Sherlock Holmes 41: Mayerling
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Verlassen wir mal alteingetretene Pfade und fangen mit der Vorstellung des Hörspiels ganz anders an. Zuerst gehen wir einmal auf das Titelbild ein.
Ertugrul Edirne¸ der ein gutes Stück dazu beiträgt¸ dass das Hörspiel vorzeigbar wird¸ wird zu oft vernachlässigt. Auch von mir¸ wie ich gestehen muss. Oft ist er nur die Erwähnung¸ wer das Titelbild malt.
Am 2. Januar 1954 wurde Ertugrul in Hadimköy¸ Istanbul¸ Türkei geboren. Bei den Besuchen in Istanbul lernte er den türkischen Comicheld Tarkan kennen¸ sowie die italienischen Westernhelden und natürlich der amerikanische Tarzan hatten es ihm besonders angetan. Ertugrul kopierte und imitierte seine Helden und erfand eigene Geschichten dazu. Sieht man sich heute seine Bilder an¸ nach jahrzenterlanger Schaffensphase¸ stellt man fest¸ dass er eine Vorliebe für Western hat. Gerade diese Zeichnungen sind sehr wirklichkeitsgetreu¸ überzeugen in Farbe und Stil. Hier hilft ihm sicherlich die Geschichte der Illustration¸ die er studierte und den Feinheiten der europäischen und amerikanischen Tradition nachspürte. Nach dem Abitur 1971 studierte Ertugrul an der staatlichen Kunstakademie Istanbul und arbeitete für die Tagezeitung Hürriyet. Eine Kleinanzeige machte ihn auf die internationale Agentur APS aufmerksam. Seit 1973 zeichnete er in ihrem Auftrag für Kunden außerhalb der Türkei. 1976 gründete er sein eigenes Studio. Als er 1977 einen Auftrag für den Bastei Verlag annahm¸ Zeichnungen für Gespenstergeschichten¸ Silberpfeil und andere auszuführen¸ hatte er seinen Durchbruch in Deutschland. Mit diesem Auftrag folgten weitere durch Verlage wie Pabel¸ Heyne etc. Seit dem Tod von Firuz Askin zeichnet er die Titelbilder für Titania Medien Hörspiele wie die berühmte Reihe Gruselkabinett und Sherlock Holmes.
Im vorliegenden Fall hat er ein sehr passendes Titelbild geschaffen¸ welches die Atmosphäre gut wiedergibt. Die ernsten Gesichter wichtiger Handlungsträger sind in einem herrlich nostalgischen Stil gehalten¸ die die Zeit des Kaiserreichs gut wiedergeben. Sie ähneln sehr alten Portraitbildern.
Zu den Sprechern und Sprecherinnen:
Die mehr als zwei Dutzend Akteure sind sehr gut ausgewählt¸ manche Rollen doppelt besetzt. Gerade bei den Doppelrollen können die Sprecher ihre Vielseitigkeit beweisen.
Gräfin Larisch-Wallersee = Kristine Walther engagiert sich stark¸ schlüpft in eine Rolle¸ die ihr wie auf den Leb geschrieben passt. Sie ist in den Eigenschaften recht eigensinnig¸ kommt aber im Ganzen gesehen¸ gelungen und geheimnisvoll daher.
Kronprinz Rudolf = Jonas Minthe nimmt man den Adeligen ab. Etwas hochnäsig¸ dennoch relativ sympathisch¸ hier wird man sich ein wenig drum streiten¸ ob der Begriff wirklich gut gewählt ist¸ klug und markant. Ein unverwechselbarer Charakter.
Sherlock Holmes = Joachim Tennstedt und Dr. John Watson = Detlef Bierstedt sind altbekannte Sprechher und lange im Geschäft. Ihre Rollen als das Ermittlerpaar wurden schon so häufig gelobt¸ dass ich es an dieser Stelle nicht wiederholen möchte.
Martha Hudson = Regina Lemnitz und Philine Peters-Arnolds = Margery Mapleton als Sherlock Holmes neugierige und ruppige Haushälterin und deren Cousine haben diesmal wieder einen Anteil an der Erzählung und bereichern sie.
Helene Vetsera = Anja Kruse ist die verzweifelte Baronin¸ die unbedingt die Hilfe von Sherlock Holmes benötigt¸ diesen bildnerisch gesagt¸ auf Knien anfleht¸ ihr zu helfen. Sherlock Holmes wird zum Hoffnungsträger und als das „Spiel“ endet ist sie kalt und verbittert.
