Saga der Neuen Welt 1: Das verlorene Land
Die Familie Anturasi verdankt ihre Macht und Bedeutung der Meisterschaft in einer ganz besonderen Disziplin: der Kartografie.
Denn vor über siebenhundert Jahren löste Kaiserin Cyrsa bei dem Versuch¸ die barbarischen Horden der Turasynd zu stoppen¸ eine magische Katastrophe aus¸ einen Kataklysmus¸ der die Welt verwüstete und neu schuf. Nicht nur neue Länder und Meere¸ sondern auch fremdartige Wesen und Mutationen.
Vor allem aber wurde die politische Landkarte der Welt ordentlich durcheinander gebracht: Virukadeen¸ die Heimat der nichtmenschlichen Viruk¸ wurde nahezu vollständig zerstört¸ ihre Vormachtstellung gebrochen. Während der Legende nach Kaiserin Cyrsa fremdartige Eindringlinge und durch die wilde Magie entstandene Kreaturen zurückschlug¸ entbrannte unter ihren Reichsverwaltern der Kampf um die Herrschaft. Die Prinzdynasten von Deseirion¸ Helosunde¸ Nalenyr und kleinerer Dynastien bekriegen sich seitdem beständig.
Der alte Qiro Anturasi gibt sich als Patriarch und Tyrann¸ sehr zum Verdruss seiner Enkel und des Dynasten Cyron von Nalenyr¸ dessen großer Trumpf er ist. An seinem Geburtstag verkündet er die Entscheidung¸ seinen kartografisch begabten Enkel Keles zur Erkundung der lange verloren geglaubten Gewürzstraße im Westen zu schicken – die Entdeckung des Ostmeeres mit dem Schiff Sturmwolf vertraut er dessen eher draufgängerisch veranlagten Bruder Jorim an.
Eine für Cyron überraschende und bestürzende Entwicklung¸ da Qiro seine beiden möglichen Nachfolger zugleich auf eine Reise ins Unbekannte und in die tödliche Wüste von Ixyll schickt. Will Qiro die beiden¸ um seine einzigarte Position zu wahren¸ in den Tod schicken¸ wie man es schon bei dem tödlich verunglückten Vater der beiden vermutet?
Für die Agenten des eroberungslustigen Pyrust bietet sich eine einzigartige Chance¸ sich das Wissen der Anturasi zu sichern … der besorgte Cyron beauftragt seine besten Männer mit dem Schutz der beiden.
Michael Stackpole¸ der abseits seiner SciFi-Romane im Star-Wars- und Battletech-Universum im Fantasybereich neben einigen Einzelromanen vor allem mit der Serie "Düsterer Ruhm" viele Fans gewann¸ startet mit "Das verlorene Land" eine neue Trilogie¸ die durch ihre Fülle und Vielfalt besticht.
Zentraler Aspekt der Handlung ist die Wiederentdeckung einer verloren gegangenen Welt¸ die voll von absonderlichen Kreaturen und geheimnisvoller Magie ist. So wird Jorim einer Art fliegenden Holländer voller mörderischer Kreaturen begegnen¸ einen neuen Kontinent entdecken und dort als Gott Tetcomchoa verehrt werden¸ was leider auch einige Pflichten mit sich bringt …
Jorim stellt eine Art Mix aus dem Konquistador Cortez und dem Entdecker Kolumbus dar¸ seinen Onkel Qiro könnte man als eine Fantasyadaption des portugiesischen Prinzen Heinrich der Seefahrer ansehen. Auch andere Figuren sind stark an Mythen und Historie angelehnt¸ Kaiserin Cyrsa kehrt zum Beispiel der Legende nach in Zeiten der Not wieder¸ König Artus lässt grüßen. Dem Schwertkämpfer Moraven Tolo und seinem Schüler Ciras Dejote begegnet man im Kino als Obi-Wan und Anakin Skywalker¸ hier waren die Parallelen so stark¸ dass ich fast schon Darth Vaders Atem rasseln hörte¸ wenn Ciras¸ trotzig vor Wut und Stolz¸ sich nur widerwillig seinem besonneneren Meister fügt.
Interessante Wege geht Stackpole in Sachen Magie: So gibt es mit den Gyanri eine Art Technomagier¸ die Maschinen bauen¸ die mit den Thaumsten genannten Überbleibseln der Stürme wilder Magie betrieben werden. Diese werden oft von Anhängern des Jaecundo verachtet¸ da jedermann sich dieser Magie bedienen kann¸ während ihre selten ist und hohe Meisterschaft erfordert: So können herausragende Schwertkämpfer wie Moraven Tolo den Status eines Jaecaiserr erreichen¸ der ihre Lebensspanne um Jahrhunderte verlängert und ihre Fähigkeiten über das Maß normaler Sterblicher hinaushebt. Aber nicht nur auf Kampf ist Jaecundo beschränkt¸ ein Schuster könnte ihn ebenso erreichen¸ aber auch eine Kurtisane wie die legendäre "Dame von Jett und Jade".
