Clanbuch: Gangrel (Revised)
Einer meiner Lieblingscharaktere bei Vampire war und ist - wohl leicht zu erraten - ein Gangrel. Ein Grund mehr¸ warum ich mir für diesen Quellenband Zeit gelaseen habe - denn so etwas studiert man mit Genuß.
Ein Clanbuch besteht in der Regel aus der vampirischen Historie¸ gesehen durch die Augen eines Clansmitglieds; aus abgestimmten Hinweisen¸ um das Rollenspiel eines Clanvertreters verbessern sollen; aus speziellen Regelergänzungen bzw. neuen Disziplinen; und einer Reihe von Archetypen bzw. berühmten oder irgendwie für die Vampirgesellschaft wichtigen Persönlichkeiten des besprochenen Clans.
In immerhin zwei dieser Bereiche hat der Clan Gangrel nicht allzuviel beizutragen: Historie und wichtige Persönlichkeiten...
Gangrel
Was mir an den Gangrel schon seit jeher gefallen hat¸ ist ihre Freiheitsliebe und die fast schon rebellenhafte Unabhängigkeit von den anderen Clans und den Zwängen der Camarilla. Natürlich sind es auch die Disziplinen wie Tierhaftigkeit und Gestaltwandeln die den Clan für mich interessant gemacht haben - der Gangrel selbst ist eine Waffe¸ die es mit vielen Gegnern in freier Wildbahn aufnehmen kann.
Obwohl es auch schon vor 10 Jahren bereits ein Clanbook: Gangrel gab¸ war mir das komplette Lesen der englischen Version zu mühsam und so pickte ich mir nur die ein oder andere Information heraus - eigentlich nur die Regeloptionen.
Heute reizte mich daher nicht allein die Aufgabe des Rezensierens - es war auch die Gelegenheit einmal tiefer in die Materie des "kainitischen Tiers" einzutauchen¸ denn bei keinem anderen Clan¸ wird das Wegbrechen der Menschlichkeit so offensichtlich - bei keinem anderen Clan lauert das Tier so dicht und unkaschiert unter der Oberfläche.
Die bei anderen Clans so ausschweifende Geschichte hausragender Erbauer¸ Gründer oder Feldherren ist bei den Gangrel eher kurz gehalten (das wirkt sich übrigens auch auf die Beschreibungen der NSC aus). Man erfährt das Wesentliche über die Schöpfung der Gangrel und die historischen Gründe für ihre Beziehung zu den Ravnos. Die Jahrhunderte vergehen und die Gangrel sehen dem Bau der ersten Städte kopfschüttelnd zu¸ während sie weiter den umherziehenden Völkern folgen. Als dann die Siedlungsdichte wächst und zunehmend ihren Freiraum beschneidet¸ werden sie zu unverzichtbaren Überlandboten für Jene¸ die sich zu sehr an den Schutz der Mauern gewöhnt haben. Als später die Kutschen durch die Eisenbahn abgelöst werden und erstmals eine Kommuikation über Telegraphen stattfindet¸ verlieren die Gangrel einen großen Anteil ihres "Nutzwertes" für die anderen Clans und müssen sich schließlich auf ihren Kampfkraft reduzieren lassen. Eben diese Kampfkraft wurde vielen Gangrel aber bereits früher einmal zum Verhängnis¸ nämlich als es die Tremere "Rohmaterial" für ihre Gargylen-Sklaven benötigten.
Seit der Gründung der Camarilla gehörten die Gangrel dazu - wenn auch widerwillig¸ denn die meisten Stadtgangrel¸ die sich in der Nähe der anderen Clans wohl fühlen würden¸ gehören zum Sabbat. Trotz dieser Kluft halten sie das lose Bündnis über Jahrhunderte aufrecht und dienen - historisch gesehen wie immer - vorwiegend als Kanonenfutter im Kampf gegen Sabbat und Werwölfe.
Der Austritt des Clans aus der Camarilla¸ ist eines der neuen Themen in der überarbeiteten Neuauflage. Wieder einmal sind die Gangrel gezwungen sich ein neues Terretorium und Betätigungsfeld zu suchen.
Von einem neugeborenen Gangrel wird erwartet¸ daß er mit sich selbst bzw. dem Tier in sich klarkommt. Gangrel stehen daher nach dem Kuß grundsätzlich auf sich allein gestellt und von ihrem Erzeuger verlassen da. Sie werden im besten Fall von ihrem Schöpfer unterrichtet (und auch das meist nur kurzzeitig...)¸ nachdem sie ihre Eigenständigkeit bereits unter Beweis gestellt haben. Der Band schildert interessante Eindrücke dieser überstürzten "Entnabelung" - und auch bei den Archetypen wird dieses einschneidende Erlebnis oft thematisiert¸ da eine psychologische Wirkung auf den Charakter unvermeidlich ist - sofern man die Geburt des Vampirs ausspielt.
"Gangrel in der ganzen Welt" beschreibt die Lebensorte und verschiedenen Ausprägungsformen (z.B. Wasser- oder Kröten-Gangrel) des oft einsiedlerisch lebenden Clans. Bei kaum einem Clan sind diese Unterschiede interessanter. Besonders interessant im aktuellen Geschehen ist das Auftauchen und Formieren der nordischen Walküren-Gangrel¸ die in der Tradition der Wickinger stehen und sich auf eine wichtige Aufgabe vorzubereiten scheinen.
Regeltechnisch wird im Clanbuch - vor allem für sehr erfahrene Gangrel - einiges an Disziplinen geboten. Bei den höheren Stufen des Gestaltwandels dürfte bei jedem Powergamer die Verzückung ausbrechen. Aber auch die Kombinationsdisziplinen haben es in sich - und das schon bei weniger hohen Kosten.
Technisches
Die Zeichnungen variieren zwischen durchschnitt und sehr gut. Die Texte sind ordentlich¸ auch wenn es mir stellenweise langweilig wurde. Ob das an der uninteressanten Historie der Gangrel oder an dem Schreibstil dieser Passagen lag¸ kann ich nicht so genau sagen.
Fazit:
Obwohl der Gangrel-Band stellenweise deutliche Schwächen bei den Kapiteln zur Geschichte und den NSC aufweist¸ hat der Band auch seine Stärken. Gerade über die Natur der Gangrel werden soviel oberflächliche Witze gemacht¸ daß man als Spieler kaum eine wirklich angemessene Vorstellung davon bekommen kann¸ was es wirklich bedeutet¸ nach und nach Eins mit dem Tier in sich zu werden.
Dieses Buch leistet das.
Die reißerischen Erweiterungen der Clansdisziplinen sind nett zu lesen und eine Menge Ohs und Ahs dürften durch die Gedankengänge vieler Gangrel-Fans klingen¸ aber mal ehrlich: das ist doch der Stoff aus dem Munchkins gemacht werden.
Wer ein tieferes Verständnis für die Gangrel entwickeln will - egal ob als Spieler oder Spielleiter - sollte sich diesen Band gönnen!
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de