Schwarzen Juwelen 1: Dunkelheit
Vor siebenhundert Jahren hat Tersa die Ankunft einer neuen Hexe vorausgesagt. Jetzt scheint es¸ als hätte sich ihre Prophezeiung erfüllt. Lucivar Yaslana¸ Kriegerprinz und Sohn des Höllenfürsten Saetan SaDiablo¸ ist ihr begegnet: Sie heißt Jaenelle und ist ein verletzliches¸ scheues¸ siebenjähriges Kind! Sofort verspürt das eyrische Halbblut den Wunsch¸ das Kind zu beschützen. Auch Lucivars Bruder Daemon¸ genannt der Sadist¸ spürt Jaenelles Ankunft. Doch sie ist weit¸ weit fort¸ außerhalb seiner Reichweite¸ und das macht ihn rastlos und noch reizbarer¸ als er ohnehin ist.
Letztlich ist es der Höllenfürst persönlich¸ der sich des Kindes annimmt. Da Jaenelle Lucivar versprochen hat¸ nicht durch die Welt des Lichtes¸ Tereille¸ zu reisen¸ hat sie sich darauf verlegt¸ durch das Reich der Schatten¸ Kaeleer¸ und das Reich der Finsternis¸ die Hölle¸ zu reisen. Als Saetan ihr begegnet¸ spürt auch er sofort¸ dass er die zukünftige Herrin der Welt vor sich hat. Und sie bittet ihn¸ sie auszubilden! Schon bald erkennt Saetan¸ dass er sich da einiges eingebrockt hat¸ und das nicht nur¸ weil die Kleine zwar schier unermessliche Kräfte besitzt¸ gleichzeitig aber nicht in der Lage ist¸ sie zu kontrollieren¸ sondern weil sie Feinde hat. Mächtige Feinde!
Die Welt¸ die Anne Bishop da entworfen hat¸ ist eine düstere Welt. Das liegt allerdings nicht unbedingt daran¸ dass ein Teil der Handlung in der Hölle spielt¸ oder daran¸ dass die Quelle der Macht¸ die den Magiebegabten zur Verfügung steht¸ die Dunkelheit ist.
Natürlich spielt die Autorin mit Elementen¸ die dem Durschnittsmenschen nicht unbedingt geheuer oder angenehm sind. So hat das Netz¸ ein Gewebe von verschiedenen Kraftlinien¸ die für Ortswechsel benutzt werden¸ nicht von ungefähr Ähnlichkeit mit einem Spinnennetz. Und diejenigen Hexen¸ die mit Träumen¸ Visionen und Wahnvorstellungen befasst sind¸ tragen die Bezeichnung Schwarze Witwe. Der Ursprung dieser Kunst liegt in einer Gegend namens Arachna. Dennoch ist dieser Zweig der Magie zunächst nicht negativ besetzt¸ denn Schwarze Witwen besitzen auch die Fähigkeit¸ einen kranken oder verletzten Verstand zu heilen.
Und der Ort namens Hölle hat nichts mit dem christlichen Bestrafungsgedanken zu tun. Vom Design her ähnelt sie eher der antiken Unterwelt¸ letztlich ist sie allerdings hauptsächlich ein Zwischenstopp für Seelen¸ deren Lebenskraft bei ihrem Tod noch zu groß war¸ um gleich ins endgültige Dunkel einzugehen. Bevölkert ist sie zwar von Dämonentoten¸ deren Ziel und Aufgabe ist es allerdings nicht¸ aus der Hölle auszubrechen und die Welt des Lichts in Angst und Schrecken zu versetzen. Schattenreich und Hölle sind lediglich andere Dimensionen der Welt der Lebenden¸ und sie werden auf ähnliche Art regiert.
Was diese Welt der Blutjuwelen tatsächlich so düster macht¸ ist ihr verloren gegangenes Gleichgewicht. Seit Jahrhunderten hat das Land keine Hexe mehr. Was nicht heißen soll¸ dass es keine Magiebegabten mehr gäbe¸ die hier als Männer oder Frauen des Blutes bezeichnet werden. Die gibt es nach wie vor. Doch die Hexe¸ die Königin¸ das moralische und gesellschaftliche Zentrum¸ fehlt! Das hat eine Priesterin namens Dorothea ausgenutzt¸ um die Macht an sich zu reißen. Die eigentliche Aufgabe derer vom Blut¸ nämlich Länder und Völker zu beschützen¸ geriet in Vergessenheit¸ übrig geblieben ist eine dekadente¸ selbstsüchtige und grausame Schicht von Adligen¸ die genauso gut aus dem späten Rom oder der Renaissance stammen könnte.
Wie gestört diese Welt ist¸ zeigt sich nicht nur an der Sexbesessenheit fast sämtlicher Frauen des Blutes oder den Exzessen¸ die sich in dem Heim für geistig labile Mädchen in Beldon Mor abspielen¸ sondern auch daran¸ dass Jaenelles Familie¸ obwohl selbst von Blut¸ nicht einmal erkennt¸ welch ungewöhnlich starke Magie in ihrer Tochter steckt¸ sondern sie stattdessen für krank und verwirrt hält!