Hanna Vetsera = Luise Herget tritt nicht nur kurz und überzeugend auf¸ sie bleibt als freundliche Adlige lange in Erinnerung.
Mary Vetsera = Sigrid Burkholder Eine überzeugende Leistung liefert Sigrid Burkholder als Mery ab. Ihrer helle¸ jedoch gleichsam ausdrucksvolle Stimme gibt der jungen Frau viel Charakter. Ob nun normal gesprochen¸ aufgeregt¸ verliebt oder in anderer Stimmungslage¸ kommt bestens diese bestens zur Geltung.
Ursula Sieg und Silvana Sansoni überzeugen sprachlich¸ vor allem mit ihrem österreichischen Dialekt.
Zum Inhalt:
Sherlock Holmes und Dr. Watson sind Ende des Jahres 1888 auf einer Kultur-Tour auf den Weg nach Wien. Eine Aufführung von Richard Wagners Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“ ist für die beiden Männer der Grund¸ Festland zu betreten. Holmes und sein Depressiv angelegter Kollege sind als Besucher der Wiener Hofoper. Während des Besuches treffen sie auf die Baronin Vetsera¸ die Holmes bereits 1882 anlässlich einer Jagdgesellschaft kennen gelernt hatte. Die Tochter der Baronin¸ Mery Vechera¸ leidet unter merkwürdigem Unwohlsein. Diese Unpässlichkeiten hindern sie¸ den Aufführungen beizuwohnen. Nach der Vorstellung und zurück im Hotel¸ können sie Zeugen eines Gesprächs zwischen Mary und der Gräfin Marie Louise von Larisch-Wallersee¸ der Nichte der Kaiserin Elisabeth¸ auch Sissi genannt¸ werden. Der Inhalt des Gesprächs dreht sich um finanzielle Angelegenheiten und damit verbundene „Gefälligkeiten“¸ welche sofort die Neugier des Detektivs und seines Freundes wecken.
Zur Produktion:
Bei der aktuellen Folge von Sherlock Holmes unter dem Titel „Mayerling“ handelt es sich um ein in jeder Beziehung bemerkenswertes und merkwürdiges (im Sinn des Wortes¸ zum Merken würdig) Hörspiel. Für die 41. Episode griff Marc Gruppe nach langer Zeit wieder selbst zur Feder. Es mag auch ein Computer gewesen sein. Mit dem neuen Abenteuer von Sherlock Holmes reiht er sich in die Reihe von Autoren ein¸ die ebenfalls neue Sherlock Holmes Geschichten erfinden. Siehe etwa den Blitz-Verlag. Im Gegensatz zu Arthur Conan Doyle und Zeitgenossen wie Herman Cyril McNeile¸ dessen Geschichten umgeschrieben wurden¸ bemerkt man hier grosse Unterschiede. Marc Gruppe ist ein Kind unserer Zeit und dementsprechend fallen die Schreibweise und die Dialoge moderner aus. Auch die Laufzeit von einer CD auf zwei CD ist bemerkenswert. So erhält Marc nicht nur viel Raum zum Erzählen¸ sondern auch um seine Charaktere und die Zeit um 1888 besser vorzustellen. Ein grosser positiv anzurechnender Punkt ist¸ die geschichtliche Zuordnung¸ die Recherche und die Beschreibungen sind hervorragend und beruhen auf gesicherten Fakten bzw. historisch bekannten Figuren. Etwa wenn an geeigneter Stelle Dr. Watson begeistert die Innenausstattung des Grand Hotels beschreibt. Das ist das Schöne bei diesem Hörspiel¸ irgendwie ist nichts davon überflüssig. Kein unnützes ziehen der Handlung.
Endergebnis:
Ein Hörspiel¸ dass man sich nicht nur einmal anhört. Der Kriminalfall¸ der weniger Krimi ist¸ mehr spannende Erzählung mit historischen Bezug¸ wird abwechslungsreich erzählt.
Ich bin immer wieder fasziniert¸ wie Einzelheitenverliebt eine Szene durch die Geräuschkulisse aufgebaut wird. Leise Strassengeräusche¸ Stimmengewirr in Hotels auf der Strasse¸ in der Oper¸ scheinbar Nebensächliches wird zum handlungsträger¸ gleich nach den Personen. Unterstütz wird¸ manchmal ein wenig zuviel¸ durch Musikuntermalung. Der Handlung entsprechend¸ sind die Mehrheit der Musikstücke in einem düstere-bedrohlichen Ton gehalten. Sie dient dem Spannungsaufbau¸ der sich ständig steigert¸ bis hin zu einer¸ nicht für jeden befriedigenden¸ Auflösung.
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355