Buch der Minderen Clans
"Das Buch der Minderen Clans" ist das Spielerhandbuch zu Vampire aus der Alten Welt¸ das sich der ersten Hälfte der 13 Vampirclans (Gangrel¸ Malkavianer¸ Ravnos¸ Tremere¸ Assamiten und Jünger des Set) widmet.
Die Mitglieder der Hohen Clans sehen in ihren niederen Geschwistern bestenfalls unterwürfige Vasallen¸ schlimmstenfalls aussätzigen Abschaum¸ den es zu vernichten gilt - oder zumindest war das lange Zeit der Fall. Doch die Lange Nacht ist nun vorbei¸ und der Krieg der Prinzen bringt frischen Wind in die eingefahrene Welt der Kainskinder. Die Minderen Clans stellen mittlerweile einen nicht mehr zu unterschätzenden Machtfaktor im Dschihad dar. Der bevorstehende große Umbruch in der kainitischen Gesellschaft wird die Rolle der Minderen für immer verändern.
Zum Inhalt:
Das Präludium ist wie in den meisten Vampire-Regelwerken eine einleitende Kurzgeschichte. Diesmal geht es um einen Tremere-Lehrling¸ der sich mit einem ebenso jungen und unerfahrenen Nosferatu anfreundet. Der machtgierige Regent der Tremere benutzt diesen jedoch für seine eigenen Zwecke¸ und die sehen - wen wundert's - natürlich kein gnädiges Schicksal für den Aussätzigen vor. Obwohl die Kurzgeschichte sich nicht gerade durch einen angenehmen Schreibstil auszeichnet¸ bietet sie doch eine angemessen düstere Einführung in die niederträchtige Welt¸ in der die Minderen Nacht für Nacht ums nackte Überleben kämpfen müssen.
Die Einleitung gibt einen kurzen Überblick über das¸ was einen im Buch erwartet und nennt wie immer auch einige Quellen zum Thema.
Kapitel Eins beschreibt auf jeweils 6 bis 8 Seiten die Entstehungsmythen¸ Geschichte und aktuelle Konflikte jedes der Minderen Clans. Einige der hier vorgestellten Geschichten weichen recht stark von denen aus den Clanbüchern und ähnlichen Quellen ab¸ andere folgen größtenteils dem Kanon bereits erschienener älterer Dark Ages-Publikationen. Und so liegt es wie immer am Spielleiter¸ was er in seinen eigenen Kanon aufnimmt. Einige der vorgestellten Ideen sind jedenfalls recht nett und durchaus ausbaufähig. Insgesamt bildet dieses Kapitel eine annehmbare¸ wenn auch aufgrund des geringeren Seitenumfangs etwas knapp geratene Alternative zu den älteren Libellis Sanguinis¸ die sich jeweils drei Clans widmeten.
Nach den Beschreibungen der einzelnen Clans folgen zwei ziemlich belanglose Seiten über die Taktiken der Minderen¸ was das Halten von Herden¸ das Finden einer Zuflucht u.ä. angeht. Hier wird wenig Neues geboten¸ wenn die angegebenen Beispiele dem unerfahrenen Spielleiter auch als Inspirationsquelle dienen können.
Nach einem etwas interessanteren Abschnitt über den Stand der Minderen Clans in den verschiedenen Ländern (kurz zusammengefasst: gut im Outtremer¸ wo die Assamiten seit jeher über ihre Domänen herrschen¸ eher mau bis mittelprächtig in Europa) widmen sich die letzten 12 Seiten des ersten Kapitel verschiedenen Traditionen der Minderen Clans. Hier werden dem interessierten Spieler/Spielleiter einige nützliche Infos serviert¸ die sich gut in das Spiel eines solchen Charakters einbinden lassen. Beispielsweise erfährt man einiges über die fünf Säulen des Islams aus kainitischer Perspektive¸ was besonders für Spieler von Assamiten und allen muslimischen Charakteren von Interesse sein dürfte. Weiterhin wird auf nordische Bräuche des Liedermachens (Gangrel)¸ Zigeunertraditionen der Ravnos¸ gnostische und heidnische Philosophien (Tremere) und ähnliche Besonderheiten der sechs Clans eingegangen.
Kapitel Zwei beleuchtet auf sehr ausführliche Art die Meinungen und Einstellungen der Minderen Clans. Das (stereotype) Verhalten der sechs Clans auf der Skala Aufsässigkeit vs. Unterwürfigkeit wird beschrieben¸ es werden häufige Ziele und Motive von Mitgliedern der jeweiligen Clans genannt und Spieler erhalten Tipps für die Charakterentwicklung (in Bezug auf die Werte-Veränderung durch Erfahrungspunkte). Außerdem wird erläutert¸ welche Wege beim jeweiligen Clan möglich bzw. vorherrschend sind.
