Gruselkabinett 011: Der Untergang des Hauses Usher
Mit "Der Untergang des Hauses Usher" veröffentlichen Titania Medien nun einen weiteren Klassiker der Weltliteratur¸ genauer gesagt eine weitere Erzählung des legendären Edgar Allan Poe. Damit wagt sich das preisgekrönte Hörspiel-Label auf ein bereits erkundetes Feld¸ denn die Geschichte um den zerstreuten Roderick Usher¸ seine Schwester und Geliebte Madeline und ihre erschreckende Familiengeschichte wird nicht zum ersten Mal in dieser Form aufgelegt. Aber ich kann mir kaum vorstellen¸ dass andere Versionen dieser Erzählung so packend inszeniert wurden wie die hier vorliegende!
Story
Philipp Belfield und Roderick Usher sind alte Jugendfreunde¸ die sich irgendwann im jungen Erwachsenenalter aus den Augen verloren¸ den Kontakt aber nie gänzlich abgebrochen haben. Daher macht sich Belfield Jahre später auch sofort auf den Weg zum Landsitz der Ushers¸ als Roderick ihn um dringende Hilfe bittet. Das Bild¸ das sich Philipp auf der Festung inmitten einer Sumpflandschaft bietet¸ ist allerdings erschreckend.
Roderick lebt total zurückgezogen als verschandeltes Wrack in der Dunkelheit seiner Behausung und lässt keine Menschenseele an sich heran. Er leidet unter einer schrecklichen Krankheit und ist dem Tode geweiht¸ möchte aber vor seinem Ableben noch die zukünftigen Geschicke seiner aussterbenden Familie lenken. Doch auch abseits des Leidens seines Freundes erkennt Philipp in Roderick nicht mehr denselben Menschen¸ den er über die Jahre wie einen Bruder geliebt hat. Schließlich erfährt er von dessen Schwester¸ mit welch schrecklichem Fluch die Familie belastet ist¸ und dass der sichere Tod¸ der auch die sterbenskranke Madeline in Kürze ereilen wird¸ die einzige Chance ist¸ den Fluch zu bannen. Doch dazu muss Philipp erst einmal in Erfahrung bringen¸ welche Auswirkungen dieser Fluch auf das ungleiche Geschwisterpaar gehabt hat ...
Meine Meinung
Ich bin immer wieder ausgesprochen angetan von den Resultaten¸ die Titania Medien bei der Wiederbelebung von literarischen Meisterwerken erzielen. Ob nun im Krimi-¸ Jugend- oder Horrorbereich ‐ das Label und ihre herausragenden Sprecher kreieren immer wieder eine fabelhafte Hörspiel-Atmosphäre¸ die den Hörer an das jeweilige Werk fesselt. Nicht umsonst ist die "Gruselkabinett"-Reihe vor zwei Jahren mit dem deutschen Hörspielpreis ausgezeichnet worden. Und diese Auszeichnung könnte sich prinzipiell in diesem Jahr für das gleiche Projekt wiederholen¸ denn auch mit den neuen Episoden dieser Serie liefert das Label Referenzprodukte ab. Nach dem bereits sehr starken "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" folgt nun eine weitere Klassikeradaption¸ deren schauriges Flair in diesem recht kompakten Hörspiel sehr gut eingefangen wurde. Die Geschichte liefert aber auch die nötigen Eckpunkte¸ um eine solch tolle¸ düstere Stimmung zu ermöglichen. Es sind zwar allseits bekannte Grusel-Elemente wie ein verlassenes Schloss¸ ein durchgedrehter¸ dem Tode naher Besitzer und ein dämonischer Fluch¸ dessen wahrer Ursprung nicht bekannt ist¸ jedoch wird dies alles so intensiv dargestellt¸ dass einem zwischenzeitlich ganz anders wird.
Sehr wichtig sind diesbezüglich die einzelnen Soundeffekte¸ deren beklemmende Geräuschkulisse prima mit dem selbstzerstörerischen Gedankenleben von Roderick Usher harmoniert. Der Mann sinkt immer tiefer in seinen Wahn hinein¸ wird im Laufe des Plots stetig unberechenbarer und wirkt zum Ende hin vollkommen geistesgestört. Aber trotz der eindeutigen Aussagen der erkrankten Hauptfigur erfährt man nicht¸ welch eigenartiger Charakter sich hinter dem zerstreuten¸ zurückgezogen lebenden Mr. Usher in Wirklichkeit verbirgt. Gleiches gilt für seine Schwester¸ die anscheinend sehr unter der Unterdrückung ihres Bruders leidet. Sie offenbart Philipp auch die wahre Geschichte um das Haus Usher¸ den Selbsterhaltungstrieb¸ die Wichtigkeit des Fortbestandes der Familie¸ den Fluch und die Ursache allen Übels: die Inzucht¸ mit der jeder¸ der unter dem Namen Usher gelebt hat¸ zurechtkommen musste.
Das Puzzle fügt sich zusammen¸ der Todeswunsch von Roderick wird verständlich und der Drang¸ Madeline ebenfalls sterben zu lassen¸ logisch. Doch genau in dem Moment¸ in dem das Schicksal des Hauses Usher besiegelt ist und Roderick seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt bekommen hat¸ beginnt das Grauen noch schlimmer als zuvor zu wüten und die Historie dieser seltsamen Familie noch erschreckender zu werden¸ als sie es ohnehin schon ist. Der dabei betriebene Spannungsaufbau ist richtiggehend genial. Über mehreren Übergängen verwandelt sich die anfängliche Harmonie in ein grausiges Schauermärchen¸ das bisweilen sehr tief unter die Haut geht und gerade deswegen auch den Status eines Klassikers erreicht hat. Die Entwicklung der Usher-Geschwister ist dabei der Höhepunkt dieses finsteren¸ todesromantischen Melodrams¸ dessen gar nicht mal so realitätsferner Grundgedanke damals wie heute einen sehr erschütternden Eindruck hinterlässt. Doch genau für Derartiges war Edgar Allan Poe zu Lebzeiten ja auch bekannt.
Für das Resümee zu "Der Untergang des Hauses Usher" brauche ich mich folgerichtig auch kaum anzustrengen. Wiederum ist es den Machern gelungen¸ ein vergleichsweise uraltes Stück mithilfe von bekannten Synchronstimmen in ein sehr lebendiges Hörereignis zu verwandeln¸ das dem prämierten Ruf der genialen "Gruselkabinatt"-Reihe aus dem Hause Titania Medien (übrigens zweimal in Folge "Bestes Hörspiel-Label"; Hörspielpreis 2004 & 2005) vollends gerecht wird. Wem düstere Poesie zusagt¸ der sollte bei diesem tollen Werk sofort zugreifen.
Eine Rezension von: Björn Backes http://www.buchwurm.info/