Trail of Cthulhu Core Rules
Ghouls Rollenspiel-Verrisse aus der Gruft ohne Gnade
Weitere Rezensionen und informative Artikel unterTanelorn.net und ghoultunnel.wordpress.com
Trail of Cthulhu RPG
Trail of Cthulhu ist eines von vielen alternativen Regelwerken für Cthulhu, das Rollenspiel. Robin D. Laws und Kenneth Hite haben diese Verion verfasst, oder sage ich gleich "verbrochen"?
Zunächst mal zum Lobenswerten an Trail of Cthulhu: Es wirkt weitestgehend sehr durchdacht und umschifft geschickt Gefahrenzonen typischer Spieler- und Spielleiterfehler. So wählt z.B. jeder Spieler bei der Charaktererschaffung einen Drang ("Drive"), der seinen Charakter dazu bringt, sich mit gefährlichen und merkwürdigen Forschungen zu befassen.
Regeloptionen werden nach Puristen- und nach Pulpstil unterschieden und sind durch Symbole im Regelwerk hervorgehoben.
Auch der Schreibstil ist angenehm. Die Autoren zeigen, dass sie mit diversen Spielleiterparadigmen vertraut sind, identifzieren sich aber nicht mit einem Stil und reden auch nicht bestimmte Spielstile schlecht. So widmen sie etwas zwei Seiten des Buches der Diskussion Railroading vs. offenes Spiel und lassen Erfahrungen vom Spieltisch mit einfließen.
Nun aber zum Kern der Regeln, nein, den Regelkernen, denn es gibt ihrer drei: Investigative Abilities, General Abilities und Stability/Sanity.
Investigative Abilities
Diese Fertigkeiten dienen der Ermittlungstätigkeit. Sie betreffen Wissen, Interaktion und Technik. Das Level der Fertigkeit definiert, wie detailliert der Spielleiter Informationen herausrückt. Gewürfelt wird dabei nicht. Die Kernhinweise zur Lösung des Szenarios werden also automatisch gefunden, denn der Spielleiter stellt sicher, das die Gruppe über die erforderlichen Fertigkeiten für das gewählte Szenario verfügt. Die intellektuelle Schwierigkeit von Ermittlungsabenteuern soll also nicht im zufallsabhängigen Finden, sondern im Zusammenfügen von Information liegen.
Dennoch kann es sich lohnen, mehr als einen Punkt in einer Ermittlerfertigkeit zu haben, denn es gibt die Möglichkeit, Poolpunkte einer Fertigkeit für Vorteile auszugeben (der Ermittlungswert der Fertigkeit sinkt dadurch nicht). Dies kann zu Boni auf eine andere Fertigkeit führen (z.B. durch Nutzung von Fachliteratur), zu persönlichen Bekanntschaften von Nichtspielerfiguren aus dem selben akademischen Fachgebiet, oder zu schnellerem Zugang von Information führen, als im Szenario geplant, was besonders angenehm ist, wenn die Spieler den Plot bereits durchschauen, und man dann eine langwierige Recherche abkürzen kann.
Dieses System hat durchaus Vorteile, die nicht zu leugnen sind, jedoch werden Ermittlerfertigkeiten nie gewürfelt und Spieler müssen mit dem Spielleiter auf einer abstrakten Ebene verhandeln, welche Vorteile sie durch die Ausgabe von Punkten bekommen können.
General Abilities
Die allgemeinen Fertigkeiten sind die typischen Fertigkeiten, die in allerlei Action-Szenen genutzt werden: Kampf, Flucht, Verfolgungsjagden etc. Der Unterschied zu Ermittlerfertikeiten: Hier wird gewürfelt! Punkte werden aus der Fertigkeit ausgegeben, um vor dem Wurf einen Bonus zu erkaufen. Nach einer ungestörten Nachtruhe sind die allgemeinen Fertigkeitspools wieder voll (Ermittlungsfertigkeiten erst zum nächsten Szenario).
