Dies ist eine Rezension aus dem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Julian Comstock ist ein äusserst ungewöhnliches Buch. Es stammt von Adam Hazzard. Adam¸ ein Freund von Julian Comstock bleibt ständig in dessen Nähe und schreibt seine Biographie. Mit der Biographie des Emporkömmlings Julian schreibt er gleichzeitig seine eigene Autobiografie. Die beiden lernen sich als Jugendliche kennen¸ haben sie doch in etwa die gleichen Ansichten und Vorlieben¸ indem sie von Sam Godwin zusammen gebracht werden. Sam ist eine Art Beschützer und Lehrer von Julian Comstock. Ihr Leben findet im 22ten Jahrhundert statt¸ ist jedoch in der zivilisatorischen Entwicklung nach einem grossen Krieg in die Zeit des 19ten Jahrhunderts zurück gefallen. Die letzten Erdölreserven sind verbraucht¸ alles was an Kultur und Zivilisation aufbaute ist verloren. Es begann eine Zeit¸ in der alles drunter und drüber ging. Alles was nicht gebraucht wurde¸ kam auf grosse Müllkippen¸ Eebay genannt. (Hier sieht man auch ein wenig von Robert Charles Wilsons Zynismus. Spätestens ab diesem Zeitpunkt sollte man den Roman nicht mehr als flüchtigen Unterhaltungsroman ansehen. In vielen Nebensätzen versteckt sich Gesellschaftskritik an der heutigen Zeit. Da heisst es aufpassen¸ sonst nimmt man etwas für bare Münze¸ das unter dem Mantel der Gesellschaftskritik an den Leser heran getragen wird. Dies zeigt sich vor allem¸ wenn man von den Städten spricht¸ die eigentlich nur noch grosse Ruinen sind. Präsident Deklan Comstock¸ ein Onkel unseres Helden¸ regiert die USA. Besser¸ das was davon übrig ist und was mit Kanada dazu kam. Ihm zur Seite stehen Wirtschaftsbosse und Gewinner des Krieges. Allein diese Konstellation macht nachdenklich. Zudem gibt es noch das Dominion. Eine Art Überkirche¸ die alle anderen Arten von Kirchen genehmigt¸ sofern sie in das Schema des Dominion passt. Das Ziel der unheiligen Vier ist es¸ die Freiheit des Menschen zu beschneiden¸ eine aristokratisch geprägte Klassengesellschaft zu halten und den Staat über das Wohl des Einzelnen zu stellen. Dies zeigt sin in einem Wahl-Zirkus¸ bei dem schon vorher klar ist¸ wer wen wählt. Der Wahl-Zirkus ist nur der Anfang der Erzählung. Man sieht sich einen Film an¸ wählt und geht wieder nach hause. Diesmal ist die Vorgehensweise ein wenig abgeändert. Nach der Wahl werden Männer rekrutiert. jeder der in der Lage ist eine Waffe zu tragen und sich nicht freikaufen kann wird in den Militärdienst gepresst. Nordamerika liegt mit dem Vereinten Europa¸ meist als Deutsche bezeichnet¸ im Krieg. Europäische Schiffe wollen die sagenhafte Nord-Ost-Passage nutzen¸ was Präsident Comstock aus wirtschaftlichen Gründen nicht zulassen will. (Dank Klimakatastrophe gelang zwei Schiffen letzten Monat tatsächlich¸ diese Passage zu nutzen. Weil Julians Onkel seinen Bruder und beliebten Helden ermordete lebt Julian auf dem Land¸ weit weg von seinem Onkel. Die lange Hand von ihm reicht aber auch bis hierher. Julian als Soldat könnte an der Front eingesetzt werden¸ dort fallen und der Onkel hätte ein Problem weniger. Für die beiden Jungs bleibt also nur die Flucht.Julian Comstock ist ein spannender Roman¸ der auf der Flucht und dem Klischee dahinter aufbaut und mit Sozialkritik einen Weg aufzeigt¸ wie maan durchaus in der Lage sein könnte eine Krise zu meistern. Die beiden Helden der Erzählung¸ der Anfangs dümmliche Bauernjunge Adam Hazzard und der aufgeschlossene Julian Comstock sind nicht nur Zeitzeugen¸ sondern sie sind in vielerlei Hinsicht auch der Auslöser sozialer Umstrukturierungen. Ich bin bereit in Adam Hazzard den eigentlichen Helden zu sehen¸ der nicht nur die Welt und Julian beschreibt¸ sondern mit jedem geschriebenen Wort auch viel über sich Preis gibt. In ihm sehe ich eine Mischung aus den Theoretikern Marx und Engels und dem Philosophen Nietsche. Was er als visionäre Voraussicht sieht¸ ist nichts anderes als eine Wiederholung der Geschichte. Und wie sagte Ben Akiba bereits vor einigen Jahrhunderten: "Alles schon mal dagewesen".
Dies Buch ist für mich einer der wichtigsten SF-Romane der letzten Jahre. Ein guter Kandidat für den Kurd - Laßwitz - Preis.