L.T.s Theorie der Kuscheltiere
Diese wunderschöne Geschichte gibt es auch als Story in dem Erzählband "Das Kabinett des Todes".
Der Autor
Stephen King - was kann man noch sagen¸ was nicht schon allgemein bekannt ist? Er ist einer der erfolgreichsten Autoren aller Zeiten. Und nicht ohne Grund. Das sollte eigentlich genügen.
Der Sprecher
Ulrich Pleitgen¸ geboren 1946 in Hannover¸ erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es¸ mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten¸ ohne jedoch übertrieben zu wirken.
Die Handlung
Seit fast einem Jahr erzählt L.T. deWitt seine Leidensgeschichte¸ wenn er in der Kantine der Fleischkonservenfabrik¸ in der er arbeitet¸ einen hebt. Er ist ein schlichtes Gemüt¸ leidet aber dennoch an der Tatsache¸ dass ihn seine anfangs so innig geliebte Frau Lulubelle Simms vor fast einem Jahr verlassen hat. Und schuld daran war offenbar ihre Unverträglichkeit mit einem Kuscheltierchen¸ das L.T. ihr geschenkt hatte: Sie nannte das Kätzchen schon bald nur noch "Ballaballa-Lucy"¸ weil Lulu es offenbar nicht ausstehen konnte und sich ihr gegenüber "verrückt" benahm.
Doch L.T. hatte ein Jahr zuvor von Lulu ebenfalls ein Haustier geschenkt bekommen: einen Jack-Russell-Terrier namens Frank (nicht wie der in MIB2)¸ der leider in L.T.s Schuhe kotzte und pisste¸ was diesen natürlich auf die Palme brachte. L.T.s Theorie über die Kuscheltiere geht also dahin¸ dass sie die betroffenen Ehepartner unweigerlich auseinander bringen. Insbesondere dann¸ wenn es sich dabei um Katzen- und Hundefreunde handelt.
Was aber L.T. in seinem Kummer nicht ahnt¸ ist¸ dass es wahrscheinlich der von der Polizei gesuchte "Axtmann" war¸ dem die ausgezogene Lulu zum Opfer gefallen ist. Das vermutet jedenfalls L.T.s Freund¸ der Erzähler¸ der auch einiges über seine eigene Ehe berichtet.
Mein Eindruck
Die ganze Story ist sprachlich so realistisch wie möglich und zugleich so wunderbar schräg erzählt¸ dass man sich in manche Szenen direkt hineinversetzt fühlt. Wie King in seiner Anmerkung in "Das Kabinett des Todes" berichtet¸ hatte er selbst zwei Haustierchen bekommen: einen Corgi-Hund namens Marlowe und eine "durchgeknallte" Siamkatze namens Pearl. Sie kamen ebenso gut miteinander aus wie Frank¸ der Terrier¸ und Lucy¸ die Katze¸ in der Geschichte.
Dass das geschenkte Tier in der Story seinen neuen Besitzer nicht ausstehen kann¸ wohl aber dessen Partner¸ ist ein weiterer amüsanter Kunstgriff des Autors. Die Tiere sind der stellvertretende Kriegsschauplatz für die Auseinandersetzungen zwischen ihren Besitzern: Sie müssen es ausbaden. Doch am Schluss erwischt King den Leser dann eiskalt¸ wenn er den Axtmann erwähnt und verrät¸ wie es L.T. in Wirklichkeit geht.
Der Sprecher
Ulrich Pleitgen spricht¸ nein: deklamiert die verschiedenen Sprechrollen¸ die dieses erzählerische Kabinettstückchen bietet¸ mit Verve und hörbarem Gusto. Er legt sich so richtig ins Zeug¸ wenn er das Leiden unter Franks Untaten schildert oder über Lulubelles Fortgang lamentieren darf.
Das bedeutet aber auch¸ dass Pleitgen ziemlich schnell vorliest. Und so muss der Zuhörer entweder eine Pause machen (es gibt zwei oder mehr "Akte") oder fortwährend die Ohren spitzen¸ um alles mitzubekommen. Am besten hört man sich die kurze Novelle¸ die nur knapp eine Stunde lang ist¸ mehrmals an.
Unterm Strich
Zunächst klingt die Story wie eine ganz gewöhnliche Ehekrach-und Trennung-Geschichte. Doch schon der erste Satz über den "Axtmann" eröffnet einen Spannungsbogen¸ der im letzten Drittel wieder aufgenommen und stark ausgebaut wird. Nur dadurch qualifiziert sich die Geschichte als Thriller King'scher Prägung.
Das mag für manchen Zuhörer zu wenig sein¸ und Äkschn gibt es sowieso nicht. Aber wie in so vielen Storys des späten King spielt sich der Horror eher im Kopf ab¸ und das ist auch hier der Fall. Es geht um Gewalt und Groteske. Und wenn der Axtmann Lulu nicht geholt hätte¸ wer weiß? Vielleicht hätte eines Tages L.T. selbst nicht mehr an sich halten können...
Dieses Hörbuch ist eindeutig eine der besten Lesungen¸ die ich von Ulrich Pleitgen kenne - und das sind schon ein paar. Ich vergebe daher gerne die volle Wertung.