Mitternachtspalast
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Bevor wir im Indien des Jahres 1932 sein werden¸ steht dem Leser ein dunkles Abenteuer im Kalkutta des Jahres 1916 bevor. Kurz nach Mitternacht taucht ein Boot auf dem Hoogly River auf. Leutnant Peake auf der Flucht¸ die Frau zurücklassend¸ die er eigentlich beschützen sollte. Vor seinen eigenen Mördern flüchtend hastet er durch die indische Grossstadt. Er kann vor seinem Tod das Kind¸ dass er in den Armen hält¸ noch in Sicherheit bringen. Mit knapper Not erreicht er sein Ziel und liefert das Kind ab. Das Kinderheim von Thomas Carter nimmt den Jungen an und schützt ihn vor Nachstellungen. Doch der Fremde¸ der sich nach dem verleugneten Kind erkundigt¸ droht¸ dass er wiederkommen würde.
1932 ist Ben¸ nach Benjamin Franklin benannt¸ inzwischen sechzehn Jahre alt. Mit seinen besten Freunden gründete er eine kleine geheime Gesellschaft¸ denen sie den Namen Chowbar Society verliehen. Neben Ben besteht die Gemeinschaft aus dem schlauen Ian¸ der vorwitzigen Isobel¸ dem stillen Michael und einigen anderen mehr. Zu ihrem Hauptquartier erkoren sie eine Ruine¸ die sie den Mitternachtspalast nennen. Hier halten sie ihre Treffen ab und vertiefen ihre Freundschaft immer mehr. Eines Tages lernt er eine ältere Dame kennen¸ in deren Begleitung sich ein junges Mädchen namens Sheere befindet¸ für die sich Ben sofort interessiert. Die alte Dame unterhält sich mit Thomas Carter über die Zukunft von Ben¸ während sich das Unheil bereits mit schnellen Schritten dem Waisenhaus nähert. Dieses Unheil besitzt den Namen Jawahal und ist ein fürchterlicher Feuergeist.
Wortgewaltig reisst uns wieder einmal mehr Carlos Ruiz Zafón mitten in die Handlung hinein. Mit nur wenigen eindringlichen Worten befinden wir uns mitten drin im Geschehen. Ein Mann um Mitternacht in einem Boot. Sieben Worte¸ die bei Carlos Ruiz Zafón eine Beschreibung von einer halben Seite dauert und wesentlich dazu beiträgt¸ sofort in eine gruselige Handlung gefangen genommen zu werden. Der Autor verwebt gerne die Vergangenheit eines Menschen mit den Erinnerungen an eine unheimlich erscheinende Vergangenheit¸ zu einem komplexen Mysterienspiel. Der Aufbau der Erzählung ist zuerst sehr schnell¸ der Autor und mit ihm nicht nur die Leser¸ sondern vor allem die Handlungsträger Ben und Sheere¸ hetzen von einem Kapitel zum nächsten. Mit der Zeit wird die Geschichte langsamer¸ gewinnt an erzählerischer Tiefe und wird ruhiger. Das bedeutet jedoch nicht¸ dass die Spannung seiner düsteren Erzählung nachlässt. Stehen zuerst alle Mitglieder der Gruppe¸ mal mehr¸ mal weniger¸ im Vordergrund¸ reduziert sich diess erzählungsbedingt auf die beiden Personen Ben und Sheere. Mit dieser Einstellung verliert der Roman einige interessante Figuren¸ aus denen sich sicherlich mehr machen liess. Die Chance ist leider vertan¸ es sei denn¸ Carlos Ruiz Zafón gelingt es¸ mit ihnen neue Abenteuer zu schreiben.
Das Jugendbuch¸ in der neuen Gruppe FJB erschienen¸ ist ein hervorragend gestaltetes Buch mit festem Einband. Dazu das nützliche Leseband und ein schön gestalteter Schutzumschlag lassen schnell zu diesem Buch greifen. Und wer es in der Hand hält¸ wird sich ebenso schnell lesend damit wiederfinden.
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355