Tyranny
Rezension: Tyranny - Das Böse kann so gut sein
2017-12-18
Obwohl sie große Freiheit bieten, vernachlässigen viele Rollenspiele eine Spielform: böse zu sein. Dabei bietet ein Spiel mit dieser Einstellung doch Potenzial für ausgefeiltes Charakterspiel. Das wird in Videospielen noch deutlicher. Der böse - oft auch egoistische - Weg ist oftmals der schlechtere. Oder fühlt sich zumindest so an.
Obsidian Entertainment wollte zeigen, dass es auch anders geht, und brachte vor gut einem Jahr sein Spiel Tyranny auf den Markt. Aber lohnt sich der Ausflug in die böse Ecke des Spielfelds? Und schränkt das nicht die Spieler zu sehr ein?
Tyranny
Genre: Rollenspiel
Sprache: Englisch, Untertitel u.a. in Deutsch
Erscheinungsdatum: 10. November 2016
Entwickler: Obsidian Entertainment
Altersfreigabe: USK 16
Preis: ab 10 Euro, digital auf Steam ab 41,99 Euro
Grafik
Tyranny benutzt die Unity Engine, die auch schon beim indirekten Vorgängerspiel Pillars of Eternity zum Einsatz kam. Die hübsch gezeichneten Landschaften sind in 2D gehalten, während die Figuren und Effekte in 3D daher kommen. Dies erlaubt eine Verbindung mit dem Aussehen von Klassikern wie Baldur's Gate einerseits, andererseits aber flüssige Animationen und schickte Effekte. Das Ergebnis wird zwar keine Grafik-Fanatiker ansprechen, trifft meinen Geschmack aber gut.
Passend zum düsteren Ton sind die meisten Landschaften trostlos und öde gehalten. Dennoch gibt es viel Abwechslung: Verliese, wie zerrissen wirkende Ebenen und Städte gehören zum Angebot. Zwischensequenzen werden mit animierten Bildersequenzen inszeniert. Immerhin sind sie ansprechender als in Pillars of Eternity.
Die liebevolle Arbeit ist mir 4 Sterne wert.
Audio
Die Soundeffekte sind gut, die Sprachausgabe liegt auf Englisch mit wählbaren Untertiteln in verschiedenen Sprachen vor. Sprecher und Texte machen einen hervorragenden Job und verleihen den Figuren Persönlichkeit. Die Musik trägt ihren Teil zur Atmosphäre bei. Kraftvolle Stücke untermalen die dramatischen Kämpfe, während ruhige oder unheimliche Stücke Erkundungspassagen begleiten. Klangtechnisch hebt sich Tyranny angenehm von der üblichen Fantasy-Untermalung blühender Wiesen angenehm ab. Allerdings fehlt der eine Song, der wirklich hervorsticht ein wenig. Ein Theme wie bei Skyrim fehlt etwas.
Trotz kleiner Abstriche reicht es noch für 4 Sterne.
Welt und Geschichte
Die Welt von Tyranny kennt keine Elfen oder Zwerge, sondern wird von Menschen, Tiermenschen und einigen mystischen Kreaturen bewohnt. Dort existieren die Archonten, jeder für sich Meister einer Magie-Schule, die erst durch sein Erscheinen den Menschen bekannt wird. Der mächtigste davon ist Kyros*, der mit Edikten ganze Landstriche verheeren kann, bis deren Bewohner seine Forderungen erfüllen. Mit dieser Macht konnte Kyros fast den ganzen Kontinent erobern. Jetzt ziehen seine Streitkräfte gen Süden.
Zwei Teilarmeen sind auf dem Marsch. Die Geschmähten bilden eine überschaubare Truppe, die durch die Stärkungsmagie ihres Archonten Graven Ashe, ihren Zusammenhalt, Disziplin und Eliteausrüstung aus Eisen jedoch noch nie in offener Feldschlacht besiegt wurde. Der Scharlachrote Chor wiederum stellt eine chaotische Ansammlung dar, die besiegten Feinden das Angebot macht, ihnen beizutreten - wenn sie die Aufnahmerituale überleben. Schiere Masse und Wildheit machen den Chor unter Nerats Stimmen dennoch zu einer ernstzunehmenden Streitmacht. Nerat selbst kommandiert verschiedene Persönlichkeiten, die er im Lauf von Jahrhunderten in sich aufgenommen hat. Ob er dadurch schon wahnsinnig geworden ist, bleibt der eigenen Einschätzung überlassen.
Der Eroberungszug gen Süden entwickelt sich zu einem Wettkampf zwischen Nerat und Ashe, bei dem der Spieler den Ausgang entscheidet. In dieser Welt sorgen Schicksalsbinder wie er nämlich für die Einhaltung von Kyros Recht. Sie sind notfalls auch Vollstrecker derselben. Der Charakter des Spielers ist ein solcher. Sein Vorgesetzter ist Richter Tunon, ebenfalls ein Archont, der darüber wacht, ob seine Untergebenen das Gesetz und Kyros Willen verbreiten.
