Narrenopfer
Engagierter Alien-Detektivthriller
Eine Mischung aus Detektivroman und Asylantendrama¸ erinnert "Narrenopfer" mitunter an den Hollywoodstreifen "Spacecop L. A. 1999". Da ermittelte ein Polizist gegen Alienmörder. "Narrenopfer" ist ebenfalls spannend¸ aber das macht nicht seine Stärke aus. Die liegt in der bewegenden Darstellung der fremdartigen Lebensweise der Aliens auf der Erde.
Der Autor
Ian McDonald ist ein hoch angesehener und bekannter nordirischer Science-Fiction- und Fantasy-Autor ("Chaga"¸ "Kirinja")¸ der sich jedoch eher als Spezialist für Kurzprosa und Novellen einen guten Ruf erworben hat. Seine Romane kann man an zwei Händen abzählen.
Handlung
In naher Zukunft (2004) ist es so weit: Außerirdischer Besuch klopft an unsere Tür. Die Shian kommen allerdings nicht als Forscher¸ auch nicht als glubschäugige Eroberer¸ sondern mit der Bitte um Siedlungsraum. Acht Millionen Aliens wollen also Asyl beantragen. Na schön: Die Erde bekommt dafür technisches Know-how.
Sie werden hienieden auf etliche Länder und Kommunen verteilt¸ darunter Irland. Allerdings sind sie natürlich Wesen mit eigenartiger Biologie und Kultur¸ geschlechtslos außer in der Zeit der Brunst (wie Ursula LeGuins Gethenianer)¸ und mit einem radikal anderen Glauben. Da dürften interrassische Reibungen vorprogrammiert sein.
Um selbige auf ein Mindestmaß zu verringern¸ benötigt man Vermittler¸ einer davon ist Andy Gillespie¸ der nach einer mäßig erfolgreichen Karriere als national-irischer Gelegenheitsterrorist (IRA) sich nun Saulus-Paulus-mäßig um die Belange der Shian-Kommunen in und um Dublin kümmern darf. Seine Bekehrung fand im Gefängnis statt¸ wo er einen Shian kennen lernte. Mit den Moralvorstellungen der Shian kann er selbst viel anfangen¸ entdeckt er.
Problematisch ist jedoch¸ dass die Shian auch Mord als Mittel nicht ablehnen¸ um ihre eigenen Kinder zu schützen. Er arbeitet nun für das Belfaster Welcome Center¸ das u. a. reisende Shian in Kommunen unterbringt und für die Probleme zwischen den Menschen und Aliens zuständig ist.
Viele Iren jedoch sind der Ansicht¸ das Willkommen für die Shian werde zu wörtlich umgesetzt. Auch die Aliens haben mit ihren überrumpelten Gastgebern Schwierigkeiten. Doch Andy betrachtet seine Mitarbeiter im Welcome Center bald als seine "Familie". Als diese seine Familie eines Tages bestialisch ermordet wird¸ schlagen die Wogen hoch. Es gibt keine Zeugen¸ die Polizei hat keine Anhaltspunkte¸ dafür aber einen Sündenbock: Als Vorbestrafter selbst verdächtigt und in Gewahrsam genommen¸ gehen die Morde jedoch weiter: Er muss unschuldig sein.
Fortan macht sich Andy zusammen mit einer Shian-Anwältin daran¸ die wahren Täter zu überführen. Dabei versinkt er immer tiefer in ein Netz von Lügen und Vertuschungen und Gewalt. Allerdings kommt er den Shian und ihrer Lebensweise näher¸ als er je zu hoffen wagte - und auch näher¸ als gut für seine Überlebenschancen ist. Schließlich muss selbst er erkennen¸ dass niemand die Shian wirklich verstehen kann.
Meine Meinung
Ian McDonalds frühere Romane wie "Rebellin des Glücks" oder "Herzen¸ Hände¸ Stimmen" waren noch gleichnishaft auf den Nordirlandkonflikt zugeschnitten. Dieser Roman aus dem Jahr 1996 spielt erstmals auf der grünen Insel selbst. Die Probleme der christlichen Erdlinge mit den Shian und ihrem bizarr anmutenden Glaubenssystem sind dabei eine kaum verhüllte Metapher für die scheinbar unüberwindbaren Religionsdifferenzen zwischen Süd- und Nordiren¸ zwischen Katholiken und Protestanten. Immer wieder betont der Autor auch die Frage der Zugehörigkeit und vergleicht die Situation von Andy Gillespie¸ der zwischen Menschen und Aliens vermittelt¸ mit dem Problem¸ sich zwischen den Gegensätzen England (= Nordirland) bzw. Irland aufzuhalten.
Dass das Ganze dabei nicht zur religiös-politischen Fabel verkommt¸ ist dem erzählerischen Geschick des Autors anzurechnen. Die Figuren sind sauber gezeichnet¸ die Handlung trotz einiger Längen spannend¸ die fremdartige Kultur der Shian und ihre Gemeinsamkeiten mit den Menschen überzeugend und mit guten Einfällen dargestellt. Allerdings ist der häufige¸ wohl als Realismus konzipierte Gebrauch von Flüchen und Fäkalausdrücken nicht sonderlich erbaulich. Auch mit dem schrägen Humor des Sarkasmus weiß nicht jeder Leser viel anzufangen.
Einen Höhepunkt in McDonalds beeindruckendem Werk stellt "Narrenopfer" also nicht dar. Dafür ist der Roman wohl zu einfach gestrickt¸ es fehlen die überbordende Sprachgewalt und der Ideenreichtum seiner sonstigen Werke. Allerdings schreibt hier McDonald fast mit Herzblut und höchstem persönlichem Engagement (für das er sich zum Teil bei seiner Frau bedankt).
Er sieht auf der einen Seite abgrundtiefe Verbohrtheit bei Menschen wie auch Aliens¸ dass man schier verzweifeln könnte (man erinnert sich an Bilder aus Belfast¸ in denen kleine Mädchen Spießrutenlaufen müssen¸ um zur katholischen Schule zu kommen). Andererseits gibt es immer wieder kleine Heldentaten und Mut zur Toleranz¸ die das kleine Lichtlein Hoffnung doch wieder aufleuchten lassen. Da spürt man die Sorgen¸ die Wut und die Hartnäckigkeit eines Autors¸ der seiner wahrlich nicht einfachen Heimat Nordirland tief verbunden ist.
Schriftstellerisch kein Glanzstück¸ dafür aber ehrlich und engagiert - für "Narrenopfer" wird McDonald mehr für sein Anliegen als für seine Kunst gelobt¸ und daran ist ausnahmsweise nichts verkehrt.
Die Übersetzung
Nicht unterschlagen werden sollen die zahlreichen Anmerkungen¸ die Übersetzer Jakob Leutner eingeflochten hat. Sie klären den nicht-irischen Leser über Bräuche¸ Sprichwörter¸ Redewendungen und wichtige Daten der Insel auf und tragen sehr zum Verständnis der Denkweise der Bevölkerung bei.
Originaltitel: Sacrifice of Fools¸ 1996
Aus dem Englischen übertragen von Jakob Leutner
Eine Rezension von: Michael Matzer http://www.buchwurm.info/