SR 062: Im Namen des Herrn
Ich habe meine Stirn wohl ein wenig in Falten gelegt¸ als ich den Titel von Andre Wieslers neuem Roman "Im Namen des Herrn" zum ersten mal las - immerhin spielt die Christliche Kirche in der ursprünglichen (amerikanisierten) Fassung der Welt von Shadowrun allenfalls eine Nebenrolle. In Europa und vor allem in der ADL (siehe auch Brennpunkt: ADL - Allianz deutscher Länder) mag diese Nebenrolle etwas bedeutender sein und doch schien es mir mutig¸ gleich einen ganzen Roman darauf aufbauen zu wollen. Der Klappentext bestätigte jedoch die Vermutung¸ daß es genau um dieses Thema gehen sollte und so war meine Neugierde geweckt.
Der Roman beginnt¸ wie recht viele Shadowrun-Romane zu beginnen pflegen: mit einem Auftraggeber namens Schmidt und der Planung eines Runs. Die menschliche Runnerin Quiz scharrt für diesen Auftrag ihr bewährtes Team um sich: den Elster-Strassenschamanen Glitzer¸ die Trollsamurai Ferrum und den kleinwüchsigen Decker Mikropulse. Das Ziel ist die Störung einer Tagung... und was Quiz angesichts einer allzu strengen christlichen Erziehung durchaus angenehm ist: die Störung einer Tagung der Christlichen Kirche.
Mitten in den Vorbereitungen wird die clevere Runnerin allerdings von eben dieser ungeliebten Vergangenheit Eingeholt¸ als ihre erziehungsberechtigte Großmutter sie ans Sterbebett ruft und Quiz dort auf den charismatischen Mark trifft der gerade seinem vorgesetzten Pater bei der letzten Ölung assistiert.
Fortan kollidieren die oberflächlich eiskalte Runnerin Quiz und der naiv und kirchlich-doktrinierte Musterknabe Mark in einer immer rasanter werdenden Handlung miteinander¸ in der große Verluste¸ viele Enttäuschungen¸ dunkle Machenschaften und ein (un)christliches Ritual den Leser bis zur letzten Seite mitreißen.
Der Autor deckt mit seiner Auswahl an Hauptfiguren und vor allem durch ihre Darstellung mit einer recht klaren Sprache¸ ein weites Spektrum an Facetten der Sechsten Welt ab. Gerade die unverhüllte Abbildung allzu menschlicher Bedürfnisse und Ängste machen selbst extreme Gestalten wie Ferrum oder Mikropulse nahbar - und damit für den Leser begreifbar.
Quasi zum Handwerkszeug¸ aber deswegen nicht weniger Lobenswert¸ sind die atmosphärisch dichten Beschreibungen der Ausflüge durch den Rhein-Ruhr-Megaplex und die Matrix¸ wo ein Großteil der Handlung angesiedelt ist.
Vielleicht sollte man einen Roman mit dem Thema Christliche Kirche nicht gerade an Weihnachten lesen¸ aber da ich ohnehin krank im Bett lag und nichts Gescheiteres machen konnte... mein Vertrauen in den Autoren hat mich nicht enttäuscht¸ denn Im Namen des Herren wirft einen realistisch-kritischen Blick auf die weltliche Kirche der Sechsten Welt¸ ohne den Glauben selbst an den Pranger zu stellen.
Einmal von diesem gelungenen Balanceakt abgesehen¸ betrachte ich Im Namen des Herren als sehr unterhaltsamen Shadowrun-Roman. Mehr davon
Eine Rezension von: Dogio http://www.drosi.de