Snow Crash
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Was wär Virtuelle Realität ohne die Abhängigkeit von einer potenziell tödlichen Wunderdroge, als einzige Chance, der düsteren Realität zu entkommen, in einem anarchokapitalistischen Albtraum, der von Konzernen, dem organisierten Verbrechen und dem Rest der zu einer bizarren Selbstsatire der Bürokratie mutierten Regierung kontrolliert wird.
Im Gegensatz zum etwas dickensschen Diamond Age ist dies purer Cyberpunk, der die knallharten dystopischen transhumanistischen Ideale zu einem degenerierten turbokapitalistischen Terror des freien Marktes beschleunigt.
Eine der besten, wichtigsten und verblüffendsten Ideen dieses Werks ist, dass alle Ideologien, Manifestationen epigenetischer und kultureller Evolution, die sich im Gange befinden, leider oft Glaubenssätze und kranke Ideologien, parasitäre, virale Informationen sind, die den Verstand der Menschen als erste, einzelne, abnorme Mutation im Gehirn eines einzigen, möglicherweise etwas inzestuösen Affen infizieren. Ich möchte Inzestbefürworter nicht diskriminieren, aber eine der vielen negativen Nebenwirkungen sind Geisteskrankheiten.
Kombiniert man dies mit dem coolen, schnellen Schreibstil, der extrem hohen Komplexität und Dichte der Ideen, der Philosophie, dem Wechsel zwischen Actionszenen und tiefen, inneren Monologen, Dialogen und Gesellschaftskritik, hat man einen Meilenstein der Science Fiction und der Literatur im Allgemeinen.
Ich frage mich, wie viele Science Fiction-Filme von der Literatur beeinflusst wurden. Jemand sollte eine Liste erstellen, denn ich schaue so gut wie kein Fernsehen und werde daher nie in der Lage sein, einen Vergleich anzustellen. In diesem Fall bin ich mir nicht einmal sicher, ob Gibson, Stephenson oder ein vergessener, unbekannter Autor der erste war, der Wirtschaftskritik mit Virtueller Realität und Geisteswissenschaften vermischt hat. Die frage kann ich mir eigentlich selbst beantworten: Eine Negativutopie, deren Bewohner nur noch aus "zweiter Hand leben", ist E. M. Forsters The Maschine Stops aus dem Jahr 1909. Jeder lebt für sich in einer unterirdischen Welt und wird völlig von der "Maschine" versorgt, alle Formen der Kommunikation laufen ebenfalls über die "Maschine" ab. Ich habe es in anderen Buchvorstellungen zu Neal Stephenson bereits erwähnt: Lesen Sie nicht alle Werke von Stephenson, wenn Sie nicht wirklich auf Science Fiction stehen oder gerne lange Passagen überfliegen und überlesen, denn Diamond Age und Snow Crash sind nicht wie viele seiner anderen Romane, die oft eher so etwas wie Hard Science Fiction oder Space Opera, philosophische Theorie-Hybride sind, und wirklich anstrengend zu lesen. Sie halten sich nicht an Schreibkonventionen und viel besser hätten sein können, wenn man sie nur auf eine akzeptable Länge gekürzt und in eine normale, spannende Handlung eingebunden hätte, anstatt den Autor egomanisch über alles, was ihm in den Sinn kommt, in der Form faseln zu lassen, die er für cool hält. Auf diese Weise sabotiert Stephenson sich selbst und sein Vermächtnis, indem er sich zu sehr auf den hochtrabenden, tiefgründigen Kunstaspekt konzentriert und vergisst, dass er einst eines der Wunderkinder des Cyberpunk und der Science Fiction war, bevor er für die grosse Mehrheit der Bibliophilen, sogar für Science Fiction-Fans, unlesbar wurde. Ich habe viele seiner Werke gelesen und genossen, werde sie aber nicht noch einmal lesen, denn das beste Genre von allen ist mein Lebenselixier, aber ich konnte keinen anderen Autor finden, der so hyperkomplex, verwoben und schwer oder gar nicht zu verstehen war wie Stephenson mit seinen fast 1.000seitigen Ungetümen von Büchern. Ja, sie bieten einzigartige und intelligente Einsichten und Offenbarungen, aber das würde weit weniger bitter schmecken, wenn man nicht wüsste, dass sich die meisten Leser aus völlig verständlichen, logischen und angemessenen Gründen niemals damit anfreunden werden.
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355