Vom Hintergrund ordne ich die Welt eher in einen antiken Hintergrund, wo gerade ein großes Imperium die Einzelreiche vereint. Das ist angenehm unverbraucht. Dabei ist die Welt zwar einerseits realistisch gehalten, andererseits aber um fantastische Elemente wie Magie angereichert. Die Geschichte wiederum weiß vom ersten Moment an zu packen und bleibt dank unerwarteter, aber glaubwürdiger Wendungen bis zum Schluss spannend. Manchen mag das Ende zu abrupt oder rasch kommen, ich finde es aber passend gesetzt.
Ich gebe 5 Sterne.
Spielmechanik
Bei der Charaktererschaffung hat der Spieler die Wahl zwischen verschiedenen Hintergründen. Vom Diplomat bis zum Adelsspross und Kampfmagier reicht die Wahl. Auch verschiedene Waffentalente lassen sich wählen. Schade ist etwas, dass damit zwar verschiedene Boni und Taktiken einher gehen. Allerdings umfasst die Auswahl längst nicht alle vorhandenen Magieschulen. Ein Feuermagier lässt sich erst später im Spiel erschaffen. Dafür können erste Entscheidungen im Eroberungszug getroffen werden, die Auswirkungen darauf haben, wie andere Spielfiguren den Charakter sehen.
Im Spielverlauf versammelt sich eine illustre Truppe um den Charakter. Da ist beispielsweise Krieger Barik, der bei einem Sturm in seiner eigenen Rüstung eingeschlossen wurde. Lyra dagegen ist eine leidenschaftliche, manchmal brutal auftretende Kriegerin, jedoch keine Berserkerin. Schreiber Lantry beherrscht dagegen unterstützende Magie und Heilzauber. Jeder Mitstreiter bringt dabei eigene Talentbäume mit sich, die es erlauben, seine Stärken auszubauen und die Schwächen zu minimieren. Aus Schreiber Lantry wird allerdings kein Krieger.
Je nach Umgang mit den Party-Mitgliedern entwickeln diese Loyalität oder Furcht gegenüber dem Hauptcharakter. Sie können ab bestimmten Werten mit diesem starke Kombo-Aktionen durchführen, die meist nur einmal pro Kampf oder bis zur nächsten Rast einsetzbar sind. So halten Lantry und der Fatebinder die Zeit an, oder Lyra und der Charakter führen einen mächtigen Angriff durch. Auch miteinander können die Gruppenmitglieder solche Kombos lernen und einsetzen. Auch die Fraktionen im Spiel entwickeln Zu- und Abneigungen zum Spielcharakter entsprechend seiner Entscheidungen. Ab bestimmten Werten gibt es ebenfalls Boni, sodass konsequente Spielweise belohnt wird.
Die Liste an Talenten und Sonderfertigkeiten ist dabei einerseits überschaubar, bietet aber andererseits auch viel Raum für Individualisierung. Nach dem Einsatz muss eine bestimmte Abklingzeit eingehalten werden. Dies bringt zusätzliche, taktische Würze in die Kämpfe. Diese laufen in Echtzeit ab, lassen sich aber jederzeit pausieren, um neue Befehle zu erteilen.
Die Magie ist in verschiedene Schulen aufgeteilt, die man nach und nach lernen kann. Durch die Kombination verschiedener Zauber-Sigillen lassen sich mit zunehmendem Wissen immer stärkere Zauber selbst erstellen. Das lädt zum Experimentieren ein und sorgt dafür, dass einfache Anfangszauber später durch stärkere Varianten ersetzt werden. So bleibt die Zauberliste gleichzeitig übersichtlich.
Auch zahlreiche Gespräche gehören zum Spiel. Diese bieten viele Entscheidungsmöglichkeiten, die wiederum Auswirkung auf das Spiel haben. Und hier zeigt sich die größte Stärke. Denn böse sein heißt hier nicht, alles zu Muss zu hauen, sondern bietet stattdessen unterschiedliche Vorgehensweisen. Von Geldgierig bis Ehrenvoll reicht die Palette. Weitere Wahlmöglichkeiten ergeben sich durch gutes Rede-Talent, sodass auch Diplomaten ihre Berechtigung haben.
Das gefällt mir ausgesprochen gut, weshalb ich 5 Sterne gebe.
Fazit
Tyranny wirkt wie ein aufgeräumtes, auf seine Kerndisziplinen konzipiertes, düstereres Pillars of Eternity. Das mag nicht jedem gefallen, bietet aber jenen, die sich darauf einlassen, große Möglichkeiten. Der Umfang geht für mich ebenfalls in Ordnung. Mit einem neuen Spiel mit einem hochgelevelten Charakter oder einem neuen Spiel lassen sich alternative Wendungen ausprobieren, ohne nochmal 50 oder mehr Stunden investieren zu müssen. Daher lohnt sich der Ausflug auf die böse Seite.
Mit 18 von 20 Sternen schlägt sich das Spiel sehr gut.
*Spoiler: Eigentlich ist Kyros eine Frau - zumindest nach einigen Info-Brocken im Spiel. Sie taucht im Spiel selbst nicht auf.
Fantasy-Kritik beim Sternenwanderer
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