Die Handlung ist dreigeteilt; während die Entdeckung eines neuen Kontinents in Jorims Bereich fällt¸ wird Keles von schillernden Figuren wie dem an einen Troll erinnernden Viruk-Krieger Rekarafi begleitet¸ der ihn fast getötet hätte und nun eine Ehrenschuld bei ihm hat¸ neben Tolo¸ Ciras¸ der Keru-Kriegerin Tyressa und dem Gyanridin Borosan Gryst. Aber auch in der Heimat brodelt es¸ Prinzdynast Pyrust ist auf dem Schlachtfeld erfolgreich¸ seine Agenten fädeln geschickt Intrigen ein und begehen brutale Morde in Cyrons Hauptstadt Moriande.
Der neue Zyklus bietet ein hohes Unterhaltungspotenzial¸ die Handlung ist komplexer¸ als man es von Stackpole gewohnt ist¸ selbst verglichen mit dem umfangreichen Zyklus "Düsterer Ruhm". Nach wie vor zeichnet er sich auch durch schamlose Ideenplagiate aus¸ die gelegentlich abstoßend offensichtlich sind¸ seine Kunst ist es jedoch¸ alles zu einem harmonischen Ganzen zusammenzufügen. Die Charaktere selbst haben nur bedingt Tiefe¸ es überwiegt der jeweiligen Rolle entsprechendes klischeehaftes Verhalten¸ das nicht immer nachvollziehbar und gelegentlich unglaubwürdig wirkt. Die zahllosen Archetypen bieten jedoch Vielfalt und bedienen viele Vorlieben¸ vom Intriganten bis hin zum gradlinigen¸ ehrenhaften Krieger oder klugen Gelehrten.
Zwei große Schwächen hat das Buch: Der Start der Handlung ist schleppend und verwirrend¸ häufige Wechsel der Person und des Ortes sorgen dafür. Die exotischen Namensgebungen tragen ihren Teil dazu bei. Zum Beispiel ist ein des "Gyanri" Kundiger ein "Gyanridin"¸ ein von ihm hergestelltes Konstrukt ein "Gyanrigot". Die feinen Unterschiede zwischen den Jaecundo-Meisterarten "Jaecai" (Meister einer Kunst oder Wissenschaft)¸ "Jaecaiserr" (Schwertmeister)¸ "Jaecaixar" (Meister des Schmerzes) und "Jaecaixingna" (Meistermagier) schreien geradezu nach einem Glossar¸ ebenso wie die zahlreichen exotischen Ortsnamen und Namen nach einem Register. Leider wird keines von beidem geboten¸ dafür eine schön gezeichnete Teilkarte der Welt. Der Übersetzer Reinhold H. Mai liefert wie gewohnt sehr gute Arbeit ab¸ er hat einige Namen an die deutsche Aussprache sinnvoll angepasst und vereinfacht¸ was man ihm hoch anrechnen muss. Einige wenige Setzfehler haben sich leider dennoch eingeschlichen¸ was angesichts des gewaltigen Umfangs von 736 Seiten zu verschmerzen ist.
Leider bricht das Buch genau dann ab¸ wenn es richtig spannend wird¸ mit einem Cliffhanger. Der Folgeband "Der Kampf um die alte Welt" verspricht daher einen furiosen Auftakt¸ etwas¸ das der Einstiegsband leider vermissen lässt.
Der schwache Anfang der Saga ist das Problem dieses Buches¸ das frische und vielversprechende Szenario wird umständlich¸ verwirrend und langwierig eingeführt. Hat man diese Hürde aber überwunden¸ wird man belohnt – leider ist das Buch dann schon fast an seinem Ende angelangt. Nach der anfänglichen Enttäuschung entfaltet sich die Welt dann allmählich¸ kann überzeugen und begeistern¸ macht Lust auf mehr – ich freue mich schon auf die Fortsetzung. Trotz genannter Startschwierigkeiten gestehe ich dieser Saga das Potenzial zu¸ Stackpoles vorherige "Düsterer Ruhm"-Reihe zu übertreffen. Der lahme Start legt das Fundament für eine Welt¸ die weit komplexer ist als Stackpoles bisherige Fantasywelten – und interessanter dazu.
Eine Rezension von: Michael Birke http://www.buchwurm.info/