Rote Zeichen (Vampire/Mage)
"Das Rote Zeichen" ist nach "Hort der Verborgenen" die zweite deutsche Übersetzung zur Zeit der Abrechnung¸ dem offiziellen Ende der Welt der Dunkelheit.
Das Softcover stellt auf 119 Seiten eine Vampire/Magus-Crossover-Chronik vor¸ die die Spielercharaktere dem Ende der Welt ein Stückchen näher bringen soll.
Die Aufmachung des Buchs ist solide. Die Qualität der Illustrationen ist recht gemischt¸ wobei mich die realistischen¸ düsteren Zeichnungen von Christopher Shy¸ der diesmal auch das Umschlagsbild zeichnete¸ immer wieder aufs Neue begeistern.
Zum Inhalt:
Das Buch dreht sich um eine Verschwörung aus Magi und Vampiren¸ die eine Möglichkeit gefunden haben¸ den Kainsfluch zu brechen und so einen Vampir wieder in einen Menschen zu verwandeln. Hierbei handelt es sich um ein mächtiges magisches Ritual mit dem Namen "Das Rote Zeichen"¸ dessen Folgen das Gespinst der Realität und damit die Zukunft der Welt der Dunkelheit verändern werden.
Die Köpfe der Verschwörung sind Ambrogino Giovanni¸ der wohl mächtigste abtrünnige Sohn der venezianischen Nekromantenfamilie¸ und Geary Mandel¸ ein hochrangiger¸ aber ebenfalls abtrünniger Technokrat. Sowohl auf Vampir- als auch auf Magusseite ist noch eine bunt gemischte Gruppe weiterer Individuen an der Verschwörung beteiligt¸ darunter z.B. eine Ventrue-Erstgeborene¸ ein Tzimisce-Koldune¸ eine Verbena-Ärztin und ein Nephandus. Jede dieser Personen hat andere Beweggründe und Motive¸ sich an dem Projekt zu beteiligen¸ von denen natürlich die wenigsten - wen wundert's - altruistischer oder auch nur annähernd "guter" Natur sind.
Das Buch ist in fünf Kapitel unterteilt.
Nach der Einleitung¸ die Thema und Stimmung der Chronik beschreibt¸ widmet sich Kapitel Eins "Das untote Böse" der vampirischen Seite der Verschwörung. Nach einer kurzen Abhandlung über die jahrtausendelange Suche verschiedener Kainskinder nach Möglichkeiten¸ ihre Menschlichkeit oder zumindest einen Teil davon zurückzuerlangen (Golconda¸ die Suche nach dem Heiligen Gral und ähnlichem)¸ werden die einzelnen kainitischen Verschwörer und ihre jeweiligen Motive und Vorgehensweisen sowie ihre Verhältnisse untereinander beschrieben.
Kapitel Zwei "Wille und Weg" beschreibt das Projekt aus Sicht der Magi¸ insbesondere die Entwicklung eines (abtrünnigen) technokratischen Projekts¸ das den Vampirismus erforscht. Außerdem werden die Ansichten der einzelnen Traditionen und Konvente zu den Kainskindern und einer möglichen Aufhebung des Kainsfluchs dargestellt.
In Kapitel Drei "Rituale und Ränke" werden verschiedene Ritualbücher beschrieben¸ die man für das Ritual des Roten Zeichens benötigt¸ und es werden regeltechnische Umsetzungen für das Ritual vorgeschlagen. Danach folgt wiederum eine längere Diskussion über die Perspektiven der einzelnen Gruppierungen und einige Ideenansätze¸ was nach der erfolgreichen Durchführung des Rituals mit dem "Erlösten" (der sich schließlich auch genauso gut in ein seelenloses Monster oder ähnliches verwandeln könnte) geschehen könnte.
Kapitel Vier "Verschwörer" beschreibt jene Vampire und Magi¸ die in die Verschwörung verwickelt sind¸ teilweise mit Werten. Hier wird eine große Bandbreite an Mitgliedern verschiedener Clans und Traditionen/ Konvente vorgestellt¸ um dem Erzähler möglichst gute Wahlmöglichkeiten zu bieten. Alle hier vorgestellten NSCs in der eigenen Chronik zu verwenden ist fast schon unmöglich und auch unnötig.
Zum Abschluss gibt es in Kapitel Fünf "Erzählen" noch einige Tipps¸ wie man die vorigen Kapitel zu einer Chronik zusammen bauen kann.
Nach dem schon nicht gerade überragenden "Hort der Verborgenen" war ich gespannt¸ ob die zweite Publikation zur Zeit der Abrechnung meine Ansprüche¸ die ich an den Abschluss der Welt der Dunkelheit stelle¸ besser erfüllen konnte.
Zu meinem Bedauern muss ich sagen¸ dass dies nicht der Fall war.
In "Das Rote Zeichen"¸ laut Cover eine "apokalyptische Chronik"¸ behaupten die Autoren¸ dem Spielleiter soviel Material zu bieten¸ dass er es auf keinen Fall in einer einzigen Chronik verwenden kann. Das entspricht leider absolut nicht den Tatsachen.
"Das Rote Zeichen" ist keine Chronik im eigentlichen Sinne¸ sondern eine Ansammlung von Ideen und pseudophilosophischen Überlegungen¸ die ein guter Spielleiter mit viel Eigeninitiative vielleicht zu einer Chronik zusammenbauen könnte. Da es fast unmöglich ist¸ für komplexe Systeme wie Vampire oder Magus komplette "Fertig-Abenteuer" im DSA- oder D&D-Stil zu schreiben¸ wäre das an sich auch nicht schlimm - wenn die hier präsentierten Ideen etwas Substanz hätten. Das ist aber nicht der Fall.
