Sohn der Schatten
"Der Sohn der Schatten" ist der mittlere Teil von Juliet Marilliers Sevenwater-Trilogie. Der erste Teil "Die Tochter der Wälder" erzählt eine irische Version des Märchens "Die zwölf Schwäne". Die Hauptfigur war hier die junge Sorcha¸ die unter Schweigen und vielen Schwierigkeiten versucht¸ ihre sechs Brüder zu erlösen. Im zweiten Band dreht sich die Geschichte hauptsächlich um ihre Tochter Liadan.
Die Geschichte beginnt an Imbolc¸ einem Feiertag im Frühling. Die Druiden sind aus dem Wald gekommen¸ um die Felder¸ die Geräte¸ die Tiere und das Saatgut zu segnen und die Herdfeuer neu zu entzünden. Danach wird gefeiert und getanzt. Liadans ältere Schwester Niamh steht im Mittelpunkt der jungen Leute¸ alle drehen sich nach ihr um¸ alle wollen mit ihr tanzen. Eigentlich geht die Familie davon aus¸ dass Niamh Eamonn von den Marschen heiraten wird¸ den Mann¸ dessen Großvater heute noch treuer Verbündeter von Sevenwaters ist¸ dessen Vater aber einst das Bündnis verraten hat. Niamh hält nicht viel von Eamonn¸ und Liadan ist nicht wenig überrascht¸ als er ihr selbst einen Heiratsantrag macht. Das Fest vergeht¸ aber Liadan hat bei aller Fröhlichkeit kein gutes Gefühl. Nur wenige Tage später beobachtet sie gegen ihren Willen ihre Schwester Niamh zusammen mit dem jungen Druiden¸ der ihrem Onkel und Erzdruiden Conor beim Anzünden der neuen Herdfeuer geholfen hatte. Obwohl sie nicht vorhat¸ ihre Schwester zu verraten¸ kommt die Geschichte heraus¸ denn ihr Zwillingsbruder Sean ist ihr im Geiste ebenso verbunden¸ wie Sorcha und Finbar es sind¸ sodass sie es ihm nicht verheimlichen kann. Hals über Kopf wird Niamh mit einem Anführer eines entfernten¸ aber mächtigen Clans verheiratet¸ von dem Sevenwaters sich Unterstützung im Kampf gegen die Briten erhofft. Niemand sagt ihr den Grund¸ warum sie den jungen Druiden nicht heiraten kann. Dieser verlässt Sevenwaters verbittert und zornig. Liadan begleitet ihre Schwester ein Stück auf ihrer Reise in ihr neues Heim¸ doch auf dem Rückweg wird sie gekidnappt. Eine Bande wilder Gestalten will¸ dass sie einem der ihren hilft¸ der sich den Arm zerquetscht hat. Als der Anführer der Horde zurückkehrt¸ ist er davon gar nicht begeistert¸ aber Liadan kann erreichen¸ dass er ihr wenigstens eine Chance gibt¸ es zu versuchen. Mit der Zeit kommt es¸ wie es kommen muss: Die beiden kommen sich näher. Trotzdem trennen sie sich¸ und Liadan kehrt nach Sevenwaters zurück. Mit einem Kind im Bauch. Eamonns Heiratsantrag lehnt sie ab. Als Niamh nach drei Monaten zum ersten Mal nach Sevenwaters zu Besuch kommt¸ ist Liadan entsetzt über deren Zustand. Sie spricht nicht¸ sie isst nicht¸ sie schläft kaum. Liadan kann erreichen¸ dass Niamhs Mann¸ der mit den anderen Verbündeten in den Süden zu Beratungen reiten will¸ seine Frau nicht mitnimmt. Statt dessen reiten Niamh und Liadan mit Aisling¸ Eamonns Schwester¸ nach Sidhe Dubh¸ dessen Festung in den Marschen. Liadan fühlt sich dort eingesperrt¸ nicht nur¸ weil sie nicht über die Wälle und Mauern sehen kann¸ sondern auch¸ weil sie die Festung nicht verlassen darf. Sie widmet sich ihrer Schwester und entdeckt¸ welch grausame Behandlung ihr Mann ihr angedeihen lässt. Sie verspricht Niamh¸ dass sie nicht zu ihrem Mann zurückkehren muss¸ obwohl sie kaum wei߸ wie sie dieses Versprechen halten soll. Da kommt ihr überraschend der Mann zu Hilfe¸ dessen Kind sie trägt...
