Transmetropolitan 1: Schöne neue Welt
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Wie jeder gute Journalist arbeitet Spider nicht allein. Er findet eine verlauste und verwilderte und zigarettenrauchende zweiköpfige Katze¸ die er mit nachhause nimmt und sie aufpäppelt. Und er erhält Channon Yarrow als Assistentin¸ die er vor Kurzem während des ersten Auftrags als Stripperin in einem Striplokal kennenlernte. Aber von irgendetwas muss man leben und sein Geld verdienen¸ wenn man nebenbei ein Journalistikstudium betreibt.
Spider Jerusalem mit seinen Eskapaden¸ seiner drogensüchtigen Maschine¸ der seltsamen Hauskatze und seiner Assistentin Channon Yarrow¸ war mir auf Anhieb sympathisch. Er kommt zwar nicht dazu¸ seine beiden Bücher zu schreiben und bekommt daher jede Menge Ärger mit seinem Verleger¸ aber dafür bekommt er jede Menge Ärger. Er versteht es meisterlich¸ dem bestechlichen Präsidenten wortgewaltig den Krieg zu erklären¸ indem er ihn ganz genau beobachten und dessen Machenschaften ins Licht der Öffentlichkeit zerren wird. Wie heisst es doch so schön¸ Viel Feind¸ Viel Ehr' und Spider hat viel Ehr'. Da sind die selbsternannten Kirchfürsten¸ Propheten und Heilige¸ denen er aufzeigt¸ dass sie nur das Geld und nicht das Seelenheil der Gläubigen suchen. In einer weiteren Episode begleitet er seine Assitentin zur Foglet Gemeinde. Ihr Freund¸ den Spider rausekelte¸ will sich in eine neue Lebensform herunterladen lassen¸ was bedeutet¸ er wird in Form von Nanorobotern weiterleben. Er und Channon sind dann sehr überrascht¸ als plötzlich die Persönlichkeiten zweier Nanorobotwolken miteinander Sex haben. Andererseits lässt er keinen Fettnapf aus. Vor Jahren hatte er Probleme mit einem Polizisten¸ der immer noch sauer auf ihn ist. Und wenn man auf der ersten Seite den Hintergrund genau betrachtet¸ ist man nicht überrascht¸ auf einen Polizeihund zu treffen. Dieser Polizeihund ist in der Lage zu sprechen und sich somit als vollwertigen Polizisten zu sehen¸ wenn da nicht dieses Ärgernis wäre und ein wichtiges Teil des Polizisten fehlt¸ für dessen Verlust Spider zuständig war.
Warren Ellis ist für Comic-Freunde kein Unbekannter: Der Brite ist ein sehr umtriebiger Autor¸ dessen sprichwörtlich britischer Humor den Lesern die rosarote Brille von den Augen reisst. Von 1997 bis 2002 erschien die sechzigbändigen Reihe Transmetropolitan. Sie zeigt schon damals auf¸ dass Brot und Spiele¸ das Massenstillhaltemittel des alten römischen Reiches mit den modernen Mitteln Privatfernsehen und Hartz IV die Menschen ruhig hält. Warren Ellis beunruhigende Zukunft demnächst hier¸ in der Gegenwart.
Hinzu kommt die dynamische Zeichenweise von Darick Robertsons. Er gefällt mir sehr gut¸ da in seinen Bildern immer wieder Hinweise auf andere Geschichten zu finden sind. Es entsteht ein komplexes Werk¸ abwechslungsreich¸ bunt¸ vielfältig und in vielen Bereichen ungewöhnlich. Aber immer gut. Mit wenigen Strichen bringt er mehr Bewegung in den Comic¸ als ein Trickfilmzeichner im Fernsehen zuwege bringt.
Warren Ellis entwirft in Transmetropolitan eine dystopisch angehauchte Welt¸ eine farbenfrohe Metropole voller Gewalt und Drogen¸ korrupten und machtgierigen Politikern¸ einer selbstherrlichen Verwaltung und brutalen Polizisten. Bevölkert von bizarren¸ grotesken Wesen¸ genmodifizierten Menschen¸ seltsamen Kulten und Gesellschaftsformen. Also eigentlich ein Bild von Deutschlands Hauptstadt Berlin und seinen Politikern¸ in der Gegenwart abgeschrieben und in die Zukunft transportiert. Spider wollte von dieser Welt nichts mehr wissen und zog sich auf seinen Berg zurück¸ als einsamer Rufer¸ der nicht mehr gehört wurde. Nur damit er seine Bücher schreiben kann¸ musste der Einsame vom Berg wieder in die brodelnde Masse Transmetropolitan eintauchen. Doch rufen hilft hier nicht weiter und so ist es doch wieder die schreibende Zunft¸ die versucht¸ die Menschheit und die anderen Lebensformen¸ mittels Blogs¸ Kolumnen und ähnlichen aufzurütteln. Auch wenn es Spider¸ zynisch und sarkastisch wie er ist¸ abstreitet. Er liebt und lebt diese grelle Welt. Er beherrscht die Spielregeln und Menschen wie ein Klavierspieler sein Instrument. Die Regeln hat er verinnerlicht¸ nur um sie eine nach der anderen zu brechen. Dafür ist er bereit Drogen zu konsumieren¸ wie jeder Junkie¸ er nutz Technik in jeder möglichen Form und sie kurz darauf zu verdammen¸ etwa wenn es um den Maker geht¸ eine Art Replikator¸ der alles herstellen kann¸ der für Spiders seltsame Brille verantwortlich zeichnet¸ der jedoch als Maschine auf Droge ist. Spider ist der Journalist¸ wie ich ihn mir in der heutigen Zeit gern vorstelle. Er prangert die Missstände an¸ verteufelt die Korruption lehnt Gewalt¸ ob psychisch oder physisch¸ ab und benutzt das Wort als Schwert¸ um eine zynische Analyse der Gesellschaft vorzunehmen und hält den Lesern nur einen Spiegel¸ sehr bunt und gewöhnungsbedürftig¸ vor. Die übertriebene Darstellung ist doch nichts anderes als die heutige Welt.
Spider Jerusalem ist ein kriegerischer Sozialberichterstatter.
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355