Maschinen wie ich
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Wir schreiben das Jahr 1982 und erinnern uns¸ nur zwei Jahre später würde Eric Blairs 1984 eintreffen. Doch bis dahin befinden wir uns in der Welt des Ian McEwan. Es ist das Jahr 1982¸ in dem Blade Runner in die Kinos kam und Harrison Ford alias Rick Deckard die Replikanten jagt. Und das alles nach dem Roman Träumen Androiden von elektrischen Schafen? von Philip K. Dick aus dem Jahr 1968¸ deutsch 1969 und spielt im Jahr 2019. Wir schreiben das Jahr 2019 und der Roman spielt 1982. Zufall?
Und doch scheint die Welt weiter zu sein¸ eine Fortführung des Jahres 1968. Die Androiden gibt es bereits und ein Krieg¸ der um die Falkland-Inseln tobte¸ wird zum Desaster der britischen Marine. Ein verheerender argentinischer Angriff beendet den Krieg abrupt und die Falklands werden zu Las Malvinas. Die Niederlage zwingt Margaret Thatcher aus dem Amt¸ bringt einen ganz anderen Premier als Politiker an die Macht und löst den unerwarteten Austritt des Landes aus Europa aus. Der Brexit wird vorweg genommen. Dieser politische und soziale Umbruch wirkt wie Erinnerung und Prophetie. Der Romans spielt Variationen unserer historischen Aufzeichnung wieder¸ macht Gegenwart zur Zukunft einer nicht stattgefundenen Vergangenheit. „Nur das Dritte Reich und andere Tyranneien entschieden die Politik durch Volksabstimmungen und im Allgemeinen erhielt man von ihnen nichts Gutes“¸ so erinnert sich der Erzähler über die Abstimmung der Briten nach dem Referendum.
Was die Handlung betrifft: Der Nerd Charlie Friend kann einen der Androiden sein Eigen nennen¸ die gerade in kleiner Stückzahl von 12 Evas und 13 Adams¸ erbaut und ausgeliefert wurden.
Adam ist ein Roboter in Menschengestalt¸ extrem gutaussehenden¸ höchst intelligent¸ der perfekte Mann¸ dem auch Charlies Nachbarin Miranda nicht wiederstehen kann.
Was den Hintergrund betrifft: Es besteht ein deutlicher Unterschied zur Geschichte. Das Vereinigte Königreich ist computerisiert. Anstatt wegen seiner Homosexualität chemisch kastriert zu werden und Selbstmord zu verüben¸ lebt der Wissenschaftler Alan Turing weiter. Alan Mathison Turing war ein britischer Logiker¸ Mathematiker¸ Kryptoanalytiker und Informatiker. Er gilt heute als einer der einflussreichsten Theoretiker der frühen Computerentwicklung und Informatik. Alan Turing schuf einen großen Teil der theoretischen Grundlagen für die moderne Informations- und Computertechnologie. Nach ihm benannt ist der Turing-Test zum Überprüfen des Vorhandenseins von künstlicher Intelligenz. Siehe wieder Träumen Androiden von elektrischen Schafen? Seine Pionierarbeit in der Künstlichen Intelligenz führte zu einer Reihe von technologischen Durchbrüchen. Das neueste und teuerste Gerät in der Unterhaltungselektronik ist ein künstlicher Mensch mit plausibler Intelligenz und Aussehen¸ glaubwürdigen Bewegungen und Ausdrucksmöglichkeiten. Eine der ersten Personen¸ die sich von 86.000 Pfund trennen¸ ist oben erwähnter Charlie. Der Erzähler des Romans¸ ist bekennender KI-Nerd: „Roboter¸ Androiden¸ Replikate sind meine Leidenschaft“¸ klärt er uns aauf.
Charlie ist 32 Jahre alt. Hier stellt sich mir die Frage¸ ob in Charlie nicht doch ein wenig Ian McEwan steckt¸ der 1982 etwa genauso alt war. Charlie lebt allein in einer kleinen Wohnung in Clapham¸ im Süden von London¸ wo er von einem Heimcomputer aus ohne großen Erfolg an der Börse spielt. Adam kann er sich nur leisten¸ dank einer kürzlich erfolgten Erbschaft seiner Mutter. Aus Gründen¸ die nie ganz klar sind¸ sind nur 25 der Android-Geräte¸ in verschiedenen Ethnien erhältlich. Charlie würde eine Eva bevorzugen¸ aber sie sind alle defekt. So muss er sich mit einem Adam begnügen¸ den er nach Hause bringt.