Zwangsläufig resultieren aus einer solchen Welt auch zerrissene Charaktere. Da wäre als Erstes natürlich Jaenelle selbst zu nennen. Von ihrer ignoranten Familie¸ die ihre enorme magische Kraft für überspannte Phantastereien hält¸ als unfähig abgestempelt und mit dem Gegensatz zwischen ihren eigenen Erfahrungen und den Lügen der Erwachsenen um sie herum konfrontiert¸ wird sie geplagt von Selbstzweifeln¸ zu denen sich auch noch die Angst angesichts der Ereignisse im Heim gesellt.
Dann wäre da noch Daemon. Der Kriegerprinz¸ dessen schwarzes Juwel ein Zeichen für seine enorme magische Kraft ist¸ wird seit Jahrhunderten als Lustsklave missbraucht von Frauen¸ deren Macht nicht annähernd so groß ist wie die seine. Hass und Wut haben ihn inzwischen derart zerfressen¸ dass die Luft um ihn gefriert¸ sobald eine Frau des Blutes ihn auch nur kokett anlächelt. Menschlich wirkt er nur¸ wenn er mit den einfachen Leuten zu tun hat¸ die nicht von Blut sind. Vertrauen hat er allein zu seinen Zieheltern und seinem Bruder.
Anne Bishop hat hier nicht nur eine sehr glaubwürdige¸ sondern auch eine äußerst intensive Charakterzeichnung abgeliefert. Gedanken und Gefühle dieser beiden Protagonisten sind nicht nur nachvollziehbar¸ sie sind nahezu greifbar. Auch die weniger wichtigen Charaktere wie Saetan oder Surreal sind gut gezeichnet¸ wenn auch nicht ganz so intensiv wie Jeanelle und Daemon.
Dieses Buch hat mich in mehrerer Hinsicht überrascht. Zunächst war ich skeptisch wegen des Wortes "erotisch"¸ das im Zusammenhang mit diesem Zyklus überall zu finden ist. Normalerweise habe ich es mit dieser Thematik nicht so. In diesem Fall hat es mich zu meiner eigenen Verwunderung nicht gestört¸ wahrscheinlich deshalb¸ weil die Sexualität hier nicht als Selbstzweck auftaucht¸ sondern weil sie ein Hauptbestandteil des gesellschaftlichen Systems der Unterdrückung ist. Die Frauen wenden sie zur Demütigung an¸ Daemon als Mittel zur Rache. Dabei geht die Autorin eher selten ins Detail¸ sodass die Konsequenzen aus der jeweiligen Handlung überwiegen¸ nicht die Handlung selbst.
Die zweite Überraschung war der unerwartete Humor¸ auf den ich stieß. Da Jaenelle von Saetan und Daemon ernst genommen wird¸ kann sie in deren Gegenwart ganz unbeschwertes Kind sein¸ was gelegentlich zu höchst erheiternden Situationen führt und einen überraschenden Kontrast zur sonstigen Grundstimmung des Buches wie auch zu der unterschwelligen Gefährlichkeit Jeanelles bildet.
Beachtenswert auch¸ dass ich mich nur schwer überwinden konnte¸ die Lektüre des Buches zu unterbrechen. Im Nachhinein betrachtet kommt es dem Leser so vor¸ als wäre eigentlich nicht viel passiert¸ außer dass Jeanelle aufgetaucht ist¸ ihre Ausbildung angefangen und damit die Aufmerksamkeit ihrer Feinde auf sich gezogen hat. Dabei dauerte es eine ganze Weile¸ bis sich die Schlinge gegen Ende des Buches zuzuziehen und der Spannungsbogen wirklich straff zu werden begann. Aber obwohl die eigentliche Spannung nur einen geringen Teil des Buches ausmacht¸ war dieser erste Band eine fesselnde Lektüre. Die ungewöhnlichen Ideen der Autorin im Zusammenhang mit den verschiedenen Juwelen und den Abstufungen ihrer Macht¸ der Entwurf der Parallelwelten¸ die Charakterzeichnung¸ der gelegentlich aufblitzende Humor¸ all das war so interessant gestaltet und geschickt miteinander verwoben¸ dass es einfach unmöglich war¸ nicht weiterzulesen.
Anne Bishop lebt in New York¸ liebt Gärtnern und Musik¸ und hatte bereits einige Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht¸ ehe ihr mit dem Zyklus der Schwarzen Juwelen der internationale Durchbruch gelang. Vier Bücher aus diesem Zyklus¸ für den sie den Crawford Fantasy Award erhielt¸ sind bisher bei uns erschienen¸ Band fünf kommt im April auf den deutschen Markt. Außerdem stammen aus ihrer Feder die Trilogie Tir Alainn¸ die auf Deutsch bisher anscheinend nicht erschienen ist¸ sowie Ephemera - Die dunklen Welten¸ dessen zwei Bände den Zyklus der Schwarzen Juwelen weiterführen soll. "Sebastian" ist bereits seit letztem Jahr auf Englisch erhältlich¸ "Belladonna" ab März dieses Jahres. Die deutsche Ausgabe des ersten Bandes erscheint im Juni 2007 bei Heyne.
Eine Rezension von: Birgit Lutz http://www.buchwurm.info/