Wächter des Tages
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Im mittleren Teil des dreiteiligen Episodenromans geht es um einen seltsamen Letten Edgar¸ den ich fast mit Wladimir Wasiljew gleichsetzen möchte¸ der sich in Moskau wiederfindet¸ sich aber an sein leben vor dem Erwachen in der russischen Hauptstadt nicht erinnern kann. Leichen pflastern seinen Weg¸ doch können die Ordnungshüter ihn nicht mit ihnen in Verbindung bringen. Weil der Leiter der Moskauer Nachtwache gerade nicht in der Stadt befindet¸ scheint das labile Gleichgewicht zwischen Tag und Nacht in Gefahr.
Die dritte Erzählung fügt die losen Enden der beiden ersten Erzählungen zusammen. Hier ist Prag der Handlungsort und steht mit seiner eigenen Mystik im Mittelpunkt. Die hier vorgestellten Personen wirken auf mich weitaus lebendiger als es die vorherigen waren. Leider lässt hier die Geschichte nach¸ flacht ab und die angebotene Lösung wirkt wie ein Pickel auf einer ansonsten glatten Haut.
Alle drei Erzählungen sind Ich-Erzählungen. Auf diese Weise ist der Leser nie schlauer als die handelnde Person und ich kann mir gut das hämische Grinsen des Autoren vorstellen¸ der gern bereit ist¸ den Leser auf eine falsche Fährte zu setzen. Das erhöht in jedem Fall die Spannung und erinnert sehr an klassische Kriminalgeschichten á la Sherlock Holmes.
Das Fesselnde der beiden Autoren Sergej Lukianenko & Wladimir Wassiljew mit ihrer Geschichte ist die Verbindung zwischen Spannung¸ die ich gern mit dem Amerikaner William King oder dem Deutschen Markus Heitz vergleichen möchte und einer dichten Erzähltiefe¸ wie ich es von Dan Brown kenne¸ die mir in dem Genre des Horrors selten begegnet. Die Handlungsträger sind immer wieder in weise¸ tiefgreifende Gespräche verwickelt. Etwa¸ wenn Alissa versucht den Fahrer des Wagens¸ mit dem sie unterwegs ist¸ über seine Rechte aufzuklären. Andererseits versucht man die Zukunft¸ oder besser eine mögliche Zukunft aus den Handlungen der Menschen zu erkunden. Die erfahrenen Magier der Anderen sind in der Lage¸ genug aus den Handlungssträngen herauszulesen¸ um eigene Schritte vorauszuplanen. Doch jede Tat führt zu einer Gegentat und verändert die Zukunft¸ eröffnet neue Handlungsstränge oder lässt andere im Sand verlaufen.
Der unglaubliche Schreibstil dieses Episodenromans lässt die Erzählung nie langweilig werden. Eine Handlung¸ die zuvor ohne Zusammenhang erscheint¸ stellt sich plötzlich als Geschickter Schachzug der beiden Chefwächter Geser und Sebulon heraus. Trotz der Gegebenheit¸ dass von den Anderen berichtet wird¸ sind doch viele Wesenszüge durchaus menschlich zu nennen. Letztlich leben alle Handlungsträger von den gleichen Gefühlen und Verhaltensmustern. Und auch wenn auch immer wieder von mir das Gut und Böse angeführt wird¸ ist es doch eher die Auseinandersetzung zweier philosophischer Schulen¸ die den Roman prägen. Je mehr man liest¸ desto wirklicher kommt die literarische Welt daher. :
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355