Volk an den Seen
Spannend wie die Urzeitromane Jean M. Auels' wirbt der Backcover-Text¸ doch der Rezensent wagt sich zur Behauptung durch 'Besser als die Romane Jean M. Auels!'.
Vor etwa 10 Jahren kamen (vor allem durch Auel) diese völkerkundlichen Romane in Mode¸ die meist das Schicksal urzeitlicher Völker schilderten und auch einen guten Einblick in die sich entwickelnden prähistorischen Zivilisationen gaben. Mittlerweile sind eine ganze Reihe Epigonen auf Auels Spuren gewandelt¸ doch die Romane des Autorenteams Gear & Gear sind einer näheren Betrachtung wert¸ insbesondere 'Das Volk an den Seen'.
Unter dem Namen Gear & Gear verbergen sich Kathleen O'Neil und W. Michael Gear¸ beides namhafte Archäologen und Anthropologen aus den USA¸ die zahlreiche Sachbücher schon zu diesem Thema verfaßten. Sie nahmen sich den prähistorischen Ureinwohnern Nordamerikas an¸ den ersten Indianern¸ und es entstanden die Romane 'Das Volk an der Küste'¸ 'Das Volk des Feuers'¸ 'Das Volk der Erde' und 'Das Volk vom Fluß'. Der vorliegende Band ist ihr bisher 'reifstes' Werk und zudem mit einer gehörigen Portion Mystik (oder - im weitesten Sinne - Fantasy) versehen¸ ein Grund¸ warum wir dieses interessante Buch unseren Lesern präsentieren wollen.
Die Handlung: ein Schamane der Langschädel erkennt¸ daß eine geheimnisvolle Totenmaske dem Träger unheimliche Macht verleiht¸ und er möchte sie dem Zugriff dieser Welt entziehen. Er sucht Gefährten¸ die die Maske in die 'Brüllenden Wasser' (den Niagara-Fällen) für immer versenken. Und so begeben sich die Häuptlingstochter Sternmuschel¸ der Krieger Schwarzschädel¸ der verrückte Schamane Grüne Spinne¸ der Händler Otter und die geschickte Jägerin Perle auf die Reise¸ um das zu vollbringen¸ was für das Wohl der freien Stämme wohl am besten wäre. Denn die Maske stiftet Unfrieden¸ jeder Träger wurde bisher von der unheilvollen Macht korrumpiert¸ und schon flackern überall Gerüchte auf von bevorstehenden Clansfehden und Stammeskriegen....
Solch ein Thema war ja das zentrale Motiv des 'Herrn der Ringe'¸ und auch dieser Roman bezieht seine Spannung von den Reisen der Gefährten¸ von der Verschiedenartigkeit der Charaktere und von den einzigartigen Landschaften¸ durch die die Reisenden kommen. Dazu wird natürlich ausführlich über das Leben der Indianer um die Zeit zu Christi Geburt berichtet¸ und zwar im speziellen vom 'Volk an den Seen'. Hier am 'Vater Wasser'¸ dem Mississippi und an den Großen Seen lebten die Völker der Hopewell-Kulturen¸ jene 'Moundbuilder'¸ die die großen Erdhügel schufen wie eben den 'Schlangenmound'. Sehr anschaulich wird diese Kultur geschildert¸ über die Bräuche des täglichen Lebens ebenso wie über die spirituellen Ansichten der Schamanen und Medizinmänner. Man erfährt nicht nur¸ wie sie ihre Dörfer bauten und ihre Stein- und Erdkreise ausrichteten¸ sondern auch über die zahlreichen Handelswege und Clansstrukturen¸ über die Hierarchien in der Dorfgemeinschaft und über die verschiedenen Jagd- und Kriegstechniken.
Mit seinen 766 Seiten ist der Roman ein dickes Werk¸ und nur zögerlich erst entwickelt sich die Geschichte¸ doch wer die ersten 100 Seiten geschafft hat¸ der ist nun etwas vertraut geworden mit den verschiedenen Clansnamen und Stammesbezeichnungen. Nun laufen auch die meisten Handlungsstränge der handelnden Personen zusammen¸ und dann beginnt eine spannende Verfolgungsjagd durch das Amerika zu einer Zeit¸ wo noch kein weißer Mann den Frieden der Ureinwohner gestört hatte. Die Haupt- und Nebenfiguren (und da gibt es eine ganze Menge) sind alle sehr detailliert geschildert¸ die Beschreibung der Landstriche ist erzählerisch sehr gut gelungen¸ und die immer wieder dazwischen auftauchenden 'wissenschaftlichen' Erläuterungen sind niemals trocken oder langweilig. Die Aufgabe der Autoren¸ dem Leser die Kulturen der alten Ureinwohner nahe zu bringen¸ wurde hier mit Bravour erfüllt.
Somit eignet sich der Roman auch hervorragend für den Rollenspielmeister¸ der eine Waldlandkultur im Spiel anschaulich schildern will¸ und für alle¸ die sich für die eher unbekannte Seite unserer Menschheitsgeschichte interessieren¸ sowieso. Der dicke Umfang des Bandes sollte niemand abschrecken: man erhält hier wirklich ein sehr schön geschildertes Drama um die Menschen an den Seen und ihrer Schicksale.Eine Rezension von: Halle der Helden http://www.halle-der-helden.at