Das Ressourcenmanagement der Pools soll für Spielspannung sorgen, tatsächlich führt es jedoch auch hier eine abstrakte Ebene ein, die im BRP-Regelwerk und anderen klassischen Rollenspielsystemen nicht existiert. Wer eine hohe Fertigkeit hat, kann zwar mehr Proben erfolgreich bestehen, als jemand mit einer niedrigen Fertigkeit, aber was bedeutet es für den Charakter, wenn der Spieler Punkte ausgibt? Strengt er sich dann mehr an oder weniger? Was bedeutet es, wenn ein Pool leer ist? Ist der Charakter dann erschöpft? Aber wieso muss er dann eine Nacht ausruhen statt 15 min Verschnaufen, um den Pool wieder aufzufüllen? Tatsächlich bedeuten die Fertigkeitspools überhaupt gar nichts in der Spielwelt. Sie sind ein vollkommen abstraktes Werkzeug zur Beschäftigung des Spielers. Brecht'sches Spiel mit V-Effekt. Wo man bei BRP einach eine Probe in seiner Fertigkeit mit 45% würfelt und sich in den Charakter hineinfühlt, der ja genau weiß, wie gut er in etwas ist, wird bei Trail die Immersion durch abstrakte Überlegungen auf der Metaebene gestört. Wer braucht denn eigentlich diese Punkteschieberei?
Stability / Sanity
Die geistige Gesundheit wird mit zwei Parametern gemessen: Stability und Sanity. Der Unterschied zwischen beiden Werten (auch sie sind Poolfertigkeiten) wird über zwei Seiten im Regelwerk erläutert. Schlau wird man daraus jedoch nicht. Stability ist jedenfalls ein Wert, von dem oft Punkte abgezogen werden, egal ob durch Mythos- oder Nichtmythosvorfälle, während Sanity eine langsamere, tiefergehende Schädigung des persönlichen Weltbildes durch den Kontakt zum Cthulhu-Mythos simulieren soll. Wahnsinnig wird man jedenfalls über beide Werte. Im Spiel zeigte sich, dass die Stability-Punkte ziemlich schnell in den Keller gehen, weil für den geringfügigsten Stresszustand (z.B. den Anblick einer Leiche) als auch für Begegnungen mit Mythoskreaturen Stability verloren geht. Warum man am Ende des Szenarios durch Mythosbegegnungen wahnsinnig ist, weil man am Anfang des Szenarios eine Leiche gesehen hat, ist aber nicht nachvollziehbar, da es ja einen zweiten Wert, nämlich die Sanity eben just für das persönliche Weltbild gibt. Warum hat man nicht Stability für Nichtmythosstress reserviert, und als schlimmste Konsequenz ein bloßes tempöräres "Durchdrehen" festgelegt, und den Wahnsinn ausschließlich an die Sanity-Schädigung gekoppelt? So, wie die Regeln sind, hat man auch wieder hier abstrakte Werte, unter denen man sich nichts vorstellen kann.
Im Vergleich zur schlichten Schönheit des geistigen-Stabilität-Systems von BRP mit nur einer Skala verliert Trail, denn spielmechanisch ist kein Vorteil erkennbar. Peinlich für die Autoren ist jedoch auch, dass sie gegenüber den realistischeren Unknown-Armies-Regeln für geistige Zustände gnadenlos abstinken, denn an dem eleganten UA muss sich jedes Horror-Rollenspiel messen, das seitdem erschienen ist. In meiner Gruppe haben wir die Stability/Sanity-Regeln bereits nach einer Spielsitzung abgeschafft.
Fazit
Trail of Cthulhu löst elegant Probleme, die mit etwas Erfahrung vermeidbar sind, und schafft durch Einführung abstrakter Regelmechanismen Probleme, die in klassischen Rollenspielen niemals auftreten können. Trail bzw. das zugrundeliegende Gumshoe-Regelwerk wurde von Intellektuellen im Elfenbeinturm geschrieben und führt im Feldversuch zu vielen Pannen. Ab ins Regal mit Dir, Regelbuch, und fange Staub! Iä!
Eine Rezension von: Ghoul https://ghoultunnel.wordpress.com/