Insgesamt ist das alles nicht sonderlich spannend¸ und auch wenn gerade unerfahrene Spieler Orientierungshilfen zum Spielen der einzelnen Clans sicherlich gebrauchen können¸ hätte man dieses Kapitel ohne großen Informationsverlust von 30 auf 10-15 Seiten zusammenkürzen können.
Kapitel Drei stellt einige neue Blutlinien der Minderen Clans vor und gibt Tipps¸ wie man diese als Spielercharaktere oder NSCs in eine Chronik einbauen kann.
Die Anda sind eine von Mongolen abstammende Gangrel-Blutlinie¸ die weniger leicht dem Tier verfallen als ihr Stammclan¸ jedoch von einer unbändigen Wanderlust getrieben werden und nicht länger als ein paar Tage am selben Ort bleiben können.
Als Clan mit den meisten Blutlinien haben die Gangrel ebenfalls die Noiaden hervorgebracht¸ skandinavische Nomaden¸ welche die heidnischen Götter verehren und ihre sterblichen Stämme beschützen.
Die dritte neue Blutlinie sind die Telyavelischen Tremere¸ eine geheime Blutlinie der Hexer. Wüssten die Herren von Ceoris¸ das ihre litauischen Geschwister sich von Haus und Clan abgewandt haben und nun einen heidnischen Totengott verehren¸ wäre dies zweifellos das Ende der Linie.
Weiterhin werden hier Tipps zum Spielen der bereits aus dem Kompendium bekannten Gargylen¸ Lhiannan und Laibon gegeben.
Man kann über Blutlinien denken was man will (ich persönlich bin der Ansicht¸ dass die 13 Clans für sich mehr als genug Variationsmöglichkeiten bieten)¸ die hier beschriebenen sind als Spielercharaktere durch ihre teilweise enormen Einschränkungen -wie die Ortsgebundenheit der Lhiannan oder den gegensätzlichen Wandertrieb der Anda- für die meisten Chroniken wenig geeignet und auch als NSCs kaum so spannend¸ dass dem Spiel ohne sie etwas fehlen würde. Für mich ein eher überflüssiges Kapitel.
Nach Kapitel Zwei und Drei¸ die man ohne große Verluste überspringen kann¸ kommen wir in Kapitel Vier zu einem regeltechnischen Teil¸ der - je nachdem¸ in welcher Größenordnung eine Chronik angesiedelt ist- für die meisten Spielleiter von Interesse sein dürfte. Hier werden die im Grundregelwerk ausgelassenen Disziplinskräfte über der 6. Stufe¸ eine ganze Reihe von Disziplinen-Kombos¸ weitere thaumaturgische Rituale der Tremere und Assamiten sowie neue Vorzüge und Schwächen speziell für die Minderen Clans aufgeführt.
Am interessantesten sind hierbei sicherlich die hochstufigen Disziplinen. Disziplin-Kombos sind immer eine Geschmackssache¸ man kann auch bestens ohne sie auskommen; die zusätzlichen Rituale und Vorzüge und Schwächen ("Unsichtbarer Schlaf"¸ "Missgeburt") sind größtenteils nett und auch passend für die Minderen Clans.
Was die Disziplinen angeht:
Wie das bei Regeln oft der Fall ist¸ sind auch hier einige der Kräfte im Vergleich zu anderen sehr unverhältnismäßig - wie z.B. die Disziplin Irrsinn¸ mit der man eigentlich nur destruktiven Unsinn anstellen kann. Mit Irrsinn 7 kann man z.B. die Persönlichkeit einer Person von Grund auf umkrempeln. Unter der Beschreibung der Kraft ist angegeben¸ dass der Erzähler sich sehr genau überlegen sollte¸ ob er diese Kraft auf einen Spielercharakter anwendet¸ da viele Spieler¸ die Mühe und Zeit in ihren Charakter investiert haben¸ sich über eine solche Veränderung sehr ärgern würden. Da frage ich mich doch¸ warum eine solch unnütze Kraft¸ die für Spieler wegen des hohen Levels kaum zugänglich ist und von NSCs nicht benutzt werden soll¸ überhaupt angegeben wird.
