Jenseits des Karussells
Dies ist eine Rezension aus Der phantastische Bücherbriefdem monatlich von 1980 bis 2021 erschienenen Newsletter vom Club für phantastische Literatur von Erik Schreiber. |
Dunkle Mächte spinnen ihre Pläne. Dies bemerkt man bereits im Prolog als eine dunkle Macht mit einer doppelköpfigen Spinne spricht. Was Juliane Honisch damit sagen will¸ bleibt erst einmal im Dunkeln.
Das nächste¸ erste Kapitel blendet um zu Professor Eberhard Schrebel. Dessen plötzlicher Ohnmachtsanfall überrascht die Studenten. Als hoher Meister der Arkanen Künste ist er eine wichtige Person¸ die eindrucksvoll in die Handlung eingeführt wird. Dabei bemerkte der Professor¸ dass die Arkanen Linien merkwürdig¸ nicht richtig¸ aussahen. Dies bleibt aber für die Studenten erst einmal unwichtig.
Mit dem Arkanen beschäftigt sich auch Ian McMullen¸ ein Freund des Salzburger Thorolf Treynstern. Dessen Leben als Jurist langweilt ihn. In München¸ der bayerischen Hauptstadt¸ will er ein neues Leben als Künstler beginnen. Seine Mutter¸ eine Richterwitwe¸ ist davon gar nicht begeistert. Sie hatte immer gehofft¸ dass ihr Bub ein ordentliches Leben führt und vielleicht auch einen sozialen Aufstieg erlebt. So reist ihm seine Mutter hinterher. Sie hält ihm seinen neuen Lebenswandel als Künstler und Boheme nicht vor. Aber ganz zufrieden ist sie damit auch nicht. Sie muss ihm jedoch noch etwas mitteilen. Sie überbringt Neuigkeiten für ihn. Die Neuigkeiten betreffen seine Abstammung und seine seltsamen Eigenschaften¸ etwa besser als andere im Dunkeln zu sehen. Doch da ist noch etwas anderes. Schon seit Jahren zeichnet er immer wieder aus dem Gedächtnis ein Mädchen¸ von dem er nie etwas gehört oder gar gesehen hat. Seine visionären Zeichnungen führen dazu¸ dass er das Mädchen trifft. Allerdings anders als er es sich je erträumte. Die Flucht vor einer zweiköpfigen Spinne treibt das Mädchen direkt in seine Arme.
Langsam nähern wir uns einer weiteren Hauptperson. Cattrin¸ genannt Catty.
"Mit siebzehn hat man noch Träume¸ da wachsen noch alle Bäume..." Diese Liedzeile kannte wohl die Autorin¸ aber nicht Cattrin oder besser Catty¸ der Tochter von Professor Lybratte¸ um die es in diesem Buch geht. In der Erzählung sollte Catty als junge erzogene Dame auf Bälle und ähnliche Veranstaltungen gehen um als Mädchen aus gutem Haus einen ebensolchen Galan und späteren Ehemann kennen zu lernen. Das Hindernis ist weniger das "Wollen" auf Cattys Seite¸ sondern das "Nichtdürfen" von Seiten ihrer Stiefmutter.
Während sich die Honoratioren der Stadt im Haus ihres Vaters Professor Lybratte treffen¸ wird Catty wie eine Gefangene behandelt. Ihre Stiefmutter¸ Lucilla Elsbeth Lybratte¸ die unumwunden mit den männlichen Gästen flirtet¸ ist der Meinung¸ Catty müsse das tun¸ was sie befiehlt. Vor alleem ist Catty nicht ganz klar¸ warum ihr Vater diese Frau heiraten konnte. Sie versucht ihre Stiefmutter auszuspionieren¸ was immer schwerer fällt¸ da mit Miss Colpin eine neue Nachhilfelehrerin ins Haus kommt und sie ständig auf Trab hält. Als Gefangene im eigenen Haus denkt sie nur noch an Flucht.
Die hier vorgestellten Personen sind noch nicht lange alle¸ die in Jenseits des Karussells wichtige Rollen einnehmen. Es fällt schwer¸ eine Zusammenfassung eines Buches zu geben¸ dass so vielschichtig und abwechslungsreich ist. Einige der Personen¸ die fürsorglich auf den ersten Seiten aufgeführt sind¸ kennt der Leser aus den ersten Büchern. Dabei ist es nicht wichtig¸ Das Obsidianherz und / oder Salzträume gelesen zu haben. Die Bücher spielen lediglich im gleichen Universum und weil sie auch in der gleichen sozialen Schicht angesiedelt sind¸ trifft man natürlich die gleichen Personen wieder. Das macht den Reiz von Julianes Erzählungen aus. Ihre meisterhaften Erzählungen sind tiefgründig¸ rätselhaft. Vordergründig geht es nicht um eine schnelle Geschichte. Die Autorin hat etwas zu erzählen¸ beschreibt einfühlsam ihre handelnden Figuren. Es ist so¸ als ob wir die Figuren seit ihrer Geburt kennen¸ jede Einzelheit. Von der kleinen Narbe¸ der Angewohnheit wie sie die Haare frisiert¸ wie er seine Hose trägt. All das wirkt familiär. Erst langsam entwirren sich für den Leser die Handlungsfäden. Mit der Zeit wird sichtbar wer mit wem warum was treibt. Das Geheimnisvolle der Erzählung ist nicht das Verhalten der Handlungsträger¸ die die Autorin bis in jede Einzelheit beschreibt. Das Zweideutige¸ nebulöse und unscheinbare gehört zu ihren wichtigsten Erzählkriterien. Die Spannung schleicht sich langsam ein. Man will wissen wie es weitergeht. Erschreckt darüber¸ weil ein neues Kapitel mit neuen Personen beginnt und will dann doch dabei bleiben¸ bis genauso plötzlich ein weiteres Kapitel dazu kommt. Auf diese Weise schafft es das Buch auf über siebzig Kapitel.
Juliane Honisch hat einen wunderschönen Schreibstil. Er verführt dazu¸ an der Geschichte dran zu bleiben und die Aussage "Nur noch ein Kapitel..." wiederholt sich ein ums andere Mal. Die Erzählung ist anspruchsvoll¸ dennoch leicht zu lesen. Auf der einen Seite möchte man sagen sie ist leicht und flüssig zu lesen¸ dann möchte man das Gegenteil behaupten¸ dass man tief in ihr versinkt und gar nicht mehr aufhören will. Ju Honisch entwickelt sich mit ihren Romanen zu einer neuen deutschen Autorin¸ die aus meiner Sicht einen Herrn Hohlbein oder eine Frau Schweikert locker hinter sich gelassen hat.
Ich möchte nicht übertreiben und behaupten¸ sie sei ein neuer Stern am Autorenhimmel. Aber ehrlich¸ man sollte sie gelesen haben.
Eine Rezension von: Erik 'vom Bücherbrief' Schreiber https://www.facebook.com/erik.schreiber.355