Im ersten Band ging es dem Märchen entsprechend hauptsächlich um die Verzauberung der Brüder und ihre Erlösung. Im zweiten Band geht es in erster Linie um Liebe und Eifersucht¸ verletzte Eitelkeit und Hass. Liadan steht zwischen zwei Männern¸ dem Hauptmann der Gesetzlosen¸ die sie entführten¸ und Eamonn von den Marschen¸ einem Adligen und Verbündeten. Eigentlich ist ihr Eamonn nicht unsympatisch¸ trotzdem zögert sie¸ als er um ihre Hand bittet. Nachdem sie dem Hauptmann begegnet ist¸ kann sie nur noch ablehnen¸ auch wenn es ihr Leid tut¸ Eamonn verletzen zu müssen. Aber noch weiß sie nicht¸ wie sehr! Eamonn findet bald heraus¸ wer der Vater des Kindes ist. Er kennt ihn¸ denn der Hauptmann hat einige seiner Männer auf dem Gewissen. Er verachtet diesen Mann¸ weil er ein Söldner ist¸ käuflich für jeden und ohne Ehre und Gewissen¸ und er verabscheut ihn¸ denn seine Methoden sind heimlich und leise. Dass ausgerechnet dieser Mann ihm die Frau wegnimmt¸ die er bereits als die Seine sah¸ schürt seinen Hass bis zur Weißglut. Der Hauptmann dagegen verachtet Eamonn aus ziemlich den selben Gründen. Er hält ihn für den gleichen treulosen Verräter¸ wie sein Vater es war. Im Übrigen ist der Hauptmann ein Mann hinter einer Mauer¸ ein Mann mit einer finsteren¸ grausamen Vergangenheit¸ über die er nicht spricht¸ die ihn seinen Namen verschweigen lässt und ihn zu dem gemacht hat¸ als was er sich selbst bezeichnet: Abschaum. Liadan sieht das anders. Als Eamonn den Hauptmann und dessen besten Freund gefangen nimmt¸ um sich zu rächen¸ kämpft sie mit allen Mitteln um deren Leben. Liadan ist die Tochter ihrer Mutter¸ sie wei߸ wie man kämpft. - Liadan kämpft aber nicht nur gegen Eamonn¸ sie kämpft auch gegen die Feenkönigin. Diejenige¸ die ihrer Mutter damals erklärte¸ wie sie ihre Brüder retten könnte¸ taucht auch diesmal wieder auf. Sie verlangt von Liadan¸ in Sevenwaters zu bleiben und ihren Sohn Johnny dort groß zu ziehen¸ denn ihm drohe Gefahr von Lady Oonagh¸ jener Zauberin¸ die einst ihre Onkel in Schwäne verwandelt hatte. Das Feenvolk hält Johnny für das Kind¸ das gemäß einer Prophezeiung dafür sorgen soll¸ dass Sevenwaters den Kampf gegen die Briten gewinnt. Für sie war der Vater des Kindes nur ein Werkzeug¸ er hat seinen Zweck erfüllt. Aber Liadan will den Hauptmann nicht aufgeben. Sie hört auch noch andere Stimmen¸ ältere¸ die Stimmen derer¸ die vor dem Feenvolk in Erin lebten. Vor allem will sie sich nicht vom Feenvolk benutzen lassen. Deren Arroganz fordert ihren Widerspruchsgeist heraus. Liadan ist entschlossen¸ ihre eigenen Entscheidungen zu fällen.
Prophezeiungen sind ein beliebtes Stilmittel der Fantasy. Dass sie hier¸ in einer Geschichte aus einem Märchenrahmen¸ auftaucht¸ hat mich etwas verblüfft. Sie bleibt allerdings eher vage und im Hintergrund¸ aber ihre Erwähnung sorgt dafür¸ dass der Kampf der Iren gegen die Briten etwas mehr in den Vordergrund gerückt wird¸ als es im ersten Band der Fall war. Man erfährt¸ dass um drei Inseln gekämpft wird¸ die für die Feen und die Anhänger des alten Glaubens eine zentrale Rolle spielen. Ansonsten bleibt es bei den Elementen der Magie¸ die auch im ersten Band vorherrschend waren: die wortlose Verständigung im Geiste¸ das Heilen von Verletzungen der Seele durch Berührungen des Geistes¸ der Blick¸ Schutzzauber der Alten. In dieser Geschichte geraten sie etwas mehr in den Hintergrund¸ die Stimmung dieses Bandes ist nicht ganz so geheimnisvoll und magisch wie im ersten. Wie gesagt¸ es geht hauptsächlich um Zwischenmenschliches und um die Lösung des Geheimnisses¸ das den Hauptmann umgibt. Trotz des Themas "Frau zwischen zwei Männern" gleitet die Geschichte nicht ins Triviale ab. Das ist der detaillierten und glaubwürdigen Charakterzeichnung zu verdanken¸ die auch den ersten Band bereits auszeichnete. Die Handlung kommt auch diesmal ohne das aus¸ was man üblicherweise als Action bezeichnet¸ ist aber in keiner Weise langweilig. Zu guter Letzt möchte ich nochmals die einfühlsame und poetische Sprache der Autorin hervorheben¸ durch die auch dieses Buch wieder sein einzigartiges Flair¸ seinen besonderen Zauber erhält. Selten habe ich eine Szene gelesen¸ die so anrührend und gleichzeitig so frei von Sentimentalität war¸ wie die¸ in der Sorcha stirbt.
Fazit:
Alles in allem kann ich sagen¸ ich bin ganz besonders positiv überrascht. Zum wirklich ersten Mal ist mir eine Autorin begegnet¸ die es geschafft hat¸ dass die Fortsetzung einer Geschichte deren hohes Niveau problemlos gehalten hat. Bleibt zu hoffen¸ dass das auch für den dritten Band "Das Kind der Stürme" zutrifft.
Eine Rezension von: Birgit Lutz http://www.buchwurm.info/