Die Idee von einem Ritual zur Aufhebung des Kainsfluchs ist an sich nicht schlecht¸ aber die Ausgestaltung derselbigen ist mehr als dürftig. Im Prinzip haben sich die Autoren darauf beschränkt¸ zu einer Grundidee ein paar NSCs zusammenzuwürfeln¸ die an der Verschwörung beteiligt sein könnten¸ und alles weitere dem Spielleiter zu überlassen. Die tatsächlichen Ideen in diesem Buch kann man auf maximal 10 Seiten zusammenfassen¸ der Rest ist Füllmaterial voller ermüdender Wiederholungen. So werden nicht nur die Einstellungen der einzelnen Fraktionen zum Ritual mehrere Male wiederholt¸ es werden auch die schon in verschiedensten Regelwerken abgehandelten nfos über Golconda und ähnliches ohne bahnbrechende neue Aspekte noch einmal durchgekaut- mit der Begründung¸ dass dies ein Magus/Vampire-Crossover sei und die Magus-Spieler wahrscheinlich keine Ahnung von Vampire hätten. (Ganz ehrlich: wenn ich als Magus-Spieler/Spielleiter ein Abenteuer kaufe¸ in dem es um die Aufhebung des KAINSFLUCHS geht¸ mache ich mich doch vorher zumindest ein bisschen über Vampirmythen schlau¸ oder?)
Es wirkt so¸ als wollten sich die Autoren aus der Verantwortung drücken¸ innovative eigene Ideen präsentieren zu müssen¸ in dem sie großzügig vorgeben¸ sie wollten dem Spielleiter diese wichtigen Entscheidungen selbst überlassen. Statt richtiger Plotideen findet man nur einzelne Sätze¸ die ganz grob die verschiedenen möglichen Optionen¸ wie die Geschichte denn ausgehen könnte¸ aufzeigen. (Wird Goratrix' Hülle die Seele Tremeres oder Goratrix' aufnehmen¸ kann Goratrix über Tremere triumphieren¸ verändert Saulot das Blut der Tremere... etc. pp.) Auf diese Möglichkeiten kommt man aber schon beim ersten Nachdenken selbst¸ da sie die grundlegenden Überlegungen für eine mögliche Weiterführung des Plots darstellen.
Nun geht es zumindest mir so¸ dass ich für etwas¸ das ich mir innerhalb weniger Minuten selbst ausdenken kann¸ kein Geld ausgeben möchte. Ich kaufe ein Quellen- oder Abenteuerbuch¸ weil es vielversprechende Ideen enthält¸ auf die ich selbst nicht ohne weiteres gekommen wäre oder weil es eine interessante Storyline weiterführt. "Das Rote Zeichen" tut weder das eine noch das andere. Das hier präsentierte Material ist im besten Fall schwammig zu nennen. Man erfährt nichts wirklich neues und die vorgestellten NSCs (von denen Ambrogino Giovanni als einzig bekannte Größe der Welt der Dunkelheit wohl als "Zugpferd" dienen soll) sind auch nicht sonderlich überzeugend¸ so dass sich das Buch nicht einmal als Fundgrube für Charakterideen eignet.
Zu all dem kommt noch hinzu¸ dass die Autoren einem das Lesen des Buches durch ihren Schreibstil nicht gerade einfach machen. So ist vor allem Kapitel Zwei absolut langatmig und trocken geraten und weckte in mir mehr als einmal den Wunsch¸ den nächsten Absatz einfach zu überspringen.
Wohl aus Ideenmangel wurden dann auch noch Anleihen an H.P. Lovecraft genommen - das erwähnte wahnsinnig machende Ritualbuch "Der König in Gelb" dürfte jedem Cthulhu-Spieler bekannt vorkommen. Auf den Spuren anderer Systeme zu wandeln hätte die sehr gut ausgestaltete Welt der Dunkelheit eigentlich nicht nötig gehabt. Ich werte das mal als verzweifelten Versuch¸ irgendwie noch Mystik und Spannung aufkommen zu lassen¸ da es ja schon nicht geklappt hat¸ das eigentliche Ritual des Roten Zeichens halbwegs detailliert oder in irgendeiner Weise interessant zu beschreiben. (Der einzige Punkt¸ den ich hier zweimal las¸ war ein Abschnitt über das Ritualbuch: ein Gerücht¸ dass das Buch von 4 Autoren verfasst wurde und sich selbst oft widerspräche¸ weil die Autoren völlig unterschiedliche Meinungen über die Ereignisse und ihre Bedeutungen hätten... - soviel Selbstironie war dann doch erfrischend.)
Die sich immer stärker abzeichende Tendenz von White Wolf¸ keine richtigen Plots mehr zu bringen¸ sondern alles völlig offen zulassen und nur ganz grob die möglichen Richtungen aufzuzeigen¸ "um den Spieler nicht zu bevormunden" (als ob man jemanden dazu zwingen könnte¸ eine Idee zu übernehmen¸ die ihm nicht gefällt!) finde ich äußerst entnervend. White Wolf sollte seinen Fans wirklich mehr zutrauen und mal "Fakten" (oder das Äquivalent dazu¸ da es in der Welt der Dunkelheit ja keine Fakten gibt...) auf den Tisch legen. Nachdem viele Spieler ihnen jahrelang die Treue gehalten haben¸ sind sie ihnen einen epischen Abschluss oder zumindest etwas Besseres als das hier diskutierte Werk schuldig.
Fazit:
Wem es nach konkreten Ideen/Infos und nicht nur nach Altbekanntem und Schwammigem verlangt¸ der wird mit dem "Roten Zeichen" kaum glücklich werden. Schade
Eine Rezension von: Maja