Kompendium für Erzähler
Das "Kompendium für Erzähler" ist ein Quellenband für Vampire aus der Alten Werk. Auf 96 Seiten werden einige im Regelwerk angesprochene Aspekte der mittelalterlichen Vampirwelt vertieft. Zudem enthält das Buch einen Werkzeugkasten für Erzähler mit allerlei Ideen¸ Tipps und optionalen Regelerweiterungen.
Das erste Kapitel beginnt gleich recht interessant mit 6 (teilweise neuen) Blutlinien: Lhiannan¸ Laibon¸ Lamien¸ Gargylen¸ Baali und Salubri. Letztere beide¸ die dämonenanbetenden Baali und die gefallenen Salubri¸ deren Vorsintflutlicher von Tremere diableriert wurde¸ sind essentiell für die Geschichte der World of Darkness und durften in diesem Kompendium auch auf keinen Fall fehlen. Ähnliches gilt für die Gargylen¸ magisch erschaffene Dienerkreaturen der Tremere¸ die im Mittelalter noch um einiges häufiger anzutreffen sind als in späteren Jahren¸ da sie die "Sturmtruppen" der Tremere gegen deren zahlreiche Feinde bilden. Allein schon die Informationen über diese wichtigen Blutlinien rechtfertigen die Existenz des Kompendiums¸ zumal sich die Salubri¸ ehemals ein hoher Clan¸ sogar als (wenn auch komplizierte und meist tragische endende) Spielercharaktere eignen.
Die drei anderen Blutlinien stellen in meinen Augen eher teilweise nettes¸ teilweise ziemlich überflüssiges Beiwerk dar. Am interessantesten sind noch die Lamien¸ eine hauptsächlich aus Frauen bestehende Blutlinie der Kappadozianer¸ welche die Dunkle Mutter Lilith anbeten. Sie eignen sich in bestimmten Kampagnen recht gut als NSCs¸ wenn auch aufgrund ihrer Clanschwäche - sie verbreiten Seuchen bei ihren Opfern - weniger als SCs (welcher Prinz duldet schon Pestüberträger in seiner Domäne?)
Die aussterbende Blutlinie der Lhiannan zeichnet sich durch Tierhaftigkeit und ein extremes Territorialstreben an¸ das auch ihre Clanschwäche darstellt. Außerhalb ihres vertrauten Gebietes werden sie krank und schwach. Sie eignen sich aufgrund dieser Clansschwäche noch weniger als die Lamien als Spielercharaktere und haben m.E. auch sonst nicht viel interessantes an sich.
Die Laibon schließlich sind afrikanische Vampire¸ die (zumindest ihrem Glauben nach) von Geistern ihres Landes und nicht von Kain abzustammen. Außerhalb Afrikas sind sie äußerst selten anzutreffen und haben somit für Dark Ages- Chroniken¸ die wahrscheinlich äußerst selten außerhalb Europas spielen¸ keinen sonderlich großen Nutzen.
Insgesamt ist Kapitel 1 ziemlich nützlich und wenn man einmal von White Wolfs auf Dauer etwas ermüdender "Wir erschaffen 10001 Blutlinien für wirklich jede Gelegenheit"-Attitüde absieht¸ auch gerechtfertigt.
In Kapitel 2 werden die Minderen Wege abgehandelt¸ alternative Philosophien bestimmter Clans¸ die im Regelwerk nur kurz umrissen wurden.
Hierzu zählen der Weg der Knochen¸ der hauptsächlich von Kappadozianern befolgt wird und in dem sich alles um das kühl-rationale Studium des Todes dreht.
Der Weg der Metamorphose wird von einigen wenigen Tzimisce beschritten¸ die die Kunst des Fleischformens perfektionieren und darin einen ganz eigenen Lebenssinn sehen.
Der Weg der Nacht ist der Pfad einiger Lasombra (wer auch sonst)¸ eine etwas pervertierte Abart des Weg des Himmels. Seine Anhänger sehen sich als Geißel und damit gleichzeitig als Erlöser der Menschheit.
Da verwundert es dann auch nicht¸ dass der Weg der Schlange die eigentliche Religion der Jünger des Set darstellt¸ die Verderbnis als Freiheit und Bosheit als Mittel zum Zweck betrachten.
Die Philosophie der Assamiten¸ der Weg des Blutes¸ wird hier zu meiner Begeisterung weit disziplinierter und tiefgründiger definiert als in älteren Regelwerken. Es geht eben nicht mehr nur darum¸ andere Kainiten zu diablerieren; die Assamiten haben deutlich an Tiefe gewonnen.
Der letzte hier beschriebene Mindere Weg ist der Weg des Paradox¸ der von einer kleinen Gruppe Ravnos beschritten wird und es sich grob gesagt zur Aufgabe macht¸ jeden seiner schicksalhaften Bestimmung zuzuführen.
Für Erzähler ist dieses Kapitel auf jeden Fall ein Muss¸ da es sehr anschaulich die Glaubensrichtungen bestimmter Clans beschreibt. Dabei sind die einzelnen Philosophien so schlüssig erläutert¸ dass eigentlich keiner der Wege als "böse" an sich dargestellt wird. Jede Art des Glaubens hat irgendwo ihre Berechtigung¸ wenn man sich in die Perspektive seiner Anhänger versetzt. Nicht alle der beschriebenen Wege sind wirklich spielbar¸ die meisten eignen sich eher¸ um NSCs mehr Individualität zu verleihen. Aber das sollte kein großes Problem darstellen¸ schließlich wird ausdrücklich gesagt¸ dass auch in den Clans¸ die einen bestimmten Weg begründet haben¸ jeweils nur eine Minderheit diesem Weg folgt. Die große Mehrheit der Kainiten (und der Spielercharaktere) folgt nach wie vor einem der großen Wege.