(Nebenbei gesagt habe ich mich schon oft nach dem Sinn und Zweck der Disziplin Irrsinn gefragt. Sie mag zum Clan passen¸ doch mit ihrer -selten subtilen- Anwendung tut sich niemand einen Gefallen. Warum wurden die Malkavianer¸ von denen bekannt ist¸ dass sie Wahnsinn verbreiten¸ nicht schon längst ausgelöscht? Wo bleibt da die interne Logik? Welcher Prinz würde einen Kainiten in seiner Domäne dulden¸ der ihm mit einem Fingerschnippen seine geistige Gesundheit nehmen kann? Selbst junge Malks verfügen schon über Fähigkeiten¸ die eine ganze Domäne ins Chaos stürzen können. Wenn man diese Logik weiterführt¸ sollten sich eigentlich nur Methusalems erlauben können¸ ihre Kräfte überhaupt anzuwenden. Alle anderen würden beim leisesten Verdacht darauf verfolgt und vernichtet werden. Aber das nur nebenbei.)
Als Anregungen sind die hochstufigen Disziplinen durchaus nützlich¸ m.A. kommt man hier aber kaum um eine Überarbeitung und Anpassung an die eigenen Vorstellungen herum.
Zusammenfassend lässt sich sagen¸ dass dieses Kapitel einen Kauf des Buches für Spielleiter durchaus rechtfertigen kann - es sei denn¸ der SL möchte sich selbst hochstufige Disziplinen ausdenken oder er befindet diese in seiner Chronik für irrelevant.
In Kapitel Fünf begegnen uns die altbekannten Beispielcharaktere wieder¸ diesmal 6 an der Zahl. Unentschlossene Spieler finden hier die ein oder andere kreative Idee- der "inzestuöse Zwilling"¸ ein Malkavianer mit einer in Ritter und Burgfräulein gespaltenen Persönlichkeit¸ z.B. gefiel mir recht gut.
Auch einige bekannte Persönlichkeiten der WoD dürfen nicht fehlen. Der Leser trifft einmal mehr auf die Assamitin Fatima al-Faqadi¸ die noch eine bedeutende Rolle in der kainitischen Geschichte spielen wird¸ sowie auf weitere im Mittelalter bekannte Kainiten: Seren¸ Malkavianer-Baronin von Gloucester¸ die junge Ravnos Zoe und der byzantinische Nosferatu Malachit¸ beide aus der Dark Ages-Romanreihe bekannt¸ u.a.
Sekten und Bewegungen¸ die ihre Mitglieder (hauptsächlich) aus den Reihen der Minderen rekrutieren¸ bilden den Abschluss des Buches. Die Ashirra z.B. sind eine Sekte gläubiger Muslimen¸ den -wohl noch frommeren- christlichen Gegenpart zu ihnen bilden die bußfertigen Lupetti di Gubbio. Furores sind so etwas wie der Vorläufer der Anarchen-Bewegung. Zuletzt werden noch clansinterne Orden und Gruppierungen vorgestellt¸ wie die Ritter Avalons (Gangrel)¸ das Netz der Messer (Assamiten) oder die Gilde der Baumeister (Nosferatu).
Kapitel Fünf ist wieder spannender zu lesen¸ trotz der Kürze informativ und eine gute Inspirationsquelle für SL und Spieler gleichermaßen.
Layout & Aufmachung:
Wie bei allen Dark Ages-Publikationen sind Layout und Design angenehm düster und atmosphärisch ausgefallen¸ was für die Zeichnungen nicht immer gilt. Sie sind von eher durchschnittlicher Qualität. Bis auf Mike Chaneys grobe Charakterzeichnungen in Kapitel Fünf im (schlechten) Comic-Stil ist mir nichts - weder negativ noch positiv- ins Auge gestochen.
Fazit:
Das vorliegende Buch enthält einige nützliche Informationen¸ die mehr Farbe in das Leben eines Mitglieds der Minderen Clans bringen können. Das Kapitel über hochstufige Disziplinkräfte ist besonders für Spielleiter relevant. Leider wiederholen die Autoren sich aber auch oft¸ ziehen einige Abschnitte unnötig in die Länge und lassen es an Kreativität oftmals fehlen. Erfahrenen Spielern dürfte der Großteil des Buches schon bekannt vorkommen. Die exzellente Qualität des Grundregelwerks und des Quellenbuchs Europa bei Nacht konnte hier nicht gehalten werden. Insgesamt ein nur ansatzweise gutes¸ größtenteils aber durchschnittliches Quellenbuch. Ein Kauf empfiehlt sich vor allem für Neueinsteiger und für Spieler¸ die bisher noch nicht allzu viel über die Dark Ages gelesen haben.
Eine Rezension von: Maja