Diesmal geht es um das Thema künstliche Intelligenz. Charlie ist pleite¸ konnte mit viel Glück einer Gefängnisstrafe wegen Steuerbetrugs entgehen. Der Anfang-30-jährige hat vom jedoch Geld seines kleinen Erbes einen Androiden gekauft¸ Adam besitzt breiten Schultern¸ dunkles Haar¸ grüblerischer Blick¸ lebensechte Motorik und Mimik¸ einen bronzenen Teint (so dass das Originaltitelbild tatsächlich der Beschreibung entspricht.
An dem Tag¸ an dem Adam geliefert wird¸ hat Charlie Besuch von seiner Nachbarin Miranda. Sie ist ein weiteres Element des Handlungsaufbaus. Die junge Frau wohnt im Obergeschoss¸ 10 Jahre jünger als Charlie und Doktorand der Sozialgeschichte.
Er sieht Adam als ein gemeinsames Unterfangen an¸ eine Art Elternschaft ohne die übliche Geburt¸ ein erwachsenes Kind dem man¸ auch mittels Internet¸ alles neu beibringen kann. Und während der frisch gelieferte Adam 16 Stunden an einer Steckdose aufgeladen werden muss¸ beschließen Charlie und Miranda¸ die Festlegungen Adams persönliches Temperament¸ die jeder Besitzer selbst beschreiben muss¸ gemeinsam zu entscheiden.
Es ist ein verlockender Moment¸ der ältere Leser an das bittersüße Gefühl erinnert¸ einen Heimcomputer in den 1980er Jahren zu kaufen¸ die Aufregung¸ ihn nach Hause zu bringen¸ gemildert durch die Erkenntnis zwei Tage zu benötigen¸ die Festplatte zu partitionieren. Diese Elternschaft bringt die beiden Menschen einander näher¸ trennt sie aber auch ein wenig¸ denn Charlie bekommt mit¸ wie Miranda Sex mit Adam hat. In ihrer Rechtfertigung vergleicht sie Adam lediglich mit einem Vibrator. Auf den wird Charlie sicherlich nicht eifersüchtig sein.
Eine Frage durchzieht den ganzen Roman¸ bleibt ständig präsent¸ mal mehr¸ mal weniger. Wie menschlich ist Adam?
Der britische Schriftsteller Ian McEwan recherchiert ausführlich und entwirft einen moralischen Konflikt vor dem Hintergrund einer lebendig und kenntnisreich ausgeleuchteten Gegenwart. Dabei spart er nicht mit Kritik ohne dabei irgendeinem Vorwürfe zu machen. Im Gegenteil er nimmt praktisch die Gegenwart und überdreht sie ein wenig¸ nutzt die Kraft der Satire ohne sie als treibende Kraft einzusetzen.
Maschinen wie ich gehört zum Genre der spekulativen Fiktion¸ aber durchaus zur sozialkritischen Science Fiction¸ in ihrem engen Fokus auf moralisch mehrdeutige Charaktere. Das Buch zeigt auf¸ Vor- und Nachteile¸ die auf uns zukommen¸ wenn eines Tages die Künstliche Intelligenz unter uns weilt. Im Prinzip ist sie bereits anwesend¸ denn wir reden wie selbstverständlich mit Siri und Alexa¸ lassen uns von Künstlichen Pseudo-Intelligenzen diverser Hotlines beeinflussen¸ während im Land der Technikgläubigkeit¸ Japan¸ Mensch-Maschinen in Altenheimen eingesetzt werden.