Kapitel 3 befasst sich mit den Disziplinen der vorher beschriebenen Blutlinien¸ von denen jede neben den "Standard-Disziplinen" wie Auspex¸ Seelenstärke etc. eine ganz eigene "Spezialdisziplin" hat (abgesehen von den Gargylen¸ die verschiedene Fähigkeiten besitzen können¸ je nachdem zu welchem Zweck sie erschaffen wurden).
Die Disziplin der Baali z.B. ist Daimonion¸ eine furchterregende¸ pervertierende Kraft¸ mit denen man andere verfluchen und ähnlich finstere Dinge anstellen kann. Interessant sind auch die Salubri¸ aufgespalten in eine Krieger- und eine Heilerkaste¸ deren Mitglieder unterschiedliche Ausprägungen ihrer Disziplin Valeren erlernen.
Zum Schluss dürfen auch (wie in fast jedem Vampire-Quellenbuch) einige thaumaturgische Rituale nicht fehlen¸ in dem Fall Zauber¸ mit denen die Tremere ihre Gargylen stärken bzw. schützen.
Kapitel mit neuen Disziplinen sind immer Geschmackssache. Ich vertrete die Meinung¸ dass die hier vorgestellten gut zu den jeweiligen Blutlinien passen¸ teilweise wichtig für das Spiel sind (nämlich im Falle der Baali und Salubri) und auch durchaus Verwendung finden (können). Ausgewogen sind sie zwar nicht weniger¸ aber dass ist bei derart unterschiedlichen Disziplinen auch kaum machbar.
Nach all diesen größtenteils interessanten und spielrelevanten Informationen bildet Kapitel 4 mit einem Werkzeugkasten für den Erzähler einen eher unspektakulären Abschluss. Hier werden Tipps zum Erschaffen von Nebenfiguren samt Punktverteilungsrichtlinien gegeben¸ es gibt Schablonen für sterbliche NSCs und Ghule vom Schenkenmädchen bis zum Kastellan und eine teilweise recht amüsant anmutende Tabelle mit verschiedenen europäischen Namen. Gerade bei den deutschen Namen musste ich doch das ein oder andere Mal schmunzeln. Ein Amerikaner mag "Mareike" oder "Elke" ja für einen guten mittelalterlichen Namen halten¸ in der deutschen Übersetzung hätte man aber sicherlich etwas passenderes finden können.
Es folgt eine gut durchdachte Passage mit Regeln für größere Schlachten (die im Mittelalter schließlich fast schon an der Tagesordnung sind). Dies vereinfacht die regeltechnische Abwicklung von Kämpfen mit mehr als nur einer Handvoll NSCs doch gewaltig und verhindert stundenlange¸ langweilige Würfelorgien. Ich habe diese Regeln mit einigen Modifikationen mittlerweile in meine eigene Dark Ages-Runde übernommen und kann ihre Nützlichkeit nur bestätigen.
Ganz zum Schluss schließlich werden noch optionale Regeln zur Vergabe von Reifepunkten vorgestellt. Es handelt sich dabei um ein Erfahrungspunkte-System für lange Downtime-Phasen¸ z.B. während Jahrhunderte umspannender Chroniken¸ in denen natürlich nicht jedes einzelne Jahr ausgespielt wird. Die Charaktere entwickeln sich in dieser Zeit auch weiter¸ allerdings wesentlich langsamer als durch im Spiel gewonnene Erfahrungspunkte. Zudem werden noch Regeln für das Beibehalten und Steigern von Hintergründen während ereignisloser Zeit vorgeschlagen sowie (wieder einmal) ein Regelsystem zur Erschaffung von Vampirahnen. All diese Regeln kann man anwenden oder auch nicht¸ traditionell gibt es in den meisten Runden wohl eigene Hausregeln. Die hier vorgestellten Steigerungsregeln werden von den White Wolf -Autoren eindeutig nicht selbst angewendet¸ wenn man sich mal die Werte von NSCs in offiziellen Abenteuern ansieht¸ die größtenteils weitaus mächtiger sind als die Charaktere¸ die man mit diesem System bauen kann. Doch wie immer sind die Regeln Geschmackssache und es bleibt beim Erzähler¸ ob sie in seiner Runde Anwendung finden oder nicht.
Insgesamt ist das vierte Kapitel abgesehen von den Massenkampfregeln ziemlich belanglos¸ zumindest wenn man vorher schon das ein oder andere Rollenspielregelwerk gelesen hat¸ und zeichnet sich zudem durch besonders scheußliche (Strich-)Zeichnungen aus. Die Qualität der restlichen Illustrationen ist zum Glück deutlich besser¸ wenn auch immer noch nicht überragend.
Fazit:
Eine ziemlich brauchbare und größtenteils nett zu lesende Informationsquelle für den Erzähler (wie der Name schon sagt). Spieler werden das ein oder andere aus diesem Buch sicherlich auch interessant finden¸ müssen es aber nicht zwangsläufig kaufen. Das Kompendium ist auf jeden Fall eine nützliche Ergänzung zum Regelwerk.
Eine Rezension von: Maja