungene Neuauflage¸ die sowohl in Text¸ Bild und Layout eine komplette Überarbeitung zu ihrem Vorteil erfahren hat. Durch den stark erhöhten Umfang (der sich kaum im Preis ausgewirkt hat) konnten wichtige Informationen des Spielerbandes mit integriert werden.
Der vorliegende Band stellt damit einen umfassenden Einblick in die aktuelle Welt der Vampire dar¸ die zum Spielen völlig ausreicht.
Zwar weiß wohl jeder Leser¸ daß allein die große Auswahl an V:dM-Quellenbänden und Erweiterungen meine Worte wie Lügen darstellt¸ aber in meinen Augen sind all diese Publikationen eher optional.
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de