Miranda¸ eine Frau mit einem dunklen Geheimnis¸ ist eindeutig eine Femme Fatale. Jetzt gesellt sich zu diesen Charakteren Adam¸ ein äußerst intelligenter und recht gut ausgestatteter Roboter¸ der sehr schnell herausfindet¸ wie er seinen Ausschalter übersteuern kann. Als die wahre Natur von Mirandas Geheimnis klar wird¸ werden die drei Charaktere zusammengeführt¸ wobei Adam die widersprüchlichen Rollen von Diener und moralischem Vorgesetztem übernimmt. In dieser Art erinnert er an die Heuschrecke in der Zeichentrickserie Pinoccio oder auch an einen Butler¸ der mit seiner moralischen Integrität mit fortwährend aufrechterhaltender Übereinstimmung des persönlichen Wertesystems und der persönlichen Ideale mit dem eigenen Reden und Handeln¸ das Gewissen der Menschen darstellt. Weitere Komplexität entsteht durch Mark¸ einen misshandelten Jungen¸ der Mirandas Wunsch nach einer konventionellen¸ nicht-technologischen Form der Elternschaft weckt.
Adam ist die überzeugendste Figur im Buch¸ mit einer unvergesslich seltsamen physischen Präsenz. Uns wird gesagt¸ dass er selbst bei Bewusstlosigkeit den schwachen Duft von Saxophonschmiermittel abgibt und dass er dank eines Reservoirs mit destilliertem Wasser Erektionen erzielt. Nachdem er die meiste Weltliteratur gelesen hat¸ prognostiziert er den bevorstehenden Tod des Romans. Diese Idee ist nun wirklich nicht neu¸ dazu benötigt man keinen SF-Roman¸ der damit sich selbst kontrakariert. Aber eine Idee¸ die er aus einer neuen Perspektive argumentiert. „Alles in der Fiktion¸ so betont Adam¸ beschreibt Varianten des menschlichen Versagens. Wenn die Ehe von Männern und Frauen mit Maschinen abgeschlossen ist¸ wird diese Literatur überflüssig sein¸ weil wir uns zu gut verstehen werden.“ In der blutleeren Welt¸ die Adam beschreibt¸ wäre ein Roman wie Maschinen wie Ich weder genau noch notwendig und würde sich¸ wie er es tut¸ auf das Chaos¸ die Lügen und die Komplexität fehlerhafter menschlicher Interaktionen beziehen.
Das Buch berührt viele Themen: Bewusstsein¸ die Rolle des Zufalls in der Geschichte¸ künstliche Intelligenz¸ und weiteres. In Adams digitalem Gehirn gibt es vielleicht eine unscharfe Logik¸ aber keine unscharfe Moral. Diese Klarheit verleiht ihm eine unmenschliche Kälte.
Nach meinem Geschmack ist das eine einfache Art¸ Science Fiction zu schreiben. Man kann in einem¸ in diesem Roman¸ nicht alles erklären. So fragt sich der Leser manchmal¸ warum der Erzähler nicht darauf eingeht¸ was im Kalten Krieg oder in China passierte. Wie die afrikanischen Völker reagierten oder was die Weltwirtschaftskonzerne verbrochen haben. Eine weitere Schwäche sind die langen Monologe. Miranda ist der schlimmste Täter¸ an anderer Stelle hingegen erklärt Alan Turing die Geschichte der KI¸ die sehr ähnlich ist wie Adam berichtet. Möglicherweise ist es Absicht¸ dass Vater und Sohn der KI „gleichgeschaltet“ sind. Eine offensichtliche Science Fiction Entscheidung wäre gewesen¸ dass der Roboter den Roman erzählt hätte¸ aber angesichts Charlies Tendenz zu blutleeren Worten vermute ich¸ dass das Ergebnis nicht viel anders gewesen wäre.
Mit diesen Vorbehalten ist der Roman ein auf und ab. Freude und Leid wechseln sich ab. Viele Momente in diesem Buch erinnern an das unterschätzte Handwerk des Geschichtenerzählens. Die Erzählung ist treibend¸ dank unserer Ungewissheit über die Motive der Charaktere¸ der Wendepunkte¸ die unser Verständnis von der Handlung plötzlich neu gestalten¸ und der Figur Adams¸ dessen zweideutige Energie sowohl mysteriös menschlich als auch mysteriös nichtmenschlich ist. Der Roman ist moralisch komplex und sehr beunruhigend.
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355