SR 077: Der Schattenlehrling
Wer würde wohl so dumm sein¸ sein behütetes Leben im familiären Schoss eines Megakonzerns gegen ein Leben in der Gosse einzutauschen? Boris. Ein verwöhnter Teenager¸ Sohn eines Konzernangestellten¸ dessen von der Außenwelt isoliertes und in jeder Facette ordentliches Leben¸ ihn gewaltig langweilt.
Wie erstrebenswert scheint ihm da das Leben in den Schatten der Gesellschaft - ganz wie sein großes Vorbild Viper¸ der finsterere Held einer Tridserie¸ in der es um die Abenteuer eines Shadowrunners geht.
Als sein Vater geschäftlich nach München muss und beschließt seine Frau und die Kinder auf einen Kurzurlaub mitzunehmen¸ sieht Boris seine Chance gekommen und macht sich heimlich aus dem Staub... natürlich nicht¸ ohne sich zuvor mit den Credstäben seines Vaters einzudecken... wenn schon Ausreißer¸ dann Deluxe!
Vom Portier des Hotels informiert¸ stürmen die Eltern ihrem Sohn hinterher und werden in einer dunklen Gasse von Wegelagerern abgestochen.
Währenddessen kehrt Boris in einer heruntergekommenen Kneipe ein und trifft tatsächlich ein Runnerteam. Gerade mal wieder knapp an Aufträgen¸ hört sich der Vorschlag des Milchbubis - nach anfänglichem Gelächter - für die mittelmäßigen Runner durchaus interessant an: Boris gegen Cash als "Schattenlehrling" in die eigenen Reihen aufzunehmen.
Damit beginnen Boris Abenteuer auf der illegalen Seite des Lebens. Jedoch entwickelt sich alles ganz anders¸ als es ihm Vipers Abenteuer vorgegaukelt haben.
Der Roman beginnt ziemlich schleppend. Mit fiel es nicht leicht¸ mich mit dem naiv-wirren Gedankengut und der Ausdrucksweise eines Teenagers anzufreunden. Man muss dem Autoren aber anrechnen¸ dass er diese Facette gut rausgearbeitet hat.
Erst nach dem ersten Drittel des Bandes kommt die Handlung richtig in Fahrt und wird dem Anspruch eines Shadowrun-Romans gerecht. Man kann sagen¸ dass sich das Tempo bis zum Ende hin immer mehr steigert¸ die Handlung immer mehr an Brisanz gewinnt und das Ende tatsächlich furios wird.
Empfindliche Naturen seien an dieser Stelle gewarnt¸ dass es sich hier - trotz des Titels - keinesfalls um leichte Kost handelt¸ die man Jugendlichen auf die Nase drücken sollte. Auch handelt es sich nicht um einen "typisch amerikanischen" Shadowrun-Roman¸ in dem es vor allem um die neueste High-Tech oder ein Vorantreiben des Metaplots durch die ganz Großen geht. Schattenlehrling hält sich mit großen Namen bedeckt¸ bietet allenfalls Low-Tech¸ und ist inhaltlich dreckig und brutal. Auch vor der Komponente Kindesmissbrauch wird hier nicht halt gemacht.
Technisches
Was mir anfangs sehr auf die Nerven ging¸ war der Umstand¸ dass der Roman anfangs aus der Sicht eines verwöhnten Teenagers geschrieben ist. Im Nachhinein muss man dem Autoren Boris Koch dafür aber ein Lob aussprechen. Mit ein wenig Abstand ist dieser Part hervorragend gelungen!
Ein weiteres Kompliment gibt es dafür¸ eine Shadowrun-Handlung so Low-Tech und am unteren Ende der Hyperlativen zu halten¸ ohne einen langweiligen Roman zu fabrizieren.
Diese Art der Geschichten scheint ein typisch deutsches Phänomen zu sein - und funktioniert in meinen Augen hervorragend - vor allem als Ausgleich zu den amerikanischen Pendants.
Fazit:
Ein guter Roman¸ aber definitiv nicht jedermanns Geschmack. Schattenlehrling ist brutal und greift Themen auf¸ die sicherlich nicht für jeden unterhaltsam sind. Ich stelle mir Unterhaltung eigentlich auch anders vor¸ aber ich habe mich der Herausforderung gestellt und bin am Ende des Romans nicht enttäuscht.
Für alle Liebhaber der härteren Gangart ist der Roman in jedem Fall zu empfehlen. Leser¸ die die eher sterile Glitzerwelt der Schatten bevorzugen¸ könnten sich jedoch von dem Roman überfordert fühlen.
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de