Envoyer 06/2005
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Das universelle Rollenspiel-Fanzine Greifenklaue wurde bereits 1997 von Mitgliedern der Pfadfindergruppe Mantikore als gedrucktes A4-Heft ins Leben gerufen und eroberte ab 2005 auch das Internet. Neben dem gedruckten Fanzine betrieb Ingo aka "Greifenklaue" vor allem einen Blog, einen Podcast und ein eigenes Forum. Zur großen Bestürzung der Rollenspiel-Szene verstarb Ingo Schulze am Freitag den 26.11.2021. |
Palomêl, die Envoyer-Fantasywelt, wird fortgesetzt von Dirk Pautlitz und Antonia Vogel. Beide kreierten eine Inselwelt, die auf der einen Seite beherrscht wird vom Meeresvolk der Nautiden und auf der anderen Seite vom Vogelvolk der Ru'A!ck. Mal ergibt sich eine friedlich Koexistenz und die Nautiden tauschen Meeresschätze gegen "Schutzschleim", welcher Eisen widerstandsfähig gegen Meerwasser macht, an anderen Orten wird ein harter Kampf um die knappen Ressourcen gefochten. Beide Volksbeschreibungen sind stimmungsvoll geschrieben und bieten auch Ansätze über den üblichen Fantasy-Einheitsbrei hinaus, so dass man diese exotischen Inselwelt vielleicht selbst in seine Kampagne einbauen möchte.
Mittig wird auf 16 Seiten die Ultrakurzversion des "Primären Rollenspielsystems", kurz Prost, vorgestellt. Es ist ein Universalregelwerk, welches sich in dieser Version am Fantasygenre orientiert, aber beispielsweise an den Stabilitätswürfen bemerkt man auch die Ansätze für Horrorrollenspiele. Die Regeln sind eher konventionell, hier erinnert es an DSA, wie bei der höheren Lebensenergie der Zwerge, dort an andere Klassiker. Aber das wirkt sich nicht negativ aus: Die Regeln wirken ausgeklügelt und ausgeglichen, einfach und verständlich aufgebaut. Ein Punktesystem zur Charaktererschaffung ermöglicht größtmögliche Individualität, bei Rassen mit vielen Vorteilen werden kurzerhand die freien Kaufpunkte zum Ausgleich gesenkt. Zudem können die Charaktere optional noch mit Vor- und Nachteilen bestückt werden.
Das Würfelprinzip bei Prost ist eigentlich simpel, mit einem W20 wird gewürfelt, die Differenz gibt die "Qualität" an oder spielt bei vergleichenden Proben eine Rolle. Die gesammelten Erfahrungspunkte können schlußendlich direkt in Steigerungen der einzelnen Attribute oder Künste umgesetzt werden.
Eigentlich möchte man es gleich einmal probespielen, jedoch schließt sich mit "Das Vermächtnis des Wirkers" ein Mondagor-Abenteuer an. Zwar ist es das erste Mondagor-Abenteuer im Envoyer, trotzdem ist sein Hintergrund tief in die Welt verwoben und gerade auf den ersten Seiten wird nur so mit neuen Begriffen um sich geworfen. Mit einem Einstiegsabenteuer hätte man vielleicht mehr Interesse wecken können und vor allem den Leser mitgenommen. Der Prozentsatz der Envoyerleser, die Mondagor spielen, wird sicherlich auch nicht gerade zweistellig sein... Trotzdem, der Plot des Abenteuers ist originell und wenn man bereit ist, den Hintergrund umzuarbeiten, auch anderweitig spielbar.
Die Serie "Larpst Du schon?" beschäftigt sich auf zwei Seiten mit Gold und wie es zu bekommen ist. Nach durchaus viel versprechender Einleitung bleibt der Artikel dann aber sehr oberflächlich. Tipps wie "Lassen Sie sich als Söldner anstellen" sind nicht wirklich neu...
Abgerundet wird das Heft mit dem Weltenretter-Comic, dessen Humor mir nicht liegt, buntgemischten News darüber, was so erschienen ist im letzten Monat, sowie einigen Rezis. JP Kleinau vom X-Zine nimmt hier auf recht gelungene Weise den neuen Star Wars-Teil auseinander und schafft es, einen sachlichen Verriss abzuliefern. Weniger gelungen ist die Rezi zu den Kartenneuheiten von Pegasus. Erst beschwert sich der Autor, dass "etliche Nachfragen" nötig waren und dann erfahren wir über Munchkin 2 z.B. als einziges "dass sich dieses eben gerade nur zusammen mit dem Basisspiel kombinieren lässt". Erstens ist das nicht viel, zweitens weiß ich nicht, was "eben gerade" in diesem Zusammenhang heißen soll und drittens läßt es sich theoretisch auch mit dem ebenfalls rezensierten "Munchkin beißt" kombinieren... Soviel dazu!
Fazit: An sich finde ich es toll, wenn der Envoyer Fansysteme unterstützt und zu Wort kommen läßt. Trotzdem sollte man das Konzept nochmal überdenken. Zu den Prost-Regelwerk hätte sicher gut ein Abenteuer gepasst. Wer liest schon gerne trockene Regeln? Und auch bei Mondagor wäre ein einsteigerfreundliches Abenteuer, anhand dessen man Welt und Hintergrund näher bringt, Trumpf gewesen. Die Qualität der Rezis schwankt auch weiterhin stark, aber für 1,80 Euro bekommt man immerhin ein Abenteuer, ein Regelwerk, ein Hintergrund und ein farbenfrohes Rahmenprogramm.
Eine Rezension von: Ingo 'Greifenklaue' Schulze https://greifenklaue